Spruch des Bundesverfassungsgerichts weithin als historisch, bahnbrechend und epochal eingeschätzt
Seit dem Karlsruher Urteil vom 29.04.2021 (siehe solarify.eu/verfassungsbeschwerden-gegen-klimaschutzgesetz-teilweise-erfolgreich) steht die Bundesregierung unter Druck, ist sie doch verpflichtet, bis Ende 2022 den Übergang zur Klimaneutralität nicht nur für die Zeit nach 2030 zu regeln, sondern bereits jetzt stärkere Treibhausgas-Verringerungen festzulegen. Klimajuristin Roda Verheyen hat Kläger und Klägerinnen – auch von Fridays for Future – mitvertreten. (Sie vertritt auch den peruanischen Kleinbauern und Bergführer Saúl Luciano Lliuya in seiner Klage gegen RWE). Im Gespräch mit dem Nachrichtensender ntv.de erläuterte sie das Urteil.
Laut Roda Verheyen übertrifft es „alle Erwartungen“: Denn ab jetzt sei „Klimaschutz ein Menschenrecht, die Auswirkungen des Klimawandels berühren die Menschenrechte in vielfältiger Weise.“
Es sei völlig unstrittig: „Klimaskeptiker haben keinen Raum mehr in Deutschland. Dazu kommt, dass Klimaschutz und Klimaziele keine politischen Fragen mehr sind. Es geht um die Wahrung von Menschenrechten, und damit ist der Rechtfertigungsdruck für den Gesetzgeber viel größer geworden.“ Die entscheidende Frage sei ab jetzt: „Wie können wir die Reduktion erreichen?“, nicht mehr „Wollen oder müssen wir das überhaupt?“. Laut Verheyen „ist wirklich alles auf den Kopf gestellt worden. Die Auswirkungen davon werden noch sehr lange zu spüren sein.„
Dieses Verfahren sei „sicherlich das weitestreichende. Es enthält sehr allgemein gültige Aussagen für die Ewigkeit.“ Das Bundesverfassungsgericht habe „alle Pflöcke eingeschlagen, die überhaupt nur möglich waren“. Regierung und Parlament müssten jetzt neu über den Verringerungspfad nachdenken, über das Ziel, die Erwärmung auf 1,5 bis deutlich unter zwei Grad zu begrenzen („well below 2 degrees“), und wie das erreicht werden soll. Es reiche nicht mehr aus, dass ein Ministerium diese Fragen kläre. Denn es handle sich um „grundlegende Fragen des Menschenrechtsschutzes“ – die müssten deshalb „vom Gesetzgeber, also dem Deutschen Bundestag, geregelt werden“. Laut Verheyen ist es „in Deutschland so gut wie nie vorgekommen, dass der Gesetzgeber den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts nicht nachgekommen ist. Ich hoffe, dass dies auch so bleibt.“