„Every day we hear the worn-out phrases…“

Irene Schöne: Klimakrise und ökonomische Theorie – 2. Vortrag vor „Scientists for Future“ am 22.02.2021

In ihrem zweiten Vortrag (nach: solarify.eu/klimakrise-und-oekonomische-theorie1) begründet Irene Schöne, „dass wir nachhaltig nicht werden wirtschaften können, ohne dass wir die bisherige Wirtschaftstheorie, mit der wir unser Handeln bisher begründen und legitimieren, modernisieren“. Denn die aktuellen Probleme der Menschheit gehen mit dem Verlust an Biodiversität und Umweltzerstörung weit über die Klimakrise hinaus. (Foto: Irene Schöne – © boell.de )

1.

Erst einmal gehe ich davon aus – und ich denke, ich kann diese Einsicht bei allen voraussetzen – , dass die Klimakrise, in der wir uns befinden, menschengemacht ist.

Das Bild des „hockey sticks“ ist uns allen vertraut. Es beruht auf Arbeiten von Mann, Bradley and Hughes1von 1998 und wurde von US-Vizepräsident Al Gore zu Anfang der 2000er Jahre in seinem Film über die globale Klimaerwärmung „An Inconvenient Truth“ bekannt gemacht. Er zeigte, dass mit der Industrialisierung ab ungefähr 1880 eine ungewöhnliche Erwärmung des Klimas Hand in Hand geht.

Als Ursache für die globale Klimaerwärmung wurde die zunehmende Verbrennung fossiler Energieträger und ein dadurch verursachter Anstieg von Treibhausgasen festgestellt. Der schwedische Physiker Svante Arrhenius (1859 – 1927) hatte erstmals 1896 diesen Zusammenhang aufgezeigt.

Seit langem konzentrieren sich die Bemühungen der Politik darauf – allerdings eher halbherzig – aus der Nutzung fossiler Primärenergieträger zur Stromgenerierung aus- und in die Nutzung regenerativer Ressourcen umzusteigen. Ziel ist es, so wurde es von fast 200 Staaten in Paris 2015 beschlossen, die Emission von Klimagasen und damit den weiteren globalen Temperaturanstieg auf „deutlich unter zwei Grad Celsius“ im Vergleich zur vorindustriellen Nutzung zu begrenzen.

2.

Unsere heutigen Probleme gehen allerdings weit über den Anstieg der weltweiten Temperaturen und die sich daraus ergebenden Folgewirkungen hinaus. Sie umfassen auch Umweltzerstörungen, z. B. durch die Abholzung des Regenwaldes, Lärm- und Lichtbelastung, das Aussterben von Pflanzen und Tierarten, weil wir ihnen ihre Lebensräume nehmen, die Belastung von Böden mit Nitraten, die Versalzung des Trinkwassers, die Verschmutzung der Ozeane mit Plastik, die Umwandlung von Naturflächen in Mais-, Soja- und Fichten-Monokulturen usw. Ihr kennt es alle.

Wenn die Klimaerwärmung und die Umweltkrise menschengemacht sind, dann sind sie Folgewirkungen unseres Umgangs mit Natur, d. h. auch Folgewirkungen der Form unseres Wirtschaftens. Wirtschaft ist ja nicht naturvergessen, wie das manchmal gesagt und vorgeschlagen wird, intakte Natur als einen vierten, öffentlichen Produktionsfaktor2 einzuführen, weil intakte Natur dann einen Preis bekäme und infolgedessen auch produziert werden würde. Nein, die ökonomische Theorie hat selbstverständlich eine Auffassung von Natur. Wir handeln mit Boden = Grundstücken, Naturressourcen, Metallen, Steinen, Lebensmitteln. Darauf hat der österreichische Ökonom Karl Polanyi (1886-1964) in „The Great Transformation“ bereits 1944 hingewiesen.

Die Frage stellt sich daher für mich, was wir eigentlich unter Boden = Natur verstehen. Und das betrifft nicht nur den Bereich unserer Arbeitswelt, sondern auch unsere Lebenswelt. Ich befasse mich deshalb seit vielen Jahren mit der Frage, wie die heutige Auffassung von Natur historisch zustande gekommen ist, was sie bedeutet und wie wir uns dieser Sackgasse, in die wir uns selbst hinein manövriert haben, wieder herauskommen.

Und dann müssen Konsequenzen daraus gezogen werden, nämlich die, wie wir unsere 300 Jahre alte Auffassung darüber, was Natur ist, modernisieren können – wir müssen sie nämlich aufgrund der Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften weiter entwickeln, wenn wir aufgrund der bekannten Folgewirkungen mit Natur anders, d. h. nachhaltiger, umgehen, und wir müssen das auch legitimieren. Denn wie wir heute wirtschaften, und was wir unter Natur verstehen, ist also keineswegs immer so gewesen, sondern das haben wir in einem jahrhundertelangen Prozess erst herausgebildet.

Ich habe zum Naturbegriff bisheriger Ökonomik bereits Ausführungen gemacht, so dass ich die wichtigsten Ergebnisse der Analyse nur kurz zu wiederholen brauche:

4.1. Unter „Natur“ wird ein dem Menschen externer Faktor verstanden, mit dem, wenn er sich im Eigentum eines selbständig Wirtschaftenden befindet, dieser umgehen kann, wie er will. Das ist die ursprüngliche Bedeutung von „libertas“ = Freiheit im alt-römischen Recht. Dieser Wirtschaftsfaktor wird als unendlich verfügbar und statisch angesehen, er kennt keine Begrenzung und weist weder Eigenleben, noch Bewusstsein auf, worauf Rücksicht zu nehmen wäre. Natur ist ein beliebig verfügbares Handelsobjekt, eine Ware wie alle anderen. Eine solche Auffassung geht auf den französischen Philosophen René Descartes (1596-1650) zurück, der die sich bewusst werdende Materie, die „res cogitans“, den Menschen, von der bloß ausgedehnten Materie, der „res extensa“, unterschied.

4.2. wird eine solche Wareneigenschaft nicht nur für Natur, sondern auch für den arbeitenden Menschen benutzt, nämlich dann, wenn dieser seine Arbeitsfähigkeit verkauft hat. Dies muss er tun, um sie gegen Geld einzutauschen, das er in einer Geldwirtschaft benötigt, um leben zu können. Er ist nun abhängig beschäftigt.
Auch „Arbeit“ ist aus der Sicht des selbständig handelnden Wirtschaftssubjekt ein einsetzbarer, beliebig austauschbarer Faktor. Das Wort „sich verdingen müssen“ ist dafür ein passender Ausdruck, auch wenn wir es nicht mehr benutzen. Das bedeutet, „Arbeit“ wird so verstanden, als sei sie von dem sie leistenden Menschen trennbar. Sie wird nun entpersönlicht, gehandelt und von anderen für deren Ziele eingesetzt, die dafür bezahlt haben.
Vor 300 Jahren war diese Auffassung durchaus logisch. Der englischen Philosophen Thomas Hobbes (1588 – 1679) beschrieb sie wie folgt: „… for a mans Labour also, is a commodity exchangeable for benefit, as well as any other thing...“.3 Im 17. Jahrhundert waren mit „labour“ allerdings Sklaven und Leibeigene gemeint, die man in der Tat kaufen, verkaufen und für eigene Zwecke einsetzen konnte. Nur: Die Leibeigenschaft wurde 1810 in Preußen und die Sklaverei 1833 in Großbritannien abgeschafft. Mit anderen Worten, wir können unser heutiges Handeln nicht durch den Hinweis auf die Vergangenheit legitimieren, sondern wir müssen immer die damaligen Verhältnisse mitdenken. Bis ins 19. Jahrhundert lebten alle Menschen nicht als Freie und Gleiche in demokratischen Staaten miteinander, sondern als Ungleiche in Monarchien. Von heute aus zurückzuschließen, dass Menschen schon immer so gedacht und gehandelt hätten, ist wissenschaftlich unzulässig. Wir können unser heutiges Handeln zwar auf historische Umstände zurückführen, das aber dadurch zu legitimieren, als handele sich dabei um Naturgesetzlichkeiten und nicht um historisch überholte Annahmen, ist unzulässig.
Der deutsche Philosoph der Aufklärung, Immanuel Kant (1724-1804), hatte den Besitz von Menschen für überwunden erklärt und ausgeführt, dass kein Mensch mehr als ein bloßes Mittel für die Ziele von anderen eingesetzt werden dürfe. Und in der amerikanischen Erklärung der Unabhängigkeit von 1776 wird festgestellt, dass alle Menschen frei und mit gleichen Rechten geboren sind. Freilich dauerte es in den Vereinigten Staaten noch bis 1865, bis dort die Sklaverei abgeschafft wurde. Dennoch halten wir immer noch an unserer Auffassung fest, dass wir über „Arbeit“ wie ein Objekt verfügen können, weil wir sie ja gekauft haben. In den Betrieben jedoch findet sich kein Faktor „Arbeit“, sondern arbeitende Menschen, die ihre Arbeitsfähigkeit selbst ausüben müssen, auch wenn sie sie verkauft haben. Ihre Arbeitsfähigkeit haben sie auch nicht freiwillig, sondern gezwungen verkauft. So werden aus ihnen abhängig Beschäftigten, statt selbständig Wirtschaftende.
Die US-Philosophin Elizabeth Anderson hat sich in ihrem jüngsten Buch „Private Regierung, Wie Arbeitgeber über unser Leben herrschen (und warum wir nicht darüber reden)4 darüber gewundert, dass dieses Denken auch im 21. Jahrhundert immer noch selbstverständlich ist, während gleichzeitig „die Möglichkeiten der wirtschaftlichen Selbständigkeit massiv zurückgingen“ (S. 7). Sie weist darauf hin: „Libertaristen, Ökonomen und Politiker des freien Marktes setzen ‚Freiheit‘ fälschlicherweise mit Privatwirtschaft gleich und ignorieren die Realität, dass die Beschäftigung in großen Firmen für die meisten Angestellten die Unterwerfung unter eine Willkürmacht mit sich bringt, die über ihr Arbeitsleben hinausreicht“ (S. 12).
Wo sind also die politischen Initiativen, über die Zukunft des Arbeitsbegriffs weiter zu denken, statt sich nur im Kreis zu drehen? Infolge der Aufklärung sollte es doch eigentlich längst selbstverständlich sein: Alle Menschen sind als selbständig handelnde Subjekte aufzufassen, die selbst entscheiden, was sie tun. Dieser Schritt der – wenn wir so wollen – Demokratisierung der Wirtschaft steht noch an und er umfasst mehr, als „die Arbeit zu humanisieren“, wie ein Förderprogramm des Bundes in den 80er Jahren hieß.

4.3. Mit dieser herkömmlichen Sichtweise ist auch noch eine weitere Annahme verbunden – ich hatte das bereits vorher erwähnt – dass Natur nur als dem Menschen extern verstanden wird.  Dies jedoch bedeutet letztlich: Wir Menschen sind keine natürlichen Lebewesen. Es ist eine weitere Annahme, die so offensichtlich falsch ist, dass man eigentlich nicht lange darüber zu diskutieren bräuchte, wenn sie nicht immer noch so weit verbreitet wäre. Das zeigt sich z. B. in den regelmäßig durchgeführten Studien des Umweltbundesamtes zum „Umweltbewusstsein der Bevölkerung“. Durch diese Umfragen wird ermittelt, wie sich unsere Wahrnehmung und das Bewusstsein von Natur und Umwelt entwickelt. Daher habe ich vorgeschlagen, deren Fragestellung zu erweitern und auch danach zu fragen, ob sich Menschen als natürlichen Lebewesen verstehen, als Teil von Natur, und den Menschen nicht – als wäre das selbstverständlich – aus der Gesamtheit des Lebendigen auszusparen.

4.4. Als die Grundlage für die heutige Wirtschaftstheorie im 17. und 18. Jahrhundert gelegt wurde, glaubte man noch, dass unsere Welt vor ein paar Jahrtausenden so erschaffen wurde, wie sie damals war. Erst viel später wurde bewusst, dass Natur nichts Statisches, einmal Erschaffenes war, das wie ein Uhrwerk in alle Ewigkeit weiter läuft, sondern dass Natur eine Geschichte hat, die auch eine Geschichte des Lebens ist. Durch einen Erdrutsch am Weihnachtstag 1839 an der heute so genannten „Jurassic Küste“ zwischen Lyme Regis und Axmouth in Devon/Südengland kamen bis dahin völlig unbekannte Versteinerungen von nicht mehr lebenden Tieren zum Vorschein, die über 200 Millionen Jahre alt waren und die niemand zuvor gesehen hatte. Man wusste damals natürlich,  dass es frühere Kulturen gegeben hatte, die ganz anders lebten und wirtschafteten, dass jedoch Natur ein andauernder, kontinuierlicher, dynamischer Entwicklungsprozess ist5, war neu.

4.5. Für unsere zu modernisierende Theorie vom Austausch mit anderen und mit Natur müssen wir also bedenken: Die Annahme, dass „Natur“ und „Arbeit“ vom selbständig Wirtschaftenden wie Waren gekauft und eingesetzt werden können, ist aus dessen Sicht zwar verständlich, aber doch bloße Annahmen. Freilich solche, die inzwischen die ganze Welt eingeführt hat. Obgleich die Realität etwas anderes beweist. Denn bei „Arbeit“ handelt es sich um eine im natürlichen Lebewesen Mensch inkorporierte lebendige Fähigkeit, mit der wir uns in einem kontinuierlichen reziproken Austauschprozess zu anderen und zu Natur in Beziehung setzen. Dabei wirken wir auf Natur genau so ein und formen sie um, wie „Natur“ auf uns einwirkt.6 „Arbeit“ ist daher ganz bestimmt auch kein „human capital“, wie man das so häufig liest. Und „Natur“ ist die  die Grundlage allen Lebens, auch des menschlichen.
Alles, was wir Natur antun, wirkt letztlich auf uns selbst zurück. Wir stellen daher erstens fest: Wir sind nicht nur die Täter von Klima- und Umweltkrise, sondern auch ihre Opfer. Zweitens handelt es sich dann, wenn wir die lebendige Natur, in der und von der wir leben, zerstören, nicht um Fortschritt, sondern um evolutionären Rückschritt, mit dem wir letztlich unser eigenes Leben als Spezies aufs Spiel setzen.7
Daraus folgt drittens: Wenn das natürliche Lebewesen Mensch seit der Aufklärung als freies und selbsttätiges Subjekt verstanden wird, wie es u. a. in der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechten 1948 heißt, dann muss logischerweise auch Natur zum Subjekt werden. Statt der bisherigen S-O-Verfügung über Objekte müssen wir unser Verhältnis zur Natur als gleichberechtigte S-S-Beziehung definieren8. Von den drei bisherigen Produktionsfaktoren „land, labour and capital“ bleibt daher einzig „Kapital“ als einsetzbarer Faktor übrig, ein wirklich rein materielles von Menschen erfundenes Objekt, mit dem wir als Eigentümer machen können, wie wir wollen. Dabei ist zu beachten: Kapital ist nicht selbsttätig, sondern eine menschliche Erfindung, das von Menschen so eingesetzt wird, dass mit dem Wirtschaftsprozess mehr finanzieller Nutzen erzielt wird, als an Kosten für die Produktion aufgewendet wurde. Das sagt die bekannte Gleichung K-W-K. Heute hört man zugleich, dass ein Umweg über die Warenproduktion gar nicht mehr erforderlich ist, um mehr Geld zu erzielen, sondern dass es reicht, mit der Investition von Geld mehr Geld zu machen. Die Finanzindustrie zeigt uns, wie das geht – oder auch nicht, schließlich gab es vor etwas mehr als zehn Jahren eine globale Finanzkrise, durch die diese Vorgehensweise infrage gestellt wurde.

4.6. Und noch eine vierte und letzte Anmerkung, ehe ich aus dem Wirtschaftsprozess selbst heraus begründen will, dass es auch andere Beziehungen zwischen „Arbeit“ und „Natur“ gibt, als die, die geschilderten, wie sie bisher im Vordergrund unseres Denkens stehen. Und wir daher auch anders wirtschaften können, in gleichberechtigten Beziehungen. Nach der bisherigen Wirtschaftstheorie spielen nicht nur drei Faktoren „land, labour and capital“ eine Rolle, wie sie aus der Sichtweise des selbständig wirtschaftenden Subjekts eingesetzt werden, sondern sie sind auch noch völlig unterschiedlich gewichtet. Ich erinnere nur noch einmal kurz an die drei Wirtschaftsformen, die ich bereits vorgestellt hatte:
Form 1: ist der direkte, unmittelbare und unvermittelte Austausch, die Naturökonomie, den wir ständig kontinuierlich mit Natur eingehen müssen, um zu leben, wie unsere Atmung – so auch von Aristoteles, Alexander von Humboldt und Charles Darwin bezeichnet.
Form 2: ist der indirekte Tausch, der durch ein allgemeines Tauschmedium = Geld vermittelt wird. Geld wurde vor rund 7.000 Jahren von Menschen erfunden und stellt eine bemerkenswerte Kulturleistung da. Bei Form 2 handelt es sich daher um eine Kulturökonomie (Peter Bendixen) und nicht eine Naturkategorie. Natur hat für ihre Austauschbeziehungen nie ein Tauschmittel erfunden. Geld hat für Natur überhaupt keine Bedeutung, sondern nur für den menschlichen Tausch.
Form 3: ist die Vertauschung des allgemeinen Tauschmittels = Geld mit dem Ziel des Tausches, eine Mittel-Ziel-Vertauschung. Ich nenne sie daher den Ökonomiekult. Das heißt, mit der Form 3 machen wir das Tauschmittel Geld zum alleinigen Ziel aller unserer Handlungen: Wenn wir arbeiten, ist das nur dann richtige „Arbeit“, wenn wir unsere Arbeitsleistung gegen Geld tauschen, d. h. sie an einen Arbeitgeber verkaufen. Alles, was wir selbst tun, ist keine Arbeit und wird von uns nicht geschätzt. Für den Bereich der Lebenswelt bedeutet das, dass wir denken, alle notwendigen Güter kaufen zu müssen und keine selbst herzustellen. Und wenn wir die von der formalen Wirtschaft hergestellten Produkte kaufen, dann ist auch allein deren Preis für unsere Kaufentscheidug ausschlaggebend. Wir orientieren all unsere Handlungen an einer einzigen Zahl. Und statt unsere vielfältigen Fähigkeiten und Fertigkeiten auszuüben, wiederholen wir immer nur das Gleiche: Kaufen. Das bedeutet auch, dass wir zwar die lebendige Natur in den Ozeanen und in den Böden durch agrarindustrielles Wirtschaften zerstören und das Artensterben in Kauf nehmen, aber wir würden es für nicht-rational halten, Geld zu zerstören.
Daraus folgt: Solange der heute als normal geltende Austauschmechanismus nicht als historisch entstanden mitgedacht und insofern die Mittel-Ziel-Vertauschung von Geld weiter ausgeübt wird, verbleiben alle Überlegungen in Richtung auf Nachhaltigkeit und weniger Mitweltzerstörung (K. M. Meyer-Abich) im Rahmen genau dieses Verständnisses, das es doch zu überwinden gilt. Sie bleiben Forderungen. Und noch nicht einmal richtige, denn wir tauschen uns mit Natur nicht mittels Geld aus, sondern in exakt definierten physikalischen Quantitäten, in Gewicht, Kubikmeter, Petajoule, Mirkosievert usw.10, wie ebenfalls in den Jahresberichten des Statistischen Bundesamtes nachzulesen. Von den Autoren der Kritischen Theorie wird eine solche Vorgehensweise übrigens als lediglich „instrumentelle“ Vernunft bezeichnet (vgl. Max Horkheimer, Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, Frankfurt, 1985). Wir müssen also die bisherige Logik unseres Handelns analysieren und weiterentwickeln. Und dazu müssen wir die bisherige ökonomische Theorie modernisieren, damit sie zur Begründung und Legitimation zukünftig nachhaltigen Handelns werden kann.

5.

Wenn ich nun eine andere Umgangsweise mit Natur und Arbeit vorschlage, indem ich beide als  selbstständige und selbsttätige Subjekte auffasse – man erinnere sich, dass selbst Adam Smith, auf den wir unsere heutige Wirtschaftstheorie zurückführen, geschrieben hat, dass Natur genau so tätig ist wie der arbeitende Mensch11 und der reale Reichtum eines Landes aus dem jährlichen Produkt von Land und Arbeit besteht12, und wenn ich ihre Beziehungen realitätsgerechter definiere, als das heute der Fall ist, dann darf ich ich nicht länger die bisherigen Modellannahmen weiter führen, wie etwas sein soll, sondern dann muss ich in der wirtschaftlichen Realität Fakten dafür finden. Dies will ich jetzt tun und das ist der Grund für diesen zweiten Vortrag:

5.1. Aus dem scheinbar beliebig verfügbaren abstrakten Produktionsfaktor „Arbeit“ werden lebendige, natürliche Menschen, die ihre mit ihnen untrennbar verbundene Arbeitsfähigkeit als selbständig handelnde Subjekte anwenden. Beispielsweise berichtete die amerikanische Ökonomin Elinor Ostrom (1933 – 2012) über lokale Selbstorganisationsprozesse der britischen Commons.
Nun wird es möglich, den bisherigen ökonomischen Arbeitsbegriff objektiv und eindeutig, und nicht nur in Abhängigkeit von Geld, zu definieren, in Anlehnung an den Arbeitsbegriff der Physik. Das ist auch daher sinnvoll, weil es eigentlich ja auch in Kultur- und Naturwissenschaften keine unterschiedlichen Begriffe geben sollte, wenn es um wissenschaftliche Definitionen geht und gehen muss.

5.2. Und aus dem historischen scheinbar beliebig verfügbaren Produktionsfaktor „Natur“ wird die lebendige Basis für alle Lebewesen auf der Erde, wie sie sich in einem Jahrmilliarden kontinuierlichen, andauernden Evolutionsprozess dynamisch und selbstorganisiert entwickelt hat.  Ein eigenen Recht der Natur auf Leben und Entwicklung wird jetzt möglich einzuführen. Wir kooperieren mit Natur, statt dass wir über sie wie über ein Objekt verfügen.
Das geht weit hinaus über eine Erfassung von Dienstleistungen der Natur, z. B. der Bestäubungsleistung durch Insekten, die wir beachten müssen, weil sie für das Leben der Menschen nützlich sind.
Unsere Austauschprozesse zwischen den menschlichen Lebewesen sowie Menschen und Natur werden nun in physikalisch exakt definierten physikalischen Größen erfasst13 und nicht in Geld.
Bei allen notwendigen Einsparungen z. B. von schädlichen Klimagasen geht es um die direkte materielle Einsparung, und nicht um eine durch Geld vermittelte, denn Geld ist eine Kulturkategorie und keine Naturgröße. Ich sagte es schon: Natur hat nie ein Tauschmittel für ihre wechselwirkenden Prozesse erfunden. Für Natur hat Geld keine Bedeutung.
Wir leben in kontinuierlichen Stoff-Wechsel-Prozessen zu der ihm bisher als lediglich externes Objekt verstandenen Natur, zu unserer Mitwelt (K.-M. Meyer Abich).

5.3. Im Gegensatz dazu ist und bleibt der Produktionsfaktor Kapital ein von Menschen erfundenes Mittel, das einzig wirkliche Objekt wirtschaftlichen Handelns. Als ein totes Mittel kann es nicht länger mit dem Ziel wirtschaftlichen Handelns vertauscht werden, noch kann es sich selbst verwerten. Geld ist kein Subjekt unseres Handelns, sondern wir machen es dazu. Geld ist lediglich eine quantitative Kategorie, die ins Unendliche geht. Geld hat einen Gebrauchs- und einen Tauschwert, wie schon Aristoteles wusste. Während sein Gebrauchswert heute, anders als in den Jahrhunderten davor, weil der Wert einer Goldmünze noch dem darauf gedruckten Wert entsprach, gegen Null geht, ändert sich der Tauschwert von Geld ständig, sowohl nach innen als auch nach außen.
Der ausschließliche Bezug aller menschlicher Handlungen auf Geld/Kapital, wie z. B. in Humankapital, unterbleibt. Und Geld/Kapital wird auch nicht länger zum Subjekt gemacht, wie z. B. Formulierungen: „der DAX wächst“, „das Brutto-Inlands-Produkt steigt“ oder „die Preise fallen“ zeigen. Denn diese Veränderungen sind immer Resultate menschlicher Handlungen, menschliche Arbeit – das würden wir sonst ausblenden. Es lohnt wirklich, einmal darauf zu achten, wie häufig solche Formulierungen in der Presse auftauchen!
Das sind im wesentlichen kurz zusammengefasst die drei Grundsätze, aufgrund derer die bisherige ökonomische Theorie von mir weiterentwickelt und damit modernisiert wird.
Nun muss ich noch nachweisen, wo sie sich in der Realität finden um mich nicht dem Vorwurf auszusetzen, ich würde lediglich Wunschvorstellungen äußern, also von Annahmen ausgehen wie die bisherige Theorie.

6.

Heute teilen wir den Wirtschaftsprozess in drei Sektoren ein. Jeder Sektor unterliegt dabei seiner eigenen Logik. Diese Einteilung geht zurück auf Allan G. B. Fisher, einen in Neuseeland geborenen Ökonomen (1895-1976). Dieser unterschied die folgenden drei Sektoren:

Der Primäre Sektor umfasst Landbau, Forstwirtschaft, Fischerei und Bergbau. In diesem Sektor werden vorwiegend Lebensmittel hergestellt, manchmal nur als Grundstoffe für die Nahrungsmittelindustrie verstanden. Naturstoffe können nur dort aus dem Boden extrahiert und Lebensmittel nur dort produziert werden, wo die natürlichen Bedingungen von u. a. Boden und Klima es erlauben. Der Mensch schafft zwar die Voraussetzungen für ihre Produktion, z. B. mit dem Säen von Feldfrüchten, jedoch ist nicht er allein Produzent, sondern dies ist die mit ihm kooperierende Natur, von der der Mensch abhängig ist. Die Naturstoffe haben sich auf diesem Planeten in einem Milliarden andauernden Evolutionsprozess sehr langsam gebildet. Ihr Vorhandensein auf einem endlichen Planeten ist ebenfalls endlich.
Landwirtschaftliche Produkte sind nicht lange haltbar. Sie verderben leicht. Menschen haben daher seit Tausenden von Jahren Techniken erfunden, um Lebensmittel haltbar zu machen. Der primäre Sektor ist also als „naturabhängig“ zu kennzeichnen.
Der Sekundäre Wirtschaftssektor umfasst die industrielle Güterproduktion. Sie weist gegenüber dem primären Sektor eine größere Unabhängigkeit von Naturbedingungen auf. Industrielle Güter können zu jeder Zeit und an jedem Ort hergestellt werden. Was produziert wird, hängt mehr von der Entscheidung und den Möglichkeiten des selbständigen Wirtschaftssubjekts ab als von Natur. Industrielle Güterproduktion bedeutet, Naturstoffe in standardisierte Waren, wie z. B. Strom,  umzuwandeln und dazu abhängige Beschäftigung einzusetzen, als seien sie abstrakte Produktionsfaktoren. Um das eingesetzte Kapital, das zur Installation einer Produktionsstätte nötig ist, möglichst gut zu verwerten, werden die Kosten für Naturstoffe und abstrakte Arbeit zu senken versucht. Dazu kann die Güterproduktion beispielsweise auch in andere Länder verlegt werden, die weniger Umwelt- und weniger Arbeitskosten aufzuwenden vorschreiben. In der Regel sind die hergestellten Produkte lange haltbar und können in beliebiger Menge auf Halde produziert werden, unabhängig von ihrer Natur-Saisonalität, die im primären Sektor das Wichtigste ist, sowie an beliebigen Orten aufbewahrt und zu beliebigen Orten transportiert werden. Außerdem sind Industrieprodukte standardisiert und damit entpersönlicht.
Im sekundären Sektor scheint es, als sei der Mensch naturunabhängiger.
Der Tertiäre Sektor umfasst demgegenüber immaterielle Dienstleistungen. In ihm sind Unternehmungen mit und ohne Erwerbscharakter vertreten. Der tertiäre Sektor umfasst Austauschprozesse zwischen Menschen, egal, ob sie durch den Tausch von Geld vermittelt sind oder nicht. Weil immaterielle Dienstleistungen weniger Energie und Naturstoffe benötigen als die Produktion materieller Güter, werden sie als umweltfreundlich gekennzeichnet.  Im Gegensatz zur industriellen Produktion zeichnet sich der tertiäre Sektor dadurch aus, dass die Herstellung erst aufgrund von direkter Nachfrage zustande kommt. Daher kommt dem bisher als  passiv14 verstandenen Konsumenten eine größere Aktivität zu. Vielmehr ist er aktiv am Produktionsprozess beteiligt. Je detaillierter der aktive Konsument seine Wünsche einbringt, umso angemessener die Leistung, die er erhält. Beide werden daher – neu – als Prosumenten15 bezeichnet. Im tertiären Sektor geht es also um immaterielle, wechselseitige, unmittelbare Prosumentenbeziehungen. Manfred Schedlowski, der Direktor des Instituts für Medzinische Psychologie und Verhaltensimmunbiologie am Universitätsklinikum Essen, hat daher für die neue Approbationsordnung für Humanmedizin vorgeschlagen, das besondere Augenmerk auf die Arzt-Patient-Kommunikation zu legen, die maßgeblich den Behandlungserfolg und das Wohlbefinden von Patient*innen beeinflusst und von der nonverbalen Kommunikation bis hin zur verbalen, wie dem ‚Überbringen schlechter Nachrichten‘, reicht. Im tertiären Sektor geht es also um den direkten Austausch zwischen Menschen und nicht um Tausch von standardisierten, materiellen Waren gegen Geld.
Nachfrage und Leistung stehen dabei in einem uno-actu-Verhältnis16 zueinander. Was an Leistung produziert wird, wird sogleich vom nachfragenden Prosumenten konsumiert. Die immateriellen Dienste sind persönlich und können daher auch nicht im Vorwege und nicht auf Halde hergestellt werden. Es gibt im tertiären Sektor auch mehr selbständig Handelnde als im sekundären Sektor, also mehr Selbständigkeit und weniger Abhängigkeit.
Wenn eine Leistung gegen Geld in Anspruch genommen wird – wie gesagt, im tertiären Sektor geht es auch um Nicht-Erwerbs-Unternehmungen, wie Wohltätigkeitsorganisationen und Haushalte – dann ist der Geldtausch davon zeitlich entkoppelt und steht nicht im Vordergrund wie im sekundären Sektor. Eine Bezahlung der Leistung kann zumeist vorher oder hinterherstattfinden. Auch kann sie in anderen Formen erfolgen. Man kann bereits früher den Anspruch darauf erworben haben, wie z. B. durch das Vorzeigen eines Ausweises oder einer Versicherungskarte, eines Bahntickets, einer Quittung oder eines Abholscheines.
Wie sich die Wirtschaft heute unter Berücksichtigung dieser drei Sektoren gliedert, zeigen die folgenden Zahlenreihen für die Bundesrepublik Deutschland17:

6.1. Strukturwandel „Arbeit“ (selbständige und abhängig beschäftigte Erwerbspersonen)

Wir sehen bei den Erwerbspersonen, dass im Reichsgebiet im 19. Jahrhundert der primäre  Landwirtschaftssektor den größten und bedeutendsten Anteil innehatte, ebenso wie in den Jahrhunderten zuvor. Erst nach dem ersten Weltkrieg beginnt die Bedeutung des primären Sektors zurückzugehen, bis er 2018 bei knapp über 1 % liegt, in Schleswig-Holstein sogar darunter.
Der „Gewinner“ ist kurzfristig bis in die 70er Jahre der sekundäre Sektor der industriellen Güterproduktion, dann geht auch diese anteilmäßig zurück bis auf etwas über 24 % heute. Und der einzige Sektor, der kontiuierlich zunimmt, ist der tertiäre Dienstleistungssektor mit heute über 74 % aller Erwerbstätigen.
Und eine ganz änliche Entwicklung bzw. ein ganz ähnlicher structural shift findet sich auch in der Sektorenentwicklung bei der Bruttowertschöpfung, wie man sieht.

6.2. Strukturwandel Bruttowertschöpfung (BIP) – in %

Zudem muss man hinzufügen, dass die Anteile des Dienstleistungssektors noch sehr viel höher liegen würden, wenn man die Arbeitsleistungen von Menschen im Dienstleistungssektor ausweisen würde, statt die Arbeitskosten in die Güterproduktion hineinzurechnen.
Warum das nicht geschieht, liegt sicherlich daran, dass die materielle Güterproduktion immer noch im Mittelpunkt unseres Wirtschaftsverständnisses steht. Die Fakten sagen jedoch etwas ganz anderes. Nur berichtet niemand darüber.
Aus den Zahlen ergibt sich, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland – übrigens genau so wie in Schleswig-Holstein – längst in einer Dienstleistungswirtschaft leben. Aus dem tertiären Sektor kommen sowohl die Mehrzahl der Erwerbstätigen als auch der überwiegende Anteil der Bruttowertschöpfung. Das bedeutet: Den Strukturwandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft müssen wir jeweils bedenken, wenn wir über Wirtschaften sprechen. Und dieser Strukturwandel findet in allen hochindustrialisierten Volkswirtschaften statt. Sie alle gehen zu Dienstleistungsgesellschaften über. Das haben wir vor 20 Jahren noch ganz anders diskutiert, worüber ich einiges geschrieben habe. Für diese Entwicklung gibt es vielfältige Gründe, die ich an anderen Orten versucht habe, aufzuzeigen. Darauf einzugehen, würde jedoch den Rahmen heute sprengen.

Die Frage stellt sich nun, ob wir diesen Strukturwandel auch bei allen politischen Entscheidungen mitdenken. Denn hier ergibt sich eine andere Logik des Wirtschaftens, wie z. B. eine mögliche  Gleichberechtigung von Konsument und Produzent. Ich denke, das ist nicht der Fall. Ich behaupte, dass in allen unseren Entscheidungen der industrielle Sektor nach wie vor im Vordergrund steht. Wirtschaft ist gleich Industrie. Industrie gibt das Muster vor, wie gewirtschaftet werden soll – und wir verhalten uns alle entsprechend. Sonst häte auch der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Bernd Buchholz kaum am 27. Dezember 2020 in einem Interview mit dem Journalisten Florian Hanauer in den KIELER NACHRICHTEN davon gesprochen, dass Schleswig-Holstein „im Industriebereich aber eher schwach aufgestellt“ ist. Nein, anders herum wäre es richtig: Nach den Stadtstaaten ist Schleswig-Holstein das Bundesland mit dem höchsten Dienstleistungsanteil.

Meiner Ansicht nach bräuchten wir in Schleswig-Holstein auch kein Ministerium für Landwirtschaft, sondern eins für den Dienstleistungssektor, in dem z. B. Wissenschaft, Kunst, Kultur, Kulturtourismus, Geschichte, Architektur, Gesundheit, Bildung und Ausbildung, Handel, Schifffahrt und Außenkontakte, z. B. von der schleswig-holsteinischen Westküste zur britischen Ostküste, sowie Innovationsförderung, usw. vereint sein und gefördert werden sollten.

Ich habe schon früher die Staatskanzlei auf diese Fakten hingewiesen. Und wenn Journalisten über unser Bundesland schreiben, sollten sie das auch wissen, finde ich, bespielsweise um politische Aktionen einzuordnen. In der Staatskanzlei war man jedoch nicht interessiert. Man meinte, man müsse der Landwirtschaft eine größere Bedeutung zuordnen, als sich aus den Zahlen ergibt, weil  jeder sehen könne, dass das Land überwiegend von der Landwirtschaft genutzt wird. Würde man eine solche Argumentation ernst nehmen können, dann würde das autoproduzierende Baden-Württemberg überwiegend von der Landwirtschaft leben. Es ist schon absurd. Die Politik macht sich nach wie vor eine Realität zu recht, wie sie von den lautesten Bevölkerungsteilen geäußert wird.

7.

Ich komme damit zum Schluss:

Der tertiäre Sektor ist der bedeutendste, und im tertiären Sektor gibt es ein anderes Muster, eine andere Möglichkeit des Umgangs mit Natur und Menschen, nämlich durch gleichberechtigte Subjektbeziehungen, Kooperationen anstelle einer autonomen Verfügung über Objekte. Wir müssen daher eigentlich den sekundären industriellen Sektor nicht länger als das normale Muster bzw. die Normalform unseres wirtschaftlichen Handelns halten. Dennoch geschieht das nicht, sondern wir sind dabei, das sekundäre Muster noch weiter auch im Dienstleistungsbereich einzuführen und die Landwirtschaft zu industrialisieren. Warum eigentlich? Wie schrieb der Journalist Nils Minkmar über das neue Buch von Thomas Piketty „Kapital und Ideologie„, das im März erscheinen wird: „Die Begriffe der Wirtschaftswissenschaften sind keine naturwissenschaftlichen Größen, sondern folgen politischen, ja ideologischen Vorgaben.“ Ja, leider hat er Recht.

Mit dem tertiären Muster kann ich meine Vorschläge zur Modernisierung der Wirtschaft in ökologischer Absicht aus der Realität begründen, zu wechselwirkenden Koperationen zwischen gleichberechtigten Subjekten überzugehen. Und wenn Menschen natürliche Lebewesen sind, die nicht mehr als bloße Mittel eingesetzt werden dürfen, sondern ihr eigenes Ziel in sich tragen, dann muss das auch für die außermenschliche Natur, unsere Mitwelt, gelten, denn wir sind davon Teil21.

Es handelt sich bei meinen Vorschlägen also nicht lediglich um Annahmen über die Natur von Natur und Mensch, wie heute immer noch argumentiert wird, die auf dem Muster des sekundären Sektor beruhen, sondern um längst praktizierte Beziehungen. Es wäre gut, wenn wir uns das nur endlich bewußt machen könnten. Wir können anders mit Natur und anderen Menschen umgehen, als gleichberechtigte Partner und nicht als beliebig verfügbare, ausbeutbare Objekte. Wir müssen ein „Recht der Natur“ auf eigenständige Entwicklung einführen, was mehr ist als bloßer Naturschutz. Warum tun wir das also nicht? Wenn wir doch wissen, dass es so nicht weitergeht?

8.

Zum Schluss noch einige politische Anmerkungen:

8.1. Mein Vorschlag und die davor durchgeführte Analyse sind marktwirtschaftlich orientiert.
Was ihn jedoch von dem heutigen sekundären Muster unterscheidet, ist, dass er nicht länger auf Subjekt-Objekt-Beziehungen beruht, sondern auf gleichberechtigten Subjekt-Subjekt-Beziehungen zwischen Menschen sowie Menschen und Natur. Man könnte ihn daher auch ansehen als ein Schritt zur Demokratisierung der Wirtschaft, weg von entpersönlichten, entlebendigten, abstrakten, käuflich erworbenen Faktoren und hin zu parabiotischen reziproken Kooperationen, die mithilfe von Geld geleistet werden können oder auch nicht und vom direkten Tausch entkoppelt stattfinden.

8.2. Wir sprechen nun nicht länger nur von „Arbeit“ oder von „Umwelt“ sprechen, sondern immer von „Arbeit und Umwelt“ zugleich, denn wir Menschen sind natürliche Lebewesen und die uns als extern angesehene Natur ist unsere Mitwelt.

8.3. Infolgedessen dürfen sich Prosumenten nun nicht länger nur auf ein einziges Ziel beschränken, nämlich auf das der Kapitalverwertung, sondern sie müssen auch den Profit für Natur errechnen, wie das heute in konkreten physikalischen Größen, also CO2 Einsparungen in Tonnen, festgestellt werden kann. Die Wirtschaftstätigkeit richtet sich in Zukunft daher an zwei gleichberechtigten Zielen aus und das Instrument, darüber zu berichten, heißt „Integrierte Berichterstattung“. Diese müsste gesetzlich eingeführt werden.
Weiter gedacht, schließe ich mich gern dem Vorschlag des US amerikanischen Biologen E. O. Wilson an, der in seinem jüngsten Buch „Half-Earth – Our Planet’s Fight for Life“ (2016) vorgeschlagen hat, Natur die Hälfte der Welt zu überlassen, damit sie sich eigenständig weiter entwickeln und wieder „wilde“ Natur produzieren kann. Natur würde eigene Rechte erhalten und weiter Leben  hervorbrigen, wie sie das schon seit Milliarden Jahren getan hat. Das entspräche der erweiterten Logik, in Zukunft von wechselseitigen Kooperationen zwischen Mensch und Menschen wie Mensch und Natur auszugehen und die Annahme von der einseitigen Verfügung über Objekte endlich auf den Müllhaufen der Geschichte zu legen.

Und noch einen Satz:

Wenn Initiativen für eine andere Ökonomik Vorschläge vorlegen, dann handelt es sich dabei letztendlich nur um Forderungen, weil sie nicht durch eine tiefergehende Analyse des Austauschprozesses begründet und damit legitimiert werden können. Wir benötigen jedoch nicht länger eine Wiederholung der alten Phrasen …
Wir benötigen ihre Weiterentwicklung, ihre ökologische Modernisierung. Man kann eben nicht das bisherige Verständnis beibehalten und es gleichzeitig zu ändern versuchen.
Und, ganz unbescheiden, darf ich auch noch hinzufügen, dass ich 1986 die erste von Wirtschaftstheoretikern gewesen bin, die mit dem Buch „Ökologisches Arbeiten“ vorgestellt hat, wie es geht.


1 vgl. dazu auch das SPIEGEL Interview vom 20.3.2021 mit Michael E. Mann von der Pennsylvania State University, SPIEGEL Nr. 12, S. 112, in dem er nach seinem neuen Buch „Propagadaschlacht ums Klima. Wie wir die Anstifter klimapolitischer Untätigkeit besiegen. Solare Zukunft“ befragt wird.
2 Adam Smith, ein schottischer Steuereinnehmer Georg III und Professor für Moralphilosophie (1723 – 1790) hat über die drei Fektoren der Produktion „land, labour and capital“, wie sie aus der Sicht von selbständig Wirtschaftenden nötig sind, geschrieben.
3 in: Leviathan, On the Matter, Forme and Power of a Commonwealth, Ecclesiastical and Civil, 1651, S. 171
4 2017
5  Ich habe mich gewundert, dass der Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht aus Hamburg seinem neuen Buch den Titel „Das Ende der Evolution“ (2019) gegeben hat. Nachdem ich die 1.072 Seiten gelesen habe, bin ich jedoch darauf gestoßen, dass Glaubrecht selbst feststellt (S. 905): „Evolution ist der ursächliche Prozess, der zu allen Zeiten die jeweilige biologische Vielfalt, die Biodiversität an Arten und Artengemeinschaften hervorgebracht hat… Und insofern kommt die Evolution eigentlich auch nie an ein Ende.“ Da hat der Verlag also einen falschen Titel gewählt.
6 vgl. Irene Schöne, Ökologisches Arbeiten – Zur Theorie und Praxis ökologischen Arbeitens als Weiterentwicklung der marktwirtschaftlich organisierten Arbeit, 1986
7  s. auch Eric Sala, The Nature of Nature – Why „We Need the Wild, 2020
8 Ich denke, es war der österreichische Biologe und Systemtheoretiker Ludwig von Bertalanffy (1901 – 1972), der erstmals darauf hingewiesen hat, dass es zwei wissenschaftliche Vorgehensweisen gibt, die gegeneinander verborgen sind, die Analyse von Objekten und die Analyse von Beziehungen zwischen ihnen. Vgl. z. B. „Das neue Menschenbild, Die Revolutionierung der Wissenschaft vom Leben“, hrsg. v. A. Koestler und J. R. Smyties, München, 1970.
9 Vgl. z. B. das Buch „Fool’s Gold“ der britischen Financial Times-Journalistin Gillian Tett, New York, 2010
10 vgl. die Bericht des Statistischen Bundesamtes, z. B. für 2019, ab S. 455, Wasser und Abwasser auf S. 461, Abfallbilanz S. 467, Primärenergieverbrauch S. 473.
11 „… Nature labours along with man,“ in: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 1776, S. 233
12 vgl. derselbe S. 282
13 vgl. dazu die jährlichen Berichte des Statistischen Bundesamtes, wie der von 2019, S. 455-473 „Umwelt“
14 z.B. Alan Gartner, Frank Riessmann, Der aktive Konsument in der Dienstleistungsgesellschaft, Frankfurt, 1978
15 Alvin Toffler, Die dritte Welle, Zukunftschance, Perspektiven für die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, München, 1980
16 vorgeschlagen von Philipp Herder-Dorneich, Honorarreform und Krankenhaussanierung, Berlin, 1970, S. 29.
17 zur ausführlichen Beschreibung der Problematik der Daten und ihrer Erfassung aus den Jahrbüchern des Statistischen Bundesamtes, Wiesbaden, s. Irene Schöne, FAIR ECONOMICS – Nature, Money And People Beyond Neoclassical Thinking, Cambridge/UK, 2015, S. 242 ff.; ibid, Schleswig-Holstein – eine Dienstleistungsgesellschaft, hrsg. von der Landeszentrale für Politische Bildung Schleswig-Holstein, 1992
18 lt. Statistischem Jahrbuch, 2009, S. 74 Arbeit/S. 661 BIP
19 lt. Statistischem Jahrbuch 2019, S. 361
20 lt. Statistischem Jahrbuch 2019, S. 336 (in jeweiligen Preisen), hrsg. vom Statistischen Bundesamt, Wiesbaden
21 Ich hatte bereits ausgeführt, dass die Stellung von Tieren als Sachen bereits im BGB aufgehoben wurde.