„Einspruch: Es gibt kein Restbudget mehr!“

Offene Akademie: „COP21 unzureichend – viel Spielraum für Untätigkeit“

Referenten, Beiräte und Freunde der Offenen Akademie*) wandten sich schon Ende Dezember 2020 zum Thema Klimakrise in einem kritischen Beitrag an die Bundesregierung und Parlamentarier auf EU-Ebene. Sie beziehen sich in ihrem Warnruf kritisch auf die „Stellungnahme der Scientists for Future zu den Forderungen von Fridays for Future Deutschland an die deutschen VertreterInnen auf EU-Ebene“ vom 02.10.2020: „Einige von uns sind für ‚Scientists for Future‘ aktiv. Wir stimmen überein, dass die Entwicklung des Weltklimas dramatisch ist, halten jedoch die in dieser Stellungnahme geforderten Veränderungen für unzureichend, weil sie viel Spielraum für Untätigkeit lassen.

*) Die 2004 zunächst als „Offene Universität“ gegründete und inzwischen in „Offene Akademie“ umbenannte Institution will nach eigenen Angaben „kritischen und fortschrittlichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein Forum [schaffen], ihre Erkenntnisse einem breiten Publikum zur kritischen Prüfung vorzustellen, ohne Zugangsbeschränkungen durch schulische oder akademische Qualifikationen. Sie ist überparteilich, finanziell unabhängig und weltanschaulich offen.“]

Aus der Erklärung der Offenen Akademie an die deutschen Vertreter*innen auf EU-Ebene und an die deutsche Bundesregierung (mit geringfügigen Glättungen)

Kommentare und Aufrufe geben Meinung und Informationen der Kommentierenden und Aufrufenden wieder, nicht in jedem Fall die von Solarify.

Am Brandenburger Tor bildeten am 11.12.2020 3.000 klimaneutrale Kerzen die Botschaft „Wir kämpfen für 1,5 Grad“ – Foto © mit freundlicher Genehmigung von FridaysforFuture Berlin

„Der Temperaturanstieg beträgt bereits 1,2° C mit einem erkennbaren beschleunigten Anstieg. Der mittlere Temperaturanstieg der 12 Monate bis April 2020 betrug sogar 1,3° C. Es verbleibt nur noch wenig, und bei Fortsetzung werden die 1,5° bereits in wenigen Jahren gerissen. CO2 verbleibt lange in der Atmosphäre. Auf Landmassen ist der Temperaturanstieg höher. Es haben bereits Effekte der Selbstverstärkung der Erderhitzung eingesetzt, die den Temperaturanstieg weiter beschleunigen. Beispielsweise schreitet das Abschmelzen der Polkappen voran, und das Auftauen der Permafrostböden in Sibirien hat sich 2020 dramatisch verstt. Doch seit dem Abkommen 2015 haben die CO2-Emissionen zugenommen. Um den Temperaturanstieg auf 1.5°C zu begrenzen, müsste die globale Produktion fossiler Brennstoffe zwischen 2020 und 2030 jährlich um sechs Prozent reduziert werden. Stattdessen planen die Förderstaaten eine jährliche Mehrproduktion von zwei Prozent – bis 2030 mehr als doppelt so viel, wie mit dem 1.5°C-Ziel vereinbar. Doch auch ein Temperaturanstieg bis auf 1,5° C kann nicht akzeptiert werden.

Es gibt kein Restbudget mehr.

Das ‚Intergovernmental Panel on Climate Change‘ (IPCC), auch als Weltklimarat bezeichnet, kommt zu dem Ergebnis, dass die nationalen Zusagen aller Regierungen nur etwa die Hälfte von dem ausmachen, was notwendig sei, um eine Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5° C zu erreichen. Aber selbst wenn diese erfolgen würden, sei die Unsicherheit groß. Wie das National Center for Climate Restoration nachweist, beruhen die Restbudgetberechnungen auf Prognosen, welche die Klimaerwärmung signifikant unterschätzen.

Selbst die gegebenen (zu geringen) nationalen Zusagen werden von den Regierungen nicht eingehalten, auch von der deutschen Bundesregierung nicht. In Datteln ging das größte Steinkohlekraftwerk Europas in Betrieb. Auch seit dem Pariser Abkommen geht der Anstieg der Emissionen weltweit unvermindert fort.

Ein Restbudget zu erlauben, wird so ausgelegt, untätig zu sein, bis es verbraucht ist. Die Formulierung ‚bleibt objektiv nicht mehr viel Zeit‘ legt sich nicht fest, ob das noch 10 Jahre sein können. Auch die Forderung, ein maximales Budget von 20 Gigatonnen zuzulassen, dafür ‚würde das EU-Budget noch für etwas mehr als sieben Jahre reichen‘, wird der Lage nicht gerecht, da sie wiederum als siebenjährige Untätigkeit ausgelegt werden könnte.

Wir brauchen Sofortmaßnahmen.

Das eingangs genannte Kriterium ‚politisch wie ökonomisch im Bereich des Notwendigen und Machbaren‘ wird dagegen geradezu gebraucht, um Sofortmaßnahmen zu verhindern, da sie „ökonomisch“ mit der nach dem Profitprinzip arbeitenden Energiewirtschaft nicht vereinbar seien. In der Agrarpolitik sind kaum Fortschritte erreicht, weil die deutsche zuständige Ministerin mit der agrarindustriellen Lobby billigste Kompromisse eingeht. Einige Dutzend internationaler Konzerne und Staatsmonopole verantworten zwei Drittel der globalen Treibhausgasemissionen. Doch gerade diese Akteure müssten für die Umweltschäden zur Rechenschaft gezogen werden.

Eine Stellungnahme aus der Wissenschaft darf nicht das ‚Machbare‘, sondern muss das aus wissenschaftlichen Erkenntnissen objektiv Notwendige beinhalten. Treibhausgasemissionen müssen sofort drastisch reduziert und innerhalb von 10 Jahren auf unter 10% des heutigen Niveaus gebracht werden. Dies erfordert einen umfassenden Katalog an Sofortmaßnahmen in Industrie, Verkehr, Energiesektor, Landwirtschaft, Konsum, der die Treibhausgasemissionen weltweit in 10 Jahren um 90% senkt. Bei den entwickelten Ländern muss es mehr als bei den Ländern niedrigeren Lebensstandards sein.

Weitere Faktoren, die in Wechselwirkung mit der Klimakrise stehen, wie das Artensterben, Pandemien, die Entwaldung, die Vermüllung der Meere, die Knappheit an Trinkwasser und Nahrungsgrundlagen, Kriege als Folge der Klimakatastrophe müssen in die Betrachtung einfließen. Eine Stellungnahme aus der Wissenschaft muss das formulieren, was wissenschaftlich geboten ist. Maßstab können nicht angebliche politische und ökonomische Sachzwänge sein. Diese gilt es, wissenschaftlich zu hinterfragen, statt sich allein auf das oben genannte Abkommen mit unverbindlichem Minimalkonsens der Herrschenden zu berufen. Zudem ist es nicht der Sache dienlich, die zunehmende kapitalismuskritische Tendenz unter der Jugend durch Ermahnung auf das angeblich Machbare wieder in einen systemkonformen Rahmen einzuengen. Wenn ‚ökonomische‘ Bedingungen wie die gegenwärtige Wirtschaftsordnung das Überleben der menschlichen Zivilisation nicht ermöglichen, so ist diese zu ändern. Eine wissenschaftliche Untersuchung weist für 2017 nach, dass 71% der globalen CO2-Emissionen durch die 100 größten Konzerne im Bereich Energie und Rohstoffe verursacht wurden. Die Klimakatastrophe kann nicht aufgehalten werden, ohne die sie verursachenden kapitalistischen Eigentumsverhältnisse in Frage zu stellen. Daher wird die Kritik am Kapitalismus von uns ausdrücklich geteilt.“

->Quellen: