Estland plant Europas erstes Mini-AKW

Rekord-Emissionen reduzieren

Estland will dem estnischen Rundfunk ERR folgend innerhalb von etwa zehn Jahren – etwa 100 Kilometer östlich von Tallinn, an der Küste des Finnischen Meerbusens – das erste Mini-Atomkraftwerk, einen kleinen modularen Reaktor, fertig stellen, um seine Energieerzeugung abzusichern – und die Klimaziele zu erreichen, schreibt Pekka Väntinnen auf EURACTIV.com. Estlands Emissionen durch Stromerzeugung sind die höchsten in Europa. Erst kürzlich hat die Regierung beschlossen, Kraftwerke, die bisher mit Ölschiefer befeuert werden, bis 2035 vom Netz zu nehmen.

Eesti Ölschieferkraftwerk in Narva – Foto © Narva69 at ru.wikipedia, CC BY-SA 3.0, commons.wikimedia.org

Am 09.02.2021 wurde bekannt, dass das belgische Ingenieurbüro Tractebel (bis 2019 Lahmeyer) beschlossen hat, in die für das Projekt verantwortliche estnische Firma Fermi Energia zu investieren und Anteile zu erwerben. Eine beratende Rolle hat der finnische Energiekonzern Fortum. „Estland hat den ehrgeizigen Plan, seine Stromerzeugung aus Ölschiefer bis 2035 zu beenden. Und der Reaktor würde diese Herausforderung für Estland lösen“, teilte Fermi-Chef Kalev Kallemets der Agentur Reuters mit. Kleine modulare Reaktoren (SMR) sind angeblich sicherer als traditionelle Atomkraftwerke und können, so heißt es,  in der Nähe von Städten betrieben werden.

Fermi Energia ist ein Unternehmen, das Anfang 2019 von estnischen Nuklearwissenschaftlern, Energieexperten und Unternehmern mit dem Ziel gegründet wurde, ein kleines modulares Reaktorkraftwerk der neuen Generation in Estland in Betrieb zu nehmen, um Estlands Energiesicherheit zu gewährleisten, die Klimaziele zu erreichen und die Wirtschaft und Wissenschaft des Landes im Bereich der Hochtechnologie zu entwickeln. Fermi hat bereits Interesse an einem Standort in der Nähe des Hafens von Kunda im Landkreis Lääne-Viru bekundet und erörtert die Optionen mit der Gemeinde Viru-Nigula. Ein endgültiger Standort wurde noch nicht ausgewählt und es werden mehrere Alternativstandorte diskutiert.

Estnischer Untergrund angeblich Endlager-tauglich

Laut einer Studie des amerikanischen Atommüllentsorgers Deep Isolation Company für Fermi Energia könnte sich der estnische Untergrund zur Entsorgung von Atommüll eignen – wörtlich heißt es dort: „Die estnische Geologie ist möglicherweise für die Entsorgung nuklearer Abfälle geeignet. In einer Vorstudie zur endgültigen Entsorgung von Abfällen aus einem möglichen kleinen Kernkraftwerk mit einem potenziellen kleinen Reaktor, die von Fermi Energia in Auftrag gegeben wurde, wurde die mögliche Eignung verschiedener estnischer Regionen für die Lagerung von Tiefbrunnen bewertet. Demnach könnten in Zukunft mehrere Regionen von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) genehmigt werden, wenn die Notwendigkeit eines Endlagers entsteht und genauere Messungen dies bestätigen.
In der Studie wurden sowohl geologische Bedingungen als auch mögliche Risikofaktoren in verschiedenen Teilen Estlands bewertet. Fermi Energia ist das erste europäische Unternehmen, das mit Deep Isolation einen Vertrag über diese Art der geologischen Exploration abgeschlossen hat. 

Estland hat sich zum Ziel gesetzt, die Produktion von Ölschieferstrom bis 2035 einzustellen, um die Kohlendioxidemissionen bis 2050 um 70% zu senken. Die Erzeugung emissionsfreier Kernenergie durch kleine modulare Reaktoren ist ein möglicher Weg dahin. Eines der Hauptthemen in der Debatte über den Einsatz von Kernenergie ist jedoch die sichere Speicherung abgebrannter Brennelemente für viele kommende Generationen. „Wenn wir in unserem Unternehmen erfolgreich sein und als erstes Land der Europäischen Union einen der kleinen modularen Reaktoren einsetzen wollen, die in den 2030er Jahren weltweit entwickelt wurden, müssen wir gleichzeitig die Verantwortung für die endgültige Entsorgung abgebrannter Brennelemente übernehmen als Stromerzeugung „, so Kallemets. „Die Studie von Deep Isolation zeigt, dass die Deep-Well-Speicherlösung für Estland am besten geeignet ist – sicher, kostengünstig, mit geringer Umweltbelastung und anpassungsfähig an das Volumen.“

Da Estland die Verwendung einer neuen Generation kleiner modularer Reaktoren zur Dekarbonisierung der Energie der Zukunft in Betracht zieht, müssen sowohl die politischen Entscheidungsträger als auch alle Esten die Gewissheit haben, dass es einen sicheren und erschwinglichen Weg gibt, abgebrannte Brennelemente zu entsorgen “, sagte Chris Parker, Leiter von Deep Isolation in Europa und im Nahen Osten. „Dies ist ein wichtiger Schritt, um zu bestätigen, dass fast alle Regionen Estlands, insbesondere in Nordestland, geologisch für die Entsorgung von Tiefbrunnen geeignet sind.“

In Finnland, Schweden und Frankreich beispielsweise würde die Tiefbrunnenlagerung viel tiefer als die Umgebung abgebrannte Brennelemente isolieren, wenn Atommülldepots durch Bergbau errichtet werden – bis zu einer Tiefe von 1.500 Metern anstelle von etwa 500 Metern, würde aber etwa viermal weniger kosten. Dieses Preisniveau wurde durch eine aktuelle Studie von Deep Isolation und dem Electric Power Research Institute der Vereinigten Staaten angegeben. Der Bau von Tiefbrunnen ist auch viel schneller – das Bohren dauert einige Wochen, während die Erschließung großer Reservoire Jahrzehnte dauern kann.

Ab 2035 erster estnischer Atomstrom?

Fermi will Ende 2021bei der estnischen Regierung den Beginn des Planungsprozesses beantragen. Dieser wird wahrscheinlich fünf Jahre in Anspruch nehmen, weil er ökologische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und Fragen der nationalen Sicherheit klären muss. Danach plant Fermi, etwa 2030 mit dem Bau beginnen, und ab 2035 könnte dann estnischer Atomstrom den Strom aus fossiler Verbrennung ablösen.

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