Claudia Kemfert: „Atomkraft als Brückentechnologie? Nein danke“

Lehren aus Fukushima – mit freundlicher Genehmigung

„So sehr wir die Energiewende wollen: Atomenergie darf keine Zwischenlösung sein“, schrieb die Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert, Abteilungsleiterin Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin, am 13.03.2021 auf der Internetseite des ZDF. „Denn eigentlich ist ja alles da.“

Verlustgeschäft Atomenergie: Französisches AKW (EDF) – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Am 11. März 2011 lernte die Welt: Es gibt kein sicheres Atomkraftwerk, auch nicht in einem reichen Hochtechnologieland wie Japan. Der Reaktorunfall in Fukushima mag die Folge eines sehr unwahrscheinlichen Zusammentreffens vieler Faktoren gewesen sein. Aber auch solche Unwahrscheinlichkeiten passieren – mit katastrophalen Folgen.

Die Ortsnamen Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima haben sich warnend ins Gedächtnis der Menschheit eingebrannt – sie alle stehen für große Unglücke in Atomkraftwerken. Doch trotzdem verbreitet sich nur zehn Jahre später die Legende von „Atomkraft als klimafreundlicher Brückentechnologie“.

Atomkraft ein, Kohlekraftwerke aus?

Angesichts des spürbaren Klimawandels scheint die Frage verlockend, ob man nicht die drohende Klimakatastrophe durch eine zwar riskante, aber bekannte Technologie verhindern könne. Die Idee ist simpel: Atomkraft ein, Kohlekraftwerke aus – fertig ist die klimafreundliche CO2-Bilanz. „Milchmädchenrechnung“ würde ich es nennen, wäre das Ganze nicht ein ziemlich schlichter Verkaufstrick der Fossil-und Atom-Industrie.

Jeder Kellner lernt, wie man einen Gast wunschlos glücklich macht. Bei der Bestellung heißt die Frage nicht: Was möchten Sie trinken?, sondern: Kaffee oder Tee? Dann vergisst der Gast, dass er vielleicht lieber Kakao oder Limonade getrunken hätte. Welche Energie würden wir uns wünschen, wenn wir offen gefragt würden? Wahrscheinlich eine sichere, umwelt- und klimaschonende und günstige Energie, die weltweit unbegrenzt verfügbar ist. Und siehe da: An der Cocktail-Bar der Energieversorgung gibt es mehr als fossile oder atomare Energiequellen. Sonne, Wind, Wasser und Geothermie bieten unerschöpfliche Möglichkeiten und erfüllen alle unsere Wünsche. Sie sind sicher, umwelt- und klimaschonend und – je stärker und länger wir sie nutzen – immer günstiger. Was den Preis angeht, ist Solarstrom schon jetzt konkurrenzlos billig.

Atomenergie – Lieblingsinstrument von Autokraten

Kernkraftwerke dagegen sind wahnsinnig teuer. Ökonomisch sind sie schlichtweg unrentabel. Studien zeigen: Eine Investition in einen neues, exemplarisches AKW mit 1.000 Megawatt elektrischer Leistung führt durchschnittlich zu Verlusten von knapp fünf Milliarden Euro. Deutschland beschloss nach dem Reaktorunfall in Fukushima den Ausstieg aus der Atomenergie. Was ist seitdem aus der Entscheidung geworden? Die großen AKW-Bauer Westinghouse und Framatome (ehemals Areva) sind bankrott; die verbliebenen Energiekonzerne wollen die unrentablen Reaktoren möglichst rasch zuschließen oder versuchen, die finanzielle Verantwortung dem Staat zuzuschieben.

Nicht der Markt, sondern vor allem Atommächte halten an der nuklearen Entwicklung fest, etwa China und Russland, und zwar aus politischen, militärstrategischen Gründen. Mithilfe ziviler Nukleartechnik wird Wissen, Material und Technologie gewonnen, das sich für ein militärisches Atomprogramm nutzen lässt. Atomenergie ist das Lieblingsinstrument von Autokraten und Monopolisten; Demokratien und freie Märkte bevorzugen ein dezentral organisiertes Energiesystem, in dem sich eine Vielzahl von Anbietern im konstruktiven Wettbewerb zu einem sicheren Versorgungsnetzwerk zusammenschließen.

Verzweifelt gesucht: Atommüll-Endlager

Und dann ist da noch das vermaledeite Müllproblem. Auch nach 70 Jahren Atomforschung gibt es keine Lösung für den gigantischen Müllberg radioaktiver Altlasten, die noch eine Million Jahre umwelt- und gesundheitsschädlich strahlen. Wohin damit? Endlager verzweifelt gesucht. Noch 30.000 Generationen werden mit diesen Hinterlassenschaften der Atomindustrie zu kämpfen haben. Genügt nicht der menschengemachte Klimawandel als Erblast des 20. Jahrhunderts?Übrigens: Atomkraftwerke sind keineswegs CO2-frei. Bei der Produktion der Kraftwerke, beim Abbau von Uran und beim jahrelangen Rückbau der Anlagen entstehen in erheblichem Umfang Treibhausgase.

Erneuerbare Energie lohnt sich auch ökonomisch

Heute produzieren die erneuerbaren Energien bereits 50 Prozent des Stroms in Deutschland und damit mehr als Atomkraftwerke je beigesteuert haben. Atomenergie wurde komplett durch Erneuerbare ersetzt und die größte Volkswirtschaft Europas dadurch nicht zurück ins Mittelalter katapultiert. Im Gegenteil: Die Vollversorgung mit erneuerbaren Energien ist – ganz ohne De-Industrialisierung – nicht nur technisch möglich, sondern auch ökonomisch lohnend.

Hätten wir vor 20 Jahren, als der Atomausstieg in Deutschland beschlossen wurde, die Rahmenbedingungen für eine konsequente Energiewende geschaffen, könnten wir heute eine Vollversorgung mit Sonne, Wasser, Wind und Geothermie, also einem intelligenten Mix aus erneuerbaren Energien haben. Zehn Jahre nach Fukushima ist evident: Jegliche Verlängerung konventioneller Energien behindert den Umstieg zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien.

„Brückentechnologien“ führen ins Nichts. Wir brauchen keinen Rückschritt, sondern Fortschritt. Wer das Klima wirklich schützen will, setzt auf erneuerbare Energie. Zu hundert Prozent!

Claudia Kemfert – Foto © DIW.de

Prof. Dr. Claudia Kemfert leitet seit April 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am DIW Berlin und ist Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität Lüneburg. Bis 2009 war sie Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Berliner Hertie School of Governance (HSoG). Von 2004 bis 2009 hatte sie die Professur für Umweltökonomie an der Humboldt-Universität Berlin inne. Die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin wurde 2016 in den Sachverständigenrat für Umweltfragen beim BMU berufen. Sie war Beraterin von EU-Präsident Barroso und Mitglied der High Level Expert Group des EU-Umweltkommissars und der Advisory Group on Energy der Europäischen Kommission (DG Research). Seit 2011 ist sie Mitglied im Präsidium der deutschen Gesellschaft des Club of Rome. 2013 erschien ihr Buch „Kampf um Strom“, in dem sie die Mythen in der energiepolitischen Debatte beschreibt. Das Buch „Das fossile Imperium schlägt zurück – Warum wir die Energiewende verteidigen müssen“ folgte 2017. Ihr jüngstes Buch „Mondays for Future – Freitags demonstrieren, Samstags diskutieren und am Montag anpacken und umsetzen“ erschien im Frühjahr 2020.

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