ForschungsVerbund Erneuerbare Energien: blauen Wasserstoff zeitlich begrenzen – kritische Stellungnahme des BEE
Wirksamer Klimaschutz erfordert eine grundlegende Transformation der Energiesysteme und Produktionsverfahren. Grüner Wasserstoff und seine Folgeprodukte sind Schlüsselelemente dieser Transformation: Ihr Einsatz in Prozessen, die nicht durch den direkten Einsatz von erneuerbarem Strom effektiv defossilisiert werden können, machen sie für das zukünftige Energiesystem unverzichtbar. Die zahlreichen Möglichkeiten ihrer Speicherung, ihres Transports und auch der Rückverstromung zum Ausgleich von Schwankungen im Stromsektor können neue Lösungen für die Flexibilisierung des Energiesystems bieten.
Wasserstoff zur Sektorenkopplung
Grüner Wasserstoff und seine Folgeprodukte werden zentrale Optionen zur Sektorenkopplung und sind ein wesentlicher Bestandteil vieler Power-to-X-Pfade. Die Stärken des Wasserstoffs liegen dabei in seiner Rolle als flexibles Bindeglied in einem EE-Strom-basierten Energiesystem, in der Möglichkeit der saisonalen Speicherung von EE-Strom und in der Möglichkeit zur Defossilisierung von nicht oder nicht einfach elektrifizierbaren Prozessen. So gibt es für die stoffliche Nutzung von Wasserstoff in der chemischen Industrie und der Stahlherstellung keine Alternativen, ebenso sind Wasserstoff und Wasserstoff-basierte synthetische Kraftstoffe im Luft- und Schiffsverkehr sowie im Lkw-Langstreckenverkehr voraussichtlich unverzichtbar.
In vielen Anwendungsbereichen gibt es zwar effizientere, aber weniger universelle Lösungen zur Defossilisierung als den Weg über Wasserstoff, so z.B. die direkte Elektrifizierung von Prozesswärme oder die batterieelektrische Mobilität. Grundsätzlich sind effizientere Wege in der (Nutz)energiebereitstellung vorzuziehen. Doch die Flexibilisierungsmöglichkeiten der direkten Stromnutzung sind begrenzt und erneuerbarer Strom steht nicht zu jeder Zeit für die Nutzung zur Verfügung. Deshalb sollte Wasserstoff an diesen Stellen im Energiesystem, an denen er seine Stärken ausspielen kann, gezielt eingesetzt werden.
Jetzt die Weichen richtig stellen
Als Energieträger muss grüner Wasserstoff seinen Anteil im Energiesystem langsam aber stetig steigern, weil die Erzeugungskapazitäten ebenso wie die Technologien auf der Anwendungsseite eine enorme Skalierung durchlaufen müssen, bevor die breite Marktdiffusion beginnen kann. Dies dürfte ab 2030 der Fall sein. Ähnlich verhält es sich in der energieintensiven Industrie: Hier ist die Entscheidung, den Weg in Richtung Klimaneutralität und damit in Richtung einer Wasserstoffwirtschaft einzuschlagen, heute zu treffen. Wegen der langen Investitionszyklen und der notwendigen Lernphasen bei der technischen Umsetzung muss jetzt mit der Umstellung auf Wasserstoff-kompatible Technologien begonnen werden. Nur so können ab 2030 ohne harte Strukturbrüche schnell große Mengen Wasserstoff eingesetzt werden. Auch in der Energiewirtschaft sind die notwendigen infrastrukturellen Änderungen für einen massiven Ausbau der erneuerbaren Elektrizitätserzeugung unmittelbar auf den Weg zu bringen, damit ab 2030 große Mengen Wasserstoff produziert werden können. Ebenso sind im Verkehr heute Maßnahmen zu ergreifen, die die Voraussetzungen für einen breiteren Einsatz von Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen beispielsweise im Flugverkehr schaffen.
Fossile Energieträger nur als Übergangslösungen nutzen
Der erforderliche zeitnahe Einstieg in den Markthochlauf von Wasserstoffanwendungen kann aufgrund der Parallelität der Ausbaupfade für Bereitstellung und Verbrauch dazu führen, dass Wasserstoffbedarfe entstehen, die nicht unmittelbar aus erneuerbaren Energien gedeckt werden können. In einer derartigen Übergangsphase könnte aus fossilen Quellen gewonnener Wasserstoff helfen, ein ausreichendes Angebot sicherzustellen, da ohne ein gesichertes Wasserstoffangebot die Marktdiffusion der Einsatztechnologien ausbleiben wird. Um das Risiko von Fehlinvestitionen und damit verbundener sinkender Akzeptanz für Wasserstoff zu minimieren, sollte die Verwendung von fossilen Primärenergieträgern zur Wasserstoffproduktion zeitlich begrenzt werden. Aus Klimaschutzgründen ist schnellstmöglich eine ausschließlich grüne Wasserstoffversorgung anzustreben. Vorzugsweise sollten deshalb Technologien gefördert werden, welche künftig die Bereitstellung von erneuerbarem Wasserstoff gewährleisten.
Wasserstoff und erneuerbare Energien zusammen denken
Den größten Beitrag zum Klimaschutz leistet Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen. Dies umfasst in erster Linie den aus erneuerbarem Strom über Wasser-Elektrolyse erzeugten Wasserstoff. In kleineren Mengen kann Wasserstoff auch aus (Abfall-)Biomasse gewonnen werden. Perspektivisch kommen weitere Erzeugungsverfahren hinzu: durch Sonnenlicht angetriebene Wasserspaltung, d.h. thermochemische und photo-elektrochemische Verfahren sowie die Nutzung der natürlichen Photosynthese. Zudem ergeben sich eine Reihe von Synergien der erneuerbaren Energieträger untereinander (z.B. synthetische chemische Grundstoffe aus strombasiertem Wasserstoff in Verbindung mit Biomasse als erneuerbarem Kohlenstoffträger).
Für die Akteure aus der Industrie, die sich heute auf den Weg in Richtung Defossilisierung über Wasserstoff machen, ist es unerlässlich, dass in Zukunft ausreichend grüner Strom und grüner Wasserstoff zur Verfügung stehen. Doch bereits für das Erreichen der nationalen Treibhausgasminderungsziele für das Jahr 2030 ist ein verstärkter Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung eine zwingende Voraussetzung. Wenn nun für die Bereitstellung des grünen Wasserstoffs noch zusätzlicher Bedarf an grünem Strom entsteht, muss die Politik in Deutschland ihre Ambitionen für den Ausbau an erneuerbarer Stromerzeugung deutlich steigern. Neben dem Ambitionsniveau für den EE-Ausbau müssen auch Infrastrukturanforderungen für ein regeneratives Strom- und Wasserstoffsystem dringend verstärkt in den Blick genommen und entsprechende Aktivitäten zum Auf- und Ausbau aufgenommen werden.
Wasserstoff-Importe komplementär zur inländischen Produktion denken
In Deutschland und den europäischen Nachbarländern gibt es umfangreiche erneuerbare Potenziale für die Produktion von grünem Wasserstoff. Angesichts der erwarteten großen Nachfragemengen ist parallel zur Produktion in Europa der Aufbau von verlässlichen Partnerschaften für den Import von grünem Wasserstoff aus außereuropäischen Ländern mit sehr großen und günstigen erneuerbaren Strom- und Solarstrahlungspotenzialen eine wichtige Option, um für grünen Wasserstoff die Kosten zu senken und die Verfügbarkeit zu erhöhen. Es muss dabei sichergestellt werden, dass solche Partnerschaften die Energiesystemtransformationen in den Partnerländern nicht verlangsamen, sondern voranbringen und auch dort zu positiven ökologischen, volkswirtschaftlichen und sozio-ökonomischen Effekten führen.
Energieforschung als Schlüssel zu einer nachhaltigen Wasserstoffnutzung
Nur mit einer starken und konzertierten Energieforschung wird es den Akteuren in Deutschland und Europa gelingen, in einer nachhaltigen Wasserstoffwirtschaft eine führende Rolle im internationalen Wettbewerb einzunehmen und Wertschöpfung hierzulande zu generieren. Die Bereitstellung effizienter, sicherer, großtechnisch skalierbarer und kostengünstiger Anlagentechnik für die Erzeugung von erneuerbarem Strom, Wasserstoff und synthetischen Folgeprodukten bilden dabei wesentliche Schwerpunkte. Ebenso wichtig sind Untersuchungen, die aufzeigen wie eine nachhaltige Systemtransformation mit grünem Wasserstoff im Zeitverlauf am besten gelingen und wie sie durch die Politik entsprechend angereizt und reguliert werden kann.
Als Exporteur von Wasserstofftechnologien kann die deutsche Industrie perspektivisch von den sich auch in anderen Ländern entwickelnden Märkten profitieren und zugleich einen wesentlichen Beitrag für die globale Energiewende leisten. Voraussetzung ist ein schneller Roll-Out der Technologien entlang der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette für Erzeugung, Speicherung, Transport und Nutzung in einem starken Heimatmarkt. Der starke internationale Wettbewerb erhöht die Dringlichkeit für eine rasche Umsetzung entsprechender Strategien.
BEE kritisiert Einsatz von blauem Wasserstoff für Hochlauf
Der Wasserstoff-Aktionsplan des Nationalen Wasserstoffrats sieht den Einsatz von blauem Wasserstoff für den Hochlauf der heimischen Wasserstoffwirtschaft vor. Der Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE) kritisiert diese Empfehlung als klimapolitisch kontraproduktiv. „Klimafreundliche Wasserstoffproduktion ist nur mit grünem Wasserstoff auf Basis Erneuerbarer Energien möglich. Auch wenn die Treibhausgasbelastung von blauem Wasserstoff unter der Belastung von grauem Wasserstoff liegt, sind Brückenlösungen nicht mehr zeitgemäß. Wir müssen schnell zu Emissionsminderungen kommen und hierfür ist grüner Wasserstoff die einzig sinnvolle Wahl“, so BEE-Präsidentin Dr. Simone Peter. Zudem berge die Produktion dieses Wassertstofftyps weitere Risiken. „Neben Kapazitätsrisiken wie der begrenzten Anzahl von hochwertigen CCS-Endlagerstätten sind auch Akzeptanzfragen und schwer kalkulierbare Preise für Erdgas, CO2 und CCS mit in die Entscheidung einzupreisen“, so Peter. „Hier werden beim Nationalen Wasserstoffrat offenbar beide Augen zugedrückt.“
Eine Richtungsentscheidung zugunsten von blauem Wasserstoff bringe zusätzlich die Gefahr von Pfadabhängigkeiten mit sich. „Wenn die Bundesregierung sich für die Förderung von blauem Wasserstoff ausspricht, dann kann diese Entscheidung nicht kurzfristig rückgängig gemacht werden. Industrielle Erzeugungsanlagen haben oft eine technische Betriebsdauer von mehreren Jahrzehnten, entsprechend lange werden sich Technologien wie blauer Wasserstoff manifestieren.“ Deswegen müssen die Weichen auf dem Weg zur Klimaneutralität bereits jetzt gestellt werden. „Anstelle des langwierigen Aufbaus einer Infrastruktur für blauen Wasserstoff, sollte die Bundesregierung sich klar zu grünem Wasserstoff bekennen und dieses Bekenntnis ohne Umwege in die Tat umsetzen. Durch sinnvolle Anreize ist ein zügiger Markthochlauf bei den Elektrolyseuren verschiedener Größenordnung möglich – nachhaltig, kostengünstig und risikoarm“, so Peter abschließend.
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