Medienmitteilung von VDE, BSKI, GreenTEC Campus und MIT Boston
Am 30.05.2022 erklärten die Technologieorganisation VDE, der GreenTEC Campus und der Bundesverband für den Schutz kritischer Infrastrukturen (BSKI) im Rahmen einer Pressekonferenz bei der Hannover Messe, dass ihrer Überzeugun nach die komplette Energiewende – Energieversorgung aus 100% Erneuerbare Energien – innerhalb weniger Jahre möglich sei. Vorausgesetzt – es fänden sich genügend Investoren und Fachkräfte. An ersterem zweifeln VDE, GreenTEC Campus und BSKI nicht, an letzterem schon.
Ohne Hardware keine Software: Zahl der Ingenieure in Elektrotechnik und Maschinenbau muss steigen
Um die Energiewende in Gänze zu vollziehen, bedürfe es dringend weiterer Fachkräfte im Bereich Energietechnik, IT, Maschinenbau und Informatik. Während die Informatik aufgrund „hipper Themen“ wie Künstliche Intelligenz oder Big Data immer größeren Zulauf erhalte, sänken die Zahlen in der Elektrotechnik und im Maschinenbau. Vor allem in der Elektrotechnik nehme die Kluft zwischen der erfolgreichen Ausbildung von Studierenden und dem steigenden Bedarf dramatische Ausmaße an. Zu diesem Ergebnis komme die VDE Studie „Arbeitsmarkt 2022“ vom Februar 2022. Fakt ist, dass analog zum Trend des software driven engineering der Anteil der Hardware als wichtiger integraler Bestandteil wächst. Software arbeitet ohne high-end Hardware nicht. „Wir brauchen einen Imagewechsel in der Elektrotechnik, um mehr Schülerinnen und Schüler für ein Studium zu ermuntern. Gleichzeitig muss die Mathekompetenz in den Gymnasien gesteigert werden, die Abbruchquote ist mit über 50% in der Elektrotechnik zu hoch“, zitierte Burkhard Holder von VDE Renewables aus der VDE-Studie. Fakt sei: Ohne Hardware keine Software.
Cybersicherheit: VDE, BSKI und GreenTEC Campus bilden Quereinsteiger aus
Mit der Energiewende steige der Digitalisierungsgrad. Mit der größer werdenden Anzahl dezentraler Strukturen nehme damit auch die Gefahr für Disruptionen zu. Vor allem Windparks böten Hackern Angriffsfläche. „Wenn wir hier nicht nachlegen und Fachkräfte ausbilden, sehe ich ernsthafte Probleme durch Cyberangriffe, die z. B. ganze Windparks außer Betrieb setzen und als Folge dann zu Blackouts führen“, sagte Marten Jensen vom GreenTEC Campus. Damit es nicht dazu kommt, baue sein Campus zusammen mit dem VDE und dem BSKI derzeit IT-Ausbildungsprogramme zur Cybersicherheit und zum Schutz kritischer Infrastruktur auf. Jetzt müssten nur noch die Interessenten für die Ausbildung her.
Großes Potenzial sehen die drei Organisationen bei den Beschäftigten des Rheinischen Braunkohlereviers. „Nicht jeder muss studierter Informatiker sein. Quereinsteiger bilden wir in unseren IT-Ausbildungsprogrammen zur Cybersicherheit und zum Schutz kritischer Infrastruktur entsprechend für ihre Tätigkeiten weiter“, erklären VDE, GreenTEC Campus und BSKI unisono. Gemeinsam mit der Quirinus Akademie in der Geschäftsstelle des BSKI im Braunkohlerevier werden vor Ort die entsprechenden Programme aufgebaut. 2021 waren etwa 18.000 Personen (einschließlich Beschäftigter in den Braunkohlekraftwerken der allgemeinen Versorgung) im Braunkohlenbergbau in Deutschland beschäftigt (Statistisches Bundesamt 2022). Hier bedürfe es einer konkreten Weiterbildung, um die Herausforderungen im Braunkohlerevier zu bewältigen.
Vor allem Kommunen seien kritische Infrastrukturen, da sie für die Daseinsvorsorge für die Bevölkerung zuständig sind, inklusive Krankenhäuser, Wasser- und Stadtwerke. Hier müsse innerhalb der Kommunen ein Sicherheitsnetzwerk aufgebaut werden, um eine zentralisierte Abwehrstrategie zu entwickeln. Und dafür bedarf es Personal.
Investoren und Versicherer fordern Standards und Zertifizierung
Um die regionale und lokale Energieversorgung zusätzlich zu schützen und Investoren sowie Versicherern Sicherheit zu geben, legen VDE, die Unternehmen der Energiewirtschaft und das Bundeswirtschaftsministerium derzeit die technischen Eckpunkte und die daraus resultierenden Standards des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) fest. „Wir wollen mit implementierten Sicherheitsprozessen und Methoden und einer professionell durchgeführten Zertifizierung der Prozesse, z. B. nach ISO 27001, Investoren, Versicherern und der Industrie Vertrauen in ihrer Entscheidungsfindung geben“, erklärte Burkhard Holder, VDE Renewables.
Energiewende Bottom-up und Full Speed
VDE, GreenTEC Campus, BSKI und MIT bekräftigen Schulterschluss bei der Energiewende. Deutschland bzw. Europa könnte durch politisch-gesellschaftlich-technologische Souveränität wieder internationale Alternative auf Augenhöhe im Spannungsdreieck Digitalisierung-Dekarbonisierung-Souveränisierung werden. Um sich aus der Abhängigkeit von Russland und Asien bei der Energieversorgung zu lösen, müsse die Energiewende jetzt „bottom-up“ und „at full speed“ vollzogen werden. Dass kurzfristig eine beschleunigte Selbstversorgung mit Erneuerbaren Energien (EE) sowohl im Kilowatt- als auch im Megawattbereich möglich sei, zeigten die Technologieorganisation VDE, der GreenTEC Campus, der Bundesverband für Kritische Infrastrukturen (BSKI) sowie das Massachusetts Institute of Technology (MIT) bei der Pressekonferenz anlässlich der Hannover Messe. Hierzu müssten Industrie, Städte und Kommunen ihre bestehenden Flächen besser nutzen und für Erneuerbare Energien zur Verfügung stellen. Der Genehmigungsprozess sowie der Netz- und Speicherausbau müssten beschleunigt und Wasserstoff muss kostengünstig hergestellt werden. Die komplette Eigenversorgung in Deutschland sei in den nächsten Jahren möglich. Allerdings müssse verstärkt in eine an den Markt und die Rahmenbedingungen angepasste Exzellenzforschung, unter anderem bei der Speicherkapazität und der Anpassung der Netze, investiert und die europäische EE-Industrie gestärkt werden.
Massiver Ausbau der PV-Leistung notwendig: Jedes Dach nutzen
„Um unseren gesamten Energiebedarf aus EE zu decken, ist ein massiver Ausbau der PV-Leistung notwendig, neben einer Reihe weiterer Maßnahmen. In den letzten Jahren wurden nur maximal 5 GWp pro Jahr installiert. Um aufzuholen ist gerade im PV-Bereich ein Bottom-up Ansatz notwendig. Ein riesiges, ungenutztes Potenzal bieten Industrie, Städte und Kommunen. Sie müssen ihre bestehenden Flächen – auf Industrie- und Handelsdächern, über Parkplatzflächen, an Autobahnen oder auch Tagebauseen – besser nutzen und für PV-Anlagen zur Verfügung stellen. ‚Viele Industrie- und Handelsunternehmen haben den Vorteil bereits erkannt. Es ist Zeit, dass Erneuerbare Energien auch flächendeckend in Deutschland eingesetzt werden‘, mahnt Burkhard Holder, VDE Renewables, und fügt hinzu: ‚Und um mit einem Märchen aufzuräumen: Volatiler Solarstrom gefährdet nicht die Versorgungssicherheit. Diese konnte mit dem Ausbau der Photovoltaik sogar verbessert werden. Von ehemals etwa 30 Minuten Störungsdauer pro Jahr, sind wir heute bei rund zehn Minuten.'“
PV-Produktionskapazitäten in Europa ausbauen
Der Ausbau mit Photovoltaik muss schnell voranschreiten – und das nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Dies bedeutet insbesondere für Europa, dass die Lieferketten entlang der PV-Produktion gesichert werden müssen. Derzeit besteht eine große Abhängigkeit von Lieferungen aus dem asiatischen Raum. Wie schädlich solche Abhängigkeiten sind, zeigen die Gaslieferungen aus Russland. Daher gilt es, die industrielle Fertigung in Europa wieder zu stärken. Aufgrund der hervorragenden Forschungsinfrastruktur, einem modernen Maschinenbau und dem wachsenden Heimatmarkt ist Europa und speziell Deutschland in einer guten Position. Politische Unterstützung z.B. durch Important Projects of Common European Interest – IPCEI, analog zum Aufbau der Batteriefertigung, sind Maßnahmen, um die industrielle PV-Produktion in Deutschland und Europa zu beschleunigen und damit die langfristige Energiesouveränität zu gewährleisten.
Windkraft zum Verbraucher führen
Für die Versorgungssicherheit unabdingbar ist die Windkraft. Und für diese wiederum angepasste Netze und Speicherinfrastruktur. Allein in Schleswig-Holstein gibt es seit Jahren erhebliche Potenziale in der Windstromerzeugung, die durch Abregelung der Anlagen und noch nicht vorhandener, angepasster Netze und Speicherinfrastruktur ungenutzt sind. „Der Stromverbrauch in Schleswig-Holstein wird nicht real zeitgleich, aber immerhin rein rechnerisch zu rund 160 Prozent durch Windkraft gedeckt“, rechnete Marten Jensen, GreenTEC Campus, vor. „Allerdings mussten die Windparks zum Teil tagelang abgeschaltet werden, nur weil die Netze nicht ausreichen und Speicher fehlen. Gleichzeitig haben wir eine katastrophale regenerative Unterversorgung in den Sektoren Wärme und Verkehr“, machte sich Jensen Luft. Er sieht die Zeit gekommen für einen Neuanfang. „Wir zeigen täglich auf unserem Campus, wie der Überschuss-Strom auf die Sektoren Verkehr und Wärme sowie den neuen Sektor Rechenzentren überführt werden kann. Wenn alle Erzeuger effizient zusammengeschaltet werden, können wir Stromschwankungen intelligent ausgleichen.“ Hier ist ein richtiger Mix aus großen und kleinen Windkraftanlagen sowie dezentralen und lokalen Erzeugern notwendig. Was können wir zusätzlich aus der Krise lernen – Handlungsdruck, für beschleunigte und kombinierte Energie- und Mobilitätswende hin zu einer Symbiose beider Bereiche. Jensens Vision ist, dass die Elektromobilität als Notstromaggregat mobil verfügbar ist: „Man muss sich bewusst machen, dass heute mit den 620.000 zugelassenen Fahrzeugen in Deutschland, bei einer durchschnittlichen Batteriekapazität von 55kWh, bereits 34.000 MWh an mobiler Energie unterwegs sind.“
Wasserstoff als Schlüsseltechnologie
Wasserstoff ist eines der Schlüsselelemente in der Energiewende. Damit sich Wasserstoff als Energieträger flächendeckend durchsetzen kann, gilt es, ihn zu marktwirtschaftlichen Preisen, in ausreichender Menge und klimaneutral herzustellen. Schwerpunkt ist dabei die Elektrolyse. Der so gewonnene grüne Wasserstoff ist saisonal zu speichern und zu den Verbrauchern zu bringen. Die Verbraucher gibt es in allen Sektoren, egal ob Rückverstromung ins Netz, Brennstoffzellenmobilität oder im Wärmesektor – die zeitliche und örtliche Entkopplung der Produktion in EE-Anlagen von der Nutzung beim Verbraucher ist einer der größten Vorteile. Dafür sind kostengünstige, sichere Wasserstoffspeicher und Transportsysteme genauso erforderlich wie Brennstoffzellen und neue Prozesse in den energieintensiven Industrien. Für den Import des Wasserstoffs und dessen Verteilung müssen bereits jetzt Hydrogen-Terminals geplant werden. Obwohl Deutschland dabei gut aufgestellt ist, gilt es jetzt, die bereitgestellte Technologie im gesamten Energiemarkt zu etablieren, auch über die Anschubfinanzierung hinaus. Hierzu entwickelt der VDE maßgeschneiderte Lösungen für die Finanz- und Versicherungswirtschaft und deren Kunden.
Zurück auf Start
Corona und der Krieg in der Ukraine haben dem Westen die Auswirkung einer enormen Abhängigkeit von instabilen Lieferketten und nicht disruptionsfesten Quellen vor Augen geführt. Der Westen ist aus dem Dornröschenschlaf aufgewacht. Die Anzahl von Produktionsstätten für EE oder Mikrochips ist massiv gestiegen. Unternehmen wie beispielsweise Meyer Burger im PV-Bereich, Bosch in den Bereichen Mikroelektronik und Wasserstoff zeigen, dass Europa zurückkehrt. „Es geht nicht um De-Globalisierung. Es geht darum, dass Deutschland/Europa durch politische, gesellschaftliche und technologische Souveränität im Spannungsdreieck Digitalisierung-Dekarbonisierung-Souveränisierung wieder international auf Augenhöhe ist. Damit wir unsere Rolle als Vermittler und Gestalter zwischen den beiden Weltmächten USA und China wahrnehmen können, kommen wir nun endlich aus unserem Pantoffelkino mit Cola in der linken Hand und Popcorn in der rechten heraus“, forderte Ansgar Hinz, CEO der VDE Gruppe, in seinem Schlusswort. Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck in seiner Botschaft an VDE, GreenTEC Campus, BSKI und MIT: „Eine beschleunigte Energiewende ist das A und O für eine günstige, unabhängige und sichere Energieversorgung. Die Digitalisierung bietet die Grundlage, mit den dafür notwendigen Technologien all dies zu vernetzen. Dies führt dann auch zu einer Souveränisierung und Disruptionsfestigkeit in Deutschland, Europa und der Welt.“
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