Demokratischer und gerechter Klimaschutz?

Buch: Anja Baisch – „Fossile Strategien“

Ökologisch ist die Sache einfach: Nichts kann das Klima schneller entlasten als ein schneller und hundertprozentiger Wechsel zu erneuerbaren Energien. Doch die Energiewende ist schwer umkämpft. Denn es geht um viel mehr als nur um Emissionen. Die Politologin und Volkswirtin Anja Baisch holt das Thema aus der ökologischen Ecke und entwirft eine politische Erzählung. Sie skizziert die Strategien der Fossilwirtschaft und analysiert die Energiepolitik der Bundesregierung. Laut Hans-Josef Fell „ist das neue Buch ‚Fossile Strategien‘ von Anja Baisch ein Muss für alle, die wirklich wissen wollen, wo die strukturellen, politischen, wirtschaftlichen, soziologischen und medialen Hemmnisse für wirksamen Klimaschutz liegen“.

Hinter allen PR-Kampagnen und grünen Konzepten verbirgt sich eine Weichenstellung: Führt die Klimapolitik zu einer noch stärkeren Konzentration und Zentralisierung von wirtschaftlicher Macht? Oder kann die Energieversorgung genutzt werden, um die Welt gerechter und friedlicher zu gestalten? Wie funktioniert demokratischer Klimaschutz?

Hans-Josef Fell: Woran Klimaschutz scheitert – Fossile Strategien

„Seit dem Tode von Hermann Scheer vor über 10 Jahren habe ich keine brillantere Analyse mehr über das Scheitern von Klimaschutz gelesen“, so Fell.

Anja Baisch habe völlig recht: „Nichts kann das Klima schneller entlasten als ein schneller und hundertprozentiger Wechsel zu erneuerbaren Energien. Doch die Energiewende ist schwer umkämpft. Denn die Energieversorgung beeinflusst nicht nur das Klima, sondern sie prägt das gesellschaftliche Zusammenleben, es geht um viel mehr als nur um Emissionen. Es geht um Reichtum und Armut. Um Krieg oder Frieden. Und um Abhängigkeit oder Demokratie.“ Und völlig richtig habe sie beschrieben, dass das rot-grüne EEG aus dem Jahre 2000 im Zentrum dieser Auseinandersetzung liegt.

Hervorragend habe sie ausgearbeitet, dass der Grundkonflikt in der Art der Energiebereitstellung liege: Konzerne und Monopole im fossilen und atomaren Energiesektor auf der einen Seite. Ihr Geschäftsmodell sei eine zentrale Energieproduktion mit abhängigen Energiekunden – auf der anderen Seite die klimaschützenden, dezentralen Erneuerbare Energien, mit millionenfacher Eigenerzeugung und Eigenverbrauch, statt Abhängigkeit als Energiekunde.

Fell weiter: „Am Ende mit 100% Erneuerbare Energien wird das zentrale Geschäftsmodell der fossilen und atomaren Energiekonzerne beendet werden. Doch genau das gilt es von Seiten der Energiekonzerne zu verhindern – und deshalb gibt es bis heute keinen Klimaschutz. Diese von Baisch mit klarer und leicht lesbarer Sprache exzellent aufbereiteten Grunderkenntnisse sind zwar seit Jahrzehnten, insbesondere aus den Büchern von Herrmann Scheer bekannt. Das große Verdienst von Anja Baisch ist, dass sie damit die destruktive Energie- und Klimapolitik des letzten Jahrzehnts unter Kanzlerin Merkel klar erklären konnte. Das Wirtschaftswunder des EEG von 2000 war eben nur ein Wirtschaftswunder für Millionen neue kleine und mittlere Unternehmen, Privatleute, Landwirte und Energiegemeinschaften. Nicht aber für die wenigen Energiekonzerne, die große Teile ihres Kerngeschäftes an dezentrale Akteure verloren, selbst aber kaum nennenswerte Investitionen in den Ökostrom tätigten, da sie ansonsten selbst ihre eigene zentralistische Geschäftsgrundlage unterminieren.“

  • Anja Baisch (S. 120): „Für die Energiekonzerne ergaben sich dadurch zwei Notwendigkeiten: die Bewegung in Richtung dezentraler und saubere Energieerzeugung musste gestoppt werden. Und die atomare Produktionsweise musste gerettet werden.“
  • (S. 122): „Um ihre Marktposition zu verteidigen und verloren gegangene Marktanteile zurückzuholen, strebten sie zwei Ziele an: den Ausstieg vom Atom Ausstieg und die Abschaffung des EEG“. Wie die Geschichte zeigte, wurde der rot-grüne Atomausstieg abgeschafft und nur durch die Atomkatastrophe in Fukushima wieder rückgängig gemacht.
  • „Die Auseinandersetzung um die Wende hin zu Erneuerbaren Energien gestaltete sich komplizierter. Um die Bewegung zu stoppen, wählten die Konzerne eine andere Strategie als bei der Verteidigung des atomaren Modells. Sie stellten sich nicht hin und forderten eine Abschaffung des EEG. Ihre Strategie war stattdessen differenziert und hoch komplex. Sie entwickelten Aktivitäten, die einander widersprachen. Öffentlich bekannten sie sich zur Notwendigkeit einer Energiewende. Die Zukunft läge in der nachhaltigen Stromerzeugung, deshalb würden sie verstärkt in saubere Produktionsverfahren investieren. Insgesamt sei eine Umstellung aber kompliziert, denn die Energie aus Wind und Sonne sei unzuverlässig, nicht ausreichend und teuer“ (S. 125).

Genau diese Strategie hatte dazu geführt, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien mit immer neuen EEG-Novellen massiv ausgebremst wurde. Die Elemente sind klar: Änderung des Berechnungsmodus für die EEG-Umlage, wodurch diese unnötigerweise nach oben getrieben wurde, aber so das Argument der „unbezahlbaren Strompreise“ lieferte; ein Aufbau einer überbordenden Bürokratie; die Umstellung auf Ausschreibungen und vieles mehr.

Fell: „Ich kann nur allen Akteur*innen im Energiesektor, Politiker*innen, Unternehmen, Verbandsvertreter*innen und Journalist*innen empfehlen dieses Buch von Anja Baisch zu lesen. Es öffnet die Augen für den Grundkonflikt in dieser Gesellschaft: Energieversorgung durch Konzerne oder Selbstversorgung für den Eigenbedarf von Privatleuten, Kommunen bis hin zu Unternehmen. Das Buch öffnet die Augen dafür, dass das EEG 2000 die entscheidende Initialzündung war, Klimaschutz und eine dezentrale Energieversorgung auf den Weg zu bringen und genau deshalb von den übermächtigen Lobbyisten der fossilen und atomaren Energiekonzerne attackiert wurde. Wer in diesem Grundkonflikt die Interessenslage der großen atomaren und fossilen Energiekonzerne anerkennt und schützt, wird wie bisher im Klimaschutz scheitern. Das Buch ist daher auch notwendige Lektüre für alle Minister*innen, Staatssekretär*innen und Abgeordneten der neuen Ampelkoalition. Sie wollen ja den Ausbau der Erneuerbaren Energien als wichtigste Klimaschutzmaßnahmen massiv forcieren. Genau dafür benötigen Sie die grundlegenden Analysen wo die gesellschaftlichen Konflikte sind. Wenn sie diese nicht beachten, werden auch sie scheitern. Im Koalitionsvertrag scheint dieses Wissen noch nicht angekommen zu sein. Denn wer von einer ‚Übergangstechnologie‘ mit Erdgas redet und diese auch noch politisch befördern will, wird scheitern. Denn dies stützt nur das Geschäftsmodell der fossilen und atomaren Konzerne. Denn die „Übergangstechnologie“ Erdgas ist wieder genau die Strategie, die die klimaschädlichen fossilen Konzerne seit Jahren puschen, um ihre Interessen aufrecht zu erhalten. Auch das hat Anja Baisch hervorragend ausgearbeitet.“

->Quellen: