„Der Planet schreit nach Hilfe zum Überleben“
US-Präsident Biden hat am 28.01.2021 eine radikale Neuausrichtung der amerikanischen Klimapolitik verkündet, berichten nahezu sämtliche Medien. Der Klimawandel kümmere sich nicht um Parteipolitik, sagte er. Die US-Bürger bekämen die Auswirkungen des Klimawandels – Wirbelstürme, monatelange Waldbrände und Überschwemmungen – immer häufiger und deutlicher zu spüren. Biden hat bereits Erste-Hilfe-Maßnahmen in der Klimapolitik in Form von Verordnungen auf den Weg gebracht. So unterzeichnete Biden den Wiedereintritt der USA ins Pariser Klimaabkommen COP21 und blockierte den Bau der umstrittenen Ölpipeline Keystone XL. Nun muss er im Kongress um Mehrheiten kämpfen, um seine weiteren Pläne durchzubringen.
„Der Planet schreit nach Hilfe zum Überleben, er schreit laut und verzweifelt“, hatte der Demokrat eine Woche zuvor in seiner Rede zur Amtseinführung geklagt. Die Flut neuer Dekrete geben dem Klimaschutz „Priorität für die nationale Sicherheit“. Die Beschlüsse werden weitreichende Folgen für die US-Energiebranche haben und die diplomatischen Beziehungen der USA verändern.
Vier Jahre lang herrschte in den USA Stillstand beim Klimaschutz. Im Sommer 2017 hatte Donald Trump wahrgemacht, was er im Wahlkampf angekündigt hatte: Er sagte sich und sein Land vom Pariser Klimavertrag los, in dem sich fast alle Staaten der Welt 2015 verpflichtet hatten, die Erdtemperatur „well under 2 degrees“ zu begrenzen. Der Rückzug der USA war mit einem Federstrich erledigt – denn die Details des Pariser Vertrages waren speziell für den eher schwierigen Partner Amerika so formuliert worden, dass der damalige Präsident Barack Obama dem Vertrag per Präsidentenerlass beitreten konnte. Aber Trump konnte damit ebenso leicht wieder austreten. Dass es dennoch noch einmal mehr als drei Jahre dauerte, bis Trumps Aufkündigung wirksam wurde, liegt ebenfalls an den Vertragsdetails. (dw.com/biden-und-das-klima)
Die Chefin von „Greenpeace International“, Jennifer Morgan, lobte Bidens Schritt als „historisch“. In einer Videokonferenz internationaler Umweltgruppen sagte sie: „Die ersten Wochen der Biden-Regierung werden ganz andere sein als die letzten der Obama-Regierung von vor vier Jahren.“ Die Klimakrise habe sich weiter zugespitzt, aber noch nie in der Geschichte der US-Wahlkämpfe habe ein Kandidat dem Schutz des Klimas so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie Biden. „Der Wiedereintritt in das Pariser Abkommen ist für die Biden-Administration in Sachen Klima wirklich der Boden, nicht die Decke“, so Morgan. Und wenn der nächste Schritt für die USA darin bestehe, sich für internationale Verpflichtungen zu schnelleren, tieferen Kohlenstoffreduzierungen einzusetzen, sei das Land gut beraten, aus einer Position der „Partnerschaft und Bescheidenheit heraus vorzugehen und nicht zurückzukommen und allen zu sagen, was sie tun sollen“.
Nach vier Jahren der Klimaleugnung und rücksichtsloser Förderung der fossilen Energien sei es Zeit zu handeln, erklärte der US-Präsident. Er verfügte die Aussetzung neuer Pachtverträge für Öl- und Gasbohrungen auf bundeseigenem Land und in bundeseigenen Gewässern, allerdings mit der Einschränkung, soweit dies möglich sei. Bestehende Pachtverträge werden nun überprüft. Erdöl und Gas aus der Förderung auf bundeseigenem Gebiet sind laut einer Studie die Quelle für fast ein Viertel des CO2-Ausstoßes in den Vereinigten Staaten. Der Präsident will den Kongress auffordern, 40 Milliarden Dollar Subventionen für fossile Energien zu streichen. Die Fahrzeugflotte der Bundesbehörden wird auf E-Autos umgestellt, made in USA. Die Produktion aus Offshore-Windenergie soll bis 2030 verdoppelt werden. Bis 2035 soll der Energiesektor klimaneutral werden, bis 2050 die gesamte Industrie. Fracking bleibt weiterhin erlaubt.
„Lassen Sie es mich klar sagen: Wir werden Fracking nicht verbieten,“ sagte Biden am 28.01.2021 zu Reportern. Jedenfalls signalisierte er eine Abkehr von fossilen Brennstoffen. Während des Wahlkampfes hatte sich Biden explizit gegen ein landesweites Verbot der umstrittenen Öl- und Gastechnik ausgesprochen, obwohl die Trump-Kampagne wiederholt das Gegenteil behauptete. Dabei ist es nicht einmal klar, ob ein Präsident überhaupt die rechtliche Befugnis hat, Fracking auf privatem Grund zu verbieten – dazu wäre wahrscheinlich ein Gesetz des Kongresses nötig. Vielmehr gilt Bidens Moratorium für Öl- und Gaspachtverträge nur für Bundesland, auf das weniger als ein Viertel der gesamten US-Ölproduktion und noch viel weniger für Erdgas entfällt. Und das Einfrieren wirkt sich nicht auf bestehende Pachtverträge aus. Mit anderen Worten: ExxonMobil und Chevron können weiter fracken. Experten bestreiten, dass Biden die Autorität hat, Fracking zu verbieten, und wenn er sie hätte, würde er nicht so weit gehen, er habe starke Verbindungen zu den Gewerkschaften, die sich einem solchen Schritt widersetzen würden. In der Tat würde ein totales Fracking-Verbot Zehntausende von Arbeitsplätzen in West Virginia, Pennsylvania, Ohio und Texas vernichten – drei Staaten, die für die Machtverhältnisse in Washington von zentraler Bedeutung sind (nach edition.cnn.com/fracking-ban-biden-federal-leasing).
Direkt nach seinem Amtsantritt hatte der US-Präsident bis auf weiteres die Öl- und Gas-Förderung in der Arktis untersagt, einen Baustopp für die umstrittene Keystone XL-Pipeline und die Rückkehr der USA in das Pariser Klimaabkommen verfügt. Der Klimaschutz ist offiziell Querschnittthema für alle Ressorts, koordiniert von Gina McCarthy, der früheren Chefin der Umweltbehörde EPA, nun mit einem Büro im Weißen Haus. Klimaschutz sei ein zentraler Bestandteil der US-Außenpolitik, sowie der Nationalen Sicherheit, erläuterte Bidens neuer Sonderbeauftragte John Kerry, Obamas Außenminister. Für den 22. April plant die US-Regierung einen internationalen Klimagipfel.
Wenn Biden für seine Gesetzesvorlagen – und vieles geht nur mit Kongress-Beschluss – keine Unterstützung von den Republikaern bekommt, braucht er im Senat jede demokratische Stimme, etwa die des Demokraten Joe Manchin aus West Virginia. Der ist neuer Vorsitzender des Senatsausschusses für Energie und natürliche Ressourcen und damit eine wichtige Stimme für jede Gesetzgebung, zum Beispiel Beidens Klimaplan, der weitaus ehrgeiziger ist als jeder andere in der US-Geschichte. Der neue Mehrheitsführer im Senat, der New Yorker Demokrat Chuck Schumer, drängt Biden, den Klimanotstand auszurufen und die erweiterten Befugnisse so zu nutzen, wie Trump für seine Grenzmauer. Aber Manchin ist anderer Meinung: „Ich stimme zu, dass Präsident Biden Amerikas Führungsrolle beim Klimawandel durch Innovation erneuern muss. Es ist ein Problem, das jede Gemeinschaft in jedem Land der Welt bedroht. Ich bleibe auch bei meiner Ansicht, dass das Pariser Abkommen verbessert werden muss, um alle Nationen auf die gleiche Stufe zu stellen und jede an die gleichen Standards der Verantwortlichkeit zu halten.“ Nicht gerade eine wohlmeinende Befürwortung des Senators aus West Virginia. Manchin hofft, dass die Innovation der Kohlenstoffabscheidung West Virginias Kernindustrie retten kann (edition.cnn.com/climate-crisis-biden-executive-actions-analysis).
Wenn Joe Biden über Klimapolitik spricht, folgt im selben Atemzug das Wort „Jobs“ (Arbeitsplätze). Damit will er seine Landsleute vor allem in den Kohleregionen davon überzeugen, dass die notwendigen Maßnahmen einen Gewinn für alle bedeuten: „Millionen Amerikaner können durch die Modernisierung von Wasserversorgung, Verkehr, Energieversorgung anständig bezahlte Arbeit finden.“ Denn die Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen in der Öl-, Gas- und Kohleindustrie ist groß, Städte und Gemeinden befürchten Steuerausfälle. Biden denkt an die Abdeckung von Millionen stillgelegter, aber noch offener Gruben und Bohrlöcher, das könnte Leute zurück in Arbeit bringen und: „In diesen Gegenden gehen keine Arbeitsplätze verloren, sondern wir schaffen sie dort, mit ordentlichen Löhnen.“
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