Existenz thyssenkrupps steht auf dem Spiel
„Keine Kohle für den Wasserstoff“ – „Die EU verschärft die Klimavorgaben und die Preise für CO2-Zertifikate steigen. Im Fall thyssenkrupps sind das Milliarden. Dieses Geld fehlt dem Konzern ausgerechnet für den Umbau seiner Anlagen auf Wasserstoffbasis“, schreiben Angela Hennersdorf und Silke Wettach in der Wirtschaftswoche vom 16.03.2021).
Das Plakat sei unübersehbar: „Wir kochen auch nur mit Wasserstoff“, stehe da in Riesenlettern – thyssenkrupp habe Fassadenkletterer die „ironisch gebrochene Zukunftsformel an die 70 Meter hohe Fassade der Feuerbeschichtungsanlage gleich neben der A 40 in Bochum“ mit mit rund 1.400 m2 Fläche hängen lassen. Hennersdorf/Wettach: „Die doppelte Botschaft von Konzernchefin Martina Merz: Wasserstoff ersetzt das Treibhausgas Kohlenstoff bei der Stahlproduktion. thyssenkrupp hilft, das Klima zu retten“.
Noch sei der flotte Spruch nur ein grünes Versprechen. Erst 2050 werde thyssenkrupp das letzte CO2 aus seinen Hochöfen ausstoßen – denn so lange dauere es, bis die Anlagen umgerüstet seien. „Wenn es überhaupt dazu kommt. Denn die Transformation droht zu scheitern, bevor sie begonnen hat. Der Stahlkocher muss für jede Tonne CO2, die er in den nächsten 30 Jahren verursacht, zahlen: in Form von Emissionsrechten (Zertifikaten), die Thyssenkrupp bei staatlichen Auktionen im EU-Emissionshandel (ETS) oder von anderen Unternehmen kaufen muss, die bereits CO2 sparen.“ (Auf wiwo.de/milliardenrisiko-co2-zertifikate-die-existenz-thyssenkrupps-steht-auf-dem-spiel weiterlesen…)
Die CO2-Preissspirale könnte thyssenkrupp an den Rand der Existenz bringen, wenn der Staat nicht einspringt. Denn „Wasserstoff ist der Schlüssel für klimaneutralen Stahl. Das kleine Molekül kann einen großen Beitrag leisten, um zukünftig Kohlenstoff in der Stahlproduktion zu ersetzen“, schreibt thyssenkrupp in einer Medienmitteilung zum XXL-Plakat. Auf Wasserstoff setzt thyssenkrupp Steel aber im Rahmen der Transformation zu einem klimaneutralen Unternehmen. Wasserstoff soll in der Duisburger Hütte des Unternehmens zunächst im Hochofen und zukünftig in neuen Direktreduktionsanlagen zum Einsatz kommen. Bis zu 20 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr will das Unternehmen so perspektivisch einsparen. Weit über Deutschland hinaus bekannt geworden ist inzwischen das dafür bereits vor fünf Jahren begonnene Projekt „Carbon2Chem“.
Im Mittelpunkt von Carbon-to-Chem (Carbon2Chem) steht ein Verfahren, das auf der Basis katalytischer Verfahren Technologien für chemische Synthesen entwickelt, mit denen bisher lediglich energetisch genutzte Prozessgase aus der Stahlproduktion weltweit in marktfähige Chemieprodukte oder synthetische Treibstoffe umgewandelt werden. (Siehe auch: solarify.eu/co2-als-rohstoff-carbon2chem-als-technologie-brueller und zahlreiche weitere Artikel zum Thema).
Unter Verwendung Erneuerbarer Energie sollen unvermeidbare CO2-Emissionen aus der Stahlindustrie perspektivisch fossile Rohstoffe in der chemischen Industrie ersetzen. Hierfür wurde ein cross-industrielles Produktionsnetzwerk aus Stahlindustrie, chemischer Industrie und Energiewirtschaft aufgebaut. Dieser modulare Ansatz zur CO2-Nutzung ermöglicht die Verbindung von Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit für große Industriestandorte in Deutschland und anderen Teilen der Welt. Für Carbon2Chem wird Wasserstoff benötigt, der mit Hilfe Erneuerbarer Energien (Power-to-X, PtX) erzeugt werden soll. Der CO2-Ausstoß in der Region und auch an anderen Stahlstandorten soll wirtschaftlich nutzbar gemacht und somit ein klimarelevanter CO2-Einspareffekt erreicht werden.
Das Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion (MPI CEC) präsentierte das komplexe Projekt, das einen entscheidenden Schritt von der umstrittenen CCS (Carbon Capture and Storage) hin zur CCU (Carbon Capture and Utilization/Use) unternimmt, gemeinsam mit der thyssenkrupp AG, dem BMBF, dem Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT und 14 weiteren Partnern im Rahmen einer Pressekonferenz und mit einer aufwändigen Präsentation am 27.06.2016 im Landschaftspark Duisburg-Nord.
Ein neues Großplakat mit rund 1.400 m2 Fläche an der Feuerbeschichtungsanlage 7 (FBA 7) in Bochum verdeutlicht den Ansatz. So wichtig das Thema, so prominent seine Platzierung: Das weithin sichtbare, der vielbefahrenen A 40 zugewandte Plakat, wird täglich von mehr als 100.000 Fahrzeugen passiert. Entstanden sei die Idee – so die Presseabteilung von thyssenkrupp – in Zusammenarbeit mit dem Regionalverband Ruhr: „Denn auch für die Metropole Ruhr ist die Entwicklung der Wasserstoffindustrie ein wichtiges Thema. Die sehr guten Ausgangsbedingungen der Region beim Wasserstoff belegt eine aktuelle bundesweite Vergleichsstudie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW): Im ersten nationalen Wasserstoff-Ranking steht die Metropole Ruhr an der Spitze und punktet insbesondere mit industriellem Know-how, vielen wasserstoffaffinen Unternehmen, einer international bestens vernetzten Forschungslandschaft, einem hohen regionalen Kooperationsgrad sowie sehr guten infrastrukturellen Voraussetzungen.“
thyssenkrupp Steel Europe gehört zu den weltweit führenden Anbietern von Qualitätsflachstahl. Mit rund 28.000 Mitarbeitern liefert das Unternehmen hochwertige Stahlprodukte für innovative und anspruchsvolle Anwendungen in verschiedensten Industriezweigen. Kundenspezifische Werkstofflösungen und Dienstleistungen rund um den Werkstoff Stahl komplettieren das Leistungsspektrum. Mit einem Produktionsvolumen von jährlich ungefähr 11 Millionen Tonnen Rohstahl ist thyssenkrupp Steel der größte Flachstahlhersteller in Deutschland.
Der Regionalverband Ruhr wirbt seit 2017 mit der Kampagne „Metropole Ruhr – Stadt der Städte“ für den Standort im Herzen Europas. Sie hat das Ziel, negative Stereotype abzubauen und einen unverstellten Blick auf die Zukunftspotenziale der Metropole Ruhr zu ermöglichen. Das Motto „Wenn, dann hier.“ verdeutlicht: Die nächste große Investitionschance liegt im Ruhrgebiet.
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