Mobilitätswende dank Wissing?

Wird Deutschlands neuer Verkehrsminister die Kritiker überraschen?

Diese Frage stellte der Berliner Branchendienst Clean Energy Wire (CLEW) am 03.12.2021. Und Volker Wissing nährt – nach einem etwas holprigen Start – inzwischen die in der Titelfrage enthaltene Hoffnung: Im ZDF-Morgenmagazin sagte der neue Verkehrsminister am 14.12.2021, um Klimaneutralität zu erreichen, müsse der Verkehrssektor „einen Riesenbeitrag“ leisten (bis 2030 15 Millionen E-Autos und 1 Mio. Ladesäulen). „Es ist völlig klar, dass wir mit fossilen Verbrennungsmotoren unsere Klimaziele nicht erreichen können, und deswegen brauchen wir alternative, klimaneutrale Mobilität“. Und er verlangte mehr Tempo beim Ausbau der E-Ladeinfrastruktur, flächendeckend müsse ein Angebot an Schnellladesäulen geschaffen werden.

25000 bei Fridays4Future-Demo 2019 auf dem Berliner Invalidenpark, im Hintergrund einer der Haupt-‚Sündenknaben‘, das BMVI – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

CLEW-Reporter Sören Amelang hatte geschrieben, viele Umweltschützer hätten scharfe Emissionssenkungen im Verkehrsbereich unter der nächsten Bundesregierung bereits abgeschrieben, nachdem die Koalition sich auf einen mobilitätsschwachen Vertrag geeinigt und den wirtschaftsfreundlichen Freien Demokraten die Führung des Ministeriums übertragen habe. Doch Wissing habe gesagt, dass „enorme Veränderungen“ notwendig seien – und der vage Koalitionsvertrag könnte dem undogmatischen Juristen mit Erfahrung in diesem Sektor die Flexibilität geben, diese umzusetzen. Und Mobilitätsexperten wollen, dass Wissing eine faire Chance bekomme, den Umstieg auf sauberen Verkehr zu beschleunigen, eine Aufgabe, an der die gesamte Regierung beteiligt sein wird.

Schon vor ihrem Amtsantritt hat die künftige Bundesregierung neue Fragezeichen hinter den schleppenden Übergang zu einer sauberen Mobilität in Deutschland gesetzt. Angesichts der sehr unterschiedlichen Ansätze zur Emissionsreduzierung in diesem Sektor haben SPD, Grüne und FDP einen Koalitionsvertrag vorgelegt, der weithin für das Fehlen einer kohärenten Strategie für den Verkehrssektor kritisiert wurde. Noch überraschender war, dass sich die Koalition darauf einigte, das Verkehrsministerium an die FDP statt an die Grünen zu vergeben, von denen man allgemein erwartet hatte, dass sie das Ressort leiten würden.

Viele Umweltschützer sind schockiert. Sie sagen, dass trotz der Regierungsbeteiligung der Grünen die Zeichen für Emissionssenkungen im Verkehrssektor nun so schlecht stehen, dass die neue Regierung eine echte Mobilitätswende anscheinend noch einmal verschoben hat. „Deutschland bleibt das Land der Raser, der immer größeren SUV-City-Panzer und der staatlich geförderten Klimakiller-Dienstwagen“, so die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Mobilitätsexperten warnen jedoch davor, den neuen Verkehrsminister Volker Wissing, den Generalsekretär der FDP, angesichts seiner Erfahrungen als Verkehrsminister auf Landesebene abzuschreiben.

Sorgenkind

Der Verkehr wird oft als „Sorgenkind“ der Energiewende in Deutschland bezeichnet. Die Emissionen sind seit Jahrzehnten weitgehend stabil geblieben, da die Vorteile effizienterer Automotoren durch schwerere Fahrzeuge aufgezehrt wurden. Doch die ehrgeizigen CO2-Senkungspläne des Landes erfordern eine rasche Änderung: Die Verkehrsemissionen müssen in diesem Jahrzehnt um mehr als 40 Prozent sinken, denn das Land will bis 2045 klimaneutral werden.

Die Umstellung auf emissionsarme Mobilität ist ein heikles Thema in Deutschland, dem einzigen Industrieland ohne generelles Tempolimit auf Autobahnen und Heimat der globalen Automarken Volkswagen, Audi, Porsche, Mercedes-Benz und BMW. Weite Teile der Industrie haben sich nur zögerlich auf die Elektromobilität eingestellt, was in den deutschen Autoregionen massive Arbeitsplatzverluste befürchten lässt.

Vernichtendes Urteil über die Verkehrspläne der Koalition

Schon im Wahlkampf war die Umstellung auf emissionsfreie Mobilität eines der umstrittensten Themen, bei dem die Parteien sehr unterschiedliche Auffassungen vertraten. Grüne und SPD sprachen sich für ein Tempolimit auf Deutschlands berühmten Autobahnen aus, während die FDP erfolgreich dagegen kämpfte. Während die FDP den Einsatz synthetischer Kraftstoffe in Autos für vielversprechend hielt, lehnten die Grünen diese Idee ab. Ein Ausstiegsdatum für den Verkauf konventioneller Autos wurde von den Grünen befürwortet, von der FDP jedoch wieder abgelehnt.

Angesichts dieser Unterschiede verwundert es nicht, dass viele Klimaexperten die Mobilität als den schwächsten Teil des Koalitionsvertrages bezeichneten, was die Pläne zur Emissionsminderung angeht. Viele bedauerten das Fehlen einer kohärenten, übergreifenden Strategie und bezeichneten die vorgeschlagenen Maßnahmen eindeutig als unzureichend, um die angestrebten Emissionssenkungen zu erreichen. Der neue Verkehrsminister muss mehr tun, als nur Absichtserklärungen zu verwalten.“ Selbst Mobilitätsexperten der Grünen, die an den Koalitionsverhandlungen beteiligt waren, äußerten sich gegenüber dem Spiegel desillusioniert. Sie sagten, die Parteiführung habe die Mobilität geopfert, um mehr Klimaschutz in anderen Bereichen zu erreichen.

Unklarer Vertrag wertet Rolle des Ministers auf

Dennoch: die offensichtlichen verkehrspolitischen Lücken im Koalitionsvertrag geben dem zuständigen Ministerium mehr Gewicht. „Mehr denn je kommt es auf die Umsetzung durch den Verkehrsminister an“, so die Lobbygruppe Allianz pro Schiene. „Er muss die Spielräume des Koalitionsvertrages nutzen, um nachhaltige Verkehrsträger und damit den Klimaschutz zu stärken.“ Vor diesem Hintergrund war die überraschende Entscheidung der Parteien, das Verkehrsministerium an die FDP zu vergeben, für Umweltschützer enttäuschend. „Das Verkehrsministerium wird von der FDP geführt – das musste ich erst einmal verdauen“, schrieb Jens Hilgenberg, Leiter der BUND-Verkehrspolitik in Deutschland, auf Twitter. Er fügte hinzu, dass ein grüner Verkehrsminister große Fortschritte in Richtung saubere Mobilität hätte machen können, da der Koalitionsvertrag viel Spielraum für Interpretationen bietet.

Wissing hat Erfahrung als Verkehrsminister

Nun richten sich alle Augen auf den neuen Verkehrsminister. Der 51-jährige Jurist Wissing ist vor allem als Finanzexperte und Generalsekretär seiner Partei bekannt. Aber auch als Verkehrsminister in seinem Heimatland Rheinland-Pfalz hat er sich den Ruf erworben, undogmatisch und analytisch zu sein. Beobachter seiner Amtszeit sagen, dass Wissing kein Verfechter dessen sein wird, was seine Gegner als stereotype FDP-Politik bezeichnen. „Es ist naiv zu glauben, dass er Lobbypolitik für Porschefahrer macht, weil er Freidemokrat ist“, schrieb der Berliner Tagesspiegel unter Berufung auf ungenannte Quellen, die seinerzeit mit Wissing zusammengearbeitet haben. Er habe die Konfrontation mit dem konservativen Flügel seiner Partei nicht gescheut, sei in der Anfangszeit der Technologie mit einem Elektroroller zur Arbeit gekommen und habe lieber die Berliner U-Bahn als den Fahrdienst des Bundestags benutzt, um Staus zu vermeiden. In seiner Zeit als Landesverkehrsminister reaktivierte er stillgelegte Bahnstrecken und versuchte, die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs zu vereinfachen.

Befürworter einer sauberen Mobilität schließen nicht aus, dass Wissing die Kritiker seiner Partei eines Besseren belehrt, indem er entschiedene Maßnahmen zur Senkung der Verkehrsemissionen ergreift. „Die FDP hat nicht gerade eine Verkehrswende in ihrer DNA, aber warum sollte sich das nicht ändern?“, fragt Christian Hochfeld, Leiter des Think Tanks Agora Verkehrswende. „Wir sollten dem neuen Verkehrsminister eine Chance geben.“

Hochfeld verwies auch auf das Versprechen der Koalition, einen neuen Stil der engen Zusammenarbeit innerhalb der Regierung einzuläuten. „Deshalb würde ich die FDP nicht allein für die Verkehrspolitik verantwortlich machen, sondern die ganze Koalition“, sagte Hochfeld und fügte hinzu, dass auch andere Ressorts eine wichtige Rolle spielen werden – zum Beispiel das Finanz-, Klima- und Bauministerium. „Die müssen alle an einem Strang ziehen.“

Klare Abkehr von den autofokussierten Vorgängern?

Wissing folgt auf drei CSU-Bundesverkehrsminister, die alle von Befürwortern sauberer Mobilität wegen ihrer autohörigen Politik heftig kritisiert wurden. „Es ist erst einmal positiv, dass wir nicht noch mehr CSU-Autopolitik ertragen müssen“, so Hilgenberg. „Aber Volker Wissing muss jetzt zeigen, dass er es besser kann und will, indem er nicht nur die notwendige Antriebswende, sondern auch die viel wichtigere Mobilitätswende ernsthaft anpackt“, fügte er mit Blick auf die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs, des Radverkehrs und den Stopp des Autobahnneubaus hinzu.

Der scheidende Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat bereits erklärt, er erwarte von der neuen Regierung keine klare Abkehr von seiner eigenen Politik. Mit einer Prise Ironie twitterte er laut ZDF-heute-show, er hätte den Koalitionsvertrag auch selbst schreiben können. „Es ist schön, dass die Ampel meine Arbeit der letzten Jahre fortsetzt,“ schließt Amelung seine Analyse.

->Quellen: