Überraschend einfaches Verfahren ermöglicht Synthese des ökonomisch wichtigen Ammoniaks unter milden Bedingungen
Ein Durchbruch im Kampf gegen den Hunger, drei Nobelpreise, 150 Millionen Tonnen Jahresproduktion – und immer noch ein kniffliges Thema für die Forschung: Mit dem Haber-Bosch-Verfahren wandelt die chemische Industrie seit gut 100 Jahren Luftstickstoff und Wasserstoff in Ammoniak um, einen Bestandteil von Mineraldüngern und von vielen anderen chemischen Produkten. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung haben einer Medienmitteilung vom 21.10.2021 folgend einen überraschend einfachen Weg gefunden, die Substanz bei Raumtemperatur und sogar bei Atmosphärendruck zu erzeugen, und damit bei deutlich milderen Bedingungen, als sie für das Haber-Bosch-Verfahren nötig sind. Sie leiten die Reaktionspartner durch eine Mühle, die den Katalysator, den chemischen Vermittler zwischen dem ausgesprochen trägen Stickstoff und Wasserstoff, mahlt. Heraus kommt bei ihrem mechanokatalytischen Prozess ein dünner, aber kontinuierlicher Strom von Ammoniak.
500 Grad Celsius und 200 Bar – das sind die zupackenden Mittel, mit denen die Chemieindustrie Stickstoff dazu bringt, sich mit Wasserstoff zu vereinigen. Besser als nichts, denn erst so macht sie den Nährstoff für Pflanzen nutzbar. Das Verfahren ist – bei allen Einwänden, die man heute gegen Mineraldünger vorbringen kann – ein wesentlicher Beitrag, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Kein Wunder also, dass seine Entwickler Fritz Haber und Carl Bosch sowie der Max-Planck-Forscher Gerhard Ertl, der aufklärte, was dabei genau geschieht, den Chemie-Nobelpreis erhielten. Trotzdem lässt die Ammoniaksynthese Chemiker nicht los. „Das ist seit 100 Jahren eine Traumreaktion“, sagt Ferdi Schüth, Direktor am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung. Das drückt gleichermaßen aus, wie wichtig die Umwandlung ökonomisch ist und wie schwierig sie sich bewerkstelligen lässt. Die wirtschaftliche Bedeutung von Ammoniak könnte sogar noch steigen, gilt er doch als ein möglicher Speicher von Wasserstoff, der mit erneuerbarer Energie erzeugt wurde.
Auch deshalb kämen Chemiker gerne weg von den harschen Reaktionsbedingungen, denn die treiben den Energieaufwand in die Höhe. Und sie haben schon viel versucht, auf der Suche nach einer alternativen Herstellungsmethode: Andere Katalysatoren, Licht als Energiequelle, Elektrolyse – und sogar die Mechanokatalyse, wie Prozesse heißen, die in einer Kugelmühle stattfinden. Doch so erhielten sie nur verschwindend geringe Spuren von Ammoniak, wenn überhaupt.
Höhere Ausbeute als bei anderen Alternativen zum Haber-Bosch-Verfahren
Mit großen Mengen rechnete auch Steffen Reichle nicht, als er seine Experimente in der Mühle, die Feststoffe mit Stahlkugeln durchwalkt, plante. „Am Anfang habe ich mir vor allem Gedanken darüber gemacht, wie ich sehr kleine Mengen Ammoniak nachweisen kann“, sagt der Chemiker, der am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung promoviert. Bei Atmosphärendruck bildete sich das Gas in seinen Versuchen zwar nur mit einem Volumenanteil von rund 0,1 Prozent. Bei 20 Bar entstand es jedoch mit 0,26 Volumenprozent, und unter etwas optimierten Bedingungen zu 0,4 Prozent. Das ist genug, um das Produkt mit herkömmlichen Messmethoden nachzuweisen und allemal mehr als die bisherigen Ansätze, eine alternative Route zum Haber-Bosch-Verfahren zu finden, hervorbrachten. „Und mit technischen Optimierungen können wie die Ausbeute wahrscheinlich noch steigern“, sagt Reichle. Zudem konzipierte er den Prozess so, dass sich die Ausgangsstoffe kontinuierlich durch die Kugelmühle leiten lassen und der Ammoniak auch stetig aus dem Reaktionsgefäß strömt. Solche Prozesse bevorzugt die Chemieindustrie, weil sie einfacher zu handhaben sind als Verfahren, bei denen sie die Reaktionspartner portionsweise in einem geschlossenen Gefäß zusammenbringen und die Reaktion immer wieder unterbrechen muss, um das Produkt zu isolieren.
Caesium als chemischer Feenstaub
Zu der relativ hohen Ausbeute gelangten die Mülheimer Chemiker bei der Ammoniaksynthese in der Kugelmühle, indem sie zunächst nach dem optimalen Katalysator suchten. Konkret wollten sie Eisen, das wesentlicher Bestandteil des herkömmlichen Haber-Bosch-Katalysators ist, mit einem Zusatz aufzupeppen. Diese Art chemischen Feenstaub fanden sie schließlich im Alkalimetall Caesium, das sie dem Eisenpulver beimischten. Im Zusammenspiel mit den mechanischen Kräften der mahlenden Kugeln aktivierte der Zusatz den Katalysator so stark, dass sich der träge Stickstoff schon unter relativ milden Bedingungen mit dem Wasserstoff vereinigte.
Für den stimulierenden Effekt des Caesiums haben die Mülheimer Forscher schon ein paar mögliche Erklärungen. Warum der simple Mahlprozess die Reaktion dagegen ankurbelt, ist ihnen bislang ein Rätsel. Das möchten sie nun lösen. „Wenn wir besser verstehen, was bei dem Prozess genau passiert, finden wir vielleicht auch eine Möglichkeit, die Ammoniakausbeute weiter zu erhöhen“, sagt Ferdi Schüth. Dann könnte die Kugelmühle vielleicht auch für die chemische Industrie zum Mittel der Wahl bei der Ammoniaksynthese werden.