Zahlreiche Handlungsversprechen und Vorschläge
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29.04.2021 schlägt erwartungsgemäß Wellen. Umweltministerin Svenja Schulze reagierte mit dem Versprechen, sie wolle „bis zum Sommer“ einen Vorschlag für ein neues Gesetz vorlegen. Doch nun will sie gemeinsam mit Finanzminister Olaf Scholz bereits bis zum Ende dieser Woche liefern. Die Grünen verlangen in einem Brief an Angela Merkel und die Chefs der Regierungsparteien, nicht nur neue Ziele bis 2050 zu setzen, sondern auch den CO2-Preis anzuheben und den Ausbau der Erneuerbaren zu beschleunigen. Das fordern auch zahlreiche NGOs, allen voran der BEE – nach deren Überzeugung muss das EEG überarbeitet werden. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) sieht sich bestätigt.
Die Urteilsbegründung beziehe sich ausführlich auf Analysen des SRU, denen zufolge nationale Klimaschutzziele im Einklang mit einem globalen CO2-Restbudget stehen müssten, und die hierfür einen Berechnungsvorschlag machen. Bei der Ableitung eines nationalen Restbudgets habe der Gesetzgeber aufgrund von Ungewissheiten und Wertungen zwar Entscheidungsspielräume, er dürfe diese aber nicht „nach politischem Belieben ausfüllen“.
Ratsmitglied Prof. Wolfgang Lucht: „Der Staat steht durch unsere Verfassung in der Pflicht, die natürlichen Lebensgrundlagen auch für die künftigen Generationen zu schützen. Dies gilt für einen ausreichenden und international fairen Beitrag zum Klimaschutz ebenso wie für die Einhaltung der planetaren Belastungsgrenzen zur Stabilisierung der Erde. Wie der SRU in seinem Umweltgutachten 2020 empfohlen hat, sollte Deutschland als führendes Industrieland seine CO2-Emissionen daher auf maximal 6,7 Mrd. Tonnen ab 2020 begrenzen, um seiner sachlich, moralisch und nun auch rechtlich begründeten internationalen Verpflichtung nachzukommen.“
Prof. Wolfgang Köck, Umweltjurist des SRU: „Das Urteil ist ein Meilenstein, weil es erstmals das Staatsziel Umweltschutz und das ökologische Existenzminimum, das aus den grundrechtlichen Schutzpflichten als Mindestmaß zu gewährleisten ist, wirkungsvoll zur Geltung bringt. Es bekräftigt die Notwendigkeit, über den Umweltschutz auf der Basis der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu entscheiden, und betont die besondere Verantwortung des demokratischen Gesetzgebers für den Umwelt- und Grundrechtsschutz.“
Ratsmitglied Prof. Claudia Kemfert: „Klimaschutz erfordert rasches Handeln und duldet keinen Aufschub. Schon beim Kohleausstieg wurde deutlich, dass ein maximales Treibhausgasbudget nicht überschritten werden sollte, dies gilt ebenso für die Energiewende und Verkehrswende.“
Ratsmitglied Prof. Josef Settele: „Auch beim Biodiversitätsschutz gilt es, das Vorsorgeprinzip anzuwenden. Nicht umsonst sieht der Weltbiodiversitätsrat dieses Prinzip als einen von fünf Hebeln, um den Wandel zu erreichen, den wir brauchen, um Artenvielfalt und Ökosystemfunktionen zu bewahren.“
„Das Vorsorgeprinzip gilt ebenso für gesundheitsrelevante Umwelteinflüsse wie Luft- und Lärmimmissionen. Eine Verschränkung von Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutz auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse liegt auf der Hand und wurde durch das Urteil gestärkt“, so die Vorsitzende Prof. Claudia Hornberg.
->Quelle und relevante Veröffentlichungen des SRU:
- umweltrat.de/bundesverfassungsgericht_klimaschutz
- Im Kapitel „Pariser Klimaziele erreichen mit dem CO2-Budget“ (Wolfgang Lucht und Claudia Kemfert) des Umweltgutachten 2020 hat der SRU analysiert, welche nationalen Klimaziele mit dem Pariser Abkommen vereinbar sind
- In „Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen – Zur Legitimation von Umweltpolitik“ (Christian Calliess und Wolfgang Lucht) hat der SRU staatliche Umweltschutzpflichten und das Vorsorgeprinzip aus rechtlicher und naturwissenschaftlicher Perspektive analysiert.