Kommentar von Christfried Lenz am 24.06.2022
Die letzte Merkel-Regierung behauptete, sie habe die Erneuerbaren-Richtlinie der EU vollständig in deutsches Recht umgesetzt. Das war schlicht gelogen. Wichtige Punkte wie das „Energy Sharing“ (Mitglieder etwa einer Genossenschaft können – unter Nutzung des vorhandenen Netzes in einem bestimmten Umkreis – den von ihnen erzeugten Erneuerbaren Strom vergünstigt beziehen) oder die gemeinsame Eigenversorgung (etwa einer Hausgemeinschaft) wurden nicht umgesetzt und sind somit in Deutschland weiterhin verboten.
Die Grünen hatten ihren Wahlkampf stark auf die Energiewende und speziell auf die Förderung der Bürgerenergie ausgerichtet. Selbst kritische Geister dachten: Wenn die Grünen in die Regierung kommen, werden sie als eine ihrer ersten Handlungen den von der Vorgängerregierung hinterlassenen Rechtsbruch beseitigen und die EU-Richtlinie – wie darin vorgeschrieben – vollständig in nationales Recht umsetzen.
Das „Osterpaket“ zeigte, dass dies jedoch nicht der Fall war. Es war auch nicht etwa „vergessen“ worden, denn „erinnernde Gespräche“ führten bislang nicht zur Korrektur. Es mangelt also am politischen Willen. Auch die Beseitigung der bürokratischen Hürden ist ein nicht eingelöstes Versprechen. Warum ruft die Regierung jetzt in der akuten Energie-Notlage die Bevölkerung nicht auf: „Liebe Mitbürger, ergreift die Initiative! Versorgt euch autonom mit Erneuerbaren Energien, einzeln, gemeinsam mit Nachbarn, so, wie es jeweils sinnvoll ist! Wir brauchen jede Kilowattstunde. Jegliche bürokratischen Regelungen sind ab sofort außer Kraft gesetzt. Kauft Photovoltaik-Anlagen, so wie wenn ihr eine Waschmaschine oder eine Heizung kauft und macht Strom. Das ist jetzt wichtiger als alles andere.“ Ein solcher Aufruf wurde in der Stellungnahme des „Runden Tisches Erneuerbare Energien“ zum Osterpaket bereits im März vorgeschlagen. Offensichtlich ist so etwas nicht gewollt.
Für die Erschließung von LNG-Quellen werden alle möglichen Anstrengungen unternommen. Wo bleiben Anstrengungen zur Beseitigung der Lieferengpässe bei Photovoltaik-Komponenten? Wo bleiben staatlich geförderte Programme zur massenhaften Ausbildung von Solateuren? In den Jahren nach 2010 wurde regierungsseitig für die Vernichtung von 100.000 Arbeitsplätzen in der Photovoltaik-Branche gesorgt. Diese fehlen jetzt. Wollen die Grünen im Wirtschafts- und im Umweltressort die damaligen Weichenstellungen nicht korrigieren? Es sieht nicht danach aus.
In dem durch die in Deutschland bisher größte klimawandelbedingte Hochwasserkatastrophe verwüsteten Ahrtal gibt es die Initiative von Wissenschaftlern, Energiefachleuten, Politikern und örtlichen Institutionen, die ein Konzept vorgelegt hat, die Region zu einem weithin wirksamen Leuchtturm für vollständige Versorgung mit Erneuerbaren Energien zu machen. Motto „Ahrtal wird Solartal“. Die Initiative versucht unermüdlich, als „Projekt“ anerkannt und gefördert zu werden.
Doch von der rot-grünen Landesregierung (und auch von der Bundesregierung) kommt ein klares „njet“: „Die zuständige Staatssekretärin im Innenministerium des Landes Rheinland-Pfalz, Nicole Steingaß, verwehrt dem Ansinnen die Unterstützung, weil es nicht konform mit den geschaffenen gesetzlichen Grundlagen zur Verwendung der Mittel aus dem Fonds Aufbauhilfe 2021 stehe.“ „Schildbürgerstreich“ und „Gründe sind schwer zu verdauen“ kommentiert die Autorin Petra Franke in ihrem Artikel „Warum aus dem Ahrtal vorerst kein Solartal wird“.
Nicht nur das. Sie sind kennzeichnend für die herrschende Energiepolitik. Um den Bau der LNG-Infrastruktur zu beschleunigen, wurde quasi über Nacht ein Gesetz geschaffen, das unter anderem von Umweltauflagen entbindet. Im gleichen Tempo wird wohl am 8. Juli das „Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz“ durch den Bundestag gehen, wodurch die jahrelangen Verhandlungen zum Kohleausstieg mit einem Schlag zu Makulatur werden.
Es kann also schnell gehen bei Dingen, die gewollt sind. Zu diesen gehört die Energiewende aber offensichtlich nicht. Dass die Regelungen zum Wiederaufbau des Ahrtals, in denen – sträflicherweise – Klimaschutz und Erneuerbare Energien nicht einmal vorkommen, auch auf die Schnelle geändert werden – das ist unvorstellbar.
Abschließend noch ein Wort zum „Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz“: Hans-Josef Fell weist völlig zu Recht darauf hin, dass der Ersatz des Erdgases durch Kohle für das Klima kein Nachteil ist, weil das Erdgas unter dem Strich klimaschädlicher ist als die Kohle.
Dadurch wird so richtig deutlich, was für einen Schildbürgerstreich es darstellt, das Erdgas für eine „Brücke“ zur Erneuerbaren Energiestruktur zu halten. Richtig wäre gewesen, die Kohlekraft weiter laufen zu lassen, bis sie sukzessive von den Erneuerbaren ersetzt worden wäre. Die immensen Investitionen, die nun für Erdgasstrukturen getätigt werden, hätten dann ausschließlich dem Aufbau der Erneuerbaren Versorgung zur Verfügung gestanden. Dass es der Erdgasindustrie gelungen ist, die Fortsetzung der fossilen Energieerzeugung – und auch noch mit einem schädlicheren Brennstoff als Kohle – als Übergang ins Erneuerbare Zeitalter zu verkaufen, macht deutlich, dass die Klimaschutz- und Energiewendebewegung doch einmal versuchen sollte, das Vertrauen in Regierungen durch mehr eigenständiges und kritikbereites Nachdenken zu ersetzen.
— Der Autor: Christfried Lenz, politisiert durch die 68er Studentenbewegung, Promotion in Musikwissenschaft, ehemals Organist, Rundfunkautor, Kraftfahrer und Personalratsvorsitzender am Stadtreinigungsamt Mannheim, Buchautor. Erfolgreich gegen CCS mit der BI „Kein CO2-Endlager Altmark“, nach Zielerreichung in „Saubere Umwelt & Energie Altmark“ umbenannt und für Sanierung der Erdgas-Hinterlassenschaften, gegen neue Bohrungen und für die Energiewende aktiv (https://bi-altmark.sunject.com/). Mitglied des Gründungsvorstands der BürgerEnergieAltmark eG (http://www.buerger-energie-altmark.de/). Seit 2013 verfügt der stellvertretende Sprecher des „Rates für Bürgerenergie“ im Bündnis Bürgerenergie (BBEn) über eine 100-prozentige Strom-Selbstversorgung durch Photovoltaik-Inselanlage mit 3 kWp.
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