Weitere Reaktionen auf EU-Atom-Taxonomie

BEE: Entwurf setzt falsche Signale

Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) e.V. kritisiert die Vorschläge der EU-Kommission zur EU-Taxonomie für nachhaltige Investitionen scharf. Weder Erdgas noch Atomkraft entsprächen auch nur ansatzweise den Kriterien der Nachhaltigkeit. Auch BUND, BBI und die Kommentatoren deutscher Tageszeitungen wenden sich unterschiedlich scharf gegen den Brüsseler Vorschlag.

AKW Hamm-Uentrop – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

„Ökologisch sind Investitionen in atomare und fossile Energien längst nicht mehr vertretbar, da ihr Fußabdruck von Klimakrise bis ungelöster Endlagerfrage viel zu groß ist. Ökonomisch stellt Atomkraft inklusive aller Folgekosten schon lange keine Alternative zu den Erneuerbaren Energien dar, die ohne Brennstoff- und Endlagerkosten auskommen. Auch Erdgas darf nur noch begrenzt eingesetzt werden, um nicht als ’stranded investment‘ in Infrastruktur und Kraftwerke in absehbarer Zeit Steuergelder zu verbrennen und es damit seinem Pendant Kohle gleich zu tun. Für diesen zeitlich begrenzten Einsatz braucht es kein irreführendes ‚Nachhaltigkeitslabel‘. Sozial gerechte Investitionen sind zudem nur die, die heutigen und zukünftigen Generationen faire Energiepreise garantierten. Hier sind Erneuerbare Energien schon heute unschlagbar. Jetzt muss deren Ausbau entfesselt, die Sektorenkopplung vorangebracht und der Strommarkt neu ausgerichtet werden“, so BEE-Präsidentin Simone Peter, .
Mit einem starken Zuwachs an Wind- und Solarenergieanlagen bei gleichzeitiger Optimierung des dezentralen (Bio)Gaskraftwerk-Parks (derzeit über 9500 Anlagen) sowie der Nutzung von Wasserkraft- und Geothermie-Anlagen könne nicht nur eine sichere Stromversorgung garantiert, sondern Strom noch günstiger als durch neue Gasgroßkraftwerke geliefert werden. Das senke den Bedarf an neuen Gaskraftwerken signifikant, sorge für heimische Wertschöpfung und vermeide teure Importe. Mit der bei der Stromerzeugung anfallenden Wärme könnten darüber hinaus Kommunen mit regionaler, klimafreundlicher Heizenergie versorgt werden: „Die dezentrale Erzeugungsstruktur erfordert dezentrale Backups. Zentrale Gaskraftwerke sind daher ungeeignet. Sie verursachen durch höhere Redispatchmengen neue Probleme und Kosten“, erklärt die Verbandspräsidentin.
Mit der Studie für ein Klimaneutrales Stromsystem habe der BEE noch im alten Jahr aufzeigt, wie den Herausforderungen eines immer stärker auf Erneuerbaren Energien fußenden Stromsystems Rechnung getragen werden könne und dabei Versorgungssicherheit, Finanzierung der Erneuerbaren Energien und Umsetzung der Sektorenkopplung gewährleistet werde. „Die Energiewende in Deutschland wie in anderen EU-Mitgliedsstaaten garantiert enorme wirtschaftliche Entwicklung, Energiesicherheit, Einhaltung der Klimaziele und dauerhaft bezahlbare Preise. Deswegen sollte die Bundesregierung die Vorschläge der EU-Kommission zurückweisen“, so Peter abschließend.

Kamm: 2021 kam Energiewende weltweit gegen Atom voran

Raimund Kamm vom FORUM Gemeinsam gegen das Zwischenlager und für eine verantwortbare Energiepolitik e.V. veröffentlicht „Erfolgszahlen gegen die atomaren Propagandaaussagen“: Nach einer ersten Auswertung der Zahlen der IAEO (Internationalen Atomenergie-Organisation) und des Nuklearforums Schweiz wurden im Jahr 2021 weltweit 6 AKW in Betrieb genommen und 10 abgeschaltet. Damit sank die AKW-Kapazität um 3 Gigawatt (1 GW = 1 Million Kilowatt). Zugleich wurden 89 GW Windkraftkapazität neu errichtet und sogar 160 GW PV-Kapazität zugebaut. [Auf lange Sicht rechnet die IAEO aber insgesamt mit einem Wachstum der Atomenergie – S_Y].

Diese Erfolgszahlen kann man u.a. dem jüngsten Report „Renewables 2021 – Analysis and forecasts to 2026 der Internationalen Energieagentur IEA entnehmen. Laut der IEA werden voraussichtlich bis 2026 fast 95 Prozent der weltweiten neuen Kraftwerkskapazitäten auf die Erneuerbaren Energien (EE) entfallen. Solar und Windkraft sind die Motoren. Das hat aber auch eine Kehrseite: Auf die steuerbaren regenerativen Energiequellen Bioenergie, Geothermie und Wasserkraft wird voraussichtlich nur ein Zehntel des EE-Neubaus entfallen. Umso wichtiger werden Speicher.

Der technische Fortschritt hat EE auf die Überholspur gebracht

Drei Zahlen zeigen, dass eine Elektrizitätswirtschaft mit EE sowohl weniger umweltbelastend als auch wirtschaftlicher ist:

  • Die Kosten für den Solarstrom aus Photovoltaikanlagen sind in den letzten zwei Jahrzehnten um mehr als 90 Prozent gesunken.
  • Die Kosten für den Windstrom sind im letzten Jahrzehnt auf etwa die Hälfte gesunken.
  • Die Kosten für das Speichern einer Kilowattstunde Strom in Batterien sind im letzten Jahrzehnt um fast 90 Prozent gesunken.

Wer jetzt noch auf Atomkraft setzt, lässt sich von Atomkonzernen bezahlen oder will mit der „zivilen“ Atomtechnik sich den Weg zur militärischen Atomtechnik öffnen oder offen halten.

Ein Vergleich des Solar- und Windlands Deutschland mit den Atomländern Frankreich und Tschechien widerlegt viele kursierende Lügengeschichten: So haben deutsche Stromfirmen auch 2021 von Frankreich mit 14,9 Mrd. kWh mehr Strom verkauft als mit 8,4 Mrd. kWh  gekauft. Dass mehr Strom von Frankreich nach Deutschland als in umgekehrter Richtung floss, ist auf Stromverkäufe von Frankreich an die Schweiz oder Italien zurückzuführen, die im Transit durch Deutschland geleitet wurden. Auch im Stromhandel mit unserem tschechischen Nachbarn hat Deutschland wieder einen Überschuss erzielt. (Quelle: Freiburger Fraunhofer Institut ISE  energy-charts.info/charts)

Kamm wörtlich: „Die durchschnittlichen Börsenstrompreise lagen volumengewichtet 2021 im Energiewendeland Deutschland bei 9,3 ct/kWh, im Atomland Tschechien bei 10,1 ct/kWh und im Atomland Frankreich bei 10,9 ct/kWh. Die Endkundenpreise für normale Gewerbekunden und private Haushalte lagen hingegen in Deutschland viel höher, weil das System aus Steuern, Abgaben und Umlagen („SAU“) seit vielen Jahren verkommen ist und dringend reformiert werden muss!“

Kamms Resümé: In Deutschland gibt es für uns Umweltschützer jetzt fünf Großaufgaben.

  • Die Suche nach einem möglichst sicheren Endlager gegen die Widerstände der Oberflächlichen voranbringen. Die Zwischenlagerung in den noch notwendigen Jahrzehnten wesentlich weniger gefährlich machen.
  • Den Ausbau gerade von Solar und Windkraft konsequent steigern. In Bayern brauchen wir beispielsweise zwei bis vier neue Windkraftwerke je Landkreis und Jahr.
  • Der Gaslobby, die Wasserstoff sagt und den Erdgasabsatz fördern will, mit Zahlen entgegentreten, die zeigen, wie klimaschädlich und teuer Erdgas ist.
  • Den Atomern in unseren europäischen Nachbarländern abverlangen, dass sie ihre AKW risikogerecht haftpflichtversichern. Ansonsten sollten deutsche Kommunen und Stromhändler es ablehnen, von solchen Firmen und Ländern noch Strom zu kaufen. Denn diese AKWler bedrohen uns im Fall des Falles mit ihrer Strahlung und ersetzen nicht die von ihnen angerichteten Schäden.
  • Den Dialog zwischen den Vertretern der Naturenergie und den Naturschützern intensivieren, denn der Schutz vor den Atomgefahren, der Klimaschutz und der Arten- und Naturschutz müssen und können gleichzeitig verfolgt werden. Nachhaltige Kompromisse sind erforderlich.

BUND-Kommentar vom 03.01.2021 – EU-Pläne: Kein Greenwashing von Atomkraft und Gas

Zu den Plänen der EU-Kommission zur Taxonomie erklärt Antje von Broock, Geschäftsführerin beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): „Gleich zu Beginn der Legislatur muss Bundeskanzler Olaf Scholz beweisen, ob er den Titel ‚Klimakanzler‘ verdient. Nur mit einem Nein gegen Atomkraft und Gas als nachhaltige Technologien in der EU-Taxonomie bleibt er glaubwürdig. Der BUND erwartet eine klare Stellungnahme für eine Energiewende im Einklang mit Nachhaltigkeit, Klimaneutralitätszielen und dem bereits beschlossenen deutschen Atomausstieg.
Statt in veraltete ‚Dinosaurier‘-Technologien zu investieren, braucht es Investitionen in wirklich nachhaltige erneuerbare Energien. Deutschland darf keine Vereinbarung eingehen, bei dem durch die Duldung der Atomkraft auch eine falsche Förderung des fossilen Energieträgers Gas erreicht wird. Das ist eine klimapolitische Hypothek, denn wir müssen auch zeitnah aus fossilem Gas aussteigen. Diese Weichenstellung ist längst überfällig und die Ampel kann jetzt beweisen, ob sie wirklichen Veränderungswillen besitzt.
Neben einem dringend nötigen Impuls für die Energiewende in Deutschland muss die Bundesregierung auch auf europäischer Ebene eine Stimme für Nachhaltigkeit und umweltverträglichem Fortschritt sein. Dafür ist ein geschlossenes Auftreten in Brüssel notwendig, um die benötigte Mehrheit der Mitgliedsstaaten zu organisieren, die für eine Ablehnung des Kommissionsentwurfs gebraucht wird.“

Ausschnitte aus deutschen Zeitungen

Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Kernkraft ist CO2-frei. Das ist ein Grund, warum auch die Klimabewegung gespalten ist über der Frage, ob Atomkraft einen Beitrag zur Klimaneutralität leisten kann. Daran knüpfen sich etliche unangenehme Fragen an den Atomausstieg einer Industrienation: Warum muss sie stattdessen, um auch den Kohleausstieg zu kompensieren, umso mehr in eine fossile, grundlastfähige Kraftquelle, in Gaskraftwerke investieren? Warum verfehlt sie deshalb ihre Klimaziele, obgleich sie die Mittel hätte, das zu vermeiden? Warum mutet sie ihren Bürgern eine Transformation zu, von der unsicher ist, in welche Zukunft sie das Land führt?“

„Giftiges Grün“ überschreibt die Frankfurter Rundschau ihren Kommentar: „Atomkraftwerke sind öko, grün, nachhaltig. Sie sollen von der EU dieses 1a-Label bekommen. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Strahlengefahr? Atommüll, der eine Million Jahre sicher endgelagert werden muss? Riesige Umweltschäden durch den Uranerz-Bergbau? Das alles scheint die EU-Kommission nicht zu interessieren. Sie stellt die Reaktoren ebenso wie neue Erdgaskraftwerke in ihrem ‚Taxonomie‘-Vorschlag auf eine Ebene mit Solar- und Windkraftanlagen. Investoren sollen ihr Geld in die Atomkonzerne stecken können, weil sie damit ja etwas für das Ziel der Klimaneutralität tun – und das auch noch guten Gewissens. Absurder geht’s kaum“.

Süddeutsche Zeitung: „Es ist bezeichnend, dass es Jahrzehnte nach dem Start der ersten Meiler in der EU noch immer kein Endlager gibt. Selbst wer diese Energieform nur als Technologie des Übergangs sieht, wie es die EU-Kommission nun nahelegt, würde an einer Brücke ins Nirgendwo bauen. Bis neue Atomkraftwerke fertig sind, so die Erfahrung aus den jüngsten Vorhaben, gehen meist viele Jahre ins Land – Zeit, die man in der Klimakrise nicht hat. Verbunden damit sind Kostensteigerungen wie im britischen Hinkley Point, das als ‚das teuerste Kraftwerk, seit es Elektronen gibt‘ verspottet wurde. Dies wird Atomkraft für Investoren eher unattraktiv machen, trotz aller grüner Label aus Brüssel. Damit wird es im Vergleich zurAtomkraft immer profitabler, auf Sonnenenergie zu setzen. Manch hochfliegende Pläne für neue Meiler in Europa dürften sich schon deshalb erledigen“.

Badische Neueste Nachrichten: „Niemand möchte der EU Böses unterstellen. Eine so wichtige Entscheidung wie die Klassifizierung von Atom- und Gaskraftwerken als ‚grün‘ in der Silvesternacht kurz vor Mitternacht zu veröffentlichen, wirft allerdings einige Fragen auf. Wieso wird der zentrale Punkt in der sogenannten Taxonomie erst in allerletzter Sekunde präsentiert? Will die Kommission etwas verstecken? Hoffen die Verantwortlichen in Brüssel, dass über Neujahr der erwartete Sturm der Entrüstung zwischen Katerstimmung und guten Vorsätzen einfach verpufft? Durch dieses heimlichtuerische Vorgehen hat die EU-Kommission das allerletzte Vertrauen in die einst so hoch gelobte Taxonomie verspielt“.

Stuttgarter Zeitung: „Der erhoffte Effekt, dass in den kommenden Jahren wesentlich mehr Geld in Ökofinanzprodukte fließt, wird weitgehend ausbleiben. Zudem ist zu befürchten, dass einige Firmen die Taxonomie zum sogenannten ‚Greenwashing‘ nutzen werden, sich also umweltfreundlicher verkaufen, als sie in Wirklichkeit sind.“

Tagesspiegel: „Was angesichts der hohen Risiken der Kernkraft und der jahrhundertelangen Atommüll-Belastung wie ein Hohn klingt, ist vor allem eines: ein Ausdruck der knallharten Interessenpolitik des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Während in Deutschland am Ende des neuen Jahres auch noch die drei verbleibenden Atommeiler abgeschaltet werden, will Macron in diesem Jahrzehnt eine Milliarde Euro in Mini-Reaktoranlagen investieren. Wenn der Plan der EU-Kommission tatsächlich durchgeht – und danach sieht es aus – kann Macron mit zusätzlichen Geldern für eine Technologie rechnen, die das ‚grüne‘ Etikett wahrlich nicht verdient hat. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat sich bei der so genannten Taxonomie, die eigentlich stichhaltige Kriterien für Anleger liefern soll, von Macron überrumpeln lassen“.

Mitteldeutsche Zeitung: „Verheerend ist die Beobachtung, wie der Klimaschutz Europa spaltet. Frankreich und osteuropäische Mitgliedsstaaten setzen auf die vermeintlich saubere Atomkraft und lassen damit zu, dass die nächsten Generationen mit dem strahlenden Müll belastet werden. Deutschland ist nicht viel besser, indem es mit Nord Stream 2 eine neue Erdgaspipeline nutzen will, um in den nächsten Jahren ordentlich CO2 in die Atmosphäre zu blasen. Dass nun beide Seiten ihren Willen bekommen, ist kein Kompromiss, sondern sieht wie eine Kapitulation aus.“

Volksstimme: „Erdgas verursacht bei der Stromerzeugung etwa dreimal weniger Kohlendioxid als Braunkohle. Gaskraftwerke können später mit grünem Wasserstoff oder klimaneutralem Methan betrieben werden. Und: Erdgas verursacht im Gegensatz zur Kernkraft weder hochgefährlichen Müll noch werden im Falle einer Havarie Millionen Menschen bedroht. Wir können nicht in wenigen Jahren unseren gesamten Energiebedarf aus grünem Wasserstoff decken“.

Rheinische Post: „Durch den EU-Rechtsakt wird keiner zu Atom oder Gas gezwungen, jeder andere Weg zum Klimaziel bleibt möglich. Zudem wird alle drei Jahre überprüft, ob etwa die Fortschritte bei den Erneuerbaren neue Empfehlungen nahelegen. Spanien entwickelt Interessantes beim grünen Wasserstoff, Frankreich verspricht sich viel von neuen Druckwasserreaktoren.“

Neue Osnabrücker Zeitung: „Die Tatsache, dass Atomstrom praktisch mit keinerlei CO2-Ausstoß verbunden ist, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Endlagerfrage auch weiterhin nicht geklärt ist. Ist es nachhaltig, das Entsorgungsproblem auf die nächsten Generationen zu verlagern?“

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