Kurzstudie zeigt dies beim derzeitigen Ausbau der Erneuerbaren Energien
Prof. Andreas Luczak von der Fachhochschule Kiel bestimmte in seiner Kurzstudie „Zukünftige Erzeugung und Nutzung von grünem Wasserstoff in Schleswig-Holstein: Abschätzung der CO2-Vermeidungskosten“ diese Vermeidungskosten beim Einsatz von grünem Wasserstoff, um die optimale Hochlaufkurve der Wasserstofferzeugung zu bestimmen. Um Gesamtkosten zu minimieren, sollte jede fossile Anwendung möglichst mit der günstigsten Technologie dekarbonisiert werden. Wie „günstig“ eine Technologie ist, lässt sich anhand der Vermeidungskosten quantifizieren. Die Vermeidungskosten beim Einsatz von grünem Wasserstoff entscheiden also darüber, für welche Anwendungen dessen Einsatz grundsätzlich sinnvoll ist und wie die optimale Hochlaufkurve der Wasserstofferzeugung aussieht. Solarify dokumentiert Ausschnitte.
Die Vermeidungskosten ergeben sich aus den Mehrkosten gegenüber der fossilen Anwendung geteilt durch die erzielte CO2-Einsparung. Die Vermeidungskosten beim Einsatz von grünem Wasserstoff entscheiden also darüber, für welche Anwendungen dessen Einsatz grundsätzlich sinnvoll ist und wie die optimale Hochlaufkurve der Wasserstofferzeugung aussieht. Die im Rahmen dieser Studie bestimmten Vermeidungskosten beim Einsatz von grünem Wasserstoff liegen mit deutlich mehr als 100 Euro je Tonne ähnlich hoch wie in anderen Studien abgeschätzt. Bis etwa 2035 sind die Vermeidungskosten alternativer Klimaschutzmaßnahmen deutlich geringer. Für einen früheren Einsatz von grünem Wasserstoff gibt es über den Klimaschutz hinausgehende Argumente, welche allerdings einzeln kritisch hinterfragt werden sollten. Staatliche Fördermaßnahmen im Bereich des grünen Wasserstoffs sollten stärker auf Kosteneffizienz hin überprüft und deren Priorisierung im Vergleich zu alternativ möglichen Klimaschutzmaßnahmen plausibilisiert werden.
Gemäß der Norddeutschen Wasserstoffstrategie wird ein Ausbau der Wasserstoff-Elektrolyseleistung auf mindestens 5 GW bis 2030 angestrebt. Zur Erreichung der Klimaneutralität müssen sämtliche fossile Anwendungen durch klimaneutrale Alternativen ersetzt werden. Indem man grundsätzlich jede fossile Anwendung mit derjenigen Technologie ersetzt, welche die niedrigsten Vermeidungskosten bedeutet, wird eine Minimierung der Gesamtkosten der Energie-wende erzielt.Bei einer rein marktwirtschaftlichen Klimaschutzpolitik in Form einer Bepreisung von CO2 (sei es in Form einer Steuer oder auf Basis des Emissionshandels) wählt automatisch tendenziell jeder beteiligte Akteur diejenige Technologie mit den für den jeweiligen individuellen Fall niedrigsten Vermeidungskosten.Bei alternativen bzw. zusätzlichen staatlichen Eingriffen, die bestimmte Maßnahmen speziell fördern sollen, müssen die Vermeidungskosten der in Frage kommenden zu fördernden Technologien ebenfalls möglichst genau bekannt sein, um auf dieser Basis die sinnvollste Lenkung und Priorisierung der begrenzt vorhandenen Fördermittel vornehmen zu können.
Zur Erreichung der angestrebten Klimaneutralität müssen zwangsläufig unterschiedliche Technologien mit unterschiedlich hohen Vermeidungskosten zum Einsatz kommen. Dies liegt daran, dass je nachdem, in welchem Energiesektor bzw. bei welchem konkreten Anwendungsfall Emissionen vermindert werden sollen, die jeweils vorhandenen emissionsverminderten Alternativen unterschiedlich kostspielig sind. So ist z. B. eine klimaneutrale Stahlherstellung mit ungleich höheren Vermeidungskosten verbunden als der Ersatz von fossil erzeugtem Strom durch Wind- bzw. Solarstrom. Die im optimalen Fall benötigte Menge an grünem Wasserstoff in einem klimaneutralen Energiesystem hängt also davon ab, bei welchen fossilen Anwendungen der Einsatz von grünem Wasserstoff die geringsten Vermeidungskosten aufweist. Da die Prognose der Vermeidungskosten beim Einsatz von grünem Wasserstoff und den möglichen Alternativtechnologien mit hohen Unsicherheiten behaftet ist, unterscheiden sich die prognostizierten Wasserstoff-Nachfragemengen in den verschiedenen Studien enorm.
Da nicht alle fossilen Anwendungen gleichzeitig dekarbonisiert werden können, stellt sich die Frage, in welcher Reihenfolge die Dekarbonisierung umgesetzt werden sollte. Da es zur Einhaltung des zur Verfügung stehenden Emissionsbudgets nicht nur wichtig ist, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt klimaneutral zu sein, sondern die größtmöglichen Reduktionen auch möglichst frühzeitig zu erzielen, sollte sich die Reihenfolge der Umsetzung der Maßnahmen an der Höhe der jeweiligen Vermeidungskosten orientieren. Damit wird erreicht, dass mit dem begrenzt vorhandenen finanziellen Mitteln die größten Emissionssenkungen zu Beginn erreicht werden. Die fossilen Anwendungen, die mit den geringsten Vermeidungskosten dekarbonisiert werden können, sollten also zuerst und die nur sehr kostspielig dekarbornisierbare Anwendungen zuletzt umgesetzt werden.
Ein ähnliches Prinzip der ökonomischen Optimierung wird auch im Strommarkt bei der Einsatzverteilung der Kraftwerke angewendet („Merit Order Prinzip“). In der Praxis muss von dieser durch Vermeidungskosten bestimmten strikten sequenziellen Umsetzung der verschiedenen Dekarbonisierungsmaßnahmen u. U. abgewichen werden, da die Umsetzung einiger Maßnahmen ggf. so lange dauert, dass mit ihnen begonnen werden muss, bevor alle günstigeren Maßnahmen bereits umgesetzt wurden.Von der durch Vermeidungskosten bestimmten Reihenfolge bzw. Umsetzungsgeschwindigkeit abzuweichen kann darüber hinaus sinnvoll sein, wenn der Klimaschutz nicht der einzige Fokus ist, sondern z. B. die gewünschte Förderung bestimmter Industriezweige die Priorisierung von Maßnahmen beeinflusst. Aber auch für solche bewussten Abweichungen von einer optimalen Geschwindigkeit der Umsetzung der verschiedenen Optionen der Dekarbonisierung ist eine möglichst genaue Kenntnis der jeweiligen Vermeidungskosten unabdingbar, um realistisch die Kosten und den Nutzen einer Abweichung vom ökonomischen Optimum abwägen zu können.Da sowohl die Umsetzung der Dekarbonisierung als auch die Lebensdauer der dafür notwendigen Geräte, Anlagen und Infrastrukturen z. T. mehrere Jahrzehnte umfasst, sind nicht nur die aktuellen Vermeidungskosten zu berücksichtigen, sondern auch deren zu erwartende Entwicklung in der Zukunft. Diese hängen zum einen von der Kostenentwicklung der einzelnen Technologieoptionen und zum anderen von äußeren Randbedingungen (z. B. die Häufigkeit der Ökostrom-Abregelungen) ab.
Es kann festgestellt werden, dass es bezüglich des Umfangs und der Schnelligkeit einer Förderung des Ausbaus der Elektrolysekapazität in der Fachwelt und Öffentlichkeit einen erheblichen Dissens gibt, der naturgemäß auch durch Eigeninteressen privater Unternehmen beeinflusst wird.
Argumente für Erzeugung von grünem Wasserstoff nicht vor 2035
Jeglicher Windstrom, der in das öffentliche Stromnetz eingespeist werden kann, verdrängt fossilen Strom und senkt damit direkt Emissionen. Mit dem für die Erzeugung von einem Kilogramm grünen Wasserstoff benötigten Strom werden bei einer Netzeinspeisung aktuell 42 kg CO2 eingespart, was deutlich mehr ist als durch den Einsatz des grünen Wasserstoffs erzielbar. Bei einem Verzicht auf den Bau der Elektrolyseure würden die Emissionen also stärker sinken als durch die mit dem Bau erzeugbare Menge an grünem Wasserstoff.
Aufgrund dieser Tatsache sollte die Erzeugung von grünem Wasserstoff grundsätzlich ausschließlich durch ansonsten abgeregelten Strom erfolgen, solange die direkte Netzeinspeisung mehr Emissionen verringert als durch die Erzeugung. Erst wenn der Stromsektor im europäischen Verbundnetz nahezu dekarbonisiert ist, wird sich diese Situation grundlegend ändern. Aber auch bei der Nutzung ansonsten abgeregelten Stromes entstehen Opportunitätsemissionen. Solange es Maßnahmen mit geringeren Vermeidungskosten als die von grünem Wasserstoff gibt, kann mit diesen mit demselben Kostenaufwand mehr CO2 eingespart werden als durch grünen Wasserstoff. Dies kann am Beispiel des in der Norddeutschen Wasserstoffstrategie geforderten Ausbaus der Elektrolysekapazität von 5 GW bis 2030 verdeutlicht werden. Werden diese mit abgeregeltem Windstrom betrieben und der damit erzeugte grüne Wasserstoff zum Ersatz von grauem Wasserstoff verwendet (was einer der ökonomischsten Anwendungen ist), ergeben sich die folgende CO2-Reduktion und Kosten:
Ein Elektrolyseur erzeugt während seiner Lebensdauer pro Kilowatt elektrischer Leistung 368 kg Wasserstoff und reduziert damit 368 x 15,8 kg = 5,8 t CO2. Elektrolyseure mit der Nennleistung von 5 GW reduzieren damit 29 Millionen Tonnen CO2. Die Elektrolysekosten abzüglich der gesparten Kosten für den grauen Wasserstoff betragen 1.064 € pro kW Elektrolyseleistung. Damit ergeben sich 5,3 Milliarden Euro als Kosten für diese CO2 Einsparung.Zum Vergleich: Die niedrigsten Vermeidungskosten, um CO2 zusätzlich zu reduzieren (= Grenzvermeidungskosten) entsprechen in etwa dem CO2-Preis des Emissionshandels, welcher aktuell bei etwa 70 €/t liegt. Würden stattdessen also zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen mit konservativ angesetzten Vermeidungskosten von 100 €/t umgesetzt (die meisten Maßnahmen zur Erreichung von 80% Emissionsreduktion haben geringere Vermeidungskosten), würde mit denselben Mehrkosten die doppelte Menge an CO2 eingespart werden können. Erst ab einer Emissionsreduktion von etwa 80% erfordert eine weitere Emissionsreduktion Maßnahmen, die Vermeidungskosten im Bereich von grünem Wasserstoff besitzen. Für eine weitere Emissionssenkung über 80% hinaus ist also der Ausbau der Erzeugung von grünem Wasserstoff absolut sinnvoll und notwendig. Dieser Zeitpunkt wird realistischer Weise jedoch nicht vor dem Jahr 2035 liegen.
Dieser relativ späte Zeitpunkt ergibt sich auch aus dem aktuellen Dossier des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Darin wird als wahrscheinlichster Zeitpunkt, an dem grüner Wasserstoff die günstigste CO2-Vermeidungsoption darstellt, etwa das Jahr 2038 angesehen (= Schnittpunkt des prognostizierten Anstiegs des CO2-Preises mit der prognostizierten Senkung der Vermeidungskosten beim Einsatz von grünem Wasserstoff. Nichtsdestotrotz sehen sehr viele Studien bereits vor 2030 einen relevanten Bedarf an grünem Wasserstoff und empfehlen entsprechend einen sofortigen Beginn des Hochlaufs der Elektrolysekapazität. Aufgrund der Komplexität der Simulationen wird allerdings bislang keine ökonomische Optimierung hinsichtlich Startzeitpunkt und Wachstumsrate des Hochlaufs von grünem Wasserstoff unter Berücksichtigung möglicher Opportunitäten (z. B. beschleunigter und/oder zusätzlicher Ausbau der Wind- und Solarenergie) vorgenommen. Die Notwendigkeit einer Elektrolysekapazität von mindestens 5 GW bis 2030 kann aus den Simulationsstudien somit nicht erschlossen werden.
Argumente, die Erzeugung von grünem Wasserstoff bereits jetzt finanziell zu fördern
Im Folgenden wird auf die Argumente eingegangen, warum die Erzeugung von grünem Wasserstoff staatlich bereits gefördert werden sollte, bevor damit niedrigere Vermeidungskosten verbunden sind als bei alternativen Technologien.
Sektorspezifische Zielvorgaben
Das aktuelle Klimaschutzgesetz in Deutschland sieht für 2030 separate Reduktionsziele in den einzelnen Treibhausgase verursachenden Sektoren vor. Speziell die Reduktionsziele in der Industrie sind ohne die Nutzung von grünem Wasserstoff z. B. bei der Stahlherstellung nur schwer erreichbar. Sektorspezifische Ziele widersprechen allerdings der weiter oben bereits beschriebenen ökonomischen Optimierung, sektorübergreifend immer möglichst erst dort Emissionen zu senken, wo dies mit den geringsten Vermeidungskosten möglich ist. Die EU plant deshalb bereits eine Erweiterung des ETS auf die Sektoren Wärme und Mobilität. Bei diesem marktgetriebenen Ansatz werden immer die jeweils günstigsten CO2-Vermeidungsmaßnahmen umgesetzt. Die höchsten Vermeidungskosten werden in Form des CO2-Zertifkatspreis transparent und sektorspezifische Fördermaßnahmen wären dann nur in Ausnahmefällen als Ergänzung notwendig. Die durch grünen Wasserstoff erzielbare Emissionsreduktion in der Industrie könnte damit deutlich später als 2030 erfolgen bei geringeren Kosten für die Gesamtzielerreichung.
Verhinderung eines fossilen „lock-in“
Bei fossilen Anwendungen in Bereichen mit langfristigen Investitionszyklen kann es passieren, dass ohne die Verfügbarkeit von günstigem grünem Wasserstoff noch viele Jahre lang bei anstehenden Erneuerungen von Infrastrukturen und Anlagen die fossile Variante gewählt wird. Dies hemmt die Bereitschaft, zu einem etwas späteren Zeitpunkt, wenn die Nutzung von grünem Wasserstoff sinnvoll ist, die dann noch relativ neuen Infrastrukturen und Anlagen auf Wasserstoff umzustellen. Steht z. B. bei einem Stahlhersteller jetzt eine Erneuerung der Produktionsanlagen an, und er erneuert sie mangels Vorhandenseins von grünem Wasserstoff auf Basis der herkömmlichen fossilen Technologie (Reduktion mit Kohlestaub/ Koks), würde er 2045 entweder nicht klimaneutral sein, oder hätte sog. „stranded assets“, also wertlos gewordene Vermögenswerte, die er nicht mehr nutzen kann. So ein fossiler „lock-in“ kann jedoch auch ohne die teure Erzeugung von grünem Wasserstoff verhindert werden, indem neu gebaute Anlagen und Produktionsprozesse „Wasserstoff-ready“ gestaltet werden. Die dann übergangsweise zunächst notwendige Verwendung von fossilem Erdgas oder grauem Wasserstoff bedeutet im Falle der Stahlherstellung bereits eine CO2-Reduktion gegenüber dem Ist-Zustand und eine Kostenersparnis gegenüber der sofortigen Verwendung von grünem Wasserstoff. Eine zusätzliche Reduktion durch Ersatz des Erdgases bzw. grauen Wasserstoffs durch grünen Wasserstoff kann dann genau zu demjenigen Zeitpunkt erfolgen, wenn die damit verbundenen Vermeidungskosten geringer sind als alle anderen möglichen Alternativen.
Limitierte Ausbaurate der grünen Wasserstoff-Erzeugung
Je nachdem, wie steil man die erreichbare Wachstumsrate für den Ausbau der grünen Wasserstoff-Erzeugung annimmt, muss der Beginn des Ausbaus mehr oder weniger früh und ausgeprägt erfolgen, um die für 2045 als notwendig erachtete Kapazität zu erreichen. Bei der Annahme einer relativ kleinen erreichbaren Wachstumsrate muss der Beginn des Ausbaus entsprechend so schnell wie möglich erfolgen. Dabei wird jedoch nicht berücksichtigt, dass vor 2030 gebaute Elektrolyseure voraussichtlich etwa 2045 das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben und damit zu der dann benötigten Kapazität gar nicht beitragen können. Der Ausbau der Wind- und PV-Energie (von den Kosten pro Kilowatt und der Komplexität her vergleichbar) hat außerdem bewiesen, dass die Ausbaurate in erster Linie von der für Investoren erzielbaren Rendite abhängt und bei entsprechenden Rahmenbedingungen um mehrere GW pro Jahr gesteigert werden kann. Damit ist es nicht unrealistisch, dass eine Elektrolysekapazität von 50 GW, welche in den meisten Studien als benötigte Kapazität für ein klimaneutrales Energiesystem gesehen wird, innerhalb von 10-15 Jahren erreicht werden kann. Ein möglichst starker Ausbau bereits in den nächsten Jahren wäre also auch aus dieser Hinsicht nicht zwingend notwendig.
Bestandsschutz für gasbasierte Infrastruktur
Ein aus ökonomischen Gründen eher später und geringer ausfallende Ausbau der Wasserstoff-Erzeugung zugunsten eines stärkeren Ausbaus der direkten Elektrifizierung führt zwangsläufig zu einer besonders starken Gefährdung des Geschäftsmodells der Betreiber gasbasierter Infrastruktur. Entsprechend setzen sich Verbände, die die Interessen von Gasnetzbetreibern vertreten, für einen schnellen und starken Ausbau der Wasserstoff-Erzeugung ein.
Förderung von Wirtschaftszweigen, die von Wasserstoff profitieren
Eines der zentralen Ziele der (nord-)deutschen Wasserstoffstrategie ist die Stärkung der deutschen Wirtschaft. Durch die staatliche Förderung eines schnellen Ausbaus der Wasserstofferzeugung sollen deutsche Hersteller einen Technologievorsprung erlangen, durch Unternehmensgewinne die Steuereinnahmen des Staates erhöhen und Arbeitsplätze schaffen. Eine Ähnliche Strategie wurde speziell bei der Förderung des Solarstroms verfolgt. Durch den mittels des EEG geschaffenen damals weltweit größten Binnenmarktes konnte die deutsche PV-Industrie Mitte der Nullerjahre auch tatsächlich die weltweite Technologie- und Marktführerschaft erringen. Von den mit hohen Kosten erzeugten Innovationen profitierten jedoch auch Wettbewerber („Technologie-Spillover-Effekte“), die dann durch geringere Herstellkosten letztlich die deutschen „First Mover“ verdrängen konnten („Second/Last Mover Advantages“). Weiterhin gilt es zu bedenken, dass im Bereich der Wasserstofftechnologie außerhalb Deutschlands bereits erhebliche Investitionen in Höhe von etwa 440 Milliarden Euro bis 2030 geplant sind. Ein entscheidender Wettbewerbsvorteil durch einen mit hohen staatlichen Investitionen in Deutschland generierten Binnenmarkt erscheint dadurch unsicher und birgt die Gefahr von Mitnahmeeffekten durch ausländische Hersteller.
Konkrete Empfehlungen
Nachvollziehbare Plausibilisierung des optimalen Beginns und der optimalen Wachstumsrate des Hochlaufs der grünen Wasserstofferzeugung. Dies sollte durch eine Risikobetrachtung ergänzt werden, bei der die Mehrkosten und Mehremissionen, falls sich der geplante Ausbau erneuerbarer Energien verzögert, verglichen werden mit den Mehrkosten und Mehremissionen bei einem verzögerten Ausbau der Elektro-lyseurkapazität.
Grüner Wasserstoff ist keine erneuerbare Energie, sondern „nur“ eine Infrastruktur, um nicht direkt nutzbaren Ökostrom für schwer elektrifizierbare Anwendungen nutzbar zu machen. Deshalb sollten Beginn und Wachstumsrate eines ggfs. staatlich geförderten Wasserstoff-Hochlaufs an notwendige äußere Rand-bedingungen gekoppelt werden. Dies sind vor allem die Verfügbarkeit von überschüssigem Ökostrom und die tatsächliche Kostenentwicklung von grünem Wasserstoff.
Bei bestehenden und zukünftigen Wasserstoff-Projekten in SH sollte ausschließlich ansonsten abgeregelter Strom verwendet werden, um eine höhere Auslastung fossiler Kraftwerke zu verhindern.
Durchführung von systematischen Kostenanalysen bei den bisherigen und zukünftigen Projekten, um verlässlichere Kosteninformationen zu erhalten. Die Entwicklung der tatsächlichen Elektrolysekosten hat einen erheblichen Einfluss auf die optimale Priorisierung von Wasserstoff gegenüber alternativen Klimaschutzmaßnahmen.
Abgleich der Elektrolysekosten zukünftiger staatlich geförderter Projekte mit dem jeweils aktuellen Marktpreis für Elektrolyseure. Dies verringert die Gefahr eines von der Allgemeinheit finanzierten „Wind-fall-Profits“ für Lieferanten von Elektrolyseuren, wenn überhöhte Angebotspreise nicht erkannt werden. Alternativ: Förderung mittels „H2-Einspeisetarif“ analog zum EEG.
Abschätzung der Mehrkosten staatlich geförderter Wasserstoff-Projekte gegenüber alternativen Klimaschutzmaßnahmen mit vergleichbarer CO2-Reduzierung. Die ermittelten Mehrkosten sollten plausibel begründet werden, z. B. durch einen entsprechend wertvollen Erkenntnisgewinn im Vergleich zu bereits bestehenden Wasserstoffprojekten.
Erarbeitung einer Strategie, wie die aufgebrachten Mehrkosten bei einem vorzeitigem Hochlauf der grünen Wasserstoff-Erzeugung effektiv zu einer nachhaltigen Stärkung der (nord-) deutschen Wirtschaft führen können. Dabei sollten die in Kap. 3.2 genannten Risiken berücksichtigt werden. Auch die Opportunitäten sind abzuwägen, d. h. die möglichen positiven Wirtschaftseffekte, wenn bestimmte Anteile der für den Wasserstoff-Hochlauf benötigten Kosten stattdessen für alternative Förderprogramme (z. B. eine zu-sätzliche Erhöhung der Rate der energetischen Haussanierung) verwendet werden würden.
Falls, warum auch immer, grüner Wasserstoff zur Emissionssenkung eingesetzt werden soll, obwohl alternative Maßnahmen geringere Vermeidungskosten aufweisen, sollte dies nur bei denjenigen Anwendungen geschehen, bei denen alle anderen technischen Alternativen langfristig höhere Vermeidungskosten aufweisen oder Wasserstoff die einzige Option einer klimaneutralen Technologie ist (sog. „no regret Anwendungen“). Diese sind im Wesentlichen: Erzeugung von Ammoniak, Direktreduktion von Stahl, Teile des Schwerlast-, Flug- und Schiffsverkehrs sowie die Überbrückung von Dunkelflauten.
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