Anstelle der „marktorientierten Degression“
Carsten Pfeiffer, Leiter Strategie und Politik beim Bundesverband Neue Energiewirtschaft (bne), plädiert am 16.08.2021 in seinem (in pv magazine veröffentlichten) Meinungsbeitrag für einen sogenannten „atmenden Booster“ anstelle des „atmenden Deckels“ zur Steuerung der PV-Entwicklung: „Ein klug ausgestalteter marktorientierter Mechanismus kann zu einem atmenden Booster werden, der einen positiven Beitrag zur Weiterentwicklung der Photovoltaik in Deutschland leisten kann.“
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Atmender Deckel
Ich mochte ihn nie, diesen Begriff, der einprägsam das Denken in die falsche Richtung führt. Der atmende Deckel hieß, als er erdacht wurde: marktorientierte Degression. Das hatte die Stärke zu beschreiben, was er sein sollte und zugleich die Schwäche, dass der Begriff zu wenig einprägsam war. Damit weist der inzwischen übliche Begriff auf eine Deckelung hin, wo doch Steuerung gemeint war – und diese kann in beide Richtungen gehen.
Blick zurück
Weshalb wurde die marktorientierte Degression überhaupt eingeführt? Hintergrund war, dass das alte System einer starren jährlichen Degression in Höhe von 5 Prozent Ende der Nullerjahre nicht mehr funktionierte. Die Kosten der Photovoltaik implodierten. Die feste Degression konnte die Geschwindigkeit der Kostensenkung nicht mehr abbilden. Die Renditen gingen steil nach oben und damit auch der Zubau und angesichts der damaligen Vergütungshöhen auch die Kosten und die EEG-Umlage. In der damaligen schwarz-gelben Koalition wurde über eine feste Deckelung des Photovoltaik-Ausbaus diskutiert. Den Freunden der Photovoltaik ging es also darum, diesen Deckel mit einer klügeren Lösung, der marktorientierten Degression zu verhindern. Jedoch wurde eine funktionierende marktorientierte Degression dann über Jahre hinweg verschleppt, so dass er in seiner Entwicklung in den ersten Jahren immer der Kostenentwicklung hinterherlief. Die damalige schwarz-gelbe Koalition reagierte mit mehreren gesetzlichen Absenkungsschritten der Vergütung und mit dem inzwischen wieder abgeschafften 52-Gigawatt-Deckel. Dafür traf die Branche dann die letzte gesetzliche Vergütungsabsenkungsstufe um so härter, was viele Unternehmen nicht überlebten. Damals rächte sich auch, dass die Branche keine eigenen Vorschläge zur Problemlösung auf den Tisch legte, sondern sich darauf konzentrierte, vorliegende Ansätze zu bekämpfen, was sich als zu kurz gedacht herausstellte. Eine weitere Folge war auch, dass die marktorientierte Degression jetzt tatsächlich dazu genutzt wurde, den Ausbau deutlich einzubremsen. Wenn sich der Begriff des atmenden Deckels nicht bereits vorher durchgesetzt hätte, spätestens dann wäre dies der Fall gewesen.
Alte Reflexe
Folglich blieb in den Köpfen hängen, dass der atmende Deckel, a) ein Deckel sei und b) die Aufgabe hätte, der Photovoltaik zu schaden. In der letzten Zeit häufen sich daher die Stimmen für dessen Abschaffung. Aus meiner Sicht sind das eher Reflexe, die die Begrifflichkeit und die Fehlsteuerung der vergangenen Jahre betreffen als wirklich durchdachte Überlegungen.
Idee einer marktorientierten Degression
Aber zunächst noch mal zu der Idee der marktorientierten Degression: Dieser liegt die Annahme zugrunde, dass die Marktentwicklung die Summe aller Faktoren abbildet, die für den Zubau der Photovoltaik relevant sind. Das wären aktuell etwa die Entwicklung der Photovoltaik-Systemkosten, die Entwicklung der EEG-Umlage, der Netzentgelte, Handwerkerkosten und einiges mehr, aber auch Möglichkeiten zur Eigenverbrauchserhöhung im Kontext Speicherentwicklung oder Elektromobilität. Der daraus resultierende Zubau zeigt an, ob sich der Ausbau auf dem vorgesehen Ausbaupfad befindet, weniger zugebaut wird, als gewünscht oder der Markt gerade überhitzt und eine höhere Degression hilfreich wäre.
Die Frage muss gestellt werden: Was würde nach der Abschaffung der marktorientierten Degression passieren und welche Instrumentarien könnten die Funktion des atmenden Deckels übernehmen?
Eine Alternative könnte die Rückkehr zur festen Degression unabhängig von der Entwicklung der Parameter sein. Aber wie hoch soll die sein? Wieder fünf Prozent oder null oder minus drei Prozent? Ausgeprägte Marktfreunde werden sicher vorschlagen, dass man die Vergütungshöhen ja ausschreiben könnte, was jetzt ja auch bei sehr großen Dachanlagen getestet wird. Aber will man das wirklich auch bei kleinen Anlagen und würde es nicht darauf hinauslaufen, wenn der atmende Deckel abgeschafft wird? Oder will man einfach keine Degression haben und dann vielleicht zuschauen, wenn sich die Rendite bei Prosumer-Anlagen deutlich reduziert, weil die Politik möglicherweise die EEG-Umlage abschafft. Oder will man im umgekehrten Fall sehr hoher Renditen in Kauf nehmen, dass die EU die beihilferechtliche Genehmigung der Vergütungen verweigert?
Weiterentwickeln statt Abwickeln
Es wäre also spannend, über die Vor- und Nachteile im Vergleich mit Alternativen zu reden, anstatt ein Instrumentarium aus einem Reflex heraus einfach abschaffen zu wollen. Wenn es bessere Alternativen gibt, umso besser! Gibt es diese nicht, dann lohnt es sich allemal, darüber nachzudenken, wie der das vorhandene Instrument positiv weiterentwickelt werden kann.
Hierzu gibt es bereits den Vorschlag, dass der Korridor deutlich ausgeweitet werden sollte, was ja auf der Hand liegt, wenn künftig viel mehr Photovoltaik ausgebaut werden soll, was zur Erreichung der Klimaziele unumgänglich ist. Dies sollte schnell und schrittweise geschehen, damit sich die Solarbranche sowie die gesamte Energiewirtschaft darauf einstellen kann.
Daneben gilt es aber auch Detailpunkte anzugehen. So sollte schneller auf Zubau-Zahlen reagiert werden, die hinter den Zielsetzungen zurückbleiben. Ein anderer Punkt wäre, nicht mehr die Direktstromleistung der Module, sondern die netzrelevante Wechselrichterleistung als Bemessungsrundlage zu nehmen. Also: AC statt DC.
Offene Fragen
Eine mögliche Schwachstelle könnte sein, dass negative Degressionen zu Attentismus führen. Eine der großen Vorteile von positiven Degressionen ist, dass Kunden lieber heute als morgen kaufen, da sie morgen weniger Vergütung erhalten. Das war lange Jahre Teil des Erfolgskonzepts des EEGs. Wenn die Kunden lieber warten, ist das negativ für den Zubau. Das spiegelt sich dann in weiteren negativen Degressionen und weiterem Attentismus wieder – ein denkbarer Teufelskreislauf. Der Mechanismus sollte also weiterentwickelt werden, um solche Entwicklungen zu verhindern.
Instrumentenmix
Bei einer Weiterentwicklung der marktorientierten Degression gilt es inzwischen zu berücksichtigen, dass künftig auch andere Instrumente eine zunehmende Rolle für den Ausbau der Photovoltaik spielen dürften. Dazu gehört natürlich bereits seit längerem der Eigenverbrauch. Es ist absehbar, dass das Gebäudeenergiegesetz und die Bundesförderung für effiziente Gebäude Bedeutung gewinnen werden. Aber auch die sonstige Direktvermarktung könnte an Relevanz gewinnen. Der Anstieg des Monatsmarktwertes für Photovoltaik auf 7,4 Cent im Juli 2021 dürfte das Interesse an diesem Ansatz vermutlich in Kombination mit anderen steigern. Auf jeden Fall wird sich eine weiterentwickelte marktorientierte Degression in diesem Umfeld abbilden müssen.
Atmender Booster
Es ist unübersehbar, dass Instrumente stets weiterentwickelt werden sollten, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, auch die politischen. Sollte die nächste Bundesregierung den Ausbau der Erneuerbaren Energien beschleunigen wollen, kann die marktorientierte Degression ein wichtiges Instrumentarium sein, um der Photovoltaik wieder Raum zum Atmen zu geben. Dies hatte der PV-Think-Tank zu Recht kürzlich in seinem „10+ GW-Programm“ beschrieben.
Um es auf den Punkt zu bringen: Ein klug ausgestalteter marktorientierter Mechanismus kann zu einem atmenden Booster werden, der einen positiven Beitrag zur Weiterentwicklung der Photovoltaik in Deutschland leisten kann. Es dürfte sich lohnen, das Instrument in diese Richtung weiter zu entwickeln.
Carsten Pfeiffer ist seit Mitte Oktober 2019 Leiter für Strategie und Politik beim Bundesverband Neue Energiewirtschaft (bne). Die gleiche Position hatte er zuvor von September 2012 bis Oktober 2019 im Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) inne. Von 1998 bis 2012 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Büroleiter im Bundestag. Er arbeitete 1999/2000 aktiv an der Erarbeitung des EEGs sowie später an mehreren Novellen mit und veröffentlichte 2006 gemeinsam mit dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Josef Fell das Buch „Chance Energiekrise”.