Asse II: „Beleuchtung“ der Standortauswahl abgeschlossen: Kritische Würdigung

Untersuchungsergebnisse des geplanten Zwischenlagerstandorts liegen vor

Das mit der Beleuchtung der Standortauswahl für das Zwischenlager an der Schachtanlage Asse II beauftragte Expertenteam hat am 18.10.2021 seinen Abschlussbericht vorgelegt und die Ergebnisse vorgestellt – so eine gemeinsame Pressemitteilung des BMU mit dem Niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz und der Asse-2-Begleitgruppe. In dem 101 Seiten langen Bericht beleuchtet das Expertenteam die Entscheidung für ein Asse-nahes Zwischenlager. Der Bericht ist auf den Websites des BMU, des NMU und der Asse-2-Begleitgruppe veröffentlicht worden. (Foto: Liegend gestapelte Fässer mit radioaktiven Abfällen in einer Kammer der Schachtanlage Asse II – Foto © Bundesgesellschaft für Endlagerung)

Liegend gestapelte Fässer mit radioaktiven Abfällen in einer Kammer der Schachtanlage Asse II – Foto © Bundesgesellschaft für Endlagerung

Im Februar 2021 hatten sich die Mitglieder der Asse-2-Begleitgruppe mit BMU-Staatssekretär Jochen Flasbarth, Minister Olaf Lies (Niedersächsisches Umweltministerium) sowie Stefan Studt und Thomas Lautsch (Geschäftsführer des Betreibers der Schachtanlage Asse II, der Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH) darauf verständigt, die Entscheidung für ein Asse-nahes Zwischenlager kritisch beleuchten zu lassen.

Eine Projektgruppe aus Vertretern der Asse-2-Begleitgruppe und des Bundesumweltministeriums, entwickelte daraufhin unter der Moderation des Niedersächsischen Umweltministeriums Fragestellungen, anhand derer die vom BMU und von der A2B ausgewählten Experten die Entscheidung für ein Asse-nahes Zwischenlager untersuchen sollten. Mit der Untersuchung wurden die Rechtswissenschaftlerin Prof. Sabine Schlacke, der Strahlenschutzexperte Christian Küppers, der Geologe Herbert Bühl und der Sozialwissenschaftler Peter Hocke-Bergler beauftragt.

Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth: „Ich danke den Expert*innen für ihre detaillierte Beleuchtung der Entscheidung, die zur Auswahl eines Asse-nahen Standortes für das Zwischenlager geführt haben. Mit der heutigen Veröffentlichung können sich die Bürger*innen in der Region um die Schachtanlage Asse II und alle anderen Interessierten über die Beleuchtungsergebnisse informieren. Das BMU und die BGE werden den vorgelegten Bericht nun im Einzelnen analysieren. Aus meiner Sicht lässt sich bereits festhalten, dass die vorgestellten Ergebnisse wichtige Denkanstöße geben, nicht zuletzt auch für die gemeinsame Weiterentwicklung des Begleitprozesses.“

Olaf Lies, Niedersächsischer Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz: „Ich danke dem Expertenteam für den differenzierten und umfassenden Bericht. Der Bericht hat das Verfahren nicht nur beleuchtet, sondern auch an der ein oder anderen Stelle ausgeleuchtet. Jetzt geht es darum, sich intensiv und kritisch mit den Hinweisen des Expertenteams auseinanderzusetzen. Der Bericht wirf viele Fragen auf, die es gilt, zügig zu klären. Ich habe große Hoffnung, dass der Beleuchtungsprozess dazu führt, verloren gegangenes Vertrauen wiederzugewinnen und den derzeit ruhenden Beteiligungsprozess wiederaufleben zu lassen.“

Christina Steinbrügge, Vorsitzende der Asse-2-Begleitgruppe: „Ein wesentliches Element des Rückholplans für den Atommüll aus der Schachtanlage Asse 2, die Entscheidung der BGE für ein Asse-nahes Zwischenlager, ist durch die Expert:innen nach dem ersten Eindruck sehr ausführlich und differenziert und mit großer Fachkenntnis kritisch beleuchtet worden. Ich bin erleichtert, dass wir jetzt ein Ergebnis haben und danke allen, die in den vergangenen Monaten durch konzentrierte Arbeit dazu beigetragen haben. Noch heute wird dieser Bericht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und anschließend in der Asse-2-Begleitgruppe diskutiert und ausgewertet. Selbstverständlich werden die Mandatsträger:innen im Landkreis und in den Kommunen in die Meinungsbildung einbezogen und den Bürger:innen die Möglichkeit der Beteiligung eröffnet.“

Die Schachtanlage Asse II ist ein ehemaliges Salzbergwerk im Landkreis Wolfenbüttel, in dem von 1967 bis 1978 ca. 126.000 Gebinde mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen eingelagert wurden. Die sogenannte Lex Asse (§ 57b Atomgesetz) sieht vor, dass die in der Schachtanlage Asse II eingelagerten radioaktiven Abfälle rückgeholt werden sollen. Nach ihrer Rückholung müssen die Abfälle zunächst zwischengelagert werden, bis eine Endlagerung in einem dafür vorgesehenen Endlager möglich ist, das noch nicht feststeht.

Weiterführende Informationen

In der Schachtanlage Asse II, einem ehemaligen Salzbergwerk im Landkreis Wolfenbüttel, wurden von 1967 bis 1978 circa 126.000 Gebinde mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen eingelagert, deren Rückholung in der sogenannte Lex Asse (§ 57b Atomgesetz) festgeschrieben ist. Nach ihrer Rückholung müssen die Abfälle zunächst zwischengelagert werden, bis eine Endlagerung in einem dafür vorgesehenen Endlager möglich ist, das noch nicht feststeht.

Der Betreiber der Schachtanlage Asse II, die Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH (BGE), hat im Jahr 2020 einen Asse-nahen Standort für das notwendige Zwischenlager ausgewählt, der Kritik in der Öffentlichkeit hervorgerufen hat. Im Februar 2021 haben sich Mitglieder der Asse-2-Begleitgruppe sowie Vertreterinnen und Vertreter des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU), des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz und der BGE darauf verständigt, die Standortentscheidung zu überprüfen („Beleuchtung“).

Das BMU hat vier Expertinnen und Experten mit dieser Überprüfung beauftragt, die ihre Ergebnisse im Bericht „Beleuchtung des Standortauswahlverfahrens für ein Zwischenlager im Rahmen der Rückholung der radioaktiven Abfälle aus der Schachtanlage Asse II“ zusammengefasst haben.

Teils sehr kritische Zwischenbemerkungen

Der Bericht enthält teils sehr kritische Zwischenfazits; davon ließen die Medienmitteilung nichts merken. Solarify dokumentiert einige der Stellen.

  1. Für den hier untersuchten Vorgang gilt es zunächst festzuhalten, dass früh und freiwillig, d.h. ohne rechtliche Verpflichtung, ein modellhafter Begleitprozess für den Rückholprozess der eingelagerten Abfälle an der Schachtanlage Asse II eingerichtet wurde. Durch diesen Begleitprozess wurde in der mehr als zehnjährigen Praxis faktisch in der Region gemeinsame Beratungen und Meinungsbildung vorangetrieben. Für das Beleuchtungsprojekt stellt sich Frage, ob dieser Begleitprozess den Maßstäben für Öffentlichkeitsverfahren nach der jüngsten Governance? und Partizipationsforschung entspricht und ob diese im Kontext der vorgeschlagenen Standortpriorisierung für das Asse?Zwischenlager angewendet wurden.
  2. Erprobte Routinen aus anderen Prozessen, die auf den Sonderfall der Rückholung radioaktiver Abfälle aus der Schachtanlage Asse II übertragbar wären, liegen nicht vor. Das Asse-Projekt ist somit prozessbezogen und rechtlich ein unikatartiger Einzelfall. Es fehlt im Rahmen des Begleitprozesses an einem gemeinsamen Verständnis unter den verschiedenen Akteuren (inkl. den Akt-euren des Begleitprozesses) über die zu erwartenden Arbeitsabläufe mit ihren Herausforderungen und Risiken, die bei der Rückholung und Aufbewahrung auftreten können. Auch scheint es Lücken und Defizite in den Absprachen zu geben, wie in dem Prozess des gemeinsamen Beratens und Gestaltens möglichst früh Entscheidungsalternativen (z.B. bei der Auswahl eines Zwischenlager-Standortes dieses Typs und dieses Bauvolumens) zu identifizieren und festzuhalten sind. Wie diese Handlungsalternativen anschließend gemeinsam und konstruktiv abgewogen werden können, bildet eine sich daran anschließende Herausforderung. Konzeptionelle Diskussionsstände sind für diesen Verfahrensschritt (Handlungsalternativen identifizieren, bewerten und gegeneinander abzuwägen) nur in Ansätzen erkennbar. Aus Perspektive der Governance- und Partizipationsforschung ist ein Mangel bei der Ausgestaltung des Begleitprozesses zu bemerken. Die nicht-intendierten Folgen und Entscheidungsdilemmata des Begleitprozesses besitzen also erhebliche Bedeutung – nicht nur bei der Technikfolgenabschätzung für dieses Infrastrukturvorhaben, sondern sind auch als operative und prozessuale Herausforderung in den Rückholprozess mit seinen Folgen eingeschrieben.
  3. Das Standortbewertungsverfahren hielt sich nur bedingt an die im Kriterienbericht beschriebene Methodik. Teilweise wurden andere Bewertungsmaßstäbe verwendet als im Kriterienbericht festgelegt. Teilweise wurden Standorte als «gleichermaßen geeignet» beurteilt, weil die Datenlage eine Differenzierung der Bewertung nicht erlaubte oder keine Daten für einen Vergleich verfügbar waren. Teilweise erscheinen die Bewertungsergebnisse nicht plausibel.
  4. Durch die Neustrukturierung des Begleitprozesses konnten bestehende Konflikte zwischen den im Prozess beteiligten Akteuren nicht gelöst werden. Zum einen sah sich ein Teil der zivilgesellschaftlichen Organisationen nicht ausreichend im Prozess eingebunden, zum anderen scheinen Spiel? und Kommunikationsregeln nicht ausreichend ausgehandelt worden zu sein. Die Beratung des Rückholplans erfolgte aufgrund der Covid?19?Pandemie unter erschwerten Bedingungen. Im Fokus der Diskussion stand die Zwischenlagerung. Dabei steht bis heute die umstrittene Frage im Vordergrund, ob es zu einem erweiterten substantiellen Einbezug Asse?ferner Standorte in die Standortwahl kommen soll oder nicht. Die AGO vertritt im Begleitprozess entsprechend die Position, dass das Ergebnis der Standortauswahl noch nicht ausreicht, um eine finale Standortentscheidung für das Zwischenlager zu treffen. Der Betreiber beurteilt die Lage so, dass die Asse?ferne Variante stichhaltig geprüft worden sei. AGO und A2B fordern, dass besondere Transparenz bei der Klärung dieser Streitfrage notwendig sei. Das digitale Format der Beratung über den Rückholplan ist für die Transparenz und vor allem auch die Kohärenz als nachteilig einzustufen.
  5. Die als „Festlegung von Randbedingungen“ getroffene Vorauswahl, dass der Zwischenlagerstandort in unmittelbarer Nähe zum heutigen Betriebsgelände der Schachtanlage Asse II situiert sein soll, kann als Verfahren, einen Makrostandort für das Zwischenlager zu finden, aufgefasst werden. Die Standortvorauswahl (Asse?nah) wird im Bericht der BGE zur Standortauswahl mit strahlenschutzbezogenen Aspekten des Transportes und mit logistischen Überlegungen begründet. Das Vermeidungs? und Minimierungsgebot von § 8 StrlSchG würde von der Schachtanlage Asse II entfernt liegende Standorte von Vornherein ausschließen. Die Vorauswahl erfolgte nicht in einem multikriteriellen Verfahren, in welchem mehrere Standorte hinsichtlich der Erfüllung strahlenschutzbezogener und anderer Ausschlusskriterien, miteinander verglichen und bewertet wurden. Die Frage, inwiefern es auch Ausschlussgründe für die Errichtung eines Zwischen?lagers in Asse?Nähe geben kann, wurde im Rahmen des Vorentscheides für einen Asse?nahen Standort nicht geprüft. Insofern bestehen Zweifel an der Sachgerechtigkeit der Methodik der Standortvorauswahl.
  6. Es wurde kein Suchverfahren nach einem Makrostandort durchgeführt. Die im Auswahlverfahren für einen Mikrostandort verwendeten Kriterien waren nicht auf die Suche eines Mikrostandortes abgestimmt. Dem für den Standortvergleich verwendete Ziel? Indikatorensystem mangelt es an Kohärenz. Für die Zusammenfassung der Bewertung mehrerer Bewertungsgrößen in einer Bewertungsaussage je Kriterium legt der Kriterienbericht die angewandten Aggregierungs?regeln nicht offen. Die zusammengefassten Bewertungen sind daher nicht nachvollziehbar. Die Methodik des kriterienbezogenen Paarvergleichs zwischen jeweils zwei Standorten wird als zweckmäßig erachtet.

->Quellen: