BNetzA soll Leitungskosten selbständig festlegen
Kommentatoren nennen es einen „Paukenschlag“ (FAZ, 03.09.2021) : Der Europäische Gerichtshof hat am 02.09.2021 eine weitgehende Entscheidung zur Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur getroffen (Medienmitteilung siehe bundesnetzagentur.de), indem er die bisherige Einmischung der Politik in die Entscheidungen der Bundesnetzagentur über Leitungskosten gestoppt hat. Die Entscheidung liege allein bei der Bundesnetzagentur. Der EuGH hat damit einer von der EU-Kommission gegen Deutschland erhobenen Vertragsverletzungsklage in vollem Umfang stattgegeben. Gerügt wird eine unzureichende Umsetzung von EU-Richtlinien im Energiewirtschaftsgesetz.
„Ganz schnell wird sich nichts ändern bei den Preisen für Strom und Gas“, schreibt Gigi Deppe am 02.09.2021 auf tagesschau.de, „aber langfristig ist das gut möglich. Bis jetzt legt das Bundeswirtschaftsministerium in Gesetzen und Verordnungen fest, wie viel Geld die Netzbetreiber verlangen dürfen – vor allem, welche Kosten sie geltend machen können. Das gefällt der EU-Kommission schon lange nicht. Denn der Gedanke liegt nahe, dass rege Lobbytätigkeit der Unternehmen beim Bundeswirtschaftsministerium die Preise in die Höhe treiben könnten.“
Das hat weitreichende Veränderungen auf dem deutschen Energiemarkt zur Folge. Mehr als 1.000 EVU müssen sich in Zukunft direkt mit der Bundesnetzagentur auseinandersetzen, wenn sie höhere Gebühren verlangen wollen: Deppe hält es für „sehr wahrscheinlich, dass darüber in Zukunft oft vor Gericht gestritten werden wird“.
Bundesnetzagentur zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Energiesachen
Die Bundesnetzagentur nahm am 02.09.2021 Stellung zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Sachen „Unabhängigkeit und Zuständigkeit der Regulierungsbehörden sowie zur Umsetzung entflechtungsrechtlicher Vorgaben im Energiebereich“. Die Entscheidung wird Anpassungen der Arbeitsweise der Bundesnetzagentur erforderlich machen.
Es gilt nun, die Entscheidungsgründe sorgfältig auszuwerten. Die Bundesnetzagentur wird die Bundesregierung bei der zügigen Auswertung des Urteils unterstützen, sagt Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur. Die Bundesnetzagentur wird rechtliche Unsicherheiten in der Übergangsphase so weit wie möglich reduzieren. Wir gewährleisten Rechtssicherheit für die Investitionen, die zur Erreichung der Klimaschutzziele essentiell sind.
Die Bundesnetzagentur in einer Medienmitteilung vom 02.09.2021: „Der Europäische Gerichtshof hat festgestellt, dass im Bereich des Energierechts Richtlinien nicht korrekt in nationales Recht umgesetzt worden seien. So verlangt der Europäische Gerichtshof, dass Maßnahmen ergriffen werden, um Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden und deren Entscheidungsbefugnisse im Bereich der Energieregulierung weiter zu stärken. Zudem hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die Vorgaben des europäischen Richtlinienrechts zur Definition des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens, zu den Karenzzeitregelungen für Führungskräfte der Transportnetzbetreiber und der Zulässigkeit von Mitarbeiterbeteiligungen an vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmen nicht ordnungsgemäß in das deutsche Recht umgesetzt sind.“
Beabsichtigte Verwaltungspraxis der Bundesnetzagentur in der Übergangsphase
Die Vorgaben europäischen Richtlinienrechts seien nur im Ausnahmefall unmittelbar anwendbar. Ein solcher Fall liege nicht vor. Bis energierechtliche Anpassungen erfolgt seien, werde die Bundesnetzagentur für eine Übergangszeit das geltende deutsche Recht weiter anwenden und auf dieser Grundlage die Spruchpraxis der Beschlusskammern und der Abteilung in Energiesachen fortführen (z.B. zur Anreizregulierungsverordnung und zu den Entgeltverordnungen).
„Alles andere würde zu einem Zustand führen, der mit den Zielsetzungen des für die Energieregulierung einschlägigen europäischen Rechts in Form von vorhersehbaren und verlässlichen Rahmenbedingungen unvereinbar wäre. So hat auch der Bundesgerichtshof entschieden, dass die teilweise oder vollständige Nichtanwendung normativer Vorgaben nicht geeignet ist, einen den Richtlinienzielen entsprechenden Zustand herbeizuführen (BGH, Beschluss vom 08.10.2019, EnVR 58/18, Rn. 76).
Ein faktisches, ersatzloses Außerkrafttreten der nationalen Rechtsnormen würde ferner zu Regelungslücken und damit einhergehend erheblichen Unsicherheiten für alle Marktbeteiligten führen. Beispielsweise stünde eine derart unklare Rechtslage der notwendigen Investitionssicherheit entgegen. Für den Übergangszeitraum ist es daher sinnvoll und angebracht, stabile und berechenbare Verhältnisse zu gewährleisten.“
->Quellen: