Reaktionen auf Klima-Kabinettsbeschluss: „Zu unkonkret!“

Kurzfristige klare Maßnahmen statt bloßer Ankündigungen gefordert

Das am 12.05.2021 vom Bundeskabinett beschlossene neue Klimaschutzgesetz schweigt zu konkreten Maßnahmen, wie die verschärften CO2-Sparziele erreicht werden sollen. Daher stößt es auf massive Vorbehalte bei Wirtschaft, Industrie, Stromversorgern, Verkehrssektor und Landwirtschaft. Auch NGOs reagieren kritisch: „Viel Schönrechnerei“ und „unausgegorene Pläne“, lautet deshalb das Urteil der Fridays-for-Future-Aktivistin Carla Reemtsma auf T-Online; dort heißt es sarkastisch: „Als Vorbild stufen Forscher die Bundesrepublik trotz der neuen Ziele nicht mehr ein.“

1,5-Grad-Grenze – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Scharfe Kritik kam aus der Wirtschaft: „Die hektische Verschärfung der nationalen Klimaziele erhöht die Unsicherheit für Wirtschaft und Verbraucher“, so BDI-Chef Siegfried Russwurm laut Welt unter dem Titel „Die Kosten des Klimaschutzes sollen die Bürger erst nach der Wahl erfahren“. Und VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup vermisst (im gleichen Blatt) den „Plan, mit welchen konkreten Maßnahmen Treibhausgasneutralität verlässlich umgesetzt und gleichzeitig die Industrie vor Wettbewerbsnachteilen geschützt werden kann“. Die Welt dazu: „Ausbaden sollen das nach der Wahl die Grünen. “

Germanwatch: „Regierung versäumte, Emissionsbudget zu nennen“

Christoph Bals von Germanwatch bezweifelte, ob die 1,5-Grad-Grenze mit diesem Entwurf ernsthaft eingehalten werden könne. Das neue „Klimaschutzgesetz springt noch zu kurz“, so die Überschrift über einer Germanwatch-Erklärung. Man sieht „Fortschritte bei Klimazielen, aber kritisiert Entlassung des Verkehrssektors aus Klimaschutzverantwortung“. Der Entwurf werde „noch nicht dem Anspruch gerecht, den das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat. Klimapolitik wird weiterhin noch zu sehr ‚ins Blaue hinein‘ betrieben. Dem Verkehrssektor, der seit 1990 noch keinerlei Emissionsminderung geschafft hat, wird weiter ein Freifahrtschein ausgestellt, weil er bis 2029 keine zusätzlichen Einsparungen zu erbringen hat.“ Germanwatch sieht zwar deutliche Fortschritte bei den Zwischenzielen auf dem Weg zur Klimaneutralität, aber noch keine funktionierende Gesamt- und Umsetzungsstrategie. Die Bundesregierung habe es versäumt, das noch zur Verfügung stehende Emissionsbudget zu nennen, von dem sie ausgeht. Damit fehle die nötige wissenschaftsbasierte Vorgehensweise. Auch die Verteilung der Emissionsreduktion auf die Sektoren sei nicht schlüssig. So müssten zwar Energie- und Industriesektor liefern, Gebäude, Landwirtschaft und Verkehr hingegen kaum – und der Verkehr sehr spät. „Das Risiko, die gesetzte Zielmarke von nun minus 65 Prozent für 2030 zu verfehlen, erhöht sich, wenn Sektoren erst kurz vor knapp liefern sollen“, so Bals. „Mit Blick auf das neu formulierte Senkenziel muss sichergestellt werden, dass es zusätzlich als Nebenziel zu den Reduktionszielen angelegt wird, weil es sonst zu einem trojanischen Pferd für Anrechnungen auf Reduktionsleistungen werden könnte“. Germanwatch fordert den Bundestag auf, hier nachzubessern. Bals: „Deutschland braucht zudem noch in dieser Legislaturperiode ein ambitioniertes Aktionsprogramm zur Beschleunigung des Klimaschutzes. Die nächste Bundesregierung hat dann den Auftrag, eine Gesamtstrategie zur Einhaltung des 1,5 Grad-Limits zu erarbeiten und in den ersten 100 Tagen ihrer Regierungszeit mit einem Sofortmaßnahmenpaket zu unterlegen.“

BUND: „Entwurf reicht längst nicht“

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) forderte von der Bundesregierung, Deutschland vollständig auf Kurs zu bringen für die Einhaltung des Pariser Klimavertrags und der 1,5-Grad-Grenze. Das historische Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei „ernst zu nehmen. Es hat endlich Bewegung in die ungenügenden Klimaschutzpläne gebracht. Aber der Entwurf reicht längst nicht“. Olaf Bandt, BUND-Vorsitzender: „Der heute vom Kabinett gebilligte Entwurf eines neuen Klimaschutzgesetzes ist zwar ein großer Fortschritt, wird aber dennoch nicht reichen, um Deutschlands Beitrag zur Erderhitzung bestenfalls auf 1,5 Grad zu begrenzen. Doch genau das hat das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf die Generationengerechtigkeit gefordert. Auch das neue Klimaschutzgesetz hinterlässt der nächsten Bundesregierung und zukünftigen Generationen eine schwere Hypothek. Es braucht daher noch größere Anstrengungen und sofort konkrete Maßnahmen, wie wir unseren Enkelinnen und Enkeln eine lebenswerte Welt hinterlassen.“

Daher fordert der BUND die Bundesregierung auf, sofort nachzubessern und noch in dieser Legislaturperiode die Weichen zu stellen: Weniger als Klimaneutralität bis 2040 darf dabei nicht herauskommen. Die Sektoren brauchen angepasste Zwischenziele. Deutschlands Emissionen müssen sofort mit kurzfristigen und langfristigen Maßnahmen möglichst schnell gesenkt werden. Das Ende für die Kohle muss bis spätestens 2030 kommen. Erneuerbare Energien sind ambitioniert auszubauen: auf 80 Prozent bis 2030. Pauschale Abstandsregeln von Windenergieanlagen zu Wohnbebauung müssen fallen, zugleich ist mehr Personal in Genehmigungsbehörden nötig. Es braucht eine Solaroffensive inklusive einer Solarpflicht für jedes Dach bei Um- und Neubau. Für den Verkehrsbereich fordert der BUND unter anderem ein generelles Tempolimit von 120 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen und ein Moratorium für die Planung und den Bau von Bundesfernstraßen. In der Landwirtschaft muss endlich etwa durch Verringerung der Treibhausgasemissionen in der Tierhaltung und dem Schutz der Moore mit wirksamem Klimaschutz begonnen werden. Bandt: „Klimaschutz muss endlich als Chance verstanden werden, um unsere Gesellschaft gerechter zu machen. Nur mit einer sozial-ökologischen Wende ist ein klimafreundliches Deutschland möglich. Eine intensivere Einführung des CO2-Preises beispielsweise müsste mit einem sozialen Ausgleich verbunden werden.“

DUH: „Altbekannte Überschriften“ – „Tempolimit“

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) forderte die Bundesregierung auf, es nicht bei Ankündigungen und Überschriften zu belassen, sondern möglichst schnell konkrete Gesetzesvorschläge vorzulegen. DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner: „Der heute vorgelegte Klimapakt beschränkt sich auf altbekannte Überschriften und lässt viele Fragen offen. Es fehlen konkrete Ausbaupfade für Erneuerbare Energien und die lange angekündigte EEG-Novelle. Die zahlreichen Hindernisse für den Ausbau der Windenergie müssen endlich aus dem Weg geräumt werden. Der Kohleausstieg muss unverzüglich bis 2030 stattfinden. Sonst ist das im neuen Klimaschutzgesetz deutlich angehobene Sektorziel Energie nicht realistisch zu erreichen. Die Bundesregierung muss nun schnell nachlegen und die verbleibende Zeit bis zu den Wahlen für mehr Klimaschutz nutzen.“

Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Im Verkehrssektor haben sich erneut BMW, Daimler und VW durchgesetzt und bis 2028 jegliche Verschärfung der Ziele verhindert. Ein eindrucksvoller Beweis, wer in dieser Bundesregierung Koch und wer Kellner ist. Ein wirkungsvolles Sofortprogramm muss konkrete und wirksame Maßnahmen beinhalten. Sofort und ohne Kosten umsetzbar ist ein Tempolimit von 120 km/h für Autobahnen, 80 km/h außerorts und Regelgeschwindigkeit 30 in Städten, das am 01.01.2022 in Kraft tritt. Allein mit dieser sofort umsetzbaren Maßnahme können wir bis 2034 insgesamt rund 100 Millionen Tonnen CO2 einsparen.“

Barbara Metz, stellvertretende DUH-Bundesgeschäftsführerin der DUH: „Für den Gebäudebereich spricht die Bundesregierung einige längst überfällige Themen an. Positiv ist, dass die Bundesregierung beim CO2-Preis endlich einen Schritt in die richtige Richtung macht und diesen zu 50 Prozent den Eigentümerinnen und Eigentümern anlastet. Aber das reicht nicht! Seine volle Lenkungswirkung entfaltet der CO2-Preis nur, wenn er vollständig von den Eigentümerinnen und Eigentümern getragen wird. Bei den Sanierungsstandards muss die Bundesregierung dringend nachlegen und auch die anteilige Förderung von Öl- und Gasheizungen muss endlich beendet werden.“

BEE fordert Beschleunigung der Energiewende

Der Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE) hat sich mit einer Stellungnahme an der Verbändeanhörung beteiligt. „Eine Frist von unter 24 Stunden für die Anhörung von Fachverbänden ist der Relevanz der Thematik nicht angemessen. Eine umfassende Bewertung wird somit unmöglich gemacht“, kritisiert BEE-Präsidentin Dr. Simone Peter. Entscheidend sei, dass zügig die Klimaschutzmaßnahmen des Klimaschutzprogramms 2030 auf das erforderliche Maß zur Erreichung der gesteigerten Klimaziele angepasst würden. Insgesamt sollte transparent gemacht werden, auf welcher (wissenschaftlichen und technologischen) Grundlage und politischen Bewertung die Bundesregierung zu den Treibhausgasreduktionszielen gelangt sei.

Der BEE lege in seiner Stellungnahme dar, dass vor allem das Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren Energien als zentraler Klimaschutzmaßnahme vervielfacht werden müsse, gerade auch vor dem Hintergrund, dass der Energiesektor besonders viel zur Erfüllung des novellierten Klimaschutzgesetzes beizutragen habe. „Immer noch zementieren Subventionen für fossile Energieträger den Status quo eines fossilen Energiesystems und verzögern so den Einsatz Erneuerbarer Energien. Um das Ziel von 65 Prozent Treibhausgas-Minderung bis 2030 zu erreichen, müssen fossile Energieträger den Erneuerbaren in allen Sektoren schneller als geplant weichen und faire Marktbedingungen für die Erneuerbaren geschaffen werden, sonst bleibt das Klimaschutzgesetz nur eine leere Hülle“, so Peter. Hierfür schlage der BEE einen Katalog der Erneuerung als Klimaschutz- und Konjunkturmaßnahme mit hohem Wertschöpfungspotential vor.

Die Nutzung Erneuerbarer Energien sei insgesamt um den Faktor 2,4 von 455 TWh (2019) auf 1084 TWh bis 2030 zu steigern und ein konkreter Zeitplan für den Abbau der fossilen Subventionen vorzulegen. Unter Berücksichtigung des steigenden Bruttostromverbrauchs durch E-Mobilität, Wärmepumpen und Grünen Wasserstoff im Rahmen der Sektorenkopplung müsse vor allem der Ökostromanteil erheblich gesteigert werden, von 242 TWh (2019) auf 575 TWh (2030). „Photovoltaik und Windenergie an Land sind zu entfesseln und ihre installierte Leistung mindestens auf 205 bzw. 95 Gigawatt zu erhöhen, die Beiträge von Bioenergie, Geothermie und Wasserkraft zu stabilisieren und ihr Flexibilitätspotential im Strommarkt zu würdigen“, so Peter. Dafür müssten Ausbaumengen und -pfade für Erneuerbare im EEG anpasst, Hemmnisse beseitigt und Flächen und Genehmigungen bereitgestellt werden. „Kleinteilige Reparaturen reichen hier nicht aus“, so Peter weiter. „Die Legislatur ist bis zur letzten Woche für den Klimaschutz zu nutzen.“

Die Erhöhung der Flexibilität, sowohl im Stromverbrauch als auch in der -erzeugung, stellten eines der wichtigsten Handlungsfelder für eine weitestgehend Erneuerbare Energieerzeugung dar. Darüber hinaus könnten die Erneuerbaren Energien bereits heute noch stärker Systemverantwortung und Dienstleistungen übernehmen. Deshalb seien Märkte für Systemdienstleistungen für Erneuerbare Energien konsequent zu öffnen, Anreize für Lastverschiebungen bei Haushaltsverbrauchern und der Industrie richtig zu setzen und Speicher verstärkt in das System zu integrieren. „Auch ist der Einspeisevorrang für Erneuerbare Energien endlich durchzusetzen“, so Peter.
Die Ausweitung der direkten erneuerbaren Nutzung im Wärmesektor sei ebenso von zentraler Bedeutung. „Dem deutlich gesteigerten Einsatz von Solarthermie- und Geothermieanlagen sowie der Nutzung der Bioenergie steht technologisch nichts im Weg. Aber weder die bis zum Jahr 2025 festgelegten CO2-Preise bzw. die Obergrenze für das Jahr 2026 im nationalen Emissionshandel noch das Preisniveau im europäischen Emissionshandel werden ausreichen, um die Klimaschutzziele zu erreichen“, so Peter. Daher sei der nationale CO2-Preis sowie der europäische Emissionshandel dringend weiterzuentwickeln. „Wichtig ist eine sozial gerecht gestaltete CO2-Bepreisung, um die Akzeptanz für Klimaschutz zu erhöhen und gleichzeitig ökonomisch effizient die Klimaziele zu erreichen. Die Mehreinnahmen sollten deshalb mit Hilfe eines angemessenen Verteilungsschlüssels an Bürgerinnen und Bürger bzw. Unternehmen rückerstattet werden“, so Peter. Ein klares Signal der staatlichen Förderung bei Technologiewechsel hin zu einer erneuerbaren Heizungsanlage sowie eine klare Ausrichtung von Energiepreisen zur Förderung zugunsten von erneuerbarer Wärme sei ebenso überfällig.

Für eine weitere Kostenentlastung sei die Reform der staatlich induzierten Strompreisbestandteile notwendig. Ein erster Schritt sei die Finanzierung der ‚Besonderen Ausgleichsregelung‘ und weiterer Befreiungstatbestände für stromintensive Industriebetriebe aus Haushaltsmitteln und die Absenkung der Stromsteuer auf das europäisch mögliche Mindestniveau. „Bürgerenergie ist der Wegbereiter der Akzeptanz der Energiewende. Für mehr attraktive Mitmachprojekte vor Ort ist die Umsetzung der RED II in nationales Recht zur Stärkung von Bürgerenergie und Eigenverbrauch überfällig. Einschränkungen für die Eigenversorgung sollten abgebaut werden, Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften bzw. Bürgerenergiegemeinschaften sind zu stärken und Speicher nicht länger als Erzeuger oder „Letztverbraucher“ zu behandeln“, so Peter.

Die Verbesserung und klimafreundliche Umgestaltung des Verkehrs sei Grundlage, um die für den Verkehrssektor hinterlegten Emissionsminderungen zu erzielen. Die Förderung privater Ladeinfrastruktur für die Elektromobilität sei dafür ambitioniert zu verstetigen und Anreize zur Umrüstung von kommunalen und privaten Fahrzeugflotten deutlich zu verstärken. Die Rahmenbedingungen für die systemdienliche Steuerung von Ladevorgängen sollten verbessert und die Teilnahme von Ladeinfrastrukturen an Flexibilitätsmärkten ermöglicht werden. Auch die Treibhausgasminderungsquote im Bundesimmissionsschutzgesetz sei weiterzuentwickeln, indem sie an den Zielen des Klimaschutzgesetzes auszurichten und ein Mindestanteil von 50 Prozent Erneuerbare Energien bis 2030 vorzusehen sei.

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