„Der Klimawandel bedroht die Freiheit vieler Menschen – deshalb sind Eingriffe in die Freiheitsrechte anderer gerechtfertigt“
Politische Grundwerte sind extrem wichtig für die Kommunikation rund um den Klimawandel, das zeigen sozialwissenschaftliche Studien immer wieder. Denn die Wahrnehmung eines Problems wie auch möglicher Lösungen hängt stark von individuellen Grundhaltungen und dem Wertekanon jedes Einzelnen ab. Die Redaktion von Klimafakten.de hat Politiker verschiedener Parteien gebeten, ihr Wertegerüst zu erklären.
Teil 1 der neuen Serie: Lukas Köhler (FDP)
„Die Freiheit des Einzelnen ist Grund und Grenze liberaler Politik.“ Dieser erste Satz aus dem Grundsatzprogramm der Freien Demokraten ist auch in der Klimapolitik die wichtigste Leitlinie für Liberale. Daraus ergibt sich zunächst ganz grundsätzlich die Frage, ob staatliche Eingriffe jedweder Art zum Schutz des Klimas überhaupt gerechtfertigt sind. Die Antwort darauf hängt einzig und allein davon ab, ob die menschliche Freiheit durch den Klimawandel beeinträchtigt wird.
Wenn wir die bereits heute weltweit sichtbaren Folgen des Klimawandels betrachten, ist die Frage schnell beantwortet. Noch deutlicher wird es aber, wenn wir uns die potenziellen Folgen in der Zukunft anschauen. Wer einen Schaden verursacht ist dafür verantwortlich, ihn zumindest so gering wie möglich zu halten. Und wenn Menschen auf Grund von immer häufiger auftretenden Naturkatastrophen ihre wirtschaftliche Existenz, ja teilweise ihre natürliche Lebensgrundlage verlieren, kann von Freiheit keine Rede sein. Wer seine Heimat verlassen muss und vor den Folgen von Unwettern oder auch des steigenden Meeresspiegels fliehen muss, lebt nicht mehr selbstbestimmt. Diese Menschen und ihre gefährdete Freiheit sind daher die Grundlage für einen ordnungspolitischen Rahmen, also für staatliche Eingriffe zum Schutz des Klimas.
„Selbst wenn die Folgen des Klimawandels keine absoluten Gewissheiten sind – angesichts des Potenzials dramatischer Auswirkungen wäre es unverantwortlich, nicht zu handeln“
Dass es sich bei den Betroffenen in erster Linie um Menschen in den Ländern des globalen Südens handelt, spielt keine Rolle. Denn Freiheit und die mit ihr untrennbar verbundenen Menschenrechte sind universell gültig und nicht an geographische, ethnische oder sonstige ein- und ausgrenzende Kriterien gebunden. Allerdings muss man den Blick nicht mal in die weite Welt richten, um die Bedeutung des Klimaschutzes zu begreifen. Denn auch, wenn die gravierendsten Folgen bislang in anderen Teilen der Welt zutage treten, werden die Extremwetterereignisse in Zukunft auch bei uns zunehmen.
Und selbst wenn sich die Auswirkungen für meine Generation noch in Grenzen halten sollten, kann es unseren Kindern und Enkeln schon völlig anders gehen. Und auch deren Freiheit ist ein Grund für liberale Politik. Generationengerechtigkeit darf daher nicht nur ein Thema sein, wenn es um Renten und Finanzen geht. Generationengerechtigkeit betrifft die Lebenschancen insgesamt – und wenn wir nachfolgenden Generationen eine zerstörte Umwelt hinterlassen, rauben wir ihnen diese Chancen. Und niemand kann hinterher sagen, wir hätten von nichts gewusst. Denn selbst wenn die Folgen des Klimawandels keine absoluten Gewissheiten sind – die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs zwischen der Erderwärmung und den zunehmenden Dürren, Starkregenereignissen, heftigen Stürmen oder Überschwemmungen ist nach Ansicht des weit überwiegenden Teils der Wissenschaft so groß, dass es angesichts des Potenzial dramatischer Auswirkungen unverantwortlich wäre, nicht zu handeln.
Die Freiheit des Einzelnen ist aber nicht nur Grund, sondern auch Grenze liberaler Politik. Das bedeutet nicht, dass keine Gesetze erlassen werden dürfen, die in die persönliche Freiheit eingreifen. Das ist schlechterdings unmöglich. Worum es hier geht ist vielmehr, dass jeder Eingriff einen tatsächlichen Nutzen in Bezug auf das anvisierte Ziel, in diesem Falle: das Klima zu schützen, haben muss. Wenn etwa unter dem Deckmantel des Klimaschutzes ein ideologisch motivierter Feldzug gegen bestimmte Industrien und Unternehmen geführt werden soll, ist die Grenze für Liberale überschritten. Gleiches gilt, wenn das Handeln der Wirtschaft und der sie tragenden Menschen bis ins letzte Detail reguliert wird, ohne dass die tatsächliche Auswirkung jeder einzelnen Vorschrift auf das Klima noch eine Rolle spielt.
„Doch wenn etwa unter dem Deckmantel des Klimaschutzes ein Feldzug gegen bestimmte Industrien geführt werden soll, ist die Grenze für Liberale überschritten“
Liberale Klimapolitik ist daher strikt am Ziel orientiert, anstatt auch noch die konkreten Wege dorthin vorzugeben. Deshalb setzen wir als wichtigstes Instrument, um CO2-Einsparungen zu erreichen, auf den Emissionshandel. Denn dieser gibt ein klares Ziel vor, das auf Grund der festgelegten Menge an Zertifikaten auch sicher erreicht wird. Wer konkret CO2 einspart, kann der Politik egal sein. Durch den Handel mit den begrenzt verfügbaren Zertifikaten werden es sinnvollerweise die Unternehmen sein, die das zu den niedrigsten Kosten bewerkstelligen können. Ein auf alle Sektoren ausgeweiteter EU-Emissionshandel, ja bestenfalls sogar ein globales System, könnte exakt auf das Erreichen der Pariser Klimaziele ausgerichtet werden. Alle weiteren Regulierungen wären damit obsolet. Eine solche Klimapolitik würde die Ziele effektiv und ökonomisch effizient erreichen und würde damit den größtmöglichen Nutzen für die Freiheit der potenziell vom Klimawandel Betroffenen bei den geringstmöglichen Eingriffen in die Freiheit der durch die Regulierung Betroffenen bedeuten. In einem ersten Schritt kann die Ausweitung des Emissionshandel auf Sektoren wie den Verkehr oder Wärme auf Basis der EU-Emissionshandelsrichtlinie übrigens auch auf nationaler Ebene erfolgen. Wir sollten daher nicht warten, bis sich alle in Europa einig sind, sondern eine solche Einigung beschleunigen in dem wir zeigen, dass es funktioniert.
Klare Zielvorgaben für die CO2-Reduktion sind jedoch nur ein Aspekt liberaler Klimapolitik. Darüber hinaus wollen wir im Sinne der Technologieoffenheit auch die Diskussion über die Nutzung und Speicherung von CO2 (CCU: Carbon Capture and Utilization; CCS: Carbon Capture and Storage) führen. Auch hier gilt, dass eine einseitige Betrachtungsweise fehl am Platze ist. Die entsprechenden Technologien pauschal abzulehnen bedeutet, Klimaschutz keine allzu große Priorität einzuräumen. Gleichzeitig müssen Akzeptanzfragen in der Bevölkerung offen angesprochen und geklärt werden. Denn die Sorgen der Menschen hinsichtlich der Auswirkungen neuartiger Technologien einfach beiseite zu wischen, wäre mit den liberalen Grundsätzen ebenfalls nicht vereinbar. Würde insbesondere CCS allerdings lediglich genutzt, um auf absehbare Zeit quasi unvermeidbares CO2 nicht in die Atmosphäre gelangen zu lassen, wäre die Bereitschaft in der Bevölkerung dafür sicherlich bedeutend größer, als wenn die Technologie zu einer Verringerung der Einsparbemühungen führen würde.
„Für Liberale ist Klimapolitik auch ein wichtiger Teil der Entwicklungszusammenarbeit – sie kann vielerorts die Basis für eine erfolgreiche und gleichzeitig klimafreundliche Wirtschaft legen“
Ein weiterer wichtiger Baustein einer gleichzeitig effektiven und effizienten Klimapolitik, die der Freiheit nicht nur der unmittelbar vom Klimawandel Betroffenen dient, sind internationale Maßnahmen. In vielen Teilen der Welt kann mit sehr viel weniger Geld deutlich mehr CO2 eingespart werden, als in Deutschland und Europa. Auch das darf keinesfalls unsere Bemühungen abschwächen, weniger CO2 auszustoßen. Bevor jedoch unverhältnismäßig viel Geld für einen relativ geringen Ertrag ausgegeben wird, bevor Arbeitsplätze gefährdet und vernichtet werden, muss über Alternativen nachgedacht werden. Denn auch hier sind die menschlichen Schicksale und der Verlust an Freiheit zu beachten, der mit der Arbeitslosigkeit einhergeht. Für Liberale ist Klimapolitik daher auch ein wichtiger Teil der Entwicklungszusammenarbeit. Mit Investitionen und Technologietransfer kann vielerorts die Basis für eine erfolgreiche und gleichzeitig klimafreundliche Wirtschaft gelegt werden. Diese Möglichkeiten, die auch für viele Menschen in den entsprechenden Regionen eine wichtige Zukunftsperspektive bieten können, dürfen nicht ungenutzt bleiben.
Aber auch, wenn wir Liberale grundsätzlich Optimisten sind, die an den Fortschritt und an die Fähigkeit der Menschen glauben, Lösungen für Probleme zu finden, muss uns klar sein: Ob wir den Klimawandel zumindest deutlich verlangsamen, im besten Falle sogar stoppen können, kann niemand seriös vorhersagen. Und das hängt auch nicht alleine von den Maßnahmen ab, die wir selbst unmittelbar beeinflussen können. Wenn es uns also Ernst ist mit der Freiheit der Menschen, die heute, morgen oder übermorgen von den Folgen des Klimawandels betroffen sind, dürfen wir uns nicht alleine auf die Verhinderung des Worst Case beschränken. Wir müssen damit rechnen, dass er eintritt – und so gut es geht Maßnahmen zur Anpassung treffen – etwa in Form von Deichen und Dämmen oder von hochwassergeschützten Häusern. Auch damit dürfen wir die Menschen in den ärmeren Regionen der Welt nicht alleine lassen, schließlich haben die großen Industrienationen ihren Aufstieg auch der Tatsache zu verdanken, dass Treibhausgase lange Zeit in großem Stile in die Luft geblasen wurden. Schuldfragen zu führen ist natürlich keineswegs zielführend. Verantwortung zu übernehmen hingegen schon. Wir als Liberale sind bereit dazu. Denn Freiheit und Verantwortung sind für uns untrennbar miteinander verbunden.
Lukas Köhler, 32, hat in München, Manila und London Philosophie studiert und in dem Fach promoviert, von 2015 bis 2017 war er Geschäftsführer des von ihm mitgegründeten Zentrums für Umweltethik und Umweltbildung an der Münchner Hochschule für Philosophie. Seit 2011 ist er Mitglied der FDP, war drei Jahre Vorsitzender der Jungen Liberalen in Bayern und sitzt seit 2017 im Bundestag. Köhler ist Sprecher der FDP-Fraktion für Klimapolitik.
Als nächster Teil der Serie erscheint kommende Woche ein Text
von Lisa Badum (Bündnis 90/Die Grünen).