Reaktionen auf Karlsruher Klima-Urteil

Schulze sieht Klimaschutz durch Bundesverfassungsgericht gestärkt – NGO und Wissenschaft kritisch

Das Bundesverfassungsgericht habe bestätigt, „dass das Klimaschutzgesetz grundsätzlich ein geeignetes Instrument ist, den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen“ – sagt eine Medienmitteilung des BMU. Für die Zeit nach 2030 werde es nun weitere konkrete Vorgaben geben, allerdings werde Deutschland infolge des neuen EU-Klimaziels schon in den 20er Jahren seine bisher geplanten Klimaschutz-Anstrengungen erhöhen. Bundesumweltministerin Svenja Schulze begrüßte das Urteil als Stärkung für den Klimaschutz und als Bestätigung des Klimaschutzgesetzes. NGO sprechen eher von einer Niederlage der Regierung.

Bundesverfassungsgericht Karlsruhe – Bild von Udo Pohlmann auf Pixabay

Schulze: „Diese Entscheidung ist eine deutliche Stärkung für den Klimaschutz. Das gibt uns Rückenwind für die schwierigen Aufgaben, die vor uns stehen. Das Bundesverfassungsgericht bestätigt damit auch den Mechanismus, den wir mit dem Klimaschutzgesetz eingeführt haben, und der jährlich sinkende Klimaziele für alle Sektoren vorsieht. Ich hätte gerne ein weiteres Zwischenziel für die 30er Jahre in das Gesetz aufgenommen, doch dafür gab es damals keine Mehrheit. Insofern ist es gut, dass das Bundesverfassungsgericht nun ein solches Wegducken vor der Zukunft ausschließt. Das Verfassungsgericht gibt dem Gesetzgeber einen klaren Auftrag, auch über das Jahr 2030 hinaus klare gesetzliche Vorgaben für den Weg zur Klimaneutralität zu schaffen. Damit wir keine Zeit verlieren, werde ich noch im Sommer Eckpunkte für ein in diesem Sinne weiterentwickeltes Klimaschutzgesetz vorlegen, das langfristige Planungssicherheit schafft.

Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren viel getan, um beim Klimaschutz besser zu werden. Unter deutscher Ratspräsidentschaft ist es 2020 gelungen, ein deutlich höheres EU-Klimaziel zu vereinbaren und an die Vereinten Nationen zu melden. Dieses neue EU-Klimaziel wird auch zu deutlich mehr Klimaschutz in Deutschland bereits in den 20er Jahren führen. So wird ein schärferer Emissionshandel die Energiewende weg von den fossilen Energieträgern hin zu Erneuerbaren in den nächsten Jahren stark beschleunigen. Damit werden wir der Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts, die Klimaschutzmaßnahmen nicht zu stark in die Zukunft zu verlagern, gerecht werden können.“

DIW-Energieökonomin Kemfert: „Historisch“

„Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Bundes-Klimaschutzgesetz ist historisch und verdeutlicht, dass Klimaschutz eine Grundrechtsfrage ist. Vor allem zukünftige Generationen müssen demnach geschützt werden und dürfen nicht in ihren Freiheitsrechten beeinträchtigt werden. Das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass die Klimaschutzziele für die kommenden Jahrzehnte, auch nach 2030, eindeutig definiert werden müssen, um künftige Generationen zu schützen. Die jetzige Gesetzeslegung schafft Fehlanreize, wenn nicht eindeutig definiert wird, wie die Treibhausgasemissionen bis zur vollständigen Emissionsvermeidung bis spätestens 2050 reduziert werden sollen. Die Karlsruher Richter haben völlig recht, wenn sie sagen, dass die bestehenden Vorschriften hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf den Zeitraum nach 2030 verschieben. Klimaschutz erfordert rasches Handeln und keine weitere Verzögerung, um die Grundrechte künftiger Generationen zu sichern. Wir benötigen neue Verträge, die sicherstellen, dass alle Nachhaltigkeits- und Klimaziele dauerhaft eingehalten werden. Die Karlsruher Richter bestätigen zudem unsere Forschungsergebnisse im Sachverständigenrat für Umweltfragen, dass Klimaschutz im Einklang stehen muss mit einem maximalen Treibhausgasbudget, das bisher nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Die Richter haben damit völlig zu Recht den notwendigen wissenschaftlichen Kenntnisstand als Grundlage für ihre Begründung aufgegriffen. Dieses Urteil schafft endlich juristische Klarheit und macht deutlich, wie bedeutsam der Klimaschutz für alle Generationen ist.“

DUH warnt Bundesregierung: „Historisches Klimaschutz-Urteil bedeutet massive Verschärfungen schon vor 2030 – notfalls durch weitere Gerichtsentscheidungen“

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) warnt die Bundesregierung, das historische Klimaschutz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht falsch auszulegen und fordert sofortige massive CO2-Einsparungen. Die DUH kündigt an, wenn die Regierung nicht sofort effektive CO2-Einsparmaßnahmen umsetze, werde sie das vor Gericht erzwingen. Umweltministerin Schulze und andere Regierungsmitglieder erweckten mit ihren Äußerungen den Eindruck, als müssten nur die Ziele nach 2030 angepasst werden.

„Das ist falsch“, erklärt Prof. Remo Klinger, der als Anwalt die zwei von der DUH mit initiierten und finanzierten Verfassungsbeschwerden erfolgreich vertreten hat: „Die Verfassungsrichter sagen klar, dass die Lasten gleich verteilt und nicht auf die nachfolgende Generation abgeschoben werden dürfen. Beim derzeitigen Plan der Bundesregierung wird aber das gesamte verfügbare CO2-Budget, das Deutschland noch hat, bis 2030 verbraucht. Damit dürfte ab dann nicht ein Gramm CO2 mehr ausgestoßen werden. Das ist genau das, was das Gericht als verfassungswidrig eingestuft hat.“

Bleibt es beim derzeitigen Kurs, wird die Bundesrepublik das CO2-Budget von 3,465 Gigatonnen, das ihr für die Einhaltung des 1,5 Grad-Limits wissenschaftlich berechnet zusteht, innerhalb weniger Jahre aufbrauchen. Deutschland dürfte dann schon ab 2030 gar kein CO2 mehr emittieren. Da dies Freiheit und Wohlstand vernichten würde, verletzt die Bundesregierung ihre verfassungsgemäßen Pflichten.

Dass innerhalb weniger Monate noch vor der Bundestagswahl gehandelt werden kann, zeigt die DUH mit einem 8-Punkte-Sofortprogramm. Damit könnten hunderte Millionen Tonnen CO2 bis 2030 eingespart werden:

  • Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen von 120 km/h verbunden mit Tempo 80 außerorts und Tempo 30 in der Stadt: Das bringt bis 2034 eine Einsparung von bis zu 100 Millionen Tonnen CO2
  • Beschleunigte Umsetzung der Verkehrswende, bedeutet keine Zulassung von Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab dem 1.1.2025, Stopp der gerade eingeführten LKW-Kaufprämie, Reaktivierung der stillgelegten Güterverkehrsinfrastruktur und 100% Elektrifizierung der Bahnstrecken bis 2030
  • Abschaffung der Diesel- und Dienstwagensubventionierung
  • Stopp von Nord Stream 2, was alleine zusätzliche 100 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr verhindert
  • Stopp für alle geplanten Flüssiggas-Terminals an der deutschen Nordseeküste
  • Sofort-Förderprogramm für die energetische Sanierung von öffentlichen Gebäuden, beginnend bei allen Schulen im Land, um den Rückstand bei den CO2-Emissionen von Gebäuden aufzuholen
  • Vorziehen des Kohleausstiegs auf 2030
  • Anhebung der Ausbaupfade für Erneuerbare Energien und Beschleunigung der Genehmigungsverfahren

->Quellen: