Proteste und Kritik an der EU-Taxonomie

„Einordnung von Atomenergie als nachhaltig ist abzulehnen“ – von Gas nicht?

Mit ihrem Beschluss, mittels dem ergänzenden Rechtsakt der neuen Taxonomie Erdgas und Kernkraft als nachhaltig und klimafreundlich einzustufen, stellt sich die EU-Kommission sowohl gegen Forderungen aus einigen Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, als auch den Rat von Experten. Die hatten sich mehrheitlich klar gegen eine Aufnahme der Atomenergie ausgesprochen und Nachschärfungen für Gaskraftwerke gefordert. Nun hagelt es (nicht nur) in Deutschland Kritik und Proteste von von vielen Seiten – vor allem von SPD, Grünen und Linken, vor allem aber von einschlägigen NGO ( DUH, BUND, Campact, Bürgerbewegung Finanzwende, Greenpeace, IPPNW, NABU, Umweltinstitut München und Uranium Network). Solarify fasst zusammen – willkürlich und zufällig, nicht repräsentativ.

Medienmitteilung der EU vom 02.02.2022

Mairead McGuinness, Kommissarin für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und Kapitalmarktunion: „Die EU hat sich verpflichtet, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, und dazu müssen wir alle verfügbaren Mittel nutzen.“ Screenshot © EU-Kommissionaudiovisual.ec.europa.eu-copyright

„Die Europäische Kommission hat heute einen ergänzenden delegierten Taxonomie-Rechtsakt zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel vorgelegt, der bestimmte Gas- und Kernenergietätigkeiten abdeckt. Das Kollegium der Kommissionsmitglieder hat eine politische Einigung über den Rechtsakt erzielt, der förmlich angenommen wird, sobald die Übersetzungen in alle EU-Sprachen vorliegen. Damit die EU bis 2050 klimaneutral werden kann, bedarf es umfangreicher privater Investitionen. Durch die EU-Taxonomie sollen private Investitionen in Tätigkeiten gelenkt werden, die notwendig sind, um Klimaneutralität zu erreichen. Die Taxonomie-Klassifikation gibt nicht den Ausschlag dafür, ob eine bestimmte Technologie Teil des Energiemixes eines Mitgliedstaats ist oder nicht. Ziel ist, den Übergang zu beschleunigen, indem auf alle möglichen Lösungen zur Verwirklichung unserer Klimaziele zurückgegriffen wird. Gestützt auf wissenschaftliche Gutachten und angesichts des derzeitigen technischen Fortschritts ist die Kommission der Auffassung, dass privaten Investitionen in Gas- und Kernenergietätigkeiten eine Rolle beim Übergang zukommt. Die in dem Rechtsakt erfassten Gas- und Kernenergietätigkeiten stehen im Einklang mit den Klima- und Umweltzielen der EU. Mit ihrer Hilfe können wir den Übergang von umweltschädlicheren Tätigkeiten wie der Kohleverstromung zu einer klimaneutralen Zukunft mit überwiegend Erneuerbaren Energieträgern beschleunigen.“

Mit dem Rechtsakt zur Klimataxonomie werden

  • weitere Wirtschaftstätigkeiten des Energiesektors in die EU-Taxonomie aufgenommen. Der Rechtsakt enthält klare und strenge Bedingungen gemäß Artikel 10 Absatz 2 der Taxonomieverordnung, unter denen bestimmte Kernenergie- und Gastätigkeiten ebenfalls als Übergangstätigkeiten eingestuft werden können – zusätzlich zu den Tätigkeiten, die bereits im ersten delegierten Rechtsakt zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel erfasst sind, der seit dem 1. Januar 2022 in Kraft ist. Diese strengen Bedingungen lauten: Die betreffenden Gas- und Kernenergietätigkeiten müssen zum Übergang zur Klimaneutralität beitragen; die Kernenergietätigkeiten müssen die Anforderungen an die nukleare Sicherheit und die Umweltsicherheit erfüllen; die Gastätigkeiten müssen zum Umstieg von der Kohle auf Erneuerbare Energieträger beitragen. Für alle genannten Tätigkeiten gelten noch weitere spezifischere Bedingungen, die im heute vorgelegten ergänzenden delegierten Rechtsakt festgelegt sind.
  • spezifische Offenlegungspflichten für Unternehmen hinsichtlich ihrer Tätigkeiten im Gas- und Kernenergiesektor festgelegt. Im Interesse der Transparenz hat die Kommission mit dem heute vorgelegten Rechtsakt den delegierten Taxonomie-Rechtsakt über die Offenlegungspflichten geändert, damit Anleger erkennen können, welche Investitionsmöglichkeiten mit Gas- und Kernenergietätigkeiten verbunden sind, und so in der Lage sind, informierte Entscheidungen zu treffen.Über die Sachverständigengruppe der Mitgliedstaaten für nachhaltiges Finanzwesen und die Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen wurden Experten zum Entwurf des ergänzenden delegierten Rechtsakts konsultiert. Die Kommission hat auch die diesbezüglichen Stellungnahmen des Europäischen Parlaments berücksichtigt. Die Kommission hat die Beiträge dieser Gruppen sorgfältig geprüft und bei der Erarbeitung des heute vorgelegten Rechtsakts berücksichtigt. So wurden beispielsweise gezielte Anpassungen der technischen Bewertungskriterien vorgenommen und Offenlegungs- und Prüfanforderungen aufgenommen, um die Klarheit und Anwendbarkeit der Kriterien zu verbessern.

Nächste Schritte

Sobald der ergänzende delegierte Rechtsakt in alle EU-Sprachen übersetzt ist, wird er den Mitgesetzgebern förmlich übermittelt, damit sie ihn prüfen können. Wie bei den anderen delegierten Rechtsakten zur Taxonomieverordnung haben das Europäische Parlament und der Rat (die der Kommission die Befugnis zum Erlass delegierter Rechtsakte zur Taxonomieverordnung übertragen haben) vier Monate Zeit, den Rechtsakt zu prüfen und, falls sie es für notwendig erachten, Einwände zu erheben. Beide Organe können eine Verlängerung der Frist um weitere zwei Monate beantragen. Der Rat hat das Recht, ihn mit verstärkter qualifizierter Mehrheit abzulehnen, d. h., dass mindestens 72 % der Mitgliedstaaten (mindestens 20 Mitgliedstaaten), die mindestens 65 % der Bevölkerung der EU vertreten, Einwände gegen den delegierten Rechtsakt erheben müssen. Das Europäische Parlament kann ihn mit einer Mehrheit (mindestens 353 Abgeordnete) im Plenum ablehnen. Nach Ablauf dieser Frist und sofern weder das Europäische Parlament noch der Rat Einwände erhoben haben, tritt der ergänzende delegierte Rechtsakt in Kraft und gilt ab dem 1. Januar 2023.

Stimmen

Nina Scheer, energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion: „Atomenergie ist nicht n

„Es bleibt dabei: Atomenergie ist nicht nachhaltig. Entgegen den eigentlichen Vorhaben, nachhaltige Investitionen mittels der Taxonomie zu stärken, werden Investitionen anhand der Einordnung von Atomenergie als nachhaltig fehlgelenkt.“

Scheer sieht „einen unauflöslichen Widerspruch“ darin, dass Brüssel einerseits die Entwicklung von Erneuerbaren Energien nicht behindert sehen wolle, andererseits aber „dem Ausbau von Atomenergie noch bis 2045 ein Nachhaltigkeits-Label erteilt“. Damit würden hiesige Investitionen beim Ausbau Erneuerbarer Energien fehlen. Außerdem erschwere die Atomenergie den wachsenden Anteil der Erneuerbaren „auch systemisch“. Das Freistellen einer Endlagererfordernis für hoch radioaktive Abfälle noch bis 2050 widerspreche dabei dem Nachhaltigkeitsgedanken: „Mit der Einstufung von Atomenergie als nachhaltig wird das europäische ,Do-No-Significant-Harm‘-Prinzips missachtet.“

Der Hinweis aus der Pressekonferenz, die Taxonomie sei ein freiwilliges Instrument für private Investitionsentscheidungen, ist „irreführend: Die Taxonomie wird unter anderem auch von der Europäischen Kommission verwendet, um staatliche Investitionen für EU-Fonds, wie den Wiederaufbaufond Next Generation EU, zu bewerten. Die vorgenommene Einstufung von Atomenergie unterläuft die Nachhaltigkeitsziele der Europäischen Union und ist insofern abzulehnen.“

Habeck und Lemke: „Atomenergie ist risikobehaftet und teuer“

Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck: „Wir haben wiederholt deutlich gemacht, dass wir die Einbeziehung von Atomenergie in die Taxonomie für falsch halten. Atomenergie ist risikobehaftet und teuer; auch neue Reaktorkonzepte wie Mini-Reaktoren bringen ähnliche Probleme mit sich und können nicht als nachhaltig eingestuft werden. Das Ganze konterkariert das gute Konzept der Taxonomie und läuft ihren Zielen zuwider.“

Auch Bundesumwelt- und Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke äußerte sich kritisch: „Wie eine Reihe anderer EU-Mitgliedstaaten lehnt die Bundesregierung die Aufnahme von Atomenergie in die Taxonomie klar ab. Atomkraft ist nicht nachhaltig, mit immensen Risiken verbunden, sie ist zu teuer und die Planungs- und Bauprozesse dauern viel zu lange, als dass sie noch einen Beitrag zum Ziel der Klimaneutralität leisten könnte. Atomkraft als nachhaltig zu bezeichnen widerspricht dem Nachhaltigkeitsverständnis der Verbraucher und Verbraucherinnen in Deutschland und in anderen europäischen Mitgliedstaaten. Ich halten den Rechtsakt in der jetzigen Form für einen großen Fehler, der die Taxonomie als Ganzes stark beschädigt und unsere Klimaziele gefährden könnte. Wir brauchen einen glaubwürdigen Nachhaltigkeitsstandard für die Finanzmärkte, der Greenwashing effektiv verhindert und die nötigen Investitionen dorthin lenkt, wo wir diese so dringend brauchen: in den raschen Ausbau der Erneuerbaren Energien und eine nachhaltige Energiewende. Jede Milliarde, die durch diesen Kommissions-Beschluss zusätzlich in die Atomkraft fließt, fehlt dann dafür. Daher werden wir uns auch dafür einsetzen, dass der Standard für europäische grüne Anleihen, der gerade auf EU-Ebene verhandelt wird, Atomkraft ausschließt.“

Zur Stellungnahme der Bundesregierung sagt VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing:

„Mit dieser Stellungnahme beweist die neue Bundesregierung Gestaltungswillen. Sie knüpft damit konsequent an den Koalitionsvertrag an. Dieser bekennt sich klar zur Notwendigkeit neuer Gaskraftwerke. Als Transformationskraftwerke sichern sie das Erreichen der Klimaziele ab, weil sie später selbst vollständig klimaneutral betrieben werden können (mit Wasserstoff). Zugleich beschreibt die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme notwendige Änderungen, damit die zu engen Vorgaben für den Bau neuer Gaskraftwerke und KWK-Anlagen, aber auch für die Erweiterung der Fernwärme, der Realität angepasst werden. Sehr wichtig ist das Votum für flexiblere Grenzwerte bei Kraft-Wärme-Kopplung und realistischere Vorgaben für den Umstieg auf Wasserstoff. Nur so kommen wir dem notwendigen Zubau gasgetriebener Kapazitäten ein Stück näher, um Versorgungssicherheit bei einem steigenden Anteil Erneuerbarer Energien zu gewährleisten und einen früheren Kohleausstieg zu ermöglichen. Ein wesentlicher Mangel in der Stellungnahme ist allerdings der fehlende Verweis auf das insgesamt zu knapp bemessene CO2-Budget je Anlage. Hier bleibt auch die Bundesregierung leider hinter den praktischen Erfordernissen einer zeitlich begrenzten Übergangsphase zurück.

Wenn Stadtwerke tatsächlich in diese dringend benötigten Anlagen investieren sollen, muss die Bundesregierung auf nationaler Ebene handeln. Sie muss sehr zügig mit einer bedarfsgerechten Förderung und einem geeigneten Marktdesign für die richtigen Rahmenbedingungen sorgen. Ohne diese Unterstützung wird ein wirtschaftlicher Betrieb neuer Kraftwerke und KWK-Anlagen nicht möglich sein. Wir brauchen sie aber umso dringlicher für Versorgungssicherheit, je schneller die Erneuerbaren Energien ausgebaut und der Kohleausstieg vorgezogen werden soll. Ohne dies werden die Ziele des Koalitionsvertrages nicht erreichbar sein.“

NATURSTROM appelliert an EU-Parlament und Rat: „Fataler Irrweg“

Hierzu Thomas E. Banning, Vorstandsvorsitzender der NATURSTROM AG: „Atomkraft ist genau das Gegenteil von nachhaltig. Sie ist mit den unkalkulierbaren Risiken für Millionen Menschen verbunden, sie bürdet künftigen Generationen die Ewigkeitslasten der Atommüll-Endlagerung auf und sie ist um ein Mehrfaches teurer als die Stromproduktion in modernen Photovoltaik- und Windenergieanlagen. Auch aus systemischer Sicht kann die Atomkraft keine Brücke in eine klimafreundliche Zukunft sein. Ein Energiesystem, in dem Erneuerbare Energien den Ton angeben, benötigt ein hohes Maß an Flexibilität auf der Erzeugungs- wie der Verbrauchsseite. Investitionen in neue Atomkraftwerke in Europa stehen dieser benötigen Flexibilisierung diametral entgegen. Sie halten das überkommene System zentraler Großkraftwerke, die sich nur geringfügig an die Nachfrage und die Angebote der Erneuerbaren anpassen können, künstlich am Leben und bremsen die nötige Transformation aus.“

Die Taxonomie sei kein bloßer Leitfaden für private Investoren. Auch staatliche Investitionsentscheidungen und Subventionsflüsse würden künftig von der Taxonomie im Sinne der Atomkraft beeinflusst  – wenn nicht in Deutschland, so doch in unseren Nachbarstaaten.

BUND: EU-Kommission kapituliert vor Atom- und Erdgas-Lobby – Bundesregierung muss Klage vorbereiten

Anlässlich des Beschlusses der EU-Kommission erklärt Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): „Die EU-Kommission entwertet ihr eigenes Label. Mit der Aufnahme von Atomkraft und Erdgas wird die EU-Taxonomie ein Werkzeug für das Greenwashing schmutziger Energieträger. Der Rechtsakt setzt nun Anreize für Investitionen in Atom- und Gaskraftwerke und untergräbt die EU-eigenen Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele. Die Kommission unter Ursula von der Leyen kapituliert vor der Atom- und Erdgas-Lobby. Atomenergie ist keine Energie der Zukunft. Die Einstufung als nachhaltig ist angesichts der Risiken und des ungelösten Atommüll-Problems wissenschaftlich nicht haltbar und eine Entscheidung zu Lasten zukünftiger Generationen. Mit Hilfe der Taxonomie können jetzt Milliarden in die Nachrüstung oder den Neubau von Atomkraftwerken fließen. Dieses Geld fehlt für Klimaschutz und den grünen Umbau der Wirtschaft. Dass klimaschädliches fossiles Gas übergangsweise als Back-up für Solar- und Windkraftwerke fungiert, rechtfertigt ebenfalls kein Nachhaltigkeitslabel.

Trotz der breiten Kritik aus Wissenschaft, Politik und Umweltorganisationen wurde der Entwurf weiter verwässert. Anstatt Erdgaskraftwerke aus der Taxonomie zu streichen, wird ihnen sogar eine längere Laufzeit zugestanden. Die Kommission scheitert krachend an ihrem eigenen Anspruch, einen klimaneutralen und nachhaltigen Investitionsrahmen zu schaffen. Das ist ein Tiefschlag für die Klimabewegung. Auch die Ampel-Koalition mit ihrer Stellungnahme zum Entwurf hat dazu einen Beitrag geleistet. Die Bundesregierung muss sich jetzt umgehend aus der Umklammerung der Erdgaslobby befreien und sich dem Vorbild Österreichs und Luxemburgs anschließen und eine Klage gegen die Aufnahme von Gas und Atom in die Taxonomie vor dem Europäischen Gerichtshof vorbereiten. Es ist unverständlich, dass die EU Kommission eine so umstrittene Entscheidung durch einen Rechtsakt trifft. Wir fordern die Abgeordneten des Europäischen Parlaments auf, dem Irrsinn der EU-Kommission nicht den Weg zu ebnen und diesen Vorschlag zu kippen.“

DUH: „Klimapolitische Bankrotterklärung“

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert den heute endgültig vorgelegten delegierten Rechtsakt zur Taxonomie der EU-Kommission als klimapolitische Bankrotterklärung. Er stuft Atomkraft und fossiles Gas als angeblich nachhaltig ein. Anstatt also wirklich nachhaltige Investitionen zu stärken, untergräbt die Kommission ambitioniertere bestehende Standards. DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner: „Anstatt Finanzströme in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu lenken, lässt die Kommission das Vorzeigeprojekt der EU-Taxonomie zu einem grünen Feigenblatt für Atomkraft und fossiles Gas verkommen. Damit wird das ganze Finanzlabel entwertet, denn bereits geltende Standards für grüne Finanzprodukte schließen diese beiden umweltschädlichen Technologien klar aus. Die Ampel-Koalition hat sich in besonders unrühmlicher Weise dafür eingesetzt, das Greenwashing von Gas-Kraftwerken sogar noch zu erleichtern. Doch selbst wenn ein begrenzter Zubau von neuen Gas-Kraftwerken im Zuge des Kohleausstiegs notwendig ist, macht dies einen fossilen Energieträger noch lange nicht zu einer grünen Technologie. Ihre klimapolitische Glaubwürdigkeit kann die neue Bundesregierung nur retten, wenn sie im EU-Rat gegen den Kommissionsentwurf stimmt.“

Ein kürzlich von der DUH veröffentlichtes Rechtsgutachten hat bereits gezeigt, dass der erste Entwurf des delegierten Rechtsakts gegen die rechtlichen Grundlagen der Taxonomie-Verordnung verstößt. Gegenüber diesem Entwurf wurden die Kriterien für Erdgas nun nochmals abgeschwächt. Insbesondere wird das Kriterium, dass neue Erdgaskraftwerke 55 Prozent weniger CO2-Emissionen ausstoßen müssen als das Kraftwerk, das sie ersetzen, nun auf den gesamten Lebenszeitraum des neuen Kraftwerks angewendet. Das heißt, dass in der Anfangsphase deutlich höhere Emissionen möglich sind, solange zum Ende der Betriebsdauer auf grünen Wasserstoff umgestellt wird.

Die Pläne der Kommission waren im Vorfeld der Veröffentlichung bereits massiver Kritik ausgesetzt. Neben den Taxonomie-Berichterstattern des Europäischen Parlaments Bas Eickhout und Sirpa Pietikäinen sprach sich auch das eigens für die Taxonomie geschaffene Beratergremium der Kommission, die „Platform on Sustainable Finance“, entschieden gegen das Greenwashing von Erdgas und Atomkraft aus. Zuvor hatte neben Umweltgruppen auch die Investorenvereinigung IIGCC in einem offenen Brief gegen die Einbeziehung von Erdgas protestiert.

Green Planet Energy: „Handfeste Risiken wie AKW-Störfälle, ungelöste Entsorgung des Atommülls oder auch eine fortgesetzte Abhängigkeit von Erdgas-Importen unterschlagen“

Marcel Keiffenheim, Leiter Politik und Kommunikation bei der Ökoenergiegenossenschaft Green Planet Energy: „Die Taxonomie sollte eigentlich klarstellen, was Erneuerbare und nachhaltige Investitionen sind – nun droht durch sie ein gezielter Etikettenschwindel. Atomkraft und fossiles Erdgas als ‚nachhaltig‘ deklarieren zu wollen könnte die europäische Energiewende weit zurückwerfen, sollten Investorengelder von wirklich nachhaltigen Energieerzeugungsarten abgezogen werden. Bei den irreführenden Taxonomie-Regelungen werden handfeste Risiken wie AKW-Störfälle, die ungelöste Entsorgung des Atommülls oder auch eine fortgesetzte Abhängigkeit von Erdgas-Importen unterschlagen. Darüber hinaus gerät Europa durch neue Großkraftwerke langfristig in einen fossilen Lock-In. Ja, flexible Gaskraftwerke spielen hierzulande in den kommenden Jahren eine Rolle, um nach dem Abschalten von Atom- und Kohlekraftwerken ein Backup-System zu Wind- und Solarenergie zu schaffen. Investitionen in diese Kraftwerke können damit Investitionen in die Versorgungssicherheit sein. Perspektivisch müssen diese Kraftwerke mit Erneuerbaren Gasen versorgt werden. Aber: Gaskraftwerke sind nun mal nicht per se nachhaltig und haben dementsprechend nichts in der Taxonomie zu suchen – schon gar nicht in Verknüpfung mit nicht überprüfbaren und schwammigen Kriterien.“

Umweltinstitut München, Fridays for Future und Parents for Future: Protest gegen Greenwashing vor den Kommissionsvertretungen in München, Berlin und Bonn

Die Umweltorganisationen bewerten das Ergebnis nach wie vor als enttäuschend und erheben den Vorwurf des Greenwashings. Sie fordern die deutsche Bundesregierung auf, vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen. Durch die Einstufung als „grüne Technologien“ fließen Finanzmittel in Atom- und Gaskraftwerke fließen, die eigentlich für die Transformation zu einer nachhaltigen, regenerativen Energiegewinnung gedacht sind und nun dort fehlen. Die Protestierenden fordern die Abgeordneten in Straßburg auf, dem Greenwashing in der EU-Taxonomie ein Ende zu bereiten und sich für eine glaubwürdige Definition von Nachhaltigkeit einzusetzen. Auch einzelne EU-Mitgliedstaaten haben noch die Möglichkeit, den Vorschlag der Kommission zu stoppen: Sie können vor dem Europäischen Gerichtshof Klage einreichen. Österreich und Luxemburg haben bereits angekündigt, den Klageweg zu beschreiten. Die Protestierenden fordern die Bundesregierung dazu auf, sich diesen Ländern anzuschließen und ebenfalls zu klagen. Durch eine entsprechende Klage muss auch geklärt werden, ob die EU-Kommission überhaupt dazu befugt ist, eine so weit reichende Entscheidung wie die Aufnahme von Gas- und Atomkraft in die Taxonomie als „delegierten Rechtsakt“ zu beschließen. Experten für EU-Recht hatten hieran zuletzt erhebliche Zweifel angemeldet. Sie verweisen darauf, dass unter Umständen ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren unter Einschluss des EU-Parlaments notwendig ist.

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