Neue Erkenntnisse aus der Analyse von Satellitendaten
Der Regenwald am Amazonas hat die Fähigkeit, sich von Störungen zu erholen, seit Anfang der 2000er Jahre abgenommen. Möglicherweise steht er nahe an einer kritischen Schwelle, ab der er sich in eine Savanne verwandelt. Auch in Deutschland sind laut Tagesspiegel Waldbestände betroffen, die bisher eher als trockenresistent galten. Einer Pressemitteilung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung PIK vom 08.03.2021 zufolge verliert der Amazonas-Regenwald wahrscheinlich an Resilienz, wie eine Datenanalyse von hochauflösenden Satellitenbildern zeige. Das sei auf Stress durch Abholzung und Brandrodung zurückzuführen – der Einfluss des vom Menschen verursachten Klimawandels sei bisher nicht eindeutig feststellbar, werde voraussichtlich bald eine große Rolle spielen.
Ihre Entweckungen sehen die Wissenschaftler als Warnsignal. Die neuen Erkenntnisse beruhen auf einer neuartigen statistischen Analyse von Satellitendaten zu Veränderungen der Biomasse und Produktivität im Amazonaswal: „Eine verringerte Resilienz – die Fähigkeit, sich von Störungen wie Dürren oder Bränden zu erholen – kann ein erhöhtes Risiko für das Absterben des Amazonas-Regenwaldes bedeuten. Dass wir in den Beobachtungen einen solchen Resilienzverlust feststellen, ist besorgniserregend“, sagt Niklas Boers vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und der Technischen Universität München, der die Studie gemeinsam mit Forschern der britischen Universität Exeter durchgeführt hat. „Der Amazonas-Regenwald beherbergt eine einzigartige Artenvielfalt; er beeinflusst durch seine enorme Evapotranspiration stark die Niederschläge in ganz Südamerika; und er speichert riesige Mengen an Kohlenstoff, die bei einem auch nur teilweisen Absterben als Treibhausgase freigesetzt würden, was wiederum zur weiteren Erderwärmung beitragen würde. Deshalb ist der Regenwald von globaler Bedeutung.“
„Wenn das Kippen selbst zu beobachten sein wird, wäre es zu spät“
Der Amazonas gilt als potenzielles Kippelement im Erdsystem und eine Reihe von Studien hat seine Verwundbarkeit aufgezeigt. „Computersimulationen zu seine Zukunft liefern jedoch eine gewisse Bandbreite von Ergebnissen“, sagt Boers. „Darum haben wir spezifische Beobachtungsdaten auf Anzeichen für Veränderungen der Widerstandsfähigkeit während der letzten Jahrzehnte untersucht. Wir stellen fest, dass die Widerstandsfähigkeit des Regenwalds seit Anfang der 2000er Jahre kontinuierlich abnimmt, aber wir können nicht sagen, wann ein möglicher Übergang vom Regenwald zur Savanne stattfinden könnte. Wenn er dann zu beobachten ist, wäre es wahrscheinlich zu spät, ihn aufzuhalten. Die Forschung ist Teil des Projekts „Tipping Points in the Earth System“ (TiPES), das durch das Horizon 2020-Programm der Europäischen Union finanziert wird.
Das Team des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und des Global Systems Institute der Universität Exeter verwendete Stabilitätsindikatoren, die zuvor bereits auf den grönländischen Eisschild und die atlantische Umwälzbewegung angewandt wurden. Diese statistischen Indikatoren zielen darauf ab, die Annäherung eines Systems an eine abrupte Veränderung vorherzusagen, indem sie eine kritische Verlangsamung der Systemdynamik identifizieren, zum Beispiel seine Reaktion auf Wetterschwankungen. Die Analyse von zwei Satellitendatensätzen, die die Biomasse und den Grünanteil des Waldes darstellen, hat diese kritische Verlangsamung aufgezeigt. Diese kritische Verlangsamung kann als eine Schwächung der Rückstellkräfte angesehen werden, die das System normalerweise nach Störungen wieder ins Gleichgewicht bringen.
„Ein System mag stabil erscheinen, wenn man nur seinen mittleren Zustand betrachtet“
„Ein System mag zwar stabil erscheinen, wenn man nur seinen Mittelwert betrachtet, doch wenn man sich die Daten mit innovativen statistischen Methoden genauer ansieht, kann man einen Verlust an Resilienz feststellen“, sagt Chris Boulton vom Global Systems Institute der Universität Exeter. „Frühere Studien, die sich auf Computersimulationen stützten, deuteten darauf hin, dass große Teile des Amazonasgebiets bereits zum Absterben verdammt sein könnten, bevor eine starke Veränderung des mittleren Zustands sichtbar wird. Unsere Beobachtungsanalyse zeigt nun, dass die Destabilisierung in vielen Gebieten tatsächlich bereits im Gange zu sein scheint.“
Um die Ursachen für den Verlust der Widerstandsfähigkeit zu ermitteln, den die Wissenschaftler in den Daten finden, untersuchten sie die Beziehung zu den Niederschlägen im Amazonasgebiet, die in drei „einmal in einem Jahrhundert“ auftretenden, verheerenden Dürreereignissen in der Region gipfelten. Es stellte sich heraus, dass trockenere Gebiete stärker gefährdet sind als feuchtere. „Dies ist alarmierend, da die IPCC-Modelle eine allgemeine Austrocknung des Amazonasgebiets als Reaktion auf die vom Menschen verursachte globale Erwärmung vorhersagen“, so Boers. Ein weiterer Faktor ist die Entfernung eines Gebiets zu Straßen und Siedlungen, von denen aus Menschen den Wald erreichen können. Die Daten bestätigen, dass Gebiete in der Nähe von menschlicher Landnutzung stärker bedroht sind.
„Unsere neuartige Analyse empirischer Daten liefert zusätzliche Beweise für die Besorgnis über die Widerstandsfähigkeit des Waldes, insbesondere in naher Zukunft“, sagt Tim Lenton, Direktor des Global Systems Institute. „Sie bestätigt, dass eine starke Begrenzung der Abholzung, aber auch eine Begrenzung der globalen Treibhausgasemissionen notwendig ist, um den Amazonas zu schützen.“ Die Widerstandskraft gegen Störungen hat aber schon in drei Vierteln des Waldes abgenommen.
Aus anderen Erdsystemen weiß man, dass ihr Gleichgewichtszustand instabiler wird, wenn sie träger auf kurze Störungen reagieren. Das hatten Analysen zum Eisschild Grönlands und zum Golfstrom gezeigt, schreibt das Team um Boulton in Nature Climate Change. Für ihre Untersuchung nutzten die Forscher Daten vom Satellitensystem Copernicus zur Dichte des Waldes und Daten der amerikanischen Wetterbehörde NOAA zur Photosynthese.
Auch bisher scheinbar nicht bedrohte Wälder sind betroffen
Ähnliche Ergebnisse hat ein internationales Forscherteam in „Annual Reviews in Plant Biology“ veröffentlicht. Waldexperten haben dafür Baum- und Waldsterben nach Hitzeextremen oder Dürre in den vergangenen 20 Jahren weltweit analysiert. Untersucht wurden Wälder im Amazonas, in Costa Rica und den USA, aber auch in Spanien, Australien und Deutschland. „All diese Waldökosysteme befanden sich entweder in Regionen, in denen Klimaextreme bisher als eher unwahrscheinlich galten“, so Henrik Hartmann vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. Oder es waren Ökosysteme und Baumarten betroffen, die man als tolerant gegenüber extremer Trockenheit und Dürre eingeschätzt hatte.
->Quellen und weitere Informationen:
- pik-potsdam.de/amazonas-regenwald-verliert-an-widerstandsfaehigkeit
- tagesspiegel.de/duerre-hitze-braende-regenwald-am-amazonas-vor-kritischer-schwelle
- Originalpublikation: Chris A. Boulton, Timothy M. Lenton, Niklas Boers (2022): Pronounced loss of Amazon rainforest resilience since the early 2000s. Nature Climate Change [DOI:10.1038/s41558-022-01287-8] – nature.com/articles/s41558-022-01287-8
- Henrik Hartmann, Ana Bastos, Adrian J. Das, Adriane Esquivel-Muelbert, William M. Hammond, Jordi Martínez-Vilalta, Nate G. McDowell, Jennifer S. Powers, Thomas A.M. Pugh, Katinka X. Ruthrof, and Craig D. Allen: Climate Change Risks to Global Forest Health: Emergence of Unexpected Events of Elevated Tree Mortality Worldwide, in: Annual Review of Plant Biology – annualreviews.org/doi/abs/10.1146/annurev-arplant-102820-012804