Mythen der Elektromobilität – von
Vorweg zunächst einmal die Klarstellung, dass ich kein genereller Gegner der Elektromobilität an sich bin. In einer klimaneutralen Gesellschaft wird die Elektromobilität zweifelsohne einen wichtigen Beitrag zur individuellen Mobilität leisten. Ein sektorübergreifender Emissionshandel, bei dem die erlaubte Gesamtmenge an Treibhausgasen bis 2045 sukzessive auf null sinkt, würde ohne staatliche Zusatzförderung dafür sorgen, dass sich die Elektromobilität zum optimalen Zeitpunkt und im optimalen Ausmaß verbreitet. Und auch vorher mag allein das spektakuläre Beschleunigungsverhalten, das niedrige Fahrgeräusch und der geringere Wartungsaufwand Grund genug sein, dass sich diese Technik weltweit mehr und mehr durchsetzt.
Ich bin jedoch gegen eine ideologisch oder industriepolitisch bedingte Subventionierung des bis auf das Flugzeug energetisch ineffizientesten Fortbewegungsmittels (von den damit verursachten Verkehrstoten ganz zu schweigen), ohne das Kosten-Nutzen-Verhältnis dieser Subventionierung zu berücksichtigen. Ein Auto hat gegenüber anderen Verkehrsmitteln unschlagbare Vorteile und ich gönne es jedem, der es sich leisten kann. Aber warum sollte die Allgemeinheit, also auch Menschen, die Nachteile in Kauf nehmen, um wenig oder gar kein Auto zu fahren, dafür Steuern zahlen, damit Menschen günstiger (E-)Auto fahren können? Ersticken die Ballungsräume denn nicht aufgrund von immer mehr Autos, die immer mehr Kilometer fahren? Wie logisch ist es, im Rahmen der allseits geforderten Mobilitätswende einerseits die Alternativen zum Auto zu fördern und andererseits das Auto ebenfalls zu subventionieren? Wenn die ambitionierten Klimaziele tatsächlich ernst genommen würden, gäbe es keinen „Umweltbonus“ für den Kauf von Elektroautos sondern eine Klimasteuer beim Kauf und Betrieb von Verbrennungsfahrzeugen.
Der große Hype um die Elektromobilität ist vielleicht dadurch zu erklären, dass sich die Autoindustrie massive staatliche Subventionen sichern möchte und den Menschen deshalb das Gefühl vermittelt, endlich mit gutem (Klima-)Gewissen Auto fahren zu können. Die Elektromobilität zu fördern, ist für die Politik weitaus attraktiver, als Maßnahmen umzusetzen, die darauf hinzielen, dass die PKW-Mobilität an sich reduziert wird oder sich bei einem stärkeren Ausbau von Windkraft- oder Photovoltaik-Freiflächenanlagen mit Bürgerprotesten herumzuärgern.
Der Grund für die milliardenschweren Subventionen liegt aber vielleicht auch an einigen Mythen der Elektromobilität, auf die ich im Folgenden näher eingehen möchte.
Mythos: Die aktuelle staatliche Förderung der Elektromobilität ist sinnvoller Klimaschutz
Inwieweit Elektroautos trotz der hohen Subventionen momentan und in den nächsten Jahren überhaupt Emissionen einsparen, ist in der Wissenschaft gar nicht so eindeutig belegt, wie immer wieder der Eindruck erweckt wird. Die in vielen Studien errechnete Emissionsreduktion beruht auf der Annahme, dass der Ladestrom den aktuellen Ökostromanteil von etwa 40 Prozent enthält und dieser in den kommenden Jahren weiter stark zunimmt. Tatsächlich wird jedoch für den zusätzlichen Ladestrom noch mindestens ein bis zwei Jahrzehnte lang ausschließlich die Auslastung fossiler Kraftwerke erhöht, da die vorhandene Menge von Ökostrom natürlich nicht dadurch gesteigert wird, dass man anstatt Benzin und Diesel zu tanken nun sein Elektroauto auflädt.
Auch ansonsten abgeregelter Ökostrom steht kaum zur Verfügung, da dieser nur wenige Prozent des Ökostroms ausmacht und die Netzengpässe meistens in sehr dünn besiedelten Gebieten auftreten. Da es sehr komplex ist, zu bestimmen, welche fossilen Kraftwerke den Mehrbedarf abdecken (Gas, Braun-/Steinkohle), wird zur besseren Vergleichbarkeit von Ökobilanz-Studien meistens der allgemeine Strommix für den Ladestrom angesetzt, was die errechneten Emissionen von Elektroautos dementsprechend künstlich senkt
Aber selbst wenn der Ladestrom zu keinerlei Mehremissionen bei den fossilen Kraftwerken führen würde, ist die erzielbare Emissionsreduktion im Vergleich zu den dafür aufgewendeten finanziellen Mitteln denkbar gering. Ein Verbrennungsfahrzeug stößt während seiner Lebensdauer etwa 20 Tonnen CO2 aus. Diese Menge zu verringern, ist dem Staat aktuell mehr als 15.000 Euro wert. Dieser hohe Betrag entsteht im Wesentlichen durch den „Umweltbonus“ von 6.000 Euro, dem beim Ladestrom nicht erhobenen Beitrag zur verursachergerechten Finanzierung der Straßeninfrastruktur (bei Benzin/Diesel wird dieser in Form der Energiesteuer erhoben) und der Befreiung von der KfZ-Steuer. Bei einer Nutzung von Elektroautos als Firmenwagen kommt dann auch noch die Reduktion des zu versteuernden geldwerten Vorteils hinzu. Eine Tonne CO2 einzusparen kostet im Stromsektor aktuell jedoch nur etwa 80 Euro. Dies bedeutet: Mit denselben finanziellen Mitteln, die für die Subvention der Elektromobilität aufgewendet werden, könnten mit anderen Maßnahmen (etwa eine zusätzliche Erhöhung der Ausschreibungsmenge von Photovoltaik-Anlagen) die zehnfache Menge an Emissionen reduziert werden, selbst wenn Elektroautos keinerlei Emissionen verursachen würden.
Da Elektroautos oft als Zweitwagen für Kurzstrecken gekauft werden, ist der Effekt auf die Gesamtemissionen auch geringer als die Zahl der Zulassungen vermuten lässt. Hinzu kommt der Rebound-Effekt: Aufgrund kostengünstiger Lademöglichkeiten erzielbaren niedrigen Betriebskosten und dem klimafreundlichen Image werden Strecken, die vorher zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV zurückgelegt werden, vermehrt mit dem Elektroauto zurückgelegt.
Mythos: Der Ausbau der Elektromobilität bringt mehr als ein Tempolimit auf Autobahnen
Gegner eines allgemeinen Autobahntempolimits argumentieren häufig, dass der geringe Einspareffekt eine so „drastische“ Maßnahme nicht rechtfertigen würde. Mit diesem Argument dürfte man die Elektromobilität allerdings auch nicht fördern. Mit Milliarden an Steuergeldern geförderte 12 Millionen Elektroautos bis 2030 bringen von der Emissionseinsparung her nämlich kaum mehr als ein allgemeines Tempolimit von 100 Kilometer pro Stunde auf Autobahnen.
Interessanterweise hat die Politik kein Problem damit, dass mit Elektroautos aufgrund der Reichweitenproblematik ein hohes Dauertempo kaum möglich ist und sich die Pausen aufgrund der Ladezeiten verlängern. Längere Fahrzeiten durch ein Tempolimit, welche die Emissionen im gesamten PKW-Bestand unmittelbar und kostenfrei verringern würden, sind jedoch auch für die neue Bundesregierung nicht akzeptabel.
Mythos: Elektroautos sind besonders klimafreundlich, wenn sie mit selbst erzeugtem Solarstrom geladen werden.
Manche erkennen zwar die Problematik mit dem fossilen Ladestrom, behaupten aber, dass zumindest, wenn man das Elektroauto mit dem Strom der eigenen Photovoltaik-Anlage lädt, ein hoher Emissionsvorteil gegenüber dem Verbrenner entsteht. Aber was würde denn passieren, wenn man das Elektroauto dann wieder durch einen Verbrenner ersetzen würde? Der Verbrenner würde natürlich bei der Verbrennung von Benzin/Diesel zusätzliches CO2 erzeugen. Aber gleichzeitig würde der vormals als Ladestrom genutzte Photovoltaik-Strom ins öffentliche Netz eingespeist und würde dort fossil erzeugten Strom ersetzen und damit Emissionen verringern. Egal ob der Ladestrom aus einer Photovoltaik-Anlage oder aus der Steckdose stammt: Er fehlt in unserem Stromsystem und führt entsprechend zu einem Anstieg der fossilen Stromerzeugung.
Mythos: Man muss Elektroautos jetzt massiv fördern, um die Klimaneutralität in 2045 zu erreichen
Manchmal wird argumentiert, dass Elektroautos momentan wegen des hohen fossilen Anteils der Stromerzeugung zwar momentan noch wenig bringen, aber trotzdem jetzt schon möglichst häufig verkauft werden sollten, da sie in einem klimaneutralen Energiesystem eine zentrale Rolle bei der individuellen Mobilität spielen. Die typische Auto-Lebensdauer liegt jedoch nur bei 10 bis 15 Jahren. Die allermeisten jetzt neu zugelassenen Elektroautos sind 2045, wenn die Stromerzeugung dann hoffentlich vollständig dekarbonisiert ist, bereits verschrottet. Vor 2030 neu zugelassene E-Autos helfen also nicht zur Erreichung des Klimaziels 2045. Ein Zulassungsverbot für Verbrennungsfahrzeuge ab etwa 2030 oder 2035 (je nachdem, wie groß der Ökostromanteil bis dahin tatsächlich ist) wäre also völlig ausreichend. Wer will, kann ja gerne schon vorher ein Elektroauto kaufen, aber dies sollte nicht mit Milliarden subventioniert werden, die an anderer Stelle viel sinnvoller eingesetzt werden können.
Mythos: Elektroautos sind zumindest lokal emissionsfrei
Eines der größten Emissionsprobleme in den Städten ist die verkehrsbedingte Feinstaubbelastung. Etwa 90 Prozent der Feinstaubemission entsteht jedoch gar nicht in den Verbrennungsmotoren, sondern beim Abrieb von Bremsen, Reifen und dem Straßenbelag. Durch das höhere Gewicht und das höhere Drehmoment bei Elektrofahrzeugen ist diese Feinstaubemission bei Elektroautos je nach Fahrzeugklasse sogar höher als bei Verbrennungsfahrzeugen. Eine wirksame Reduktion der Feinstaubbelastung kann also nur durch eine Reduktion des Autoverkehrs insgesamt erfolgen, jedoch nicht durch den bloßen Wechsel der Antriebsart.
Mythos: Die staatliche E-Mobilitätsförderung ist sozial gerecht
Die staatliche Förderung der Elektromobilität wird oft dadurch begründet, dass sich dadurch auch ärmere Haushalte ein Elektroauto leisten können. Tatsächlich profitieren aber vor allem diejenigen, die bereits so wohlhabend sind, dass sie sich überhaupt einen Neuwagen leisten können. Aufgrund der geringen Reichweite werden Elektroautos auch sehr häufig als Zweitauto gekauft, was sich ebenfalls nur die wohlhabenderen Haushalte leisten können. Von der geringeren Dienstwagensteuer profitieren ebenfalls vor allem besser bezahlte Angestellte.
Der Wegfall jeglicher Subventionen des Autoverkehrs bei gleichzeitiger steigender Bepreisung von CO2 kann natürlich dazu führen, dass der Umfang der PKW-Mobilität zukünftig stärker von den finanziellen Möglichkeiten abhängt, als in der Zeit als man die Folgen von CO2 noch ignoriert hatte. Wenn sich der Staat dann tatsächlich um die Mobilität ärmerer Haushalte sorgt, sollte er lieber für bessere und günstigere Mobilitätsalternativen zum Auto und eine stärkere finanzielle Umverteilung von reich zu arm sorgen als die jetzige wenig zielgerichtete Förderpolitik fortzuführen.
Mythos: Durch die Kaufprämie wird der Kaufpreis von Elektroautos um 9.000 Euro gesenkt
Aufgrund der EU-Flottengrenzwerte sind die Autohersteller ohnehin gezwungen, eine bestimmte Menge an Elektroautos zu verkaufen. Durch die hohe Kaufprämie können die Hersteller die notwendige Verkaufszahl aber nun auch mit relativ hohen Listenpreisen erreichen. Ohne die Kaufprämie müssten die Hersteller die Listenpreise stark absenken und/oder ähnlich hohe Rabatte anbieten, um die erforderliche Menge verkaufen zu können. Die Kaufprämie erhöht damit in erster Linie den Gewinn der Hersteller, senkt aber nicht wesentlich den Kaufpreis.
Mythos: Elektroautos haben deutlich geringere Betriebskosten als Verbrenner
Die Stromkosten pro gefahrenen Kilometer sind zwar in der Tat etwas geringer als die Spritkosten. Dies liegt aber vor allem daran, dass in den Spritkosten mit der Energiesteuer ein verursachergerechter Beitrag zur Finanzierung der Straßeninfrastruktur enthalten ist, welcher beim Ladestrom (noch) nicht erhoben wird. Die Möglichkeit, die Betriebskosten durch Nutzung selbst erzeugten Photovoltaik-Stroms zusätzlich zu senken, haben wiederum nur wenige privilegierte Haushalte und ist auch aus anderen Gründen, die ich in einem früheren Beitrag dargestellt habe, kritisch zu sehen.
Mythos: Elektroautos sind wirtschaftlicher als Verbrennerautos, die mit klimaneutralem Treibstoff fahren
Der Betrieb der bestehenden Verbrennerfahrzeuge mit klimaneutralem Treibstoff („E-Fuel“) stellt für die Nutzer die bequemste Möglichkeit dar, Emissionen zu sparen, da man sein bestehendes Auto einfach weiter nutzen kann und damit weiterhin von langen Reichweiten und kurzen Tankvorgängen profitieren kann. Was dagegen spricht, ist der extrem hohe Preis dieser Treibstoffe, welche aus klimaneutral produzierten Wasserstoff und aus Abfällen oder der Luft gewonnenem CO2 hergestellt werden. Die Herstellungskosten liegen aktuell bei mehr als vier Euro pro Liter und werden auch 2030 noch im Bereich von zwei Euro je Liter liegen. (adac.de/verkehr/tanken-kraftstoff-antrieb/alternative-antriebe/synthetische-kraftstoffe) Bei geringen Jahresfahrleistungen kann es jedoch trotzdem wirtschaftlicher sein, einen günstigen (gebrauchten) Verbrenner mit klimaneutralem Treibstoff zu betanken, als ein teures neues Elektroauto zu kaufen. Die technologiespezifische E-Auto-Förderung führt jedoch zu einer Marktverzerrung, die solche im Einzelfall günstigere Alternativen im Vergleich zu Elektroautos künstlich unattraktiver macht
Andreas Luczak ist Professor für Regenerative Energien an der Fachhochschule Kiel. Bis 2016 war er mehr als 15 Jahre bei Siemens tätig und führte als Geschäftsführer des europäischen Ablegers eines chinesisch-amerikanischen Unternehmens deren Redox-Flow-Speichertechnik in Europa ein. Sein unlängst erschienenes Buch trägt den Titel „Deutschlands Energiewende – Fakten, Mythen und Irrsinn“. Der vorliegende Text erschien am 20.12.2021 im Portal pv magazine.
Berichte und Kommentare von Gastautoren geben deren Meinung und Informationen wieder, nicht in jedem Fall die von Solarify.