Nach der Flut: Vom Ahrtal zum SolAHRtal

Künftige Modellregion für Erneuerbare Energien? Untersuchung von S4F

Dass die Klimakrise längst in Deutschland angekommen ist, spiegelt die Flutkatastrophe im Ahrtal wider, deren Bevölkerung sich angesichts der kommenden Monate vor dem Kälteeinbruch fürchtet: Voraussichtlich werden Tausende Haushalte im Winter ohne Heizung auskommen müssen, weil Reparaturen und Neuinstallationen noch bis Februar andauern. Schließlich zerstörten die Wassermassen im Sommer nicht nur große Teile der Wohnungen und Häuser, sondern auch fast zwei Drittel aller Heizungen, wie die Energieagentur Rheinland-Pfalz ermittelte. Deren Umfragen ergaben zudem, dass sich 84 Prozent der Menschen den Aufbau einer nachhaltigen Energieinfrastruktur wünschen. So das BDEW-Magazin Stadt Land Fluss am 13.01.2022.

Überschwemmung in Marienthal, Dernau – Foto © mit freundlicher Genehmigung HwK Koblenz

Zerstörte Infrastruktur als Chance für einen Neuanfang

Der Umbau des Ahrtals in ein „SolAHRtal“ sei ein Vorschlag hierzu und stamme von den Scientists for Future (s.u.). Deren Impulspapier diene dem Umwelt-Fachausschuss des Kreises Ahrweiler als Basis seiner neuen Projektgruppe „Energiebewusstes Bauen und Nutzung regenerativer Energien im Ahrtal“. Im Zentrum des Konzepts: ein ganzheitlicher Ansatz rund um Wohnen, Arbeiten und Mobilität mit dem Ziel, bis 2030 Strom, Wärme, Verkehr und Industrie zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien zu beziehen, erläutert Mitautor Urban Weber von der Technischen Hochschule Bingen. Die vielfach zerstörten Infrastrukturen böten die Chance, „quasi bei null“ anzufangen. „Dadurch können wir beim Aufbau einer eng verzahnten Stadt-, Regional- und Energieplanung schneller vorankommen als andere Länder.

Im Falle von Neubauten bzw. von erneuerungsbedürftigen Heizungen sei deren Energieeffizienz sehr hoch. „Wärmenetze können den Anteil Erneuerbarer Energie in diesem Bereich, der bundesweit erst bei 15 Prozent liegt, massiv erhöhen,“ so Weber. Dass viele Ahrtaler jetzt auf Öl und Erdgas setzen und sich neue Heizungen einbauen lassen, sei verständlich und bedauerlich zugleich. „Jetzt zählt, dass die Menschen nicht frieren müssen. Aber diese Anlagen können nur Provisorien sein, weil Rheinland-Pfalz längst entschieden hat, in fünf bis zehn Jahren auf fossile Energien zu verzichten.“

Zusammenfassung der S4F-Arbeit

  • Mit Blick auf die Dringlichkeit der Wiederherstellung der Energie-Infrastrukturen will dieses Impulskonzept einen schnellen Beitrag dazu leisten, den Wiederaufbau im Kreis Ahrweiler am Zielbild der Versorgung mit 100% Erneuerbaren Energien auszurichten. Es soll dazu beitragen, möglichst wenig fossile Strukturen wieder aufzubauen, und allenfalls so, dass sie möglichst einfach auf nicht-fossile Energiequellen umgestellt werden können. Dieses Impulspapier schätzt, ausgehend von der Situation der Energieversorgung im Kreis Ahrweiler, den Ausbau der notwendigen Energiebereitstellung aus erneuerbaren Energien ab und gibt Empfehlungen für flankierende Maßnahmen, die notwendig sind für eine Transformation hin zu einer Versorgung mit 100% erneuerbaren Energien.
  • Eine konsequente Ausrichtung des Wiederaufbaus an dem Zielbild der Versorgung mit 100% Erneuerbaren Energien hat langfristigen Nutzen für den Kreis Ahrweiler und die Region des Ahrtals als bundesweite Modellregion. Wenn jetzt die richtigen Weichen gestellt werden, kann ein beschleunigter Ausbau lokaler erneuerbarer Energieerzeugung bis auf 100% im Zieljahr 2027 (bilanziell) eine verbesserte Resilienz und Impulse für die regionale Wertschöpfung ermöglichen. Im Zieljahr 2030 wäre eine kontinuierliche Versorgung mit erneuerbaren Energien möglich sowie eine Mitversorgung des Umlandes nach dem Vorbild der Landkreise Rhein-Hunsrück und Cochem-Zell.
  • Wir empfehlen die Errichtung eines partizipativ und kooperativ angelegten Projekts, das den Kreis Ahrweiler auf dem Weg hin zu 100% Erneuerbaren Energien durch technische Beratung und wissenschaftliche Begleitung unterstützt und im Dialog mit den Menschen vor Ort erfolgt. ?Ein Ausbau auf 100% Erneuerbare Stromversorgung zur Deckung des lokalen Bedarfs ist im Rahmen der in der Studie „EnAHRgie“ ermittelten Potentiale möglich. Um dieses Ziel zu erreichen, erscheint der Ausbau auf ca. 400 MWp Photovoltaik und 170 – 180 MW Windkraft notwendig. Diese Abschätzung enthält bereits die zu erwartende Steigerung des Strombedarfs für die vollständige Versorgung des Wärme- und Mobilitätssektors mit erneuerbaren Energien.
  • 100% Erneuerbare Energien können bilanziell bis 2027 erreicht werden, wenn pro Jahr ein Zubau von ca. 70 MWp Photovoltaik realisiert wird und – da für dieWindkraft aufgrund zeitaufwändiger Planungsprozesse anfänglich mit Verzögerungen zu rechnen ist – z.B. ab 2024 ein Zubau von etwa zehn Windkraft-Anlagen jährlich (40 MW) und im Jahr 2023 sechs Anlagen (25 MW). Um die notwendigen Kapazitäten zur Verfügung zu stellen, ist beispielsweise ein jährlicher Photovoltaik-Zubau auf 35 ha Freiflächen und 30 – 40 MWp auf Dachflächen notwendig.
  • Um mittelfristig eine kontinuierliche 100%-ige Erneuerbare Stromversorgung zu gewährleisten, ist der Ausbau entsprechender Speicherkapazitäten bis 2030 nötig, zudem ist Flexibilität in Form steuerbarer Erzeuger und Lasten zu schaffen und zu integrieren.
  • Damit eine Wärmeversorgung aus 100% erneuerbare Energien erreicht werden kann, müssen fossile Heizungen (Erdgas und Erdöl) vollständig durch alternative Technologien ersetzt werden. Wo immer dies aufgrund der Siedlungsstruktur und erschließbarer Wärmequellen möglich ist, sind Wärmenetze anzustreben. Wo dies nicht möglich ist, kann die Wärmeversorgung über Wärmepumpen (Luft- oder Sole-Wärmepumpe, je nach örtlichen Gegebenheiten), ggf. ergänzt durch Solarthermie sichergestellt werden. Biomasse für den Wärmebereich ist ein knapper Rohstoff und sollte überwiegend aus nachhaltiger und lokaler Erzeugung stammen und in Kraft-Wärme-Kopplung und überwiegend bedarfsangepasst (flexibilisiert) eingesetzt werden. Zusätzlich sollte die energetische Gebäudesanierung ihren Beitrag leisten durch Senkung der Wärmebedarfe, wobei auch innovative Formen, wie die der seriellen Sanierung, im Hinblick auf eine schnellere Umsetzung erprobt werden sollten.
  • Die kommunale Wärmeplanung ist ein geeignetes Instrument, um gemeinsam mit allen Akteuren zielführend die Wärmewende einzuleiten und in ihren Auswirkungen auf Infrastrukturplanung und Städtebau zu beschreiben und langfristig Versorgungssicherheit herzustellen. Aufgrund der kommunalen Struktur wäre eine Bündelung der Wärmeplanung auf Ebene des Kreises sinnvoll.
  • Neben der Wärmeplanung ist die Siedlungsentwicklung und Stadtplanung auch im Hinblick auf die nachhaltige Mobilität, Bau- und Landwende an dem Ziel der Versorgung aus 100% Erneuerbarer Energien und ressourcenschonend auszurichten. Es ist sicherzustellen, dass die erhöhten Leistungsspitzen und die erforderliche Infrastruktur in Planung und Ausbau der Stromnetze auf allen Ebenen berücksichtigt werden, die aufgrund der Elektromobilität und der Wärmeversorgung sowie durch die Stromerzeugung aus Photovoltaik und Windkraft entstehen.

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