Nobelpreisträger gegen Ukraine-Krieg
Mehr als 100 Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträger verschiedenster Disziplinen, darunter neun aus Deutschland, haben angesichts des von russischem Boden ausgehenden Krieges in der Ukraine am 28.02.2022 zum Frieden aufgerufen. Dazu haben sie eine Deklaration unterzeichnet, die von der Max-Planck-Gesellschaft initiiert wurde und die von den Lindauer Nobelpreisträgertagungen unterstützt wird. Der Aufruf liegt auch in einer englischen, ukrainischen und russischen Sprachversion vor. Außerdem haben Max-Planck-Präsident Stratmann und die Allianz der Wissenschaftsorganisationen ihre Solidarität mit der Ukraine bekundet.
Die Deklaration knüpft an die Mainau Deklaration 1955 gegen den Einsatz von Atomwaffen an. Sie wurde von Otto Hahn, 16-facher Teilnehmer der Lindauer Tagungen und erster Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, bei der 5. Lindauer Nobelpreisträgertagung mit initiiert. In der aktuellen Erklärung heißt es: „Die Entdeckung der Atomkernspaltung schuf die Grundlage für den Bau atomarer Vernichtungswaffen. Deren derzeitiges Volumen hat das Potential, die Erde für Menschen unbewohnbar zu machen und die menschliche Zivilisation auszulöschen. Deshalb dürfen solche Waffen nie zum Einsatz kommen!“
Die 105 Unterzeichnenden fordern Regierungen und Wirtschaftsverantwortliche auf, wissenschaftliche Erkenntnisse und Technologien verantwortungsvoll und im Bewusstsein für ihre langfristigen Folgen einzusetzen. Der russische Präsident Wladimir Putin wird aufgefordert, die völkerrechtlichen Vereinbarungen zu achten, seine Streitkräfte zurückzurufen, Verhandlungen aufzunehmen und den Frieden herzustellen.
Die Lindauer Nobelpreisträgertagungen und die Max-Planck-Gesellschaft sind überzeugt, dass die Wissenschaft den Dialog fortsetzen muss, auch wenn die Politik schweigt – oder kämpft. Damit verbunden ist die Hoffnung, dass diese Initiative, neben unzähligen anderen, baldmöglichst zum wieder friedlichen Austausch zwischen den Nationen führt.
Deklaration 2022 – Friedensappell der internationalen Scientific Community durch Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträger
Angesichts eines von russischem Boden ausgehenden Krieges und der unverhohlenen Drohung mit Nuklearwaffen haben wir, Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträger in den Naturwissenschaften, Wirtschaft und Literatur, uns entschlossen, diesen Appell an die Regierungsverantwortlichen zu richten.
Wir haben als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kein politisches Mandat, doch wir wissen um die Macht, die die durch uns gewonnenen Erkenntnisse Regierungen und politisch Handelnden verleihen.
Denn Erkenntnisse und Technologien aus wissenschaftlicher Forschung und Entwicklung haben den Menschen im letzten Jahrhundert zur größten gestaltenden Kraft im Erdsystem gemacht. Die Entdeckung der Atomkernspaltung schuf die Grundlage für den Bau atomarer Vernichtungswaffen. Deren derzeitiges Volumen hat das Potential, die Erde für Menschen unbewohnbar zu machen und die menschliche Zivilisation auszulöschen. Deshalb dürfen solche Waffen nie zum Einsatz kommen!
Wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind überzeugt, dass wissenschaftliche Erkenntnisse aller Disziplinen und die auf ihr fußenden Technologien der Menschheit in Zukunft den größten Nutzen bringen werden. Sie sind nur in weltweiter wissenschaftlicher Zusammenarbeit zu erreichen. Ohne sie werden die globalen Probleme nicht zu lösen sein. Voraussetzung ist, dass diese Erkenntnisse ausschließlich für friedliche Zwecke und für das Wohl und das Glück aller Menschen eingesetzt werden unter Anerkennung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.
Wir fordern deshalb Regierungen und Wirtschaftsverantwortliche auf, wissenschaftliche Erkenntnisse und Technologien verantwortungsvoll und im Bewusstsein für ihre langfristigen Folgen einzusetzen. Nur so kann sich die menschliche Zivilisation in respektvollem Umgang mit der Natur und dem Erdsystem in Zukunft weiterentwickeln. Die Grundprinzipien der Charta der Vereinten Nationen zum friedlichen Zusammenleben der Völker sind die Voraussetzung für unsere grenzüberschreitende Arbeit zum Wohl der Erde und der Menschen.
Wir fordern den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf, die völkerrechtlichen Vereinbarungen zu achten, seine Streitkräfte zurückzurufen, Verhandlungen aufzunehmen und den Frieden herzustellen.
München – 28. Februar 2022
Stellungnahme des Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft zum Krieg in der Ukraine
„Alle Nationen müssen zu der Entscheidung kommen, freiwillig auf die Gewalt als letztes Mittel der Politik zu verzichten. Sind sie dazu nicht bereit, so werden sie aufhören, zu existieren.“ Mit diesem Satz schließt die Mainauer Deklaration aus dem Jahr 1955. Initiiert hatte sie der erste Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Otto Hahn. Er war nach dem Zweiten Weltkrieg einer der einflussreichsten Vorkämpfer für globale Völkerverständigung und internationale Entspannungspolitik.
Wir möchten mit diesem Zitat an die Deklaration erinnern, denn sie ist aktueller denn je. Dass 2022 wieder ein Krieg im Herzen Europas ausbricht, haben wir uns alle nicht vorstellen können bzw. wollen. Dass darüber hinaus ein Diktator – und nichts anderes ist der russische Präsident – den Völkern Europas unverhohlen mit einem Nuklearschlag droht, ist unerträglich. Die Max-Planck-Gesellschaft verurteilt den von Präsident Putin ausgelösten Krieg gegen die Ukraine zutiefst. Er ist ein Bruch des Völkerrechts und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft möchte ich allen Bürgerinnen und Bürgern der Ukraine, insbesondere den uns kooperativ verbundenen ukrainischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, den Mitgliedern der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften unser Mitgefühl und unsere Solidarität aussprechen. Ich weiß, dass die bei uns tätigen etwas mehr als 80 ukrainischen Kolleginnen und Kollegen jetzt in großer Sorge um Familie und Freunde sind. Bitte geben Sie uns Bescheid, wo und wie wir unterstützen können.
Ich habe unsere Institute darüber informiert, dass die Max-Planck-Gesellschaft bereit ist, kurzfristig und unbürokratisch zentrale Mittel zur Verfügung zu stellen, um den mit Max-Planck-Instituten verbundenen ukrainischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Fortsetzung ihrer Arbeit mit Unterstützung lokaler Stipendienprogramme zu ermöglichen. Ich hoffe, dass wir damit im Rahmen unserer Möglichkeiten wenigstens einen kleinen Beitrag leisten können, um ihr Leid sowie das ihrer Familien etwas zu lindern.
Zugleich sehen wir, dass es auch deutliche Kritik aus der russischen Zivilgesellschaft gibt. Dass die Proteste nicht lauter sind, darf uns nicht verwundern – es bedarf in dieser Zeit großen Mutes, um sich kritisch gegen das russische Regime zu äußern, viele Tausend sind deshalb bereits inhaftiert worden. Auch das ist uns aus der eigenen Geschichte nur allzu vertraut: Am 22. Februar 1943 verurteilte der Volksgerichtshof im Schwurgerichtssaal des Justizpalastes in München die Mitglieder der Weißen Rose, Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst zum Tode. Ihr Verbrechen war es, die Wahrheit über den Krieg verbreitet zu haben, den damals Deutschland über die Welt gebracht hat ( 6. Flugblatt der Weißen Rose).
Vor wenigen Tagen haben russische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der Seite der vom Astrophysiker Boris Stern herausgegebenen Zeitschrift trv-science.ru einen Aufruf veröffentlicht, in dem sie sich deutlich gegen diesen Krieg aussprechen (deutsche Übersetzung): „Die Verantwortung für die Entfesselung eines neuen Krieges in Europa liegt allein bei Russland. Es gibt keine vernünftige Rechtfertigung für diesen Krieg“, heißt es in dem Aufruf gleich zu Beginn.
Bis zum 24. Februar hatten 2000 russische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschrieben und es kommen nach wie vor weitere hinzu. Viele Mitglieder der Russischen Akademie der Wissenschaften haben unterzeichnet: „Die Isolierung Russlands von der Welt bedeutet eine weitere kulturelle und technologische Degradierung unseres Landes, die keine positiven Perspektiven bietet. Ein Krieg mit der Ukraine ist ein Schritt ins Leere. Wir sind uns bitter bewusst, dass unser Land, das entscheidend zum Sieg über den Nationalsozialismus beigetragen hat, nun zum Anstifter eines neuen Krieges auf dem europäischen Kontinent geworden ist. Wir fordern die sofortige Einstellung aller Militäraktionen gegen die Ukraine. Wir fordern die Achtung der Souveränität und territorialen Integrität des ukrainischen Staates. Wir fordern Frieden für unsere Länder.”
Dieser Krieg wird auch zu schweren Verwerfungen und Einschränkungen in der Wissenschaft führen. Das ist umso trauriger, als es gerade auch in Kooperation mit russischen Kolleginnen und Kollegen wichtige Forschungsprojekte gibt, die einen Beitrag zur Lösung der drängenden globalen Probleme unserer Zeit, insbesondere dem Klimawandel leisten sollen. Die aktuelle Lage lässt uns aber leider keine Wahl. Deutschland wird Sanktionen daher auch im Bereich der Forschung anwenden, um auf die aktuelle Aggression des russischen Regimes zu reagieren.
Martin Stratmann, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft
Allianz der Wissenschaftsorganisationen – Alexander von Humboldt-Stiftung – Deutsche Forschungsgemeinschaft – Fraunhofer-Gesellschaft – Hochschulrektorenkonferenz – Leibniz-Gemeinschaft – Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina – Deutscher Akademischer Austauschdienst – Helmholtz-Gemeinschaft – Max-Planck-Gesellschaft – Wissenschaftsrat
Stellungnahme: Allianz der Wissenschaftsorganisationen: Solidarität mit Partnern in der Ukraine – Konsequenzen für die Wissenschaft
Die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen unterstützt nachdrücklich das konsequente Vorgehen der Bundesregierung gegen den kriegerischen und völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine. Die Allianz sieht in der russischen Invasion einen Angriff auf elementare Werte der Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung, auf denen Wissenschaftsfreiheit und wissenschaftliche Kooperationsmöglichkeiten basieren. Die in der Allianz verbundenen Organisationen unterhalten seit langem vielfältige und fruchtbare wissenschaftliche Kooperationen mit ihren Partnern in der Ukraine. Ihnen gilt in diesem Moment unsere uneingeschränkte Solidarität! In diesem Geiste sind wir fest entschlossen, unsere Kontakte und die intensive Zusammenarbeit mit unseren ukrainischen Partnern auf allen Ebenen fortzusetzen, beim Studierendenaustausch ebenso wie in der Förderung bilateraler Forschungsprojekte und beim Aufbau sowie in der Nutzung wissenschaftlicher Infrastrukturen. Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die als Folge der russischen Aggression ihr Land verlassen müssen, werden wir im Rahmen umfassender Hilfsprogramme Unterstützung anbieten.
Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen wird in dieser Krisensituation in enger Abstimmung untereinander sowie mit der Bundesregierung und anderen politischen Entscheidungsträgern über weitere Schritte beraten. Entscheidungen müssen dann durch die einzelnen Organisationen beziehungsweise Mitgliedsinstitutionen getroffen werden. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt wird jedoch empfohlen, dass wissenschaftliche Kooperationen mit staatlichen Institutionen und Wirtschaftsunternehmen in Russland mit sofortiger Wirkung bis auf weiteres eingefroren werden, dass deutsche Forschungsgelder Russland nicht mehr zu Gute kommen und dass keine gemeinsamen wissenschaftlichen und forschungspolitischen Veranstaltungen stattfinden. Neue Kooperationsprojekte sollten aktuell nicht initiiert werden.
Die Allianz ist sich der Folgen dieser Maßnahmen bewusst und bedauert diese für die Wissenschaft zugleich außerordentlich. Viele Forschungsarbeiten sind auf Jahre angelegt und werden durch die aktuelle Kriegssituation massiv beeinträchtigt. Wir leben in einer multidimensionalen Welt, und nur mit Hilfe enger internationaler wissenschaftlicher Kooperationen können die Krisen, denen sich die Menschheit ausgesetzt sieht, wie Klimawandel, Artensterben oder Infekti-onskrankheiten, bewältigt werden. Daher gilt auch unseren langjährigen russischen Kooperationspartnern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die über die Invasion Russlands in die Ukraine selbst entsetzt sind, unsere Solidarität.
Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen ist ein Zusammenschluss der bedeutendsten Wissenschaftsorganisationen in Deutschland. Sie nimmt regelmäßig Stellung zu wichtigen Fragen der Wissenschaftspolitik. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft ist Mitglied der Allianz und hat für2022 die Federführung übernommen. Weitere Mitglieder sind die Alexander von Humboldt-Stiftung, der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft, die Hochschulrektorenkonferenz, die Leibniz-Gemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft, die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Wissenschaftsrat.
->Quellen: