Experten bekräftigten Notwendigkeit von mehr Nachhaltigkeit, Klima- und Ressourcenschutz
Experten begrüßten – so der parlamentseigene Pressedienst heute im bundestag am 04.03.2021 – die Vorschläge der Fraktionen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen zur „Bauwende“ in einer öffentlichen Anhörung unter der Leitung von Mechthild Heil (CDU) über zwei von den Fraktionen eingebrachte Anträge. So bekräftigten die Sachverständigen die Notwendigkeit von mehr Nachhaltigkeit, Klima- und Ressourcenschutz im Baubereich. Beide Initiativen gingen grundsätzlich in die richtige Richtung. Dennoch gab es auch Kritik an der aktuellen Situation: So wurden unter anderem grundlegende Reformen und eine Beschleunigung bau- und planungsrechtlicher Verfahren angemahnt, um eine Bauwende zu ermöglichen.
Die FDP-Fraktion hatte in ihrem Antrag (19/26178) mehr Flexibilität im Bau- und Wohnungsbereich durch eine „umfassende Technologieoffenheit bei Anforderungen an Gebäude und den Bauprozess“ gefordert. Mit der Überarbeitung der Mantelverordnung müsse der Einsatz von Recyclingbaustoffen erleichtert werden, so die Abgeordneten. Dabei geht es ihnen vor allem um weniger Vorgaben auf dem Weg zum Erreichen der Klimaziele: Zusätzliche Vorgaben zum Wärmeschutz oder dem Austausch von Ölheizungen sollten aus dem entsprechenden Gesetz gestrichen, Regulierungen am Wohnungsmarkt zurückgenommen werden.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen setzte sich wiederum in ihrem Antrag (19/23152) für mehr Ressourcenschonung in der Bau- und Immobilienwirtschaft ein. Die Abgeordneten fordern einen gesetzlich vorgeschriebenen Ressourcenausweis für Gebäude und eine verpflichtende Lebenszyklusbetrachtung von Gebäuden. Auch solle es bis 2025 Pflicht werden, in Neubauten ausschließlich erneuerbare Wärme einzusetzen. Bei einer Novellierung der Musterbauordnung müssten Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung verankert werden.
Um die Quote von Recyclingmaterial im Baubereich zu erhöhen, plädierte Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe dafür, Ausschreibungen zu vereinfachen. „Wir brauchen zudem unabhängig zertifizierte Güteklassen“, erklärte Pakleppa. Architekten und Ingenieuren fehle die Sicherheit, Rezyklat-Baustoffe problemlos verwenden zu können. Noch gälten diese als „zweite Wahl“. Eine Abgabe auf Primärrohstoffe lehnte der Experte als kontraproduktiv ab. Sie führe nur dazu, dass neue Baustoffe aus anderen Ländern importiert würden. Das erhöhe Lkw-Verkehr und CO2-Emissionen.
Michael Basten, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Baustoffe – Steine und Erden, betonte die Wichtigkeit von Anreizen, etwa durch eine „zügige Verabschiedung der Mantelverordnung“, um recycelte Baustoffe in den Markt zu bringen. Das Potenzial sei gegeben: Es liege nach Auffassung seines Verbands im „zweistelligen Millionenbereich“. Um das Ziel der Dekarbonisierung zu erreichen, unterstützte der Sachverständige die Forderung der FDP nach „Technologieoffenheit“. Wichtig sei es, bei einer Beurteilung dem Materialaufwand auch den Nutzen gegenüberzustellen.
Für eine Bewertung von Baustoffen auch anhand des Aspekts „graue Energie“ – also der Energie, die etwa bei ihrer Herstellung, beim Transport oder bei der Lagerung entsteht – warb auch Dietmar Walberg von der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen. Allerdings, so wandte der Sachverständige ein, gebe es bislang keine verbindliche Grundlage für eine Art Zertifizierung. Solange die Industrie hier nicht mehr Informationen liefere, bleibe man „meilenweit von einer Art Ressourcenausweis“ für Baustoffe entfernt. Die Nutzung von nachwachsenden Baustoffen wie Stroh, Hanf oder Seegras sah er zwar positiv. Allerdings sei es unrealistisch zu erwarten, dass solche Baustoffe kurzfristig in großen Mengen verfügbar seien, um sie etwa beim sozialen Wohnungsbau einzusetzen.
Hans Joachim Schellnhuber, früherer Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, betonte in seiner Stellungnahme die Bedeutung des nachwachsenden Rohstoffs Holz hinsichtlich der Erreichung der Pariser Klimaziele und sprach sich für eine Holzbauoffensive aus. Noch sei der Bausektor der „Elefant im Klimaladen“ – 40 Prozent der globalen Emissionen entstünden bislang durch das Errichten von Gebäude. Es sei also höchste Zeit, diesen Sektor in den Blick zu nehmen, so der Klimaforscher. Mehr noch: Die globale Klimastabilisierung sei gar nicht möglich, wenn dieser wichtige Sektor außen vor bleibe.
Eike Roswag-Klinge, Ingenieur und Professor an der Technischen Universität Berlin, mahnte die Notwendigkeit an, im Rahmen einer Bauwende auch den Flächenkonsum zu reduzieren. Es brauche dafür neue Nutzungskonzepte, Wohnmodelle und eine stärkere Nachverdichtung in den Städten. Auch für einen geringeren Einsatz von Technik in Gebäuden sprach sich der Sachverständige aus: Gerade beim öffentlichen Wohnungsbau könne auf Lüftungen verzichtet werden, so Roswag-Klinge. Der Einsatz von Naturbaustoffen erlaube das. Mehr noch: Das Bauen werde langfristig „robust und günstig“ – weil regelmäßige Wartungen und Reparaturen entfielen.
Annette Hillebrandt, Professorin an der Fakultät für Architektur und Bauingenieurswesen an der Bergischen Universität Wuppertal, forderte ebenfalls ein Umdenken in der Bauwirtschaft. Einer der größten Hebel zur Erreichung der Klimaziele sei die Suffizienz im Hinblick auf Flächen- und Rohstoffverbrauch. Dementsprechend befürwortete sie eine stärkere Nutzung von Recyclingmaterial. Wieder aufbereitete Baustoffe seien durch Abriss in Deutschland genügend vorhanden und meist sogar im Umkreis von „30 Kilometern“, argumentierte die Architektin. Um die Akzeptanz solcher Sekundärrohstoffe erhöhen, brauche es vielleicht einfach nur ein wenig Werbung. Der Politik empfahl sie dringend, Nachhaltigkeitsaspekte wie die Rückbau- oder Recyclingfähigkeit von Baustoffen auch in der Musterbauordnung zu verankern.
Heinrich Köster, Präsident der Technischen Hochschule Rosenheim, konstatierte in der Diskussion um nachwachsende Baustoffe zwar den deutlichen Bedeutungszuwachs von Holz. Dennoch sei der Baustoff nicht überall richtig, sagte Köster und plädierte für eine Kombination von Baustoffen und hybride Bauweisen. „Es geht ja nicht nur um eine Verringerung des CO2-Fußabdruck, sondern auch um bezahlbares Wohnen.“ Die Ressource Holz werde sich in den nächsten zehn bis 15 Jahren aufgrund der klimabedingten Umbrüche in der Waldwirtschaft verknappen, prognostizierte er. Um darauf zu reagieren, brauche es einen technologischen Wandel hin zu einem Holzleichtbau.
Den Aspekt der Bezahlbarkeit des Bauens mit Holz griff der Bauunternehmer Ernst Böhm, Gründungsgesellschafter der B&O-Gruppe auf, sah hier aber akut keine Gefahr. Holz als Baustoff sei früher etwa zehn Prozent teurer als klassische Baustoffe gewesen. Doch dies ändere sich: Digitalisierung und Innovationen im Maschinenbau sorgten dafür, dass der Holzbau in dieser Hinsicht anderen Baustoffen nicht mehr unterlegen sei, so Böhm. Im Bemühen um klima- und ressourcenschonenderes Bauen müssten aber neben der Auswahl der Baustoffe auch die Art der Konstruktion stärker in den Blick genommen werden. Insbesondere bei der Technik gelte es Abstriche zu machen – 80 Prozent der Reparaturen fielen im technischen Bereich an – ein Kostenfaktor, auf den auch schon der Sachverständige Roswag-Klinge hingewiesen hatte. (hib/SAS)
->Quellen: