Weizenknappheit löst Doppel-Streit aus

Teller statt Tank oder Ökoflächen beackern?

Im Supermarkt werden Öle und Mehl rationiert: „Nur noch zwei Flaschen pro Kunde!“ steht an der Kasse. Lebensmittel sind teuer wie kaum je zuvor. Zuerst sorgte Corona für Verwerfungen an den Rohstoffmärkten, nun heizt der Krieg in der Ukraine die Angst vor Engpässen und Hungersnöten in Entwicklungsländern an. „Im März stiegen die Weltmarktpreise für Nahrungsmittel der Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen zufolge auf ein Rekordhoch. Allein Weizen verteuerte sich um knapp 20 Prozent,“ konstatierte der Wiener Standard am 27.04.2022.  Das befeuert zwei Kontroversen.

Rapsfeld – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Ökologisch brachliegende Flächen könnten wieder beackert werden und Biosprit gehöre verboten – zwei kontroverse Forderungen. Die Bundesregierung will wegen stark gestiegener Lebensmittelpreise den Einsatz von Biosprit aus Pflanzen gesetzlich begrenzen. „Teller statt Tank“ sei die Devise, hieß es auf der Umweltministerkonferenz am 13.05.2022. „Den schönen Worten müssen nun aber auch Taten folgen. Es darf nicht dabei bleiben, auf eine der schwersten Hungerkrisen seit dem Zweiten Weltkrieg mit einem stagnierenden Entwicklungshaushalt zu antworten“, kommentierte Dagmar Pruin, Präsidentin von Brot für die Welt, den Gipfel. „Wenn Weizen als Waffe eingesetzt wird, ist auch eine Zeitenwende im Kampf gegen den Hunger notwendig.“ Brot für die Welt fordert zusätzliche Mittel in Höhe von 2,7 Milliarden Euro, verteilt auf die drei Ressorts Entwicklungszusammenarbeit, Landwirtschaft und Auswärtiges. „Brot für die Welt“ zeigte Verständnis für Indiens Ausfuhrstopp für Weizen.

Indien, das immerhin 500 Millionen arme Menschen mit Getreide versorgen muss, hat ein Exportverbot erlassen. Grund sei die unsichere Ernährungslage im Land. In einer von der Regierung veröffentlichten Bekanntmachung hieß es, der sprunghafte Anstieg der Weltmarktpreise für Weizen bedrohe die Ernährungssicherheit Indiens und benachbarter Länder. Mit dem Export sollten Preissteigerungen im eigenen Land eingedämmt werden. Indien hatte in der Vergangenheit den größten Teil seiner Ernten selbst verbraucht. Für 2022 und 2023 wollte das Land aber zehn Millionen Tonnen Weizen exportieren, um von Engpässen zu profitieren, nachdem die Ausfuhren aus der Ukraine im Zuge des russischen Überfalls stark zurückgegangen waren. Käufer setzten deshalb auf Indien, das nicht nur Lieferungen für Europa, sondern auch Indonesien, die Philippinen und Thailand ins Auge gefasst hatte. Eine extreme Hitzewelle bedroht nun aber die Ernteerträge, so die Tagesschau. „Es ist nur gerechtfertigt, wenn die indische Regierung Hunger im eigenen Land durch einen Ausfuhrstopp verhindern will“, zitierte die Deutsche Welle Francisco Marí, Welternährungsreferent beim evangelischen Hilfswerk, aus der taz. Mari kritisierte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), der Indien angegriffen hatte, „obwohl die G7 selber Millionen Tonnen an Weizen zusätzlich zur Verfügung stellen könnten, indem sie zum Beispiel weniger Getreide als Kraftstoff verheizen oder verfüttern würden“. Zurzeit landeten etwa in Deutschland 80 Prozent des Weizens nicht auf dem Teller, sondern in Tank oder Trog. „Die Bundesregierung sollte gucken, wie Deutschland seinen Weizenverbrauch reduzieren kann“, mahnte der Experte.

Greenpeace-Experte Martin Hofstetter argumentiert: Die Ernten müssten jetzt sinnvoller verwendet werden, als sie in den Tank zu schütten. Dass Raps, Getreide und Sonnenblumenöl im Autotank landen, sei „in der heutigen Weltlage nicht sinnvoll“. Zehn Millionen Tonnen Lebensmittel würden pro Jahr zu Kraftstoffen – um damit gerade mal rund vier Prozent des verbrauchten Treibstoffs durch Biosprit zu ersetzen. Der in Deutschland angebaute Raps beispielsweise könnte sofort als Lebensmittel verwendet werden.

Teller vor Tank forderte im Gespräch mit dem STANDARD jüngst auch der Bonner Agrarexperte Matin Qaim: Bioenergie koste 20 Prozent der Agrarfläche, decke jedoch nur fünf Prozent der Kraftstoffe im Transport ab. Brachliegende Fläche zu reaktivieren sei kein großer Wurf – es überrasche ihn, dass die Politik auf dem Ohr Bioenergie taub sei. Europaweit werden täglich rund 10.000 Tonnen Weizen, die sich zu rund 15 Millionen Laib Brot verarbeiten ließen, zu Ethanol für Autos, erhob die Umweltschutzorganisation Transport & Environment am 31.03.2022 in einer Untersuchung. Um den Spritverbrauch zu senken; sei ein Tempolimit nötig. Allein in Deutschland würden 2,4 Millionen Tonnen Futter- und Lebensmittel eingesetzt, um Bioethanol als Kraftstoffbeimischung zu produzieren, sendete der WDR am 14.05.2022.

Widerstand gegen Biosprit-Begrenzungen meldet sich vor allem aus der Industrie: „Die aktuelle deutsche Gesetzgebung begrenzt bereits seit 01.01.2022 die Verwendung von Nahrungsmittelrohstoffen für die Biokraftstoffproduktion auf ca. 4 Prozent. In der EU liegt diese Begrenzung bei maximal 7 Prozent. Deutschland hat also bereits eine um 40 Prozent schärfere Beschränkung als die anderen EU-Mitgliedsstaaten,“ klagt Biosprithersteller VERBIO. Und: Verbio setze schon allein aus Kostengründen vor allem minderwertige Getreide-Qualitäten und kein Brotgetreide für die Biospritgewinnung ein. Die Schlempe werde zu Biomethan weiterverarbeitet. VERBIO produziere jährlich ca. 100 Mio. m³ reststoffbasiertes Biomethan in Erdgasqualität mit über 90 Prozent CO2-Einsparung und ersetze damit „bereits heute einen Teil des russischen Erdgases“. Seit Jahren fordere VERBIO, die deutsche Politik solle stärker auf erneuerbare Energien aus Reststoffen setzen. Diese verbänden „Klimaschutz mit regionaler Wertschöpfung, Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit von fossilem Öl und Gas ohne Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion“. (siehe: solarify.eu/lemke-und-schulze-wollen-biosprit-herunterfahren)

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