Leitungsausbau-Gesetze unnötig
Energie-Experte Hans-Josef Fell droht in einem aktuellen Kommentar „den Überblick [zu] verlieren“, angesichts des beschlossenen „x-ten Gesetzes zur Beschleunigung des Leitungsausbaus“ – Folge des neuen Zieles von 65% Ökostrom bis 2030. Jeweils „nach zwei bis drei Jahren“ merke die Berliner Politik, dass sie beim Ausbau der Erneuerbaren Energien nachsteuern muss und beschließt ein zwar höheres aber weiter unzulängliches Ausbauziel“. Noch immer herrsche die irrige politische Meinung, der Ausbau der Erneuerbaren Energien könne nur mit dem Ausbau großer Übertragungsnetze stattfinden.
Fell weiter: „Die wesentlich bessere Variante, nämlich die Erzeugung der Erneuerbaren Energien in die Nähe des Verbrauchs zu bringen und dies mit einem örtlich organisierten Bau von Speichern und Ausbau der Verteilnetze zu verbinden, setzt sich in Berlin einfach nicht durch. So kommt es, dass es seit Jahren einen immer stärkeren überregionalen Ausbau von Hochspannungsleitungen gibt, der zunehmend die Regionen überfordert, wertvolle Natur- und Besiedlungsräume massiv belastet und deshalb immer stärkere Proteste heraufbeschwört.
Zudem steigen die Kosten des Übertragungsnetzausbaus immer weiter an. Nach Analysen von Jakob Schlandt im Tagesspiegel Background sind inzwischen die 100 Milliarden Euro an geplanten Kosten überschritten. Dem am Freitag vorgestellten Entwurf des Netzentwicklungsplans Strom (NEP) 2035 zufolge summieren sich die Ausbau- und Modernisierungskosten für Stromleitungen an Land auf 72 bis 76,5 Milliarden Euro [siehe solarify.eu/netzentwicklungsplan-strom-2035-veroeffentlicht]. Hinzu kommen 33 bis 38,5 Milliarden Euro für die Anbindung der Offshore-Windenergie laut den Hauptszenarien.
Ohne Zweifel sind Anbindungsleitungen für Offshore-Windenergie notwendig. Doch darf bezweifelt werden, ob die hohen Kosten und tausende Leitungskilometer für die Hochspannungsleitungen an Land in dieser Größenordnung notwendig sind. Es gibt ja nicht einmal eine Optimierungsrechnung der Bundesregierung, was denn ökonomisch sinnvoller ist, der dezentrale Ausbau der Erneuerbaren Energien zur Bedarfsdeckung vor Ort oder der Überlandleitungsausbau mit Stromimport aus dem Norden in den Süden. Es gibt einfach nur ein Weiter-wie-bisher, mit immer neuen Überlandleitungen.
So ist ja das aktuelle Ökostromziel von 65% bei gleichem Stromverbrauch wie heute ja auch nur wieder ein Zwischenschritt. Alle Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass der Strombedarf wegen der Umstellung auf E-Mobile und auf Heizungen mit Wärmepumpen einen massiv ansteigenden Strombedarf bringen wird, jedenfalls deutlich höher, als ihn die Bundesregierung ansetzt. Zudem erfordert wirklicher Klimaschutz 100% Erneuerbare Energien bis 2030 und eben nicht (nur) 65% erneuerbaren Strom. Die Bundesregierung wird daher schon im nächsten Jahr wieder nachsteuern und die Ökostromziele weiter erhöhen müssen.
Bleibt sie dann bei den aktuellen Ausbauhindernissen für den bürger- und genossenschaftlichen Erneuerbaren-Ausbau, insbesondere im Süden Deutschlands (mit der 10H-Regelung in Bayern) und den massiven Ausbauhindernissen der neuen EEG-Novelle, dann wird es wieder neue weitere Hochspannungsleitungen geben müssen, welche die Landschaft zerschneiden und auf Bürgerproteste stoßen – ein nächstes Leitungsausbaubeschleunigungsgesetz wäre die Folge. Die Kosten für den Leitungsausbau würden noch weit über die 100 Milliarden Euro ansteigen und infolgedessen die Netzgebühren für die Stromkunden. Doch dies treibt bei immer weiter sinkenden Kosten für Solarstrom und Batterien immer mehr Stromkunden zur Eigenversorgung, weil das eben billiger ist als die dann horrenden Netzgebühren zu zahlen. Ein volkswirtschaftliches Debakel bahnt sich an.
Nun regt sich erstmals auch Widerstand gegen diese Politik in den Reihen der CSU. Die Bundestagsabgeordnete Anja Weisgerber, die sich in der gerade verabschiedeten EEG-Novelle erfolgreich für eine Verbesserung des dezentralen Ausbaus der kleinen Anlagen bis 30 kW eingesetzt hatte, stimmte dieses Mal dem Bundesbedarfsplangesetz nicht zu.
In ihrem Wahlkreis liegt das abgeschaltete AKW Grafenrheinfeld, dort gibt es – wie in der Mitte eines Spinnennetzes – seit Jahrzehnten eine hohe Belastung mit Stromleitungen. Mit dem längst beschlossenen Ausbau der Hochspannungstrasse „Südlink“ wird die Region aber weiter belastet, und nun kommt nach dem neuen Gesetz auch noch eine teilweise überirdische neue Wechselstromleitung, die P43 dazu.
In der Tat muss die Bundesnetzagentur ihre Planungen immer wieder erneuern und neue Pläne für den weiteren Ausbau der Hochspannungsleitungen erarbeiten, wenn die Politik in Berlin ein höheres Ausbauziel für Erneuerbare Energien beschließt. Dass dann bei einer weiteren Blockade des dezentralen bürgerlichen Ausbaus der Erneuerbaren Energien dieser Ausbau sich hauptsächlich auf Norddeutschland konzentriert, ist ein gravierender Fehler, da ja gerade in Süddeutschland mit dem Ausstieg aus der Atomenergie Erzeugungsanlagen abgeschaltet werden. Bayern wird mit der Fortführung der Ausbaubehinderung der dezentralen Erneuerbaren Energien Ende 2022 nach Abschalten der letzten AKW eine Deckungslücke von 40 % in der Stromerzeugung haben. Die Folge sind dann eben immer neue Hochspannungsleitungen, aufgrund des zu schwachen Ausbaus der Erneuerbaren Energien in Bayern.
Es braucht endlich ein Ende der Windkraftblockade durch die 10H-Regelung und eine grundlegende Überarbeitung des EEG, welche die Ausschreibungen von Investitionen in Erneuerbare Energien unter 60 MW abschafft und in diesem Bereich zurück zur festen Einspeisevergütung oder gleitender Marktprämie führt sowie eine neuartige Kombikraftwerksvergütung als Anreiz für einen dezentralen systemdienlichen Ausbau der Erneuerbaren Energien. So kann mit einem massiven Ausbau dezentraler Erneuerbare Energien auch im Süden Deutschlands auf dem Weg zu 100% Erneuerbare Energien ein weiterer Ausbau der Hochspannungsleitungen eingedämmt werden. Vorschläge dazu liegen längst auf dem Tisch der politischen Debatte.