„Die Rolle des Wasserstoffs im Energiesystem” – Abendvortrag der DPG von Prof. Robert Schlögl
Wasserstoff ist die einzige Möglichkeit, regenerative Energien global auszutauschen und damit den Energiebedarf mit den Erzeugungsmöglichkeiten Sonne und Wind zu verbinden. Eine zügige Umsetzung der Energiewende setzt voraus, dass wir die technischen und organisatorischen Hindernisse überwinden, um zu einem Weltmarkt für erneuerbare Energie (EE) zu gelangen. Prof. Robert Schlögl, Direktor am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft (FHI) in Berlin und am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion in Mülheim an der Ruhr (MPI CEC) sprach in seinem virtuellen Abendvortrag am 27.09.2021 im Rahmen der 84. Jahrestagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft die technische Herausforderungen an und beschrieb die politisch und wissenschaftlich notwendigen Schritte zur Einführung einer Wasserstoffwirtschaft.
Schlögls Problemdefinition: „Das Pariser Abkommen ist praktisch schon von der Realität überholt“. Die 1,5-Grad-Grenze sei unmöglich einzuhalten, auch zwei Grad würden mit großer Wahrscheinlichkeit überschritten – „beide Ideen sind praktisch nicht mehr haltbar“. Das sage der 3.800 Seiten lange jüngste Bericht des Weltklimarats; Schlögl illustrierte den aktuellen Stand mit Grafiken aus dem IPCC-Bericht. Dabei führte er den Begriff „Überschwinger“ ein: Der dauere ungefähr 100 Jahre und lasse die Temperatur der Erdatmosphäre zunächst auf vier Grad steigen, bevor sie sich langsam wieder absenke – aber dann auch nur auf 2,5 bis 3 Grad. Mit dem Temperaturanstieg verbunden sei – speziell in Europa – ein starker Rückgang der Niederschläge mit Trockenheit bis zur Wüstenbildung wie der Sahara. Die Zusammenschau von 153 Klimamodellen habe das ergeben. Daher gebe es „wahre Dringlichkeit, die Nutzung fossiler Brennstoffe zu stoppen und Strategien zur Eindämmung zu entwickeln“.
Zum Welt-Energiemix und Stand der erneuerbaren Energien erläuterte Schlögl, die Nutzung von Kohle sei in den vergangenen 35 Jahren zwar leicht zugunsten von Gas zurückgegangen. Der Endenergie-Anteil der erneuerbaren Energien sei aber 2019 bei 4 % gelegen, wie könne er da 2050 bei 100 % liegen? Schlögl: „Sicher wesentlich später!“ Die fossile Energiewirtschaft sei immer noch bei weitem das größte technische Unternehmen auf unserem Planeten. Das spiegle sich jedoch nicht in ihrem Aktienwert wider – als Beispiel nannte Schlögl die Firma ARAMCO – das sei jedenfallssehr eng verbunden mit der geopolitischen Machtverteilung und operiere weitgehend außerhalb der Sicht ihrer Kunden.
Zum Thema Energiewende merkte Schlögl kritisch an, Deutschland investiere 500 Mio. € pro Woche, um Atomstrom durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Man debattiere bei uns mit Vorliebe und nehme schrittweise Veränderungen unter politischem Mikromanagement vor. Weniger fundamentalistische Nationen außerhalb Europas wie China oder Australien überholten uns und wir bekämen es nicht einmal mit. Entsprechend winzig sei der Anteil erneuerbarer Energien und die Rolle Deutschlands im weltweiten Energiemix.
Wenn man jetzt nach einer Lösung suche, falle auf, dass es an den Stellen der Erde mit dem höchsten Solar-Potenzial keinen einzigen Nutzer gebe. Schlögl: „Man wird sich also mit dem Transport großer Mengen erneuerbarer Energien beschäftigen müssen. Und genau das ist die Stelle, wo der Wasserstoff eine wichtige Rolle spielt“.
Warum nicht lokale Erneuerbare Energien und chemische Speicherung vor Ort? Wegen der Kosten!
Ein Problem unseres Denkens, unserer Energiewende sei es, dass wir autark sein, dass wir alle benötigte Energie in Deutschland erzeugen und für die Schwankungen speichern wollen. Wir hätten schon einiges installiert, das sei völlig unstrittig – aber wir hätten viel zu viele Anlagen in einem Land mit hoher Bevölkerungsdichte und niedrigem Kapazitätsfaktor von 0,17. Unser Energiesystem sei nur noch stabil, wenn wir einen makroskopischen Speicher nutzten, das Ausland mit einem Import-Export-System. Die EE in Deutschland seien so volatil, dass wir noch lange andere Stromerzeugungsformen brauchten; man dürfe diese Ersatzkraftwerke aber nicht so auslegen, dass sie nur dann Strom produzierten, wenn es weder Wind noch Sonne gebe, denn dann werde dieser Strom extrem teuer. Einfach mehr EE zuzubauen, werde das Problem nicht lösen.
Die chemische Batterie: Methan als Prototyp
Kohlenstoff wird als Träger für Wasserstoff verwendet; die gespeicherte Energie wird durch Sauerstoff freigesetzt. Das ahmt den natürlichen Kohlenstoffkreislauf zwischen Photosynthese und Atmung nach. Wasserstoff ist das Lithium der chemischen Batterie, Kohlenstoff die Elektrode, die sonst aus Kobalt ist. Der Energiegehalt beträgt 817 kJ/44 g CO2 (bei 273° K) – also sehr, sehr viel größer als bei einer „normalen“ Batterie. Es gibt aber erhebliche entropische und kinetische Energieverluste – bis zu 75 Prozent. Aber die chemische Batterie ist auf globale Dimensionen skalierbar. Man braucht eine bestimmte Technologie dafür und Katalysatoren (Schlögl: „das beschreibt unsere wissenschaftliche Tätigkeit“), die jedoch nicht aus teuren Materialien bestehen müssen, die im Gegenteil alle aus in der Erde reichlich vorhandenen Elementen hergestellt werden können.
Welt-Energieversorgung
Die Welt verbraucht derzeit 18,5 Terawatt-Jahre an Energie (in TWh: mit 8.760 multplizieren = 162.060 TWh). Ein Bruchteil von 5 % ist erneuerbar, 95 % sind fossile Energie. Diese Quellen könnten die Menschheit kumulativ für 85 Jahre mit Energie versorgen. Das heißt, am Ende dieses Jahrhunderts wäre die Energiewende ohnehin notwendig, weil wir keine Brennstoffe mehr hätten.
Der daraus resultierende CO2-Ausstoß würde eine weltweite Erwärmung von 3,5° verursachen (erstaunliche Übereinstimmung mit den eingangs aus dem IPCC-Bericht zitierten Zahlen). 0,5 % (1 %) der globalen Oberfläche wären – mit Photovoltaik bestückt – für die Menschheit ausreichend (das wäre etwa die Fläche der saudi-arabischen Wüste). Aber diese Lösung erfordert eine Antwort auf das Raum-Zeit-Verteilungsproblem, denn die Energie ist nach wie vor am falschen Ort zur falschen Zeit. Wenn aber die fossilen Ressourcen verbrannt sind, sind sie weg – im Gegensatz zu den erneuerbaren Energien.
Die Sonne im Tank: eine neue geopolitische Karte
Für Transport und Speicherung von Strom durch chemische Energieumwandlung (CEC) wird Wasserstoff gebraucht. Der Transport von Wasserstoff mittels Derivaten (E-Fuels) ist jedoch gut beherrschbar. Dessen Erzeugungskosten hängen entscheidend von den (politischen) Stromkosten ab. Das wird entschieden mit der Entstehung eines Weltmarkts, „an dem aber Deutschland im Augenblick nicht beteiligt ist“. Schlögl präsentierte den Elektrolyseur von Carbon2Chem – der auch bei schwankender Stromerzeugung Wasserstoff produziert.
Die Lösung des Energietransports ist laut Schlögl der Transport von EE in Form von Molekülen. Der fossile Energietransport wird allmählich durch eine EE-Kreislaufwirtschaft ersetzt. Dabei muss man bedenken, dass alle möglichen Derivate (von Ammoniak bis Methanol) eingesetzt werden können, aber möglichst wenige Konversionsschritte gegangen werden sollten, um unnötigen Energieverlust klein zu halten.
Technologien und Kosten
Wasserstoff sei kein Erdgas, und die Umstellung einer Erdgasinfrastruktur auf Wasserstoff stellt uns vor erhebliche technologische Herausforderungen. Vor allem herrschten sehr unterschiedliche Meinungen über die Kosten der Wasserstofferzeugung. Denn es gebe einen großen Unterschied zwischen Kosten und Preis, letzterer sei immer politisch, „da haben wir nicht so viel mitzureden“. Der Energiepreis sei das heikelste Thema.
Alle Gestehungsmethoden hätten ungefähr die gleichen Preise zur Folge, bis auf die Wasserstoffproduktion durch Elektrolyse im bestehenden Stromnetz (was die Nationale Wasserstoffstrategie vorschlage): Die erzeuge den teuersten Wasserstoff – die ökonomisch schlechteste Lösung, die man wählen kann. Also Vorsicht bei weiterem Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur: „Solange das mit dem Netz verbunden ist, ist das keine gute Lösung“. Preis-Kosten-Relationen sind zudem ein sehr volatiles Geschäft.
„Farbenlehre“ Wie grün ist Wasserstoff?
Von der Farbenlehre beim Wasserstoff hält Schlögl nicht viel; die sei etwas typisch deutsches. Denn jeder Wasserstoff habe einen gewissen CO2-Rucksack: „Grüner“ Wasserstoff sei nicht frei von CO2. Realistisch seien (aufgrund des Fußabdrucks der Rohstoffe und Herstellung der Anlagen sowie des Transports) mindestens zwei Tonnen CO2 pro Tonne Wasserstoff; eine gewisse „Grauigkeit“ habe jeder Wasserstoff. Der Fußabdruck hänge von technologischen Details und den variablen Grenzen der Ökobilanz in der Literatur ab. Wir sollten uns von der Farbendiskussion verabschieden und darauf achten, schnellstmöglich einen „möglichst grünen „Wasserstoff zu verwenden.
Metrik der Nachfrage (Infrastruktur); Endenergiedaten
Wie viel Wasserstoff brauchen wir eigentlich? Schlögl hält nichts davon, wenn der Wasserstoffbedarf künstlich klein-gerechnet wird. Eine gute Skalierung sei die bestehende Größe des Energiesystems, der Energieverbrauch bleibe ungefähr gleich. Es werde Effizienzgewinne geben, aber auch neuartige Verluste etwa durch Umwandlung und Speicherung. Die Aufgabe bestehe darin, die Bedürfnisse von Gesellschaft und Wirtschaft zu erfüllen.
So viele TWh an EE haben wir bisher noch nicht erzeugt: Wenn wir 20 % des Endenergiebedarfs (soviel, wie wir bisher aus der Braunkohle herausgeholt haben) aus Erneuerbaren bereitstellen, wäre das eine ganze Menge – 247 TWh – dafür müssten wir die doppelte Menge an Windrädern aufstellen, die wir jetzt haben. Zum Thema Preis sagte Schlögl nur: Der Börsenpreis für Strom lag 2020 bei ca. 3,2 ct/kWh, der Endkundenpreis aber bei etwa 31 ct/kWh – da könne man sich Gedanken machen, warum das so ist.
Wir sprächen von gewaltigen Mengen an Wasserstoff: Wollte man die EU völlig mit importiertem Wasserstoff versorgen, müsste man 300 Millionen Tonnen im Jahr nach Europa bringen. Deutschland bekäme davon 62 Mio. t; die deutsche Industrie alleine 27 (obwohl sie immer erzähle, man brauche gar nicht so viel Wasserstoff – Studien reden immer noch von 18 Mio. t). Die Nationale Wasserstoffstrategie (deren Verdienst Schlögl darin erblickt, dass sie sich in der Größenordnung vergriffen und damit das Dilemma offengelegt habe), komme nur auf 0,75 Mio. t Wasserstoff.
Antriebsstränge: ein Beispiel für Sektorkopplung
Elektronen (RES) sind sauber. Sie müssen als chemische Bindungen importiert werden: Warum also nicht mit Kraftstoffen statt mit Strom fahren? Schlögl sieht andere Bereiche, die viel leichter zu defossilieren seien, als der Verkehr. Jedenfalls sei die beste Möglichkeit dazu: Elektrisch. Die Frage sei nur: Wo kommt diese Elektrizität her? Wasserstoff ist sauber. Seine Lagerung und Verteilung ist jedoch schwierig und erfordert eine neue (globale) Infrastruktur. Ob die Brennstoffzelle daher eine gute Idee sei, bezweifelte Schlögl, auch und vor allem wegen der enormen Kosten der vielen Millionen benötigten Brennstoffzellen. Die E-Fuels erzeugten dagegen ein CO2-Leck, das man irgendwie schließen müsse. Dafür seien sie sehr gut kompatibel mit der heutigen Infrastrukturen und den Motoren, Syn-Kraftstoff sei für Schwerlastanwendungen unvermeidlich, mit der vorhandenen Infrastruktur und den bestehenden Antriebssträngen kompatibel. Er könne mit fossilen Kraftstoffen gemischt werden. Man sollte die E-Fuels nicht so aus der Diskussion aussortieren, wie das heute stattfinde.
Autoantriebsmöglichkeiten sieht Schlögl eine Reihe von Möglichkeiten: den E-Antrieb, die Brennstoffzelle, oder E-Fuels mit einer kleinen Primärbatterie. Plug-In-Parallelhybride lehnt er ab: Da verbinde man die schlechten Eigenschaften beider Systeme miteinander und nicht die guten.
Er zitierte einen Artikel, der den CO2-Ausstoß von Pkw verglich: Am schlechtesten schneidet das batterieelektrische Fahrzeug im gegenwärtigen Strommix ab, es emittiert im Laufe seine Lebens 65 Tonnen CO2. Der Plug-In-Hybrid stößt bei aktuellem Strommix immer noch 43 t aus, kaum weniger als der Benzin-Verbrenner mit 45 t, dessen Diesel-Variante „nur“ auf 32 t kommt – unschlagbar („und auf 30 Jahre EU-konform“) seien mit Grünstrom betriebene batterieelektrische Plug-In- und Voll-Hybride.
Was muss geschehen? F+E-Prioritäten: sektorübergreifend: Effizienztechnologien
- Wir müssen als Wissenschaft ein System designen (keine Szenarien – die gibt es reichlich, die sind kein Design).
- Wir brauchen eine grundlegende robuste Basis, das gilt auch für die Materialwissenschaft; wir brauchen sehr viele Gebrauchsmaterialien.
- Energiewende nicht sektorieren, wie heute üblich – Organisation sektorübergreifend entlang von Wertschöpfungsketten in vorwettbewerblichen Plattformen mit der Wissenschaft.
- Große skalierbare Demonstratoren seien nötig.
- Elektrolyseur-Produktion müsse viel billiger als heute werden – wir bräuchten einen „Volkselektrolyseur“, wie einst einen Volkswagen.
- Wir müssten uns Gedanken machen über Entwurf und Betrieb von Stromnetzen, deren Digitalisierung.
- Quellen für nicht-elektrolytischen Wasserstoff suchen.
- Chemischer Transport und Rekuperation von Wasserstoff – ausarbeiten.
- Skalierbare Anwendungsfälle für Wasserstoff als Ersatz für Kohle und Gas.
- Um in der Mobilität den CO2-Kreislauf zu schließen, müssten wir uns mit der CO2-Filterung aus der Luft und -Veredelung beschäftigen, das mag thermodynamischer Unsinn sein, wird aber wahrscheinlich unumgänglich werden; man könne darüber diskutieren, ob es wirklich nötig sei, den Kohlenstoffkreislauf vollständig zu schließen, aber das sei „eine politisch verbotene Diskussion, deswegen will ich sie auch hier nicht führen.“
- E-Fuels weiter entwickeln: Selektive CO2-Hydrierung zu flüssigen Brennstoffen.
- Batteriesysteme und -Recycling fortschreiben.
- Umwandlung und Betrieb von Pipelines, Bau und Umwidmung auf Gaspipelines.
- EE-Geräte für Regionen mit geringer Infrastruktur zur dezentralne Nutzung produzieren.
Diese Themen müssen schnell gelöst werden und wir müssten dafür bis zum Ende des Jahrzehnts skalierbare Technologien liefern. Viele andere würden später benötigt. Ihre Forschung und Entwicklung erfordert mehr (branchenübergreifende) Anstrengungen. Disruptive Technologien, Durchbrüche, werden in vielen, vielen Sektoren benötigt, können aber nicht als „vorrangig“ geplant werden.
Kein Ausgang ohne Eingang!
- Schluss mit symbolischen Akten der Energiewende und Einstieg in die Energiewende.
- Schluss mit sektoralen Subventionen, die keinen Nutzen für die Energiewende haben.
- Erneuerbarer Strom ist eine weltweit unerschöpfliche Ressource.
- Lösung der Verteilungs- und Nutzungsprobleme durch eine Kombination aus Elektrifizierung und chemischer Energiekonversion.
- Die Wasserstoffwirtschaft ist jetzt der entscheidende nächste Schritt, der wichtiger ist als die Maximierung der lokalen erneuerbaren Erzeugung.
- Wasserstoff ist ein aufstrebender Weltmarkt: Jetzt einsteigen! Nicht nur darüber diskutieren!
- Europäische Infrastruktur und groß angelegte Anwendungsfälle sind die nächsten entscheidenden Schritte.
- Schaffung einer Mischung aus staatlicher Infrastruktur und staatlich kontrollierten Marktelementen (Interventionen). CO2-Steuer ist kein Allheilmittel. Kontrolle der Energiewende derzeit vollkommen unzureichend.
- Organisation der Steuerung des Übergangs und Zuweisung klarer Aufgaben an die Akteure.
Schlögl schloss mit einem Zitat Albert Einsteins: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“
->Quellen: