Vor uns die Sintflut?

Nach der Klimakonferenz von Glasgow besteht wenig Anlass für Optimismus
Mit freundlicher Genehmigung – von aus Neue Gesellschaft Frankfurter Hefte

Die COVID-19-Pandemie hat das Wachstum der Weltwirtschaft zwar deutlich gebremst und die globale Mobilität reduziert, aber im Kampf gegen den Klimawandel brachte das offenbar keine Atempause. Im Gegenteil: Dem diesjährigen Treibhausgas-Bulletin der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) zufolge erreichte die CO2-Konzentration in der Atmosphäre 2020 einen neuen Höchststand von 413 ppm (parts per million), während der Wert 2019 noch bei 410,7 ppm lag.

COP26-Plenum Schlusssitzung –  Foto © UNFCCC-Team_Kiara Worth, unfccc.int, CC BY-NC-SA 2.0

Dabei werden wir, die Gesellschaft insgesamt und jede/r Einzelne von uns, unseren ganzen Verstand zusammennehmen müssen, um sicherzustellen, dass die Erderwärmung möglichst nicht weiter so steigt wie in den letzten Jahrzehnten und die Welt für unsere Kinder und Enkel bewohnbar bleibt. Die drei Parteien, die jetzt in der Bundesrepublik eine neue Regierung bilden, haben sich nach eigenem Bekunden vorgenommen, die lange kleingeredete Gefahr einer Zerstörung der Biosphäre endlich als die zentrale Herausforderung zu energischem Handeln zu begreifen. Dabei wissen sie natürlich, dass sie wirklich nur dann erfolgreich sein können, wenn sich die Weltgemeinschaft als Ganze dieser Herausforderung stellt. Ob diese sich allerdings dazu durchringen kann, ist nach dem bescheidenen Ergebnis des letzten Treffens der G20, die immerhin für ca. 80 % der CO2-Emissionen verantwortlich sind, eher fraglich.

Auf der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow wurde die Pariser 1,5-Grad-Grenze zwar noch einmal ausdrücklich bestätigt, aber beim Ausstieg aus der Kohle- und Gasverbrennung sträubten sich zwei Hauptemittenten von CO2, China und Russland, gegen eine terminliche Festlegung. Man einigte sich darauf, dass die Auszahlung der längst beschlossenen Finanzhilfen für die besonders von der Klimaerwärmung betroffenen Staaten z. B. in Afrika und im Indischen Ozean jetzt zügig erfolgen soll. Dass die Abholzung des Regenwaldes beendet und die Aufforstung großer Teile der Erdoberfläche angegangen werden muss, hat sogar ein berüchtigter Regenwaldzerstörer wie der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro unterschrieben.

Und die EU, vor allem der Vizepräsident der Kommission Frans Timmermans, hat in Glasgow verbindlich angekündigt, dass die EU beim Emissionshandel entschlossen vorangehen werde. Das alles ist nicht nichts. Aber ob die Staaten der Welt den Ernst der Lage wirklich begriffen und den Mut haben, entsprechend zu handeln, wird sich erst zeigen, wenn es an die konkrete Umsetzung der Vereinbarungen geht.

Unter den fürs Klima zuständigen Wissenschaftler/innen und in den Reihen der Klimaaktivist/innen glaubt jedenfalls so gut wie niemand daran, dass die ehrgeizigen Klimaziele der Pariser Konferenz von 2015 noch erreicht werden können, und dass die in Glasgow getroffenen Vereinbarungen nun eins zu eins umgesetzt werden, ist ebenfalls kaum zu erwarten. Auch Glasgow hat also nicht entscheidend dazu beitragen können, den sich ausbreitenden Ökopessimismus zurückzudrängen.

„Wir haben einen Weg gefunden, für Zerstörung zu sorgen“, schreibt David Wallace-Wells in seinem Bestseller Die unbewohnbare Erde, „und müssen jetzt auch einen Weg wieder herausfinden – oder besser gesagt, einen Weg hin zu einem ramponierten Zwischenzustand, der einer neuen Generation aber trotzdem noch die Möglichkeit bietet, ihre eigenen Wege zu gehen, vielleicht in eine bessere Klimazukunft.“ Der „ramponierte Zwischenzustand“ ist allerdings einer, in dem die Erderwärmung nicht wie 2015 in Paris in Aussicht gestellt um 1,5 Grad, sondern um drei oder 3,5 Grad zunimmt. Und dies, schreibt Wallace-Wells, der sich selbst einen Optimisten nennt, sei ein Zustand, der die Menschen schlimmer leiden lassen wird, „als sie es in vielen Jahrtausenden voller Anstrengungen, Qualen und Kriegen erlebt haben“.

Wenn er Recht hat – und er reiht auf den 270 Seiten seines Buches viele Belege für katastrophale sich gegenseitig verstärkende Entwicklungen aneinander, die seine These erhärten – fällt es schwer daran zu glauben, dass wir bzw. unsere Kinder den kollektiven Gang durch diese menschengemachte Hölle noch vermeiden können. Es sei denn, der Ausbau der regenerativen Energien kommt tatsächlich so schnell voran, wie es die Optimisten hoffen und wir steigen – nicht nur in Deutschland – tatsächlich schon so früh aus der Kohle aus, wie es die Ampelkoalitionäre „idealerweise“ anstreben, die staatliche Subventionierung klimaschädlicher Industriezweige wird entschlossen abgebaut, der Industrie gelingt in kurzer Zeit die Dekarbonisierung der Stahl- und Zementproduktion und dem Staat die Schaffung eines flächendeckenden öffentlichen Verkehrssystems mit sehr viel Schiene und elektrisch betriebenen Bussen.

Aber kann man das wirklich von einer Regierung erwarten, die nicht einmal ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf Autobahnen durchsetzen kann, eine Maßnahme, die so gut wie nichts kostet, dafür aber die Zahl der Unfälle minimieren, den Verkehr flüssiger machen und jährlich 1,9 Millionen Tonnen CO2 einsparen würde?

Es ist nicht leicht, sich einen Rest an Optimismus zu bewahren, wenn man sich mit den Tatsachen der Klimaerwärmung und den allzu oft recht erratischen Reaktionen der Politik näher befasst. So schreibt denn auch der Ökosozialist Bruno Kern in seinem Buch Das Märchen vom grünen Wachstum: „Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ist es wahrscheinlich geworden, dass sich die Gattung Mensch innerhalb weniger Dekaden, also innerhalb eines für uns biographisch relevanten Zeitraums, selbst auslöscht.“ Aber immerhin skizziert er auf den folgenden Seiten eine Alternative zum Untergang, bei der eine weitgehende Deindustrialisierung, eine radikale Umverteilung von Besitz und Macht und die Dezentralisierung von Produktions- und Verwaltungsstrukturen eine Hauptrolle spielen.

Andere freilich machen sich die Mühe nicht, nach einer Alternative zu unserem suizidalen Gesellschaftsmodell Ausschau zu halten. Die große Mehrheit hält verbissen an der Auffassung fest, dass unsere kapitalistische Wachstumsgesellschaft mit ein paar technischen Reparaturen und Fortschritten bei der Digitalisierung den Frieden mit der Natur wiederherstellen könnte.

Aber auch Weltuntergangsprophet/innen und Verschwörungstheoretiker/innen nehmen sich seit einiger Zeit vermehrt des Themas der Erderwärmung an. Einer von ihnen ist Guy McPherson, der das „zeitnahe Aussterben des Menschen“ als Konsequenz der ökologischen Krise voraussagt, ein anderer, Roy Scranton, der ein in den USA viel gelesenes Buch unter dem Titel Learning to Die in the Anthropocene (Im Anthropozän sterben lernen) veröffentlicht hat. Auch wenn die meisten Menschen solche Thesen wahrscheinlich für Unsinn halten, sollte man nicht übersehen, dass sich hier ein gefährlicher ökologisch inspirierter Nihilismus und Antihumanismus herausbildet, der, wenn er sich mit dem ohnehin grassierenden Verschwörungsdenken verbindet und über die sozialen Medien weiter verbreitet, einen entschlossenen Kampf gegen die Erderwärmung weiter behindern könnte.

David Wallace-Wells sieht diese Gefahr, weshalb er seinem Buch am Ende ein Kapitel anhängt, das er mit „Das anthropische Prinzip“ überschrieben hat. Hier betont er nun, dass wir uns nicht mit dem Ausmalen der näher rückenden Katastrophe aufhalten, sondern uns allein der Frage widmen sollten, was und wie viel wir wie schnell tun müssen, um die Katastrophe aufzuhalten. „Das Klimasystem, das der menschlichen Spezies und allem, was wir unter dem Begriff der Zivilisation kennen, zum Aufstieg verholfen hat“, schreibt er, „ist so zerbrechlich, dass es vom Menschen innerhalb von nur einer Generation an den Rand des Zusammenbruchs gebracht worden ist. Aber dieser Umstand verweist auch darauf, über wie viel Kraft die Menschheit verfügt, die das – fast versehentlich – herbeigeführt hat, und diese Kraft muss nun aufgewendet werden, um den Schaden wiedergutzumachen, und das in sehr kurzer Zeit.“

Dieser als Mutmacher gemeinte Gedanke ist insofern zweifellos richtig, als eine Abwendung der Katastrophe kaum möglich wäre, wenn immer mehr Menschen angesichts sich häufender Katastrophennachrichten den Glauben daran verlören, noch etwas von dem retten zu können, was unsere moderne Zivilisation ausmacht. Und dennoch, und das ist der entscheidende Mangel seines Buches, bleibt Wallace-Wells dabei, das ökologische Projekt nahezu ausschließlich als Gefahrenabwehr im Rahmen der bestehenden Verhältnisse zu beschreiben.

Opfer müssen gebracht werden

Die Frage, wohin die Reise gehen soll, stellt er hingegen nicht. Dabei sollten wir uns fragen: Geht es nur darum, unser Gesellschaftsmodell an einigen Stellen, z. B. bei der Energienutzung zu reparieren, damit wir im Großen und Ganzen so weiter leben können wie bisher, oder müssen wir unser Verhältnis zu den Naturbedingungen unserer Existenz gründlicher verändern? Natürlich, wir müssen zunächst eine akute Gefahr abwenden, und das heißt zweifellos auch, dass Opfer gebracht werden müssen. Aber geht es nicht auch um die Frage, ob wir nicht etwas zu gewinnen hätten, wenn wir entschlossen an den ökologischen Umbau der Gesellschaft gingen? Diese Frage, wie wir zugleich nachhaltiger und besser leben könnten, stellt Wallace-Wells sich offenbar nicht.

Einer, der diese Frage dagegen in den Vordergrund seiner Überlegungen stellt, ist Harald Welzer. Welzer konzentriert sich nicht allein auf das große Bedrohungsszenario, sondern skizziert die konkrete Utopie einer nachhaltigen Gesellschaft, in der auch immaterielle und psychologische Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Es geht heute seiner Ansicht nach nicht nur darum, eine tiefe Krise abzuwenden, um dann wieder zum Normalzustand unserer Wachstumsgesellschaft zurückkehren zu können, es geht vor allem um eine bessere Alternative zu unserem Gesellschaftstyp und um den möglichen menschlichen Gewinn durch eine „nachhaltige Lebenskunst“, die das Glück nicht mehr ausschließlich oder vordringlich in gesteigertem Privatkonsum sucht, sondern stärker auf die Bereitstellung öffentlicher Güter und auf Zeitwohlstand setzt. „Die nachhaltige Gesellschaft, die das Primat der Ökonomie durch das der Ökologie ersetzt“, so Welzer weiter, „erfordert allerdings nicht die Verstaatlichung aller Lebenssphären und die Abschaffung der Marktwirtschaft“, sie „stellt ›den Markt‹ dagegen wieder in eine dienende Funktion“.

In einer weiteren Perspektive geht es nach Welzer beim ökologischen Umbau also gar nicht um Verzicht, auch nicht um einen totalen Bruch mit der spätestens seit der Renaissance das europäische Denken prägenden Konzeption des Fortschritts, sondern um die Klärung dessen, was Fortschritt und ein gutes Leben tatsächlich ausmachen und in diesem Zusammenhang um einen neuen Typus der Wohlstandsproduktion, der sich nicht länger an einem längst sinnlos gewordenen Wohlstandsindikator wie dem BIP orientiert und sich vom ökonomischen Wachstumszwang löst.

Wenn wir eine solche Neuorientierung des Fortschritts in wenigen handlungsleitenden Imperativen zusammenfassen wollten, so liefe sie letztlich vielleicht darauf hinaus: alle Energiedienstleistungen mit regenerierbaren Primärenergien, d. h. letztlich mit Sonnenenergie, zu bewerkstelligen; alle verwendeten Stoffe im Sinne einer möglichst emissionsfreien Kreislaufwirtschaft der Wiederverwertung im Techniksystem oder als Nährstoff dem Biosystem zuzuführen; die Energie- und Stoffeffizienz so weit wie möglich zu erhöhen; Schäden nach Möglichkeit vorbeugend zu vermeiden, statt sie nachträglich zu kompensieren.

Es ginge darum, alle Bereiche der Produktion, Versorgung und Verwaltung so weit wie möglich funktional zu dezentralisieren, um die Resilienz der Gesellschaft zu erhöhen und den Sicherheitsaufwand zu senken; die Rationalisierungsgewinne (durch Digitalisierung etc.) nicht mehr zur ständig beschleunigten Produktinnovation und zur Steigerung des Konsums, sondern vor allem zur Schaffung von mehr frei verfügbarer Zeit für alle zu verwenden; die materiellen Güter, die Erwerbsarbeit und die Lebenschancen innergesellschaftlich und global möglichst gleich zu verteilen.

Es liefe darauf hinaus, den öffentlichen Sektor (den staatlichen und den zivilgesellschaftlichen!) zu rehabilitieren und die Bereitstellung öffentlicher Güter und den allgemeinen Zugang zu ihnen zu erleichtern; die Arbeitsbedingungen im monetären und im Sektor der nicht monetär vermittelten Care-Arbeit, Eigenarbeit, Gemeinwesenarbeit, kontinuierlich zu verbessern; und das Verständnis dafür zu fördern, dass Spiel und Muße, kollektive Feste und Kunstgenuss, Freundschaft und Liebe wichtigere Quellen menschlichen Glücks sind als bloßer Warenkonsum.

Dies könnte eine Perspektive für kommende Generationen sein, innerhalb derer die einzelnen aktuell notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Erderwärmung einen historisch-transformativen Sinn erhielten, ohne dass die emanzipative Grundtendenz der Moderne zugunsten eines technokratischen Notstandsregimes verlassen würde. Denn zum einen handelt es sich hier, wie es Robert Misik, den amerikanischen Soziologen Eric Olin Wright zitierend, ausdrückt, um eine utopisch aufgeladene „plausible Idee – nicht vom Endziel, sondern von der Transformation, wie man in kleinen Schritten das Jetzt ins Andere transformiert.“ Und zum anderen geht es nicht nur um technische Innovation, sondern auch und vor allem um die „Verbesserung der Verhältnisse zwischen den Menschen“, worauf, wie Welzer in seinem neuesten Buch Nachruf auf mich selbst zurecht schreibt, auch schon bisher „die wesentlichen Fortschritte im Zivilisationsprozess basierten“.

Johano Strasser ist Publizist und Schriftsteller und war von 2002 bis 2013 Präsident des PEN-Zentrums Deutschland. In der Bibliothek der Provinz erschien im Oktober 2021: Die Erstbesteigung des Mount Chutney. 16 subersive Geschichten.

->Quellen:

  • Bruno Kern: Das Märchen vom grünen Wachstum. Plädoyer für eine solidarische und nachhaltige Gesellschaft. Rotpunktverlag, Zürich 2020, 240 S., 15 €. –
  • Davis Wallace-Wells: Die unbewohnbare Erde. Leben nach der Erderwärmung. Ludwig, München 2019, 336 S., 18 €. –
  • Harald Welzer: Nachruf auf mich selbst. Die Kultur des Aufhörens. S. Fischer, Frankfurt am Main 2021, 288 S., 22 €.