Forschungsvorhaben von Jacobs University Bremen und OFFIS – Institut für Informatik
Viele Verbraucher, viele Erzeuger: Das Stromsystem der Zukunft wird dezentraler und dadurch komplexer. Wie kann die Versorgungssicherheit trotz vielfältiger Belastungen der Netze gesichert und das Energiesystem resilient gestaltet werden? Diese Fragen stehen einer Medienmitteilung vom 27.01.2022 zufolge im Zentrum eines gemeinsamen Forschungsprojekts der Jacobs University Bremen und von OFFIS – Institut für Informatik in Oldenburg. Es modelliert künftige Belastungen des Systems mithilfe der Spieltheorie und des maschinellen Lernens.
Schon jetzt erzeugen bundesweit mehr als zwei Millionen Photovoltaikanlagen Strom, bis 2030 sollen 15 Millionen E-Autos unterwegs sein. Hinzu kommen Windkraftanlagen, Wärmepumpen und Batteriespeicher. Für sich genommen sind die kleinen Verbraucher und Erzeuger von erneuerbaren Energien nicht essenziell für die Systemstabilität, in ihrer Gesamtheit sind sie es aufgrund der Gleichzeitigkeitseffekte schon. Bei Sonnenschein springen die Photovoltaikanlagen an, zugleich laden E-Autos ihre Batterien auf, denn der Strompreis sinkt. Künftig sollen private Kleinanlagen auch im Fall von Engpässen im Stromnetz mit herangezogen werden, um diese aufzulösen oder zumindest abzuschwächen. Bisher erfüllen primär die konventionellen Kohle- und Gaskraftwerke diese Funktion.
„Die Netze können diese Sprünge nur in geringem Maße aushalten“, sagt Marius Buchmann, Projektleiter der Arbeitsgruppe „Bremen Energie Research“ an der Jacobs University. „Die Möglichkeit kurzfristiger und durch Marktanreize synchronisierter Interaktionen im Stromnetz stellt die Netzbetreiber vor neue Herausforderungen und Bedarf einer systematischen, simulationsbasierten Analyse.“
Die Forschenden betrachten diese Anforderungen in einem digitalisierten und vernetzten Stromsystem aus der Perspektive der Netzbetreiber. Sie werden künftig über verschiedene Marktmechanismen auf Systemdienstleistungen von verteilten Anlagen zurückgreifen. So sollen Photovoltaikanlagen oder auch Wärmepumpen in Zukunft zur Stabilisierung der Netzspannung bei 50 Hertz beitragen.
„Wir modellieren verschiedene Szenarien für die Marktregeln dieser Systemdienstleistungsmärkte und schauen uns an, wie sich das Verhalten der einzelnen Akteure unter diesen sich ändernden Rahmenbedingungen auf die Stabilität der Netze auswirkt“, sagt Dr. Buchmann. Kommt es zu kritischen Situationen? Und wie können diese vermieden werden? Um dies zu ergründen greifen die Forschenden der Jacobs University unter Leitung von Dr. Gert Brunekreeft, Professor für Energieökonomie, auf die Spieltheorie zurück. Diese Modellergebnisse werden dann mit den Modellierungen des OFFIS zusammengeführt.
„Wir kombinieren Verfahren der künstlichen Intelligenz, insbesondere aus dem Bereich der selbstlernenden Systeme, mit bewährten Simulationstechniken, um die Interaktionen zwischen Prosumern, die am Markt agieren, und der elektrischen Infrastruktur simulativ abzubilden. Dabei sollen die Marktteilnehmer in der Simulation eigenständig Gebotsstrategien lernen, um eine adaptive und damit realitätsnahe Reaktion der Prosumer auf Marktanreize untersuchen zu können“, so Dr. Astrid Nieße, Professorin für digitalisierte Energiesysteme an der Universität Oldenburg und wissenschaftliche Leiterin im OFFIS. Prosumer sind sowohl Erzeuger als auch Konsumenten von Strom.
Ziel des Forschungsvorhabens mit dem Titel „Resilienz im digitalisierten Stromsystem: Marktregeln für den Umgang mit Gleichzeitigkeitseffekten in Systemdienstleitungsmärkten“ ist die Entwicklung einer „Toolbox“. Die in diesem Werkzeugkasten enthaltenen Instrumente sollen es den zentralen Akteuren ermöglichen, die Auswirkungen neuer Marktregeln auf das Akteursverhalten und damit auf die Resilienz des Stromsystems zu erkennen und zu bewerten. Der Einsatz und die Weiterentwicklung von Open-Source-Software und die umfassende Nutzung und Bereitstellung von Open Data ist dabei ein wesentlicher Anspruch des Projekts. Das Forschungsvorhaben wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz über einen Zeitraum von drei Jahren mit insgesamt rund einer Million Euro gefördert.
Über die Jacobs University Bremen:
In einer internationalen Gemeinschaft studieren. Sich für verantwortungsvolle Aufgaben in einer digitalisierten und globalisierten Gesellschaft qualifizieren. Über Fächer- und Ländergrenzen hinweg lernen, forschen und lehren. Mit innovativen Lösungen und Weiterbildungsprogrammen Menschen und Märkte stärken. Für all das steht die Jacobs University Bremen. 2001 als private, englischsprachige Campus-Universität gegründet, erzielt sie immer wieder Spitzenergebnisse in nationalen und internationalen Hochschulrankings. Ihre mehr als 1.600 Studierenden stammen aus mehr als 110 Ländern, rund 80 Prozent sind für ihr Studium nach Deutschland gezogen. Forschungsprojekte der Jacobs University werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder aus dem Rahmenprogramm für Forschung und Innovation der Europäischen Union ebenso gefördert wie von global führenden Unternehmen.