Krisen-Charta

Das Buch ist schon 12 Jahre alt, aber aktueller denn je: „Merchants of Doubt“, geschrieben von den US-Wissenschaftshistorikern Naomi Oreskes und Erik M. Conway nach ausführlicher Recherche, was die 879 Fußnoten belegen. Die beiden stellen dar, wie bestimmte Wirtschaftszweige – allen voran die Tabakindustrie und die Fossil-Energiehändler – mit unanständigen Kampagnen und gekauften „Wissenschaftlern“ die Öffentlichkeit seit Jahren hinters Licht geführt, belogen haben. Mit unterschiedlichen Tricks: Vom plumpen Leugnen übers teilweise Rechtgeben oder Zweifel säen. Gegen eine noch nicht sehr alte Taktik wendet sich jetzt das neue Netzwerk Klimajournalismus: In einer Charta fordern die Unterzeichner einen neuen Stellenwert für die Behandlung der Klimakrise („Krise“ – nicht „Wandel“!) in den Medien – auf gleicher Ebene wie „Demokratie“ und „Grundrechte“, nicht als ein Thema unter vielen. Die Charta wendet sich gegen sogenannte “False Balance” (falsche Ausgewogenheit). Vielfach wird Objektivität und Ausgewogenheit (letztere vor allem in den öffentlich-rechtlichen Medien) missverstanden, indem einer verschwindenden Minderheitsansicht unangemessen Raum gegeben wird (Absicht oder Überkorrektheit?). Ungeprüfte Belege werden angeführt, die in keinem Verhältnis zu den tatsächlichen Nachweisen stehen oder Informationen unberücksichtigt lassen, welche die Behauptung einer Partei als haltlos entlarven. So geraten auch Klimazweifler, -skeptiker oder -leugner immer wieder in Talkrunden. Die BBC hat 2018 redaktionelle Leitlinien gegen falsche Ausgewogenheit aufgestellt – zur Gästeauswahl zum Thema Klimawandel stellen die fest, da nicht bestritten werde, „dass der Klimawandel stattfindet, wird für eine Gleichgewichtung der Debatte kein ‚Leugner‘ benötigt.“ Zur geforderten Objektivität müssten keine unverhohlenen Klimaleugner in die Berichterstattung einbezogen werden, „genauso wie man niemanden bringen würde, der den 2:0-Sieg von Manchester United am vergangenen Samstag leugnet“. Das gilt auch für Deutschland: „Wenn es Veranstalter oder Sender immer noch für notwendig halten, aus Ausgewogenheitsgründen oder „um Farbe in die Diskussion zu bringen“ jemanden aus der Leugner-Fraktion einzuladen, dann verlangt der Diplom-Meteorologe und ARD-„Wetterfrosch“ Sven Plöger, nachdem 98 bis 99 Prozent den Klimawandel wissenschaftlich als menschengemacht ansehen, jeweils, zusätzlich weitere 98 oder 99 Klimawissenschaftler einzuladen – erst dann sei „Ausgewogenheit erreicht“. -gh-