Golfstrom schwach wie seit tausend Jahren nicht

Verheerende Folgen zu erwarten – Erinnerung an „The Day after tomorrow“

Weltweit in den Medien (von Washington Post über The Guardian, SPIEGEL bis Tagesspiegel)  viel beachtet wurde eine gemeinsam mit Kollegen aus England und Irland in nature geoscience publizierte neue Untersuchung des Klimaforschers Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung PIK: Noch nie in mehr als 1.000 Jahren war der Golfstrom, wissenschaftlich „Atlantische Meridionale Umwälzströmung“ (Atlantic Meridional Overturning Circulation – AMOC), so schwach wie in den vergangenen Jahrzehnten – Ergebnis der neuen Studie.

Eisberge, Grönland vor dem Schmelzen – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Die Forscher stellten hauptsächlich aus natürlichen Archiven wie Ozeansedimenten oder Eisbohrkernen stammende, mehrere Jahrhunderte zurückreichende sogenannte Proxydaten zusammen, und rekonstruierten so die Geschichte der AMOC. Dabei fanden sie „solide Belege dafür, dass die Abschwächung im 20. Jahrhundert im vergangenen Jahrtausend beispiellos war – sie ist wahrscheinlich eine Folge des vom Menschen verursachten Klimawandels“ (Webseite des PIK-Potsdam). Die gigantische Ozeanzirkulation AMOC ist für Wetterlagen in Europa und den regionalen Meeresspiegel in den USA bedeutsam; ein wichtiger Hinweis auf ihre Verlangsamung ist eine in den letzten Jahrzehnten entstandene „Kälteblase“ im nördlichen Atlantik.

„Das Golfstrom-System funktioniert wie ein riesiges Förderband, das warmes Oberflächenwasser vom Äquator nach Norden transportiert und kaltes, salzarmes Tiefenwasser zurück in den Süden schickt. Es bewegt fast 20 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde, etwa das Hundertfache des Amazonasstroms“, erklärt Ozeanograph Rahmstorf, Initiator der Untersuchung. Das PIK: „Frühere Studien von Rahmstorf und KollegInnen zeigten eine Verlangsamung der Meeresströmung um etwa 15 Prozent seit Mitte des 20. Jahrhunderts und brachten dies mit der vom Menschen verursachten globalen Erwärmung in Verbindung. Ein belastbares Bild über die langfristige Entwicklung fehlte jedoch bisher – das liefern die Forscher mit ihrer Übersichtsstudie, welche die Ergebnisse bisheriger Proxy-Daten-Studien vergleicht.“

„Wir haben zum ersten Mal eine Reihe von früheren Studien kombiniert und festgestellt, dass sie ein konsistentes Bild der AMOC Entwicklung über die letzten 1600 Jahre liefern“, so Rahmstorf. „Die Studienergebnisse legen nahe, dass die AMOC Strömung bis zum späten 19. Jahrhundert relativ stabil war. Mit dem Ende der kleinen Eiszeit um 1850 begann die Meeresströmung schwächer zu werden, wobei seit Mitte des 20. Jahrhunderts ein zweiter, noch drastischerer Rückgang folgte.“ Bereits im Sonderbericht über den Ozean des Weltklimarats (IPCC) von 2019 war geschlussfolgert worden, dass der Golfstrom im Vergleich zu 1850-1900 schwächer geworden sei. „Die neue Studie liefert weitere unabhängige Belege für diese Schlussfolgerung und stellt sie in einen längerfristigen paläoklimatischen Kontext“, so Rahmstorf weiter.

Von Temperatur zu Strömungsgeschwindigkeit: Die Kunst, Klimaveränderungen in der Vergangenheit zu rekonstruieren

Da langfristige direkte AMOC-Messungen erst seit 2004 durchgeführt werden, setzten die Forscher indirekt an: Sogenannte Proxydaten – aus natürlichen Umweltarchiven gewonnen, wie zum Beispiel Baumringen, Eisbohrkernen, Ozeansedimenten und Korallen sowie aus historischen Daten, z.B. Schiffslogbüchern – halfen ihnen dabei, mehr über die langfristige Entwicklung der AMOC herauszufinden.

„Wir haben eine Kombination aus drei verschiedenen Datentypen verwendet, um Informationen über die Ozeanströmungen zu erhalten: die Temperaturänderungen im Atlantik, die Verteilung der Wassermassen und die Korngrößen der Tiefsee-Sedimente, wobei die einzelnen Archive zwsichen 100 und ca. 1600 Jahre zurückreichen. Während einzelne Proxydaten bei der Darstellung der AMOC-Entwicklung unvollkommen sind, ergab die Kombination aller drei ein robustes Bild der Umwälzzirkulation“, erklärt Levke Caesar, Mitglied der Irish Climate Analysis and Research UnitS (ICARUS) an der Maynooth University (bei Dublin) und 2020 mit dem Publikationspreis für Nachwuchswissenschaftler des Leibniz-Kollegs Potsdam ausgezeichnete Gastwissenschaftlerin am PIK.

Proxy-Datensätze sind im Allgemeinen mit Unsicherheiten behaftet. Diese berücksichtigte die Statistikerin Niamh Cahill von der Maynooth University bei ihren Tests der Robustheit der Ergebnisse. Sie fand heraus, dass in 9 der 11 betrachteten Datensätze die moderne AMOC-Schwächung statistisch signifikant ist: „Wenn wir annehmen, dass die mit den Proxy-Datensätzen gemessenen Prozesse Änderungen in der Strömung widerspiegeln, liefern sie ein konsistentes Bild – und das trotz der Tatsache, dass die Daten an unterschiedlichen Orten aufgenommen wurden und verschiedene Zeitskalen repräsentieren. Die Abschwächung der Strömung ist seit mehr als 1000 Jahren beispiellos”, so Cahill.

Warum schwächelt AMOC? Der wahrscheinliche Grund

Eine Verlangsamung der Zirkulation wird von Klimamodellen seit langem als Reaktion auf die durch Treibhausgase verursachte globale Erwärmung vorhergesagt – und einer Reihe von Studien zufolge ist dies wahrscheinlich der Grund für die beobachtete Abschwächung. Die atlantische Umwälzung wird durch die von Wissenschaftlern bezeichnete Tiefenkonvektion angetrieben, verursacht durch die Dichteunterschiede im Ozean: Warmes und salzhaltiges Oberflächenwasser bewegt sich von Süden nach Norden, wobei es abkühlt und dadurch dichter wird. Wenn es schwer genug ist, sinkt das Wasser in tiefere Ozeanschichten ab und fließt zurück in den Süden. Die globale Erwärmung stört diesen Mechanismus: Durch vermehrte Niederschläge und das verstärkte Abschmelzen des grönländischen Eisschildes wird dem nördlichen Atlantik Süßwasser zugeführt. Dadurch sinkt dort der Salzgehalt und damit die Dichte des Wassers, was das Absinken hemmt und so die Strömung der AMOC Zirkulation schwächt.

Die Abschwächung wird auch mit einer einzigartigen deutlichen Abkühlung des nördlichen Atlantiks in den letzten hundert Jahren in Verbindung gebracht. Diese sogenannte „Kälteblase“ wurde von Klimamodellen als Folge einer sich abschwächenden, weniger Wärme in diese Region transportiertenden AMOC vorhergesagt.

2004 drehte Roland Emmerich den als Warnung vor dem Klimawandel gedachten, extrem erfolgreichen  Katastrophenfilm „The Day After Tomorrow“, der die Gefahren und Folgen der globalen Erwärmung zum Thema hat. Die Weltpremiere fand am 21. Mai desselben Jahrs im Kosmos-Kino in Berlin statt. Der Golfstrom kommt wegen der schmelzenden Polkappen zum Erliegen, eine neue Eiszeit droht. Emmerich stellte (in geringer Übertreibung) die extremsten der möglichen Auswirkungen des Klimawandels dar: Ein globaler Supersturm lässt innerhalb von Stunden die gesamte nördliche Erdhalbkugel gefrieren. Hagelkörner von der Größe einer Grapefruit erschlagen Menschen in den Straßen von Tokio, eine riesige Flutwelle rast auf New York zu, Wirbelstürme verwüsten Hawaii, Neu-Delhi versinkt im Schnee. Die Welt stürzt in eine Eiszeit. Los Angeles wird von gewaltigen Tornados zerstört. Satellitenbilder zeigen drei Superstürme in Form von Hurrikans mit enormen Ausmaßen über Nordamerika, Nordeuropa und Russland, in deren Augen blitzschnell dreistellige Minustemperaturen entstehen (u.a.: de.wikipedia.org/wiki/The_Day_After_Tomorrow). Greenpeace-Kommentar zum Film: „The Day After Tomorrow? The Day is Today!“

„Vielfältige Folgen“

Die Folgen der AMOC-Abschwächung könnten laut Levke Caesar für die Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks vielfältig sein: „Die nordwärts fließende Oberflächenströmung der AMOC führt zu einer Ablenkung von Wassermassen nach rechts, weg von der US-Ostküste. Dies ist auf die Erdrotation zurückzuführen, die bewegte Objekte wie Strömungen auf der Nordhalbkugel nach rechts und auf der Südhalbkugel nach links ablenkt. Wenn sich die Strömung verlangsamt, schwächt sich dieser Effekt ab und es kann sich mehr Wasser an der US-Ostküste aufstauen. Das kann zu einem verstärkten Meeresspiegelanstieg führen.“ In Europa könnte eine Verlangsamung der AMOC zu mehr extremen Wetterereignissen führen, z.B. durch eine Veränderung der Zugbahn sowie mögliche Verstärkung von Winterstürmen über dem Atlantik. Andere Studien nennen extreme Hitzewellen oder eine Abnahme der Sommerniederschläge als mögliche Folgen. Wie genau sich weitere Konsequenzen gestalten, ist Gegenstand der aktuellen Forschung; die Wissenschaftler wollen auch im Detail klären, welche Teile der AMOC sich wie und aus welchen Gründen verändert haben.

„Zusätzliches Süßwasser kommt nicht nur von Grönland, sondern auch vom schmelzenden Meereis und vor allem von zunehmenden Niederschlägen über dem Nordatlantik“, so Rahmstorf zum Berliner Tagesspiegel. „Wenn wir die globale Erwärmung auch künftig vorantreiben, wird sich das Golfstrom-System weiter abschwächen – um 34 bis 45 Prozent bis 2100, gemäß der neuesten Generation von Klimamodellen“, folgert Rahmstorf. „Das könnte uns gefährlich nahe an den Kipppunkt bringen, an dem die Strömung instabil wird.“

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