Bisher unbekannte chemische Verbindung durch Hochdruck-Technologien hergestellt
Einem internationalen1 Team u.a. der Universität Bayreuth ist es in Zusammenarbeit mit 11 weiteren wissenschaftlichen Einrichtungen gelungen, mit moderner Hochdruck-Technologie ein bisher unbekanntes zweidimensionales Material namens Beryllonitren zu erzeugen. Es besteht aus regelmäßig angeordneten Stickstoff- und Beryllium-Atomen und besitzt eine ungewöhnliche, für Anwendungen in der Quantentechnologie hochattraktive elektronische Gitterstruktur. Für die Synthese war ein Kompressionsdruck erforderlich, der rund eine Million Mal höher ist als der Druck der Erdatmosphäre. In den Physical Review Letters stellten die WissenschaftlerInnen am 26.04.2021 ihre Entdeckung vor.
Seit der Entdeckung des aus Kohlenstoff-Atomen aufgebauten Graphens ist das Interesse an zweidimensionalen Materialien in Forschung und Industrie ständig gewachsen. Unter extrem hohen Drücken von bis zu 100 Gigapascal haben ForscherInnen der Universität Bayreuth jetzt gemeinsam mit internationalen Partnern neuartige Verbindungen hergestellt, die sich aus Stickstoff- und Beryllium-Atomen zusammensetzen.
Es handelt sich um Beryllium-Polynitride, von denen einige dem monoklinen, andere dem triklinen Kristallsystem angehören. Die triklinen Beryllium-Polynitride legen, wenn der Druck sinkt, ein ungewöhnliches Verhalten an den Tag: Sie nehmen eine aus Schichten aufgebaute Kristallstruktur an. Jede Schicht enthält zickzackförmige Stickstoffketten, die durch Beryllium-Atome verbunden sind. Sie kann deshalb als eine flächige Struktur beschrieben werden, die aus BeN4-Fünfecken und Be2N4-Sechsecken besteht. Somit stellt jede Schicht ein zweidimensionales Material dar, Beryllonitren.
Beryllonitren ist ein qualitativ neues 2D-Material. Im Unterschied zum Graphen ergibt sich aus der zweidimensonalen Kristallstruktur des Beryllonitrens ein elektronisches Gitter, das leicht verzerrt ist. Wegen der daraus resultierenden elektronischen Eigenschaften wäre Beryllonitren, falls es sich eines Tages im Industriemaßstab herstellen ließe, hervorragend für Anwendungen in der Quantentechnologie geeignet. In diesem noch jungen Gebiet von Forschung und Entwicklung geht es darum, quantenmechanische Eigenschaften und Strukturen von Materie für technische Innovationen zu nutzen – beispielsweise für den Bau von Hochleistungscomputern oder für neuartige Verschlüsselungstechniken mit dem Ziel einer sicheren Kommunikation.
Ko-Autorin Prof. Natalia Dubrovinskaia vom Labor für Kristallographie der Universität Bayreuth: „Erstmals ist es jetzt der Hochdruck-Forschung gelungen, in enger internationaler Zusammenarbeit eine chemische Verbindung herzustellen, die zuvor völlig unbekannt war. Diese Verbindung kann als Präkursor für ein 2D-Material mit einzigartigen elektronischen Eigenschaften dienen. Der faszinierende Erfolg war nur mit Hilfe eines im Labor erzeugten Kompressionsdrucks möglich, der nahezu eine Million Mal höher ist als der Druck der Erdatmosphäre. Unsere Studie beweist damit erneut das außerordentliche Potenzial der materialwissenschaftlichen Hochdruck-Forschung“.
Und Prof. Leonid Dubrovinsky vom Bayerischen Geoinstitut der Universität Bayreuth, korrespondierender Autor der Studie: „Ein Verfahren für die Herstellung von Beryllonitren im Industriemaßstab wird es nicht geben können, solange dafür extrem hohe Drücke erforderlich sind, die sich nur im Forschungslabor erzeugen lassen. Es ist jedoch sehr wichtig, dass die neue Verbindung bei der Dekompression entstanden ist und unter Umgebungsbedingungen existieren kann. Grundsätzlich können wir nicht ausschließen, dass es eines Tages möglich sein wird, Beryllonitren oder ein ähnliches 2D-Material mit technisch weniger aufwändigen Verfahren nachzubauen und industriell zu nutzen. Mit unserer Studie haben wir der Hochdruck-Forschung eine neue Perspektive für die Entwicklung technologisch attraktiver 2D-Materialien eröffnet, die das Graphen möglicherweise übertreffen werden“.
1 Internationale Forschungszusammenarbeit und -förderung
Die in den Physical Review Letters publizierten Forschungsergebnisse sind aus einer weltweiten Kooperation namhafter Universitäten und Forschungseinrichtungen hervorgegangen. An dieser Zusammenarbeit haben mitgewirkt:
- die Universität Bayreuth und
- das Deutsche Elektronen-Synchrotron in Hamburg (Deutschland);
- die Universität Linköping (Schweden);
- die Radboud Universität in Nimwegen (Niederlande);
- die European Synchrotron Radiation Facility in Grenoble (Frankreich);
- die National University of Science and Technology in Moskau sowie
- die Ural Federal University in Ekaterinburg (Russland);
- die Wuhan University (China);
- die Carnegie Institution for Science in Washington,
- die Howard University in Washington,
- das Center for Advanced Radiation Sources an der University of Chicago und
- das Argonne National Laboratory (USA).
Die Forschungsarbeiten an der Universität Bayreuth wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Alexander von Humboldt-Stiftung gefördert.
->Quellen: