Plasmabeschleunigung: Die Mischung macht’s

Eine Prise Stickstoff und künstliche Intelligenz bringen Laser-Plasmabeschleunigung großen Schritt näher Richtung Anwendung

Gleich zwei Meilensteine in der Entwicklung innovativer Plasmabeschleuniger konnte das LUX-Team bei DESY jetzt feiern, so eine Medienmitteilung vom 27.04.2021: Die Forschenden von Universität Hamburg und DESY erprobten an ihrem Beschleuniger eine Technik, in der die Energieverteilung der erzeugten Elektronenstrahlen besonders klein gehalten werden kann. Zudem brachten sie den Beschleuniger mit Hilfe künstlicher Intelligenz dazu, seinen Betrieb selbst zu optimieren.

Die Wissenschaftler berichten über ihre Experimente in zwei kurz aufeinander erschienenen Veröffentlichungen im Fachblatt Physical Review Letters (Bayesian Optimization of a Laser-Plasma Accelerator“ und „Optimal Beam Loading in a Laser-Plasma Accelerator„). „Es ist phantastisch, zu sehen, mit welcher Geschwindigkeit die neue Technologie der Plasmabeschleunigung mehr und mehr die Reife zu einer Vielzahl von Anwendungen erlangt“, gratuliert Wim Leemans, Direktor des Beschleunigerbereichs bei DESY.

Bei der Laser-Plasma-Beschleunigung treibt ein intensiver Laserpuls (rot) in einem ionisierten Gas eine aus Elektronen (weiß) bestehende blasenförmige Plasmawelle. Ein Elektronenpaket (Mitte), das auf dieser Welle ähnlich wie ein Surfer reitet, wird so über kürzeste Distanzen zu hohen Energien beschleunigt. Die Visualisierung basiert auf echten Simulationsdaten vom LUX-Experiment – Bild ©  DESY/SciComLab

Die Plasmabeschleunigung ist eine innovative Technologie für eine neue Generation von Teilchenbeschleunigern, die nicht nur besonders kompakt, sondern auch extrem vielseitig einsetzbar sind. Ziel ist es, die beschleunigten Elektronen für verschiedene Anwendungsfelder in Industrie, Wissenschaft und Medizin zu erschließen.

Die Beschleunigung geschieht in einem winzigen, nur wenige Millimeter langen Kanal, der mit einem ionisierten Gas, dem so genannten Plasma, gefüllt ist. Ein intensiver Laserpuls regt darin eine Welle an. Elektronen aus dem Plasma können von dieser Welle eingefangen und beschleunigt werden. „Ähnlich wie ein Surfer werden die Elektronen von der Plasmawelle mitgenommen, und so zu hohen Energien beschleunigt,“ erklärt Manuel Kirchen, Erstautor einer der Studien. „Plasmabeschleuniger können auf diese Weise eine bis zu tausendfach höhere Beschleunigung erreichen als die stärksten Maschinen, die heute im Einsatz sind,“ ergänzt Sören Jalas, der die zweite Studie verfasst hat.Die Kompaktheit ist allerdings Fluch und Segen zugleich: Da die Beschleunigungsvorgänge auf einem im Vergleich zu den herkömmlichen Großgeräten winzigen, bis zu 1000-fach kleineren Raum konzentriert sind, findet die Beschleunigung unter wahrlich extremen Bedingungen statt. Daher gilt es noch einige Herausforderungen zu meistern, bis die neue Technologie Serienreife erlangt.

An der Testanlage LUX – einem gemeinsamen Projekt von DESY und Universität Hamburg – hat das Forschungsteam um DESY-Beschleunigerphysiker Andreas Maier jetzt gleich zwei kritische Meilensteine erreicht: Sie haben ein Rezept gefunden, um die Energieverteilung der beschleunigten Elektronenpakete deutlich zu reduzieren – eine der wesentlichsten Eigenschaften für viele potenzielle Anwendungen. Dazu haben sie für den Beschleuniger einen selbstlernenden Autopiloten programmiert, der LUX automatisch zu Höchstleistungen optimiert.

Ihre Experimente führte die Gruppe mit einer eigens entwickelten neuen Plasmazelle durch, deren Plasmakanal in zwei Bereiche getrennt war. Im vordersten Teil der rund 10 Millimeter langen Zelle wurde das Plasma aus einem Gemisch aus Wasserstoff und Stickstoff erzeugt, während der hintere Teil mit reinem Wasserstoff gefüllt war. So schafften es die Forscher, zunächst aus dem vorderen Teil der Plasmazelle Elektronen für ihr Teilchenpaket zu gewinnen, die dann über den gesamten hinteren Teil der Zelle beschleunigt werden. „Die stärker gebundenen Stickstoff-Elektronen werden etwas später freigesetzt und dadurch optimal von der Plasmawelle beschleunigt“ erklärt Manuel Kirchen. Das Teilchenpaket absorbiert zudem Energie von der Plasmawelle und verändert dadurch deren Form. „Diesen Effekt konnten wir uns zu Nutze machen und die Form der Welle so anpassen, dass die Elektronen unabhängig von ihrer Position in der Welle die gleiche Energie erreichen“, ergänzt Kirchen.

Basierend auf diesem Rezept zum Erreichen hoher Elektronenstrahlqualität gelang dem Team dann gleich ein zweiter Forschungserfolg: Sören Jalas und Kolleg:innen konnten das komplexe System des Plasmabeschleunigers mit Hilfe künstlicher Intelligenz (KI) von einem Algorithmus steuern und optimieren lassen. Hierfür gaben die Forscher:innen dem Algorithmus ein Funktionsmodell des Plasmabeschleunigers und einen Satz von einstellbaren Parametern vor, die der Algorithmus dann selbstständig optimierte. Im Wesentlichen justierte das System fünf Hauptparameter, beispielsweise Konzentration und Dichte der Gase oder Energie und Fokus des Lasers, und suchte mit den zugehörigen Messergebnissen nach einem Optimum in der Qualität des Elektronenstrahls. „Bei diesem Balanceakt im 5-dimensionalen Raum lernte der Algorithmus stets dazu und verfeinerte das Modell des Beschleunigers sehr schnell immer weiter“, so Jalas. „Zum Vergleich: Die KI braucht etwa eine Stunde, um ein stabiles Optimum im Beschleunigerbetrieb zu finden; wir Menschen bräuchten dafür nach unseren Schätzungen über eine Woche.“

Ein weiterer Vorteil: Alle Parameter und Messgrößen trainieren das KI-Modell des Beschleunigers weiter und machen seine Optimierung schneller, systematischer und zielführender. „Mit den jüngsten Fortschritten an LUX sind wir auf einem guten Weg, testweise erste Anwendungen auszuprobieren“, erklärt Andreas Maier, der bei DESY die Laserentwicklung für Plasmabeschleuniger leitet. „Letztendlich wollen wir mit plasmabeschleunigten Elektronenpaketen auch einen Freie-Elektronen-Laser betreiben können.“

An den Experimenten waren Forscher des Center for Free-Electron Laser Science (CFEL), einer Kooperation von DESY, der Universität Hamburg und der Max-Planck-Gesellschaft, beteiligt, außerdem ein Kollege des Lawrence Berkeley Labors in Kalifornien.

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