Aurora Energy Research: Stockender Ausbau der Erneuerbaren Energien lässt CO2-Preis und Stromkosten weiter steigen und gefährdet Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie
Der schleppende Ausbau der Erneuerbaren Energien gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Industrie: Geht der Zubau von Wind und Solar so langsam weiter wie bisher, wird der CO2-Preis im Jahr 2030 um 80 Prozent höher liegen, als wenn der Ausbau an die Ziele angepasst wird, die sich die EU mit dem Fit-for-55-Paket gesetzt hat. Das wirkt sich auch auf die Großhandelsstrompreise aus: In Deutschland wären sie bei weiter stockendem Ausbau 2030 um 31 Prozent höher, bei angepasstem Ausbau dagegen um rund 14 Prozent niedriger als der Durchschnittswert des ersten Halbjahrs 2021 (vor der aktuellen Preisspitze). Das ist das Ergebnis einer Untersuchung, für die Aurora Energy Research die Entwicklung der CO2– und Großhandelsstrompreise bis 2030 modelliert hat.
Die ambitionierteren Klimaziele, die die EU in ihrem Fit-for 55-Paket festschreibt, sollen zum großen Teil im Strom- und Industriesektor über den europaweiten Emissionsrechtehandel ETS erreicht werden: „Indem die Zahl der CO2-Zertifikate zurückgefahren wird, ergibt sich die angepeilte Emissionsreduktion automatisch“, sagt Casimir Lorenz, der die Studie beim Energiemarktanalysten Aurora Energy Research geleitet hat. „Allerdings ist das noch keine Garantie dafür, dass der Strommarkt sich so entwickelt, dass auch die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie langfristig erhalten bleibt. Denn je nachdem, wie sich der Energiemix entwickelt, können sowohl der CO2-Preis als auch die Großhandelsstrompreise sehr unterschiedlich ausfallen – und diese beiden sind für die Unternehmen entscheidend.“
Gaskraftwerke als Übergangslösung erhöhen CO2– und Strompreise
Für die Analyse im Auftrag der European Climate Foundation haben die Aurora-Experten ein neuartiges Modell entwickelt, das die Entwicklung in den Sektoren Strom und Industrie auf Grundlage sinkender Emissionsbudgets und weiterer Maßnahmen wie der Förderung von Erneuerbaren Energien oder Carbon-Contracts-for-Difference simuliert. Die Studie betrachtet zwei Szenarien:
- Das erste, pessimistische, legt zugrunde, dass die europäischen Länder es nicht schaffen, die bestehenden Hürden für den Erneuerbaren-Ausbau zu beseitigen, das heißt, es werden weiterhin zu wenig Flächen für Solar und Windkraft ausgewiesen, die Abstandsregeln bleiben rigide und die Genehmigungsverfahren dauern weiterhin sehr lange. „In diesem Szenario brauchen wir in den kommenden Jahren umso mehr Strom aus Gaskraftwerken, um den wachsenden Bedarf bei gleichzeitigem Kohleausstieg zu decken“, sagt Linus Beer, Senior Analyst bei Aurora Energy Research „Dann sind insgesamt mehr fossile Energien im Stromerzeugungssystem und der CO2-Preis steigt bis 2030 um rund 80 Prozent – mit entsprechenden Folgen für die Großhandelsstrompreise.“
Die erhöhten Preise würden die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Industrie erheblich belasten. Dazu kommt ein weiterer Faktor: „Mehr Strom aus Gaskraftwerken bedeutet auch mehr Gasimporte und damit eine noch größere geopolitische Abhängigkeit der EU von den Lieferländern“, sagt Lorenz. „Wie sich das auswirken kann, erleben wir gerade mit dem massiv gestiegenen Gaspreis, der auch die Strompreise in die Höhe treibt und so unsere gesamte Wirtschaft belastet.“ - Deutschland profitiert besonders von einem schnellen Erneuerbaren-Ausbau – Im zweiten Szenario nehmen die Studienautoren an, dass die Staaten ihre Ausbauziele für die Erneuerbaren an die Fit-for-55-Ziele anpassen und die bestehenden Hürden beseitigen. Dann sind deutlich weniger Gaskraftwerke erforderlich und es sind weniger fossile Energien im System. Dadurch würde sich der europaweite CO2-Preis auf heutigem Niveau stabilisieren und im Gefolge die Strompreise ebenfalls stagnieren, in manchen Ländern sogar sinken: „Vor allem Deutschland würde davon profitieren“, sagt Beer. „Nach unseren Berechnungen sinken in diesem Szenario die deutschen Großhandelsstrompreise bis 2030 um 14 Prozent gegenüber heute. Im pessimistischen Szenario wären sie dagegen 31 Prozent höher als heute oder eineinhalbmal so hoch wie im optimistischen Szenario.“
In beiden Szenarien spielt der Anteil der Kohlekraftwerke an der Stromerzeugung eine entscheidende Rolle: „Ein möglichst schneller Ausstieg aus der Kohle muss sichergestellt werden, damit die CO2– und Großhandelsstrompreise nicht unnötig ansteigen“, sagt Studienleiter Lorenz. Wie extrem sich ein zu langsamer Kohleausstieg auswirkt, zeigt eine Modellierung auf Basis des aktuell diskutierten Ausstiegsszenarios der polnischen Regierung: Der so genannte PEP2040-Plan erhöht den CO2-Preis im pessimistischen Szenario um weitere 20 Prozent auf dann mehr als doppelte so hohe Werte wie Mitte 2021. Das hätte erhebliche Folgen für die Strompreise auch in den anderen EU-Ländern.
EU-Ziele werden größtenteils eingehalten, deutsche Klimaziele 2030 verfehlt
Im Übrigen werden in beiden Szenarien zwar die EU-Ziele größtenteils eingehalten, aber die deutschen Klimaziele 2030 verfehlt. Somit müsste der Erneuerbaren-Ausbau für die Einhaltung der deutschen Zielvorgaben noch ehrgeiziger ausfallen.
Mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit ist das Fazit der Studie also eindeutig: Ein weiterhin schleppender Ausbau von Wind und Solar, im schlimmsten Fall kombiniert mit einem langsamen Kohleausstieg, birgt ein erhebliches Risiko für steigende Energiekosten und ist eine Gefahr für den Industriestandort Deutschland und Europa. „Die EU-Länder könnten den Fit-for-55-Plan zum Anlass nehmen, den Umstieg von Kohle zu Erneuerbaren so zu gestalten, dass dafür möglichst wenig Gaskraftwerke als Übergangslösung notwendig wären“, sagt Lorenz. „Dafür gilt es, das Tempo beim Ausbau von Windkraft und Photovoltaik erheblich zu erhöhen, also in erster Linie die bestehenden Hürden zu beseitigen. Speziell in Deutschland braucht es zudem eine Erhöhung der Ausbauziele für 2030, um sowohl mit den EU-Zielen im Einklang zu sein als auch die Vorgaben zu erfüllen, die das Verfassungsgericht in seinem Urteil zum Klimaschutzgesetz gemacht hat.“
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