Weltgrößte Stickstoffkonferenz: Deutschland braucht Gesamtstickstoffziel – Synergien zum Klimaschutz
Es muss ein Zufall gewesen sein: Am gleichen Tag, an dem Deutschland vom EuGH an den Pranger gestellt wurde (s.u.), forderte die weltgrößte Stickstoffkonferenz INI, das Problem systematisch bei der Bekämpfung globaler Probleme wie Klimawandel, Luftverschmutzung und Hungersnöte mitzudenken. Das Bundesumweltministerium arbeite an „einer übergreifenden Stickstoffminderungsstrategie und hat geeignete Methoden für eine sektorenübergreifende Stickstoffminderung entwickelt. Damit ist Deutschland international ein Pionier und kann mit einem ambitionierten Gesamtstickstoffziel vorangehen.“ Und das Umweltbundesamt schlägt eine nationale Obergrenze für Stickstoffemissionen vor.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze: „Die Welt stößt zu viel Stickstoff aus und verschärft damit Probleme wie Luftverschmutzung, Artenschwund und Klimawandel. In Deutschland haben wir bereits eine deutliche Stickstoffminderung erreicht. Dank novellierter Düngeverordnung, Klimaschutzgesetz und nationalem Luftreinhalteprogramm werden die Stickstoffemissionen bis 2030 weiter sinken, voraussichtlich um ein Drittel. Aber die verbleibende eine Million Tonnen Stickstoff pro Jahr ist immer noch zu viel. Wir brauchen deshalb ein Gesamt-Stickstoffziel für 2030. Auch auf EU-Ebene bedarf es weiterer Anstrengungen, hier sind die Farm-to-Fork-Strategie und Luftqualitätsrichtlinie zentral.“
Den weltweiten Handlungsdruck spiegelt die „Berlin Declaration“ wider, die heute von der weltgrößten Stickstoffkonferenz INI verabschiedet wurde. In ihrem Kern stehen: Die Minderung der Stickstoffemissionen ist zentral, um die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu erreichen und den Klimawandel zu bekämpfen. Wichtig ist dabei, die Ziele des nachhaltigen Stickstoffmanagements in umweltpolitische Prozesse auf allen Ebenen zu integrieren und die aktuell laufenden internationalen Prozesse zu nutzen – u.a. der UN Food System Summit im September 2021, die Klimakonferenz in Glasgow (UNFCC COP26) im September 2021 oder den laufenden Prozess zur UN Konvention zur Biologischen Vielfalt Post 2020.
Stickstoff ist lebenswichtig für Pflanzen, Tiere und Menschen. Zu viel reaktiver Stickstoff (Ammoniak, Nitrat, Stickoxide) hat jedoch gravierende negative Folgen: Artenschwund in eutrophierten Ökosystemen, sogenannte Todeszonen in überdüngten Meeren, voraussichtlich steigende Trinkwasserpreise durch kostenintensive Nitrat-Entfernung und zusätzliche Klimaeffekte durch Lachgasemissionen sowie Gesundheitsfolgen. Mehrere Sektoren tragen zum Stickstoffüberschuss bei: Landwirtschaft, Verkehr, Energiewirtschaft/Industrie und nicht zuletzt das Konsumverhalten der Menschen.
Das Umweltbundesamt (UBA) hat bei der am 31. Mai 2021 startenden Internationalen Stickstoff-Fachkonferenz INI2021 eine nationale Obergrenze für den Stickstoffausstoß vorgeschlagen. Ab 2030 sollten demnach insgesamt nicht mehr als 1 Million Tonnen Stickstoff pro Jahr in die Umwelt gelangen. Nur so könnten bereits bestehende Schutzziele für Gewässer, Landökosysteme und die menschliche Gesundheit erreicht werden. Aktuell liegt der jährliche Stickstoffausstoß bei 1,5 Millionen Tonnen im Jahr. Die neue Obergrenze erfasst nahezu alle Quellen und schließt neben der Landwirtschaft auch Sektoren wie den Verkehr oder die Industrie ein. UBA-Präsident Dirk Messner: „In den nächsten zehn Jahren müssten die jährlichen Stickstoff-Emissionen um rund eine halbe Million auf maximal eine Million Tonnen sinken. Das ist schaffbar – wenn wir die bereits geltenden Regeln zur Luftreinhaltung, zum Klimaschutz und das Düngerecht endlich auch in der Praxis an allen Stellen einhalten. Aber auch dann ist nur eine erste Etappe erreicht, denn um einen flächendeckenden guten Umweltzustand in Deutschland zu erreichen, braucht es weitere Anstrengungen zur Stickstoffminderung: Schutzziele für Wasser, Boden, Luft, Ökosysteme und die menschliche Gesundheit müssen überprüft und die zulässige Obergrenze für den Gesamtstickstoffausstoß weiter abgesenkt werden.“
Prognosen des ?UBA? zeigen, dass die stringente Umsetzung der bestehenden und teilweise gerade aktualisierten Gesetze, wie das nationale Luftreinhalteprogramm oder die neuen Anforderungen der Düngegesetzgebung, den Stickstoffausstoß im Hinblick auf die vorgeschlagene Obergrenze voraussichtlich ausreichend reduziert. Auch das Klimapaket der Bundesregierung wird zur Stickstoffminderung beitragen. Die Umsetzung der geltenden Gesetzgebung auch auf regionaler und lokaler Ebene muss jedoch regelmäßig überprüft werden, solange die Grenzwerte noch nicht überall erreicht werden. Die sektorübergreifende Obergrenze führt gegenwärtige Umweltziele für Luft, Grundwasser, Ökosysteme und Gesundheit und regionale Anforderungen deutschlandweit zusammen und zeigt, welchen Beitrag die einzelnen Sektoren in Bezug auf das Gesamtziel leisten. Die Obergrenze ist auf schnelle Umsetzbarkeit hin und als Etappenziel angelegt, daher fließen nicht für alle Bereiche der gute Umweltzustand, sondern auch derzeit politisch vereinbarte Zielstellungen in das Gesamtziel ein. Langfristig sind darüber hinaus gehend weitere Minderungen erforderlich, um einen guten Umweltzustand aller stickstoffbelasteten Bereich in Deutschland flächendeckend zu erreichen. Dennoch setzt das Instrument ein wichtiges Signal für Zusammenarbeit und gesamtgesellschaftliches Handeln über verschiedene Bereiche aus Politik und Gesellschaft hinweg.
Deutschland verfehlt wegen zu hoher Stickstoffbelastungen seit Jahren seine Umweltqualitätsziele für Wälder, Oberflächen- und Küstengewässer, das Grundwasser und nicht zuletzt für die Luft, was auch zu Belastungen für die menschliche Gesundheit führen kann. Die meisten Stickstoffemissionen stammen aus Tierhaltung, Düngeranwendung und Verbrennungsprozessen im Verkehr. Aber auch Energienutzung, Haushalte und die Produktion von Konsumgütern tragen dazu bei. Stickstoff ist in verschiedenen chemischen Verbindungen unerlässlicher Baustein von jeglichem Leben. Er macht zum Beispiel als Luftstickstoff N2 78 Prozent unserer Atemluft aus. In dieser Form ist er unschädlich, aber für die meisten Lebewesen nicht nutzbar. In Verbindung mit anderen Elementen macht der Verwandlungskünstler Stickstoff Mensch und Umwelt zu schaffen, denn hier gilt: Die Dosis macht das Gift. Zu große Mengen Stickstoffdioxid (NO2), Ammoniak (NH3), Nitrat (NO3-) und Lachgas (N2O) führen beispielsweise zu potenziell gesundheitsschädlicher Luft- und Grundwasserverschmutzung, überdüngten Meeren und einem Rückgang der Artenvielfalt.
Mehr als 600 Teilnehmende haben sich vom 31.05. bis 03. 06.2021 bei der weltgrößten Stickstofffachkonferenz der International Nitrogen Initiative (INI) über die neuesten Forschungsergebnisse und politischen Konzepte im Bereich der Stickstoffproblematik ausgetauscht. Die Konferenz fand rein virtuell statt und wurde gemeinsam von Umweltbundesamt und Bundesumweltministerium ausgerichtet.
->Quellen und weitere Informationen:
- bmu.de/bundesumweltministerin-schulze-fordert-stickstoff-minderungsziel-fuer-2030
- umweltbundesamt.de/uba-schlaegt-sektoruebergreifende-obergrenze
- INI-Internetseite und Berlin Declaration zur INI 2021: https://ini2021.com/
- Erster Stickstoffbericht der Bundesregierung (deutsch/englisch): stickstoffeintrag-in-die-biosphaere