Vollständige Dekarbonisierung bis 2050 derzeit nicht plausibel

Hamburg Climate Futures Outlook sät Zweifel an Zielerreichung

Der Exzellenzcluster Climate, Climatic Change, and Society (CLICCS) an der Hamburger Univesität legte am 10.06.2021 eine neue, zentrale Studie vor – dem Hamburg Climate Futures Outlook. Darin prüfen Wissenschaftler erstmals systematisch, inwieweit eine Klimazukunft mit Netto-Null Emissionen plausibel ist. Zum einen technisch-ökonomisch, vor allem aber mit Blick auf die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen. Fazit: Eine vollständige Dekarbonisierung bis 2050 ist derzeit nicht plausibel – der gesellschaftliche Wandel müsste erheblich ehrgeiziger ausfallen.

Hamburg Climate Futures Outlook – Titel © CLICCS/ Universität Hamburg

Für den Hamburg Climate Futures Outlook haben Forschende beispielsweise untersucht, welche Wirkung nationale Klimagesetze, Klimaproteste oder die Abkehr von Investitionen in eine fossile Wirtschaft auf die künftige Klimaentwicklung haben. „Welche Klimazukünfte plausibel sind, ist nicht nur eine physikalische Frage, sondern aktuell vor allem eine gesellschaftliche”, sagt CLICCS Sprecher Prof. Detlef Stammer von der Universität Hamburg. „Im Hamburg Climate Futures Outlook prüfen wir die Transformationskraft von gesellschaftlichen Prozessen – und haben dafür eine ganz neue Methode entwickelt. Die Ergebnisse verbinden wir mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und grenzen so schrittweise ein, was plausibel ist.“

Zu den untersuchten Schlüsselfaktoren, auch Treiber genannt, gehören die Klimapolitik der Vereinten Nationen, nationale Klimagesetze, Proteste und soziale Bewegungen, aber auch die mögliche Abkehr von Investitionen in eine fossile Wirtschaft oder die Berichterstattung in den Medien. Tatsächlich zeigt zurzeit keiner der zehn untersuchten Treiber eine ausreichende Dynamik für eine vollständige Dekarbonisierung bis 2050. Dies wäre aber Voraussetzung, um die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen.

Verspätete Divestment-Ergebnisse

Sechs der Treiber weisen allerdings auf eine schrittweise Dekarbonisierung hin: „Die Mehrheit der von uns geprüften Faktoren unterstützt durchaus das Netto-Null-Ziel. So erhält etwa der Faktor Klimapolitik Rückenwind durch den Wiedereintritt der USA in das Pariser Abkommen“, erläutert Prof. Anita Engels, Sozialwissenschaftlerin an der Universität Hamburg und CLICCS Co-Sprecherin. „Gleichzeitig wird es darauf ankommen, wie stark Klimaproteste nach COVID-19 den Druck auf die Regierungen aufrechterhalten können.“ Ein wirksamer Treiber ist auch das Zurückfahren von Investitionen in den fossilen Bereich, das sogenannte Divestment. Jedoch haben Unternehmen oft lange Investitionszyklen, so dass Effekte erst verspätet eintreten.

Die Autorinnen und Autoren stellten fest, dass derzeit weder Szenarien mit sehr hohen Emissionen noch mit sehr niedrigen Emissionen plausibel sind: „Studien zeigen, dass ein sehr hoher CO2-Ausstoß enormen wirtschaftlichen Schaden verursacht. Dazu kommt: Kohlereserven sind endlich und saubere Energie wird günstiger. Regierungen und Unternehmen sind daher gezwungen umzusteuern“, erläutert CLICCS Co-Sprecher Prof. Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie. Zugleich aber fehlt es an Technologien, um Kohlendioxid kurzfristig und in großem Stil aus der Luft zu entfernen – eine wesentliche Voraussetzung, um die Emissionen auf Netto-Null zu bringen. Dazu kommen neue Erkenntnisse zur Klimawirkung von CO2: „Übersetzt in globale Erwärmung bedeutet dies, dass eine Zunahme der globalen Oberflächentemperatur von weniger als rund 1,7 Grad Celsius bis zum Jahr 2100 nach jetzigem Kenntnisstand nicht plausibel ist, ebenso wie eine von mehr als ca. 4,9 Grad.“

Hamburg Climate Futures Outlook schließt Lücke

Auch Studien wie der 1,5-Grad-Bericht des Weltklimarates IPCC oder der „Emissions Gap Report“ der Vereinten Nationen prüften, auf welchem Weg sich die Pariser Klimaziele erreichen lassen, legen den Fokus aber eher darauf, was technisch und praktisch notwendig ist. „Der Hamburg Climate Futures Outlook analysiert, welche gesellschaftlichen Treiber den Wandel ermöglichen und motivieren. Wir nutzen diesen neuen Analyserahmen, um die vorhandenen Daten mit Blick auf die notwendige Dekarbonisierung systematisch zu bewerten“, erläutert Prof. Engels.

Hier liegt die besondere Bedeutung der Studie. „Im Hamburg Climate Futures Outlook geht es nicht darum, was notwendig wäre, machbar oder wünschenswert. Wir analysieren, welche Klimazukunft plausibel ist – und welche eben nicht“, so Prof. Marotzke, der auch am kommenden IPCC-Bericht zentral mitwirkt. „Die gesellschaftliche Herausforderung ist sehr viel größer als viele sich das vorstellen“, zieht Prof. Stammer Bilanz. „Das Ergebnis ist daher auch ein Weckruf an Politik und Gesellschaft.“

Über den Hamburg Climate Futures Outlook

Mehr als 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Exzellenzcluster CLICCS sind am Hamburg Climate Futures Outlook als Autorinnen und Autoren beteiligt. Sie stammen aus unterschiedlichen Disziplinen der Naturwissenschaften und der Sozialwissenschaften sowie aus Ökonomie und Rechtswissenschaften. Rund 20 nationale und internationale Reviewer haben ihre Arbeit begutachtet. Mit dem „Social Plausibility Assessment Framework“ führt der Exzellenzcluster eine neue wissenschaftliche Methode ein, um gesellschaftliche Treiber sowohl aktuell zu bewerten, als auch ihre voraussichtliche Entwicklung einzuschätzen.

Der Hamburg Climate Futures Outlook erscheint künftig jährlich. Er analysiert physikalische und gesellschaftliche Dynamiken und prüft, welche Klimazukünfte nicht nur möglich, sondern auch plausibel sind.

Über den Exzellenzcluster Climate, Climatic Change, and Society (CLICCS)

Der Exzellenzcluster Climate, Climatic Change, and Society (CLICCS) der Universität Hamburg wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Er ist am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg angesiedelt und arbeitet in CLICCS eng zusammen mit elf Partnerinstituten, darunter das Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg, das Helmholtz Zentrum Hereon und das Deutsche Klimarechenzentrum.

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