Gießkannenschimmel verdaut Plastik

Pilze essen Kunststoff auf

Zunehmend widmen sich Forscher verschiedensten Pilzen, um Plastikmüll zu beseitigen oder nachhaltige Baustoffe zu entwickeln, schreibt Jana Sepehr im Magazin fluter der Bundeszentrale für politische Bildung. 2011 entdeckten Wissenschaft­ler der Universität Yale eine Pilzart, die Kunststoff zer­setzt: Pestalotiopsis microspora ernährt sich mithilfe eines  Enzyms von Plastik – im Dunkeln und unter sauerstoffarmen Be­dingungen. Und 2017 wurde auf einer Müllhalde in Pakistan entdeckt, dass noch ein weiterer Pilz (Aspergillus tubingensis  – „Tübinger Gießkannenschimmel„) in einigen Wochen Polyurethan zersetzen kann – ohne Pilze dauert es mehrere Jahre bis Jahrzehnte.

Pestalotiopsis microspora (Speg.) G.C._Zhao_&_N._Li_(517923) – Foto © MSchink – Mushroom Observer , commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0

Statt Plastik

Als größter lebender Organismus der Welt gilt ein Pilz im US-Bundesstaat Oregon. Über der Erde wirkt er allerdings wenig gigantisch. Dort sieht man von diesem Honigpilz aus der Gattung Hal­limasch nur die typischen Fruchtkörper mit Stiel und Hut. Aber unter der Erde bilden fadenförmige Zellen, sogenann­te Myzelien, eine rund neun Quadratkilometer große Struktur. Wenn etwas so groß wird, kann man es dann nicht als nach­ wachsenden Rohstoff nutzen?

Tatsächlich lassen sich aus Myzelien beson­ders gut Verpackungsma­terialien herstellen – und damit Alternativen zu Plastik und Co. Ein New Yorker Unternehmen machte schon 2007 vor, wie das gehen kann – und aus dem Geflecht der Pilze eine Art Styropor. Um zu wachsen, brauchen Myzelien lediglich Wasser, Zucker und einen konstanten Vorrat an Kohlenstoff. Zunächst entsteht dann ein feuchter Leim. Ist der getrocknet und erhitzt, erhält man ein stabiles, belastbares Ma­terial. Und das Beste daran: Nach der Verwendung ist das Pilz-Styropor voll­ständig kompostierbar. Aus Pilzgeflech­ten lassen sich nicht nur Verpackungs­materialien herstellen: Forscher und Designer haben daraus auch schon Lampenschirme, Teppiche und Nacht­tische entwickelt – und sogar Bauziegel.

Derzeit können 91 % der von uns verwendeten Kunststoffe nicht recycelt werden – und jede Minute wird eine LKW-Ladung davon ins Meer gekippt, wodurch Meereslebewesen ersticken und Schadstoffe an den Küsten verbreitet werden. Aber Wissenschaftler sagen, dass diese Pilze bis zur Hälfte des Plastikmülls, der in den Ozean gekippt wird, fressen könnten – und sie brauchen Ihre Hilfe, um ihre bahnbrechende Forschung zu beenden. Der Wissenschaftler Ken Cullings geht dieses Jahr bei der NASA in den Ruhestand, um sich dem gemeinnützigen Ocean Blue Project anzuschließen, das sich mit der Isolierung und Vermehrung von Plastikfressern zur industriellen Nutzung befasst.

Ein ganzes Haus

Einst wollte Vera Meyer Astrophysik studieren, dann wurde es aber doch Biotechnologie. Ihr Fachgebiet: Pilze. Anfangs war sie den Pilzen eher auf der Spur, weil sie neue Medikamente finden wollte, die gegen durch Pilze verursach­te Krankheiten helfen. Mittlerweile macht sich Meyer die Pilze zunutze: Am Fachgebiet Angewandte und Molekulare Mikrobiologie im Institut für Biotechnologie der Technischen Universität Berlin entwickelt sie Werkstoffe auf der Basis von Pilzen, die eines Tages etwa Beton ersetzen könnten.

Dabei helfen könnte der Zunder­schwamm – ein Baumpilz, der laut Meyer die besten Voraussetzungen mit­bringt: robust und trotzdem leicht. Der­zeit steht in Frankfurt am Main ein temporäres Pilzgebäude namens MY-CO SPACE – eine bewohnbare Skulptur, die bestaunt werden kann. Wissenschaft­ler, Künstler und Architekten haben zusammengearbeitet, um das Haus aus Holz, Stroh und Pilzen zu kreieren. Se­rientauglich und langfristig ist MY-CO SPACE allerdings noch nicht. Wenn es nach Vera Meyer geht, könnte die Vision vom bewohnbaren Pilzhaus allerdings bis 2030 Wirklichkeit werden.

Plastikfresser

Im Jahr 2011 entdeckten Wissenschaft­ler der Universität Yale, dass eine Pilzart die Fähigkeit besitzt, Kunststoff zu zer­setzen – eine Sensation. Denn anders gesagt bedeutet das: Dieser Pilz namens Pestalotiopsis microspora kann sich von Plastik ernähren – und das sogar im Dunkeln und unter sauerstoffarmen Be­dingungen. Das macht er mithilfe eines bestimmten Enzyms. 2017 wurde auf einer Müllhalde in Pakistan entdeckt, dass auch ein weiterer Pilz mit dem Na­men Aspergillus tubingensis den Kunst­stoff Polyurethan in einigen Wochen zersetzen kann – ohne Pilze dauert es mehrere Jahre bis Jahrzehnte.

Dietmar Schlosser, Leiter der Arbeitsgruppe Umweltmykologie im Department Umweltmikrobiologie am Helmholtz­-Zentrum für Umweltforschung hofft, dass dies keine einmalige Sensation war, son­dern auch andere Pilze ähnliche Fähig­keiten besitzen: „Ich bin sicher: Die Potenziale sind sehr viel größer, als wir bisher wissen.“ Denn Pilze bilden viele Enzyme – und etliche davon seien sehr robust und so zusammengesetzt, dass sie außerhalb von Organismen klarkommen.

Derzeit erforschen Schlosser und sein Team unter anderem, welche Pilze sich auf begrünten Dächern befinden. Denn auch dort landen durch Regen, Aerosole oder Staubpartikel jede Menge Schadstoffe – und diese könnten ein ge­fundenes Fressen für Pilze sein.

Bisher, so sagen Experten, seien nur ungefähr zehn Prozent aller Pilze der Welt bekannt. Der weitaus größere Teil ist weder bekannt noch untersucht. „Über­ trägt man solche Verhältnisse auf potenzielle Fähigkeiten zum Schadstoffabbau“, so Schlosser, „kann man sich ausmalen, wie wenig wir bisher wissen.“

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.

->Quellen: