Ranking der 50 größten Unternehmen der Branche
Die schwedische NGO Chemsec hat am 09.12.2021 ihren Chemscore veröffentlicht. Titel ihrer Medienmitteilung: „Chemieunternehmen preisen ihre Umweltfreundlichkeit an, während sie hinter verschlossenen Türen gefährliche Chemikalien entwickeln“. Deutsche Chemiefirmen stehen in Bezug auf Nachhaltigkeit im internationalen Vergleich noch nicht gut da. Chemsec hat sich die 50 größten Chemieunternehmen weltweit genau angeschaut und Noten vergeben. Am besten schneidet die thailändische Firma Indorama Ventures ab. Sie erreichte 29 von 48 Punkten und damit die Note B. Ganz hinten auf Platz 50 befindet sich Sinopec Shanghai Petrochemical aus China mit nur 4/48 Punkten und der Note D-.
Deutsche Unternehmen produzieren weiterhin giftige Stoffe
Fünf deutsche Firmen (Covestro, BASF, Evonik, Lanxess und Bayer) sind vertreten, die alle nicht gut abschneiden. Gründe hierfür sind zum Beispiel, dass alle immer noch Schadstoffe produzieren, deren Gebrauch in Deutschland bereits beschränkt ist. Diese Stoffe werden häufig in Länder mit schwächeren Gesetzen exportiert (PIC Substanzen). Auch produzieren alle noch „Ewige Gifte“ – die Per- und Polyfluorierten Substanzen (PFAS), die sich nicht in der Umwelt abbauen und dort anreichern.
Für ihr Ranking hat Chemsec einen eigenen Kriterienkatalog erstellt. Dieser berücksichtigt einmal das Produktportfolio – also: wie viele giftige Chemikalien produziert und verkauft werden. Außerdem prüft Chemsec, wie intensiv das Unternehmen an der Entwicklung sicherer Chemikalien arbeitet, wie transparent die Unternehmen vorgehen und, in wie viele Unfälle und Skandale die Unternehmen innerhalb der vergangenen zehn Jahren involviert waren.
Gefährliche Stoffe als Investitionsrisiko
Mit ihrem Ranking will die NGO auch Investoren besser informieren. Denn Geldgeber achten vermehrt auf nachhaltige Geldanlagen. Schadstoffe werden nicht selten verboten. Deshalb stellt ihre Produktion auch ein Investitionsrisiko dar. Diese Risiken macht Chemsec sichtbar. Auch ein neues EU Gesetz – die EU Taxonomieverordnung – verpflichtet Unternehmen ab den kommenden Jahren zu evaluieren, ob ihr Geld „grün“ erwirtschaftet wurde. Dazu zählen Kriterien wie Klimaschutz, Übergang in die Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung und Biodiversitätsschutz.
Der BUND fordert eine Chemiewende, welche innerhalb der planetaren Grenzen kreislauffähige und nachhaltige Stoffe bereitstellt. Der Export von hierzulande verbotenen Substanzen müsse sofort aufhören. Zum Aufbau von dringend benötigten Kapazitäten für ein nachhaltiges Chemikalien- und Abfallmanagement im globalen Süden, müssten die Hersteller von Grundchemikalien zu einer Abgabe von 0,5 Prozent ihrer Jahresumsätze verpflichtet werden.
Aus der Original-Medienmitteilung von ChemSec
Die chemische Industrie ist ein Billionen-Dollar-Geschäft. Das UNEP schätzt, dass das Umsatz-Volumen der Chemieindustrie 2017 weltweit mehr als 5 Billionen Dollar betrug und sich bis 2030 voraussichtlich verdoppeln wird. Die fünfzig in ChemScore bewerteten Unternehmen haben einen Gesamtumsatz von über 860 Milliarden Dollar.
Chemieunternehmen auf der ganzen Welt vermarkten aktiv ihre umweltfreundlicheren, nachhaltigeren Produkte, während sie Details über die Massenproduktion gefährlicher Chemikalien zurückhalten, wie das ChemSec-Ranking der Chemieunternehmen heute zeigt. ChemScore stellt fest, dass 38 von 50 Unternehmen (76 %) auf ihrer Website aktiv grünere und nachhaltigere Produkte vermarkten. Jedoch veröffentlicht kein kein einziges Unternehmen Informationen zur weltweiten Produktion gefährlicher Chemikalien; nur 4 von 50 Unternehmen (8 %) zeigten Anzeichen für eine öffentliche Strategie mit Plänen zum Ausstieg aus bestehenden gefährlichen Chemikalien; und alle produzieren weiterhin gefährliche Chemikalien in gefährlich hohen Mengen.
ChemScore ist die jährliche Rangliste der 50 größten Chemieunternehmen der Welt, die auf der Grundlage ihrer Umweltauswirkungen und ihres Umgangs mit gefährlichen Chemikalien erstellt wird und den Maßstab für eine nachhaltige Chemieindustrie setzt. Es hilft den Anlegern zu beurteilen, welche Unternehmen über starke Strategien im Chemikalienmanagement verfügen und welche nicht. Die Rangliste umfasst das Portfolio an gefährlichen Chemikalien, die Entwicklung von sichereren Chemikalien und Kreislaufprodukten, das Chemikalienmanagement und die Transparenz des Unternehmens sowie die Reaktion auf Kontroversen, Gerichtsverfahren und Vorschriften.
Eugenie Mathieu, Senior Analyst und Earth Pillar Lead bei Aviva Investors, sagte: „Die chemische Industrie hat einen erheblichen ökologischen Fußabdruck. In Zeiten der Klimakrise und des verheerenden Rückgangs der Artenvielfalt weltweit erwarten die Anleger, dass die Industrie ihre Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit reduziert. Als Investor wollen wir herausfinden, welche Chemieunternehmen beim Übergang zu einer nachhaltigeren Zukunft führend sind, indem sie Lösungen und größere Transparenz bieten, und welche im ‚Business as usual‘ stecken bleiben.“
Der Bericht enthüllt, dass
- die BASF (Deutschland) auf ihrer Website mit „umweltfreundlichen Lösungen“ wirbt, doch in ihrem 30-seitigen Bericht „Sicherheit in der Produktion“ wird die weltweite Produktion gefährlicher Chemikalien mit keinem Wort erwähnt. Die BASF hat mindestens 127 verschiedene gefährliche Chemikalien in ihrem Portfolio.
- die Linde Public Limited Company (irische AG, weltgrößtes Industriegasunternehmen, 2018 durch den Zusammenschluss der deutschen Linde AG und der US-amerikanischen Praxair gegründet), zwar immer noch zu den Top Ten von ChemScore gehört, hat aber mit sechs Punkten den größten Punktverlust in der diesjährigen Rangliste erlitten – was bedeutet, dass es von C+ auf C abrutscht.
- Dupont de Nemours (USA) auf seiner Website behauptet, das Unternehmen sei stets bestrebt, „neue Materialien und Technologien zu finden, die eine noch bessere Welt gestalten werden“. Nach einer Untersuchung der New York Times, in der die Verwendung von PFAS-Chemikalien verurteilt wurde, erklärt das Unternehmen nun, dass es „aktiv nach Alternativen zu PFAS sucht, wo immer dies in unseren Herstellungsprozessen möglich ist“. Dennoch hat Dupont immer noch mindestens 36 verschiedene gefährliche Chemikalien in seinem Portfolio und keine öffentliche Strategie mit Ausstiegsplänen für seine bestehenden gefährlichen Chemikalien.
- Indorama Ventures (Thailand) die Rangliste anführt, dicht gefolgt von DSM (Niederlande) – mit 29 bzw. 28 von 48 Punkten. Beide erhalten eine hohe Punktzahl für das Fehlen von Kontroversen und die Entwicklung sichererer Chemikalien durch Kreislaufproduktion.
- Sinopec (China) und Formosa Chemical & Fibres (Taiwan) mit 3,6 von 48 möglichen Punkten und der Note D-minus gemeinsam auf dem letzten Platz liegen. Beide Unternehmen unternehmen kaum Anstrengungen, um sicherere Chemikalien zu entwickeln, und es mangelt ihnen stark an Transparenz.
Emine Isciel, Leiterin des Bereichs Klima und Umwelt bei Storebrand Asset Management, sagte: „In den vergangenen zehn Jahren haben sich ESG-Investoren hauptsächlich auf den Klimawandel und die Kohlenstoffemissionen konzentriert. Aber diese Themen sind nicht isoliert; die Perspektive des nachhaltigen Investors muss ganzheitlicher sein. Die chemische Industrie ist nicht nur ein riesiger Energieverbraucher – viele der von ihr produzierten Chemikalien haben auch schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Gleichzeitig ist die chemische Industrie aber auch ein Wegbereiter; die Welt braucht sie, um fortschrittlich zu sein und zur Lösung der aktuellen Klimakrise beizutragen“.
Synthetische, vom Menschen hergestellte Chemikalien sind heute ein fester Bestandteil des modernen Lebens, mit Eigenschaften, die Produkte flammhemmend, wasserfest oder schmutzabweisend machen. Infolgedessen haben Menschen auf der ganzen Welt messbare Mengen von Hunderten von gefährlichen Chemikalien aufgenommen – von PFAS (Polyfluoralkylsubstanzen, auch bekannt als „forever chemicals“), die in Mikroplastik zu finden sind, bis hin zu HHPs (hochgefährlichen Pestiziden), die in der Lebensmittelproduktion verwendet werden.
Weniger Spermien – früher Brustkrebs
Wissenschaftler haben die Tatsache, dass Männer in der westlichen Welt nur noch halb so viele Spermien produzieren wie noch vor 40 Jahren, mit der Belastung durch giftige Chemikalien in Verbindung gebracht. Studien zeigen, dass die Exposition gegenüber giftigen Chemikalien dazu führt, dass Mädchen früher in die Pubertät kommen, was das Risiko erhöht, später im Leben an Brustkrebs zu erkranken.
Auch gefährliche Chemikalien werden in großen Mengen auf der Erde freigesetzt, reichern sich in der Natur und der Tierwelt an und drohen, empfindliche Ökosysteme zu stören. Bei einer kürzlich durchgeführten Expedition in die Antarktis wurden Mikroplastikabfälle und persistente gefährliche Chemikalien wie PFAS selbst in den entlegensten und unberührten Lebensräumen der Antarktis gefunden.
Sonja Haider, Senior Business and Investors Advisor bei ChemSec, sagte: „Fast alle großen Chemieunternehmen versprechen umweltfreundliche Produkte, aber nur sehr wenige haben eine klare Strategie, um ihr Portfolio an gefährlichen Chemikalien abzubauen. Jahr für Jahr produziert die Industrie weiterhin gefährliche Chemikalien und versäumt es, nachhaltige Praktiken einzuführen, obwohl die Umweltkrise immer drängender wird und die internationalen Vorschriften immer strenger werden. Chemikalien sind ein wesentlicher Bestandteil des modernen Alltags – aber die Gesundheit unserer Menschen und Ökosysteme darf nicht länger vernachlässigt werden.“
ChemScore gibt den Unternehmen drei Empfehlungen, um ihre Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu verringern:
- Die Unternehmen müssen ihr Portfolio an gefährlichen Chemikalien reduzieren, indem sie sicherere Alternativen entwickeln – seit der ersten Bewertung im vergangenen Jahr hat sich in diesem Bereich in der chemischen Industrie nur wenig getan.
- Eine Kreislaufwirtschaft braucht eine aktive chemische Industrie, die am Anfang der Lieferkette steht und Materialien bereitstellt, die wiederverwendet und recycelt werden können. Der Wettlauf hat begonnen, muss aber noch beschleunigt werden.
- Es ist viel mehr Transparenz erforderlich, damit Investoren sich sicher fühlen können, wenn sie Chemieunternehmen unterstützen, und damit sie verstehen, welche gefährlichen Chemikalien sie derzeit produzieren.
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