Entdeckung mit Vorläufern
Eine von Wissenschaftlern der University of Texas in Austin (UTexas) auf der Basis von Vorläuferforschungen entwickelte Enzymvariante kann umweltbelastende Kunststoffe, deren Abbau normalerweise Jahrhunderte dauert, in nur wenigen Stunden bis Tagen abbauen. Diese am 27.04.2022 in Nature veröffentlichte Entdeckung könnte dazu beitragen, eines der dringendsten Umweltprobleme zu lösen: Was tun mit den Milliarden Tonnen an Plastikmüll, die sich auf den Mülldeponien stapeln und unsere natürlichen Böden und Gewässer – vor allem die Ozeane – verschmutzen? Das Enzym hat das Potenzial, das Recycling in großem Maßstab zu beschleunigen, so dass große Industrien ihre Umweltauswirkungen durch die Rückgewinnung und Wiederverwendung von Kunststoffen auf molekularer Ebene verringern könnten.
„Die Möglichkeiten, dieses hochmoderne Recyclingverfahren in allen Branchen zu nutzen, sind endlos“, sagt Hal Alper, Professor am McKetta Department of Chemical Engineering der UT Austin. „Neben der offensichtlichen Abfallwirtschaft bietet das auch Unternehmen aus allen anderen Sektoren die Möglichkeit, eine führende Rolle beim Recycling ihrer Produkte zu übernehmen. Durch diese nachhaltigeren Enzymansätze können wir uns eine echte Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe vorstellen.“
Aus Nature: Kunststoffabfälle stellen eine ökologische Herausforderung dar, und der enzymatische Abbau bietet einen potenziell grünen und skalierbaren Weg für das Recycling von Polyesterabfällen. Polyethylenterephthalat (PET) macht 12 % des weltweiten Feststoffabfalls aus, und eine kreislauforientierte Kohlenstoffwirtschaft für PET ist theoretisch durch schnelle enzymatische Depolymerisation und anschließende Repolymerisation oder Umwandlung/Verwertung in andere Produkte möglich. Die Anwendung von PET-Hydrolasen wurde jedoch behindert durch ihre mangelnde Robustheit gegenüber pH- und Temperaturbereichen, langsame Reaktionsgeschwindigkeiten und die Unfähigkeit, unbehandelte Postconsumer-Kunststoffe direkt zu verwenden.
Das Projekt konzentriert sich auf Polyethylenterephthalat (PET), ein wichtiges Polymer, das in den meisten Verbraucherverpackungen zu finden ist, darunter Keksdosen, Limonadenflaschen, Obst- und Salatverpackungen sowie bestimmte Fasern und Textilien. Es macht 12 % des gesamten weltweiten Abfalls aus. Das Enzym war in der Lage, den Kunststoff in einem „zirkulären Prozess“ in kleinere Teile zu zerlegen (Depolymerisation) und dann chemisch wieder zusammenzusetzen (Repolymerisation). In einigen Fällen können diese Kunststoffe in weniger als 24 Stunden vollständig in Monomere zerlegt werden.
Forscher der Cockrell School of Engineering und des College of Natural Sciences an der UTexas verwendeten ein Modell des maschinellen Lernens, um neue Mutationen eines natürlichen Enzyms namens PETase zu erzeugen, das es Bakterien ermöglicht, PET-Kunststoffe abzubauen. Das Modell sagt voraus, welche Mutationen in diesen Enzymen das Ziel einer schnellen Depolymerisierung von Kunststoffabfällen bei niedrigen Temperaturen erreichen würden. Durch diesen Prozess, bei dem 51 verschiedene Kunststoffbehälter, fünf verschiedene Polyesterfasern und -stoffe sowie Wasserflaschen aus PET untersucht wurden, konnten die Forscher die Wirksamkeit des Enzyms nachweisen, das sie FAST-PETase (funktionelle, aktive, stabile und tolerante PETase) nennen. „Diese Arbeit zeigt, wie gut es ist, verschiedene Disziplinen zusammenzubringen, von der synthetischen Biologie über die chemische Technik bis hin zur künstlichen Intelligenz“, sagte Andrew Ellington, Professor am Center for Systems and Synthetic Biology, dessen Team die Entwicklung des maschinellen Lernmodells leitete.
Schon 2016 hatten japanische Forscher entdeckt, dass PETase Plastik abbauen kann – ihr am 11.03.2022 in Science publizierter Text hat die Überschrift: „Manche Bakterien finden Plastik fantastisch“:
„Bakterien, die außerhalb einer Flaschenrecyclinganlage isoliert wurden, können Plastik abbauen und verstoffwechseln. Die zunehmende Verbreitung von Kunststoffen in Konsumgütern, von Flaschen bis hin zu Kleidung, hat dazu geführt, dass unzählige Tonnen von Kunststoffen in die Umwelt gelangen. Yoshida et al. zeigen, wie der biologische Abbau von Kunststoffen durch spezialisierte Bakterien eine praktikable Bioremediationsstrategie sein könnte (siehe die Perspektive von Bornscheuer*). Die neue Spezies, Ideonella sakaiensis, baut den Kunststoff ab, indem sie zwei Enzyme einsetzt, um PET und ein primäres Reaktionszwischenprodukt zu hydrolysieren und schließlich Grundbausteine für das Wachstum zu liefern.
Science, diese Ausgabe S. 1196; siehe auch S. 1154
Zusammenfassung
Poly(ethylenterephthalat) (PET) wird weltweit in großem Umfang in Kunststoffprodukten verwendet, und seine Anreicherung in der Umwelt ist zu einem globalen Problem geworden. Da man davon ausgeht, dass die Fähigkeit zum enzymatischen Abbau von PET auf einige wenige Pilzarten beschränkt ist, stellt der biologische Abbau noch keine praktikable Sanierungs- oder Recyclingstrategie dar. Durch Screening natürlicher mikrobieller Gemeinschaften, die PET in der Umwelt ausgesetzt sind, haben wir ein neues Bakterium, Ideonella sakaiensis 201-F6, isoliert, das PET als Hauptenergie- und Kohlenstoffquelle nutzen kann. Wenn dieser Stamm auf PET wächst, produziert er zwei Enzyme, die in der Lage sind, PET und das Reaktionszwischenprodukt, Mono(2-hydroxyethyl)terephthalsäure, zu hydrolysieren. Beide Enzyme werden benötigt, um PET effizient in die beiden umweltfreundlichen Monomere Terephthalsäure und Ethylenglykol umzuwandeln.
*) Der Greifswalder Chemiker Uwe Bornscheuer hatte am gleichen Tag unter dem Titel „Feeding on plastics“ („Plastik als Nahrung“) in Nature eine „Perspektive“ veröffentlicht und auf seine japanischen Kollegen hingewiesen: “ Jährlich werden weltweit schätzungsweise 311 Millionen Tonnen Kunststoffe hergestellt; 90 % davon aus Erdöl. Ein beträchtlicher Teil davon wird für Verpackungen (z. B. Trinkflaschen) verwendet, aber nur etwa 14 % werden für das Recycling gesammelt. Die meisten Kunststoffe bauen sich nur sehr langsam ab und stellen daher eine große Gefahr für die Umwelt dar, vor allem in den Ozeanen, wo Mikroplastik ein großes Problem darstellt. Eine mögliche Lösung ist die Synthese abbaubarer Kunststoffe aus erneuerbaren Ressourcen. Dieser Ansatz gibt Hoffnung für die Zukunft, trägt aber nicht dazu bei, die bereits in der Umwelt befindlichen Kunststoffe zu beseitigen. Yoshida et al. gehen auf dieses Problem ein und berichten über einen Organismus, der einen weit verbreiteten Kunststoff vollständig abbauen kann.“
An anderer Stelle (in Nature Communications) wies Bornscheuer dann (2019) auf die Enzyme „Ideonella sakaiensis PETase“ und „MHETase“ hin: „Die extreme Haltbarkeit von PET-Abfällen hat sie zu einer langfristigen Umweltbelastung gemacht. Zwei kürzlich entdeckte bakterielle Enzyme, die speziell PET abbauen, stellen eine vielversprechende Lösung dar. Erstens wandelt Ideonella sakaiensis PETase, ein strukturell gut charakterisiertes Enzym mit Konsens-?/?-Hydrolase-Faltung, PET in Mono-(2-hydroxyethyl)-Terephthalat (MHET) um. MHETase, das zweite Schlüsselenzym, hydrolysiert MHET zu den PET-Edukten Terephthalat und Ethylenglykol. Hier werden die Kristallstrukturen von aktiver ligandenfreier MHETase und von MHETase, die an ein nicht hydrolysierbares MHET-Analogon gebunden ist, vorgestellt. Die MHETase besitzt eine klassische ?/?-Hydrolase-Domäne und eine Lid-Domäne, die Substratspezifität verleiht. Angesichts der strukturbasierten Kartierung des aktiven Zentrums, Aktivitätsuntersuchungen, Mutagenesestudien und einer ersten strukturgesteuerten Änderung der Substratspezifität in Richtung Bis-(2-hydroxyethyl)-terephthalat (BHET) gehen wir davon aus, dass MHETase eine wertvolle Ressource für die weitere Entwicklung des enzymatischen Kunststoffabbaus sein wird.
In Anbetracht seiner einfachen Synthese, Robustheit und Langlebigkeit wurde die industrielle Produktion von PET schon bald nach seiner Entdeckung aufgenommen und steigt seither allmählich an. Einer der größten Vorteile von PET ist seine chemische Inertheit aufgrund der Hydrophobie der Terephthalsäure (TPA), die es nahezu resistent gegen Umweltschäden macht. Obwohl PET und andere synthetische Kunststoffe als ungiftig gelten, sind größere Partikel und Mikrogranulate davon langlebig, in marinen und terrestrischen Lebensräumen allgegenwärtig und reichern sich in lebenden Organismen an. Häufig sind sie auch Träger von potenziell toxischen Farb- und Zusatzstoffen. Die derzeitigen Recyclingbemühungen erfassen nur einen Bruchteil der PET-Abfälle und führen zu herabgestuften, minderwertigen Produkten. Sie hängen von der Zugabe großer Mengen neuer Polymere und einem erheblichen Energieverbrauch ab. Alternativ dazu wurden mehrere Enzyme identifiziert, die PET bei hohen Temperaturen zu TPA und Ethylenglykol hydrolysieren können, wenn auch mit geringer Aktivität.
Zurück nach Texas
Recycling ist der nächstliegende Weg, den Plastikmüll zu reduzieren. Doch werden weniger als 10 % (Zahlen gehen auseinander) des gesamten Kunststoffs recycelt. Die gebräuchlichste Methode zur Entsorgung von Kunststoffen ist neben der Deponierung die Verbrennung, die kostspielig und energieintensiv ist und schädliche Gase in die Luft abgibt. Zu den alternativen industriellen Verfahren gehören die sehr energieaufwändigen Prozesse der Glykolyse, Pyrolyse und/oder Methanolyse. Biologische Lösungen benötigen viel weniger Energie. Die Forschung zu Enzymen für das Kunststoffrecycling hat in den vergangenen 15 Jahren Fortschritte gemacht. Bislang konnte jedoch niemand herausfinden, wie man Enzyme herstellt, die bei niedrigen Temperaturen effizient arbeiten können, so dass sie sowohl tragbar als auch in großem industriellen Maßstab erschwinglich sind. FAST-PETase kann den Prozess bei weniger als 50 Grad Celsius durchführen.
Als Nächstes plant das Team, die Enzymproduktion zu steigern, um eine industrielle und umweltfreundliche Anwendung vorzubereiten. Die Forscher haben die Technologie zum Patent angemeldet und streben verschiedene Anwendungen an. Am nächstliegenden sind die Sanierung von Mülldeponien und die Ökologisierung von Industrien, die viel Abfall produzieren. Ein weiterer wichtiger potenzieller Einsatzbereich ist jedoch die Umweltsanierung. Das Team prüft eine Reihe von Möglichkeiten, die Enzyme in der Praxis einzusetzen, um verschmutzte Standorte zu sanieren. „Wenn man an Anwendungen zur Umweltsanierung denkt, braucht man ein Enzym, das in der Umwelt bei Umgebungstemperatur arbeiten kann. In dieser Hinsicht hat unsere Technologie einen großen Vorteil für die Zukunft“, so Alper.
->Quellen:
- utexas.edu/plastic-eating-enzyme-could-eliminate-billions-of-tons-of-landfill-waste
- laborjournal.de/editorials/1906.php
- cockrell.utexas.edu/che.utexas.edu
- cns.utexas.edu
- biochemie.uni-greifswald.de/articles-in-nature-nature-chem-biol-nature-chem-and-science-10099
- Originalpublikationen:
– Hongyuan Lu, Daniel J. Diaz, Natalie J. Czarnecki, Congzhi Zhu, Wantae Kim, Raghav Shroff, Daniel J. Acosta, Bradley R. Alexander, Hannah O. Cole, Yan Zhang, Nathaniel A. Lynd, Andrew D. Ellington & Hal S. Alper: Machine learning-aided engineering of hydrolases for PET depolymerization, in: Nature volume 604, pages 662–667 (2022), 27.04.2022 – nature.com/articles/s41586-022-04599-z
– Shosuke Yoshida, Kazumi Hiraga, Toshihiko Takehana, Ikuo Taniguchi, Hironao Yamaji, Yasuhito Maeda, Kiyotsuna Toyohara, Kenji Miyamoto, Yoshiharu Kimura and Kohei Oda: A bacterium that degrades and assimilates poly(ethylene terephthalate), in: Science, 11.04.2016, Vol 351, Issue 6278, pp. 1196-1199, DOI: 10.1126/science.aad6359
– Gottfried J. Palm, Lukas Reisky, Dominique Böttcher, Henrik Müller, Emil A. P. Michels, Miriam C. Walczak, Leona Berndt, Manfred S. Weiss, Uwe T. Bornscheuer and Gert Weber: Structure of the plastic-degrading Ideonella sakaiensis MHETase bound to a substrate, in: Nature Communications, 2019, 10: 1717, published online 12.04.2019, doi: 10.1038/s41467-019-09326-3
– : Feeding on plastic, in Science Perspective/Microbiology, 11 Mar 2016,Vol 351, Issue 6278, pp. 1154-1155, DOI: 10.1126/science.aaf2853
– Uwe T. Bornscheuer: A radical change in enzyme catalysis, in: Nature volume 540, pages 345–346 (2016); nature.com/articles/540345a