Stark-Watzinger kürzt stark

Scharfe Kritik von Forschenden an FDP-Ministerin – auch DAAD muss Stipendien streichen

„Förderzusagen würden nicht eingehalten, Programme unvermittelt eingestellt: Es gibt Kritik an der Ministerin. Betroffen ist etwa Forschung zur Pandemie“, schreibt Tilmann Warnecke im Berliner Tagesspiegel vom 13.07.2022. Oder Biodiversitätsforschung im Amazonas-Urwald. Mehrere (offene) Protestbriefe von Wissenschaftlern verschiedener großer Forschungsvorhaben seien bereits bei der Bundesforschungsministerin eingegangen. Der Tenor sei derselbe. Auch das Außenministerium kürzt:  seine Finanzierung des Akademischen Austauschdienstes bringt 6.000 Stipendien in Gefahr.

Abendstimmung am Amazonas bei Urucará, Brasilien – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

„Unbegründete Verschwendung wissenschaftlicher Arbeit“ wird der ehemaligen Finanzausschuss-Vorsitzenden des Bundestages vorgeworfen, „zynische“ Kürzungen und „problematische Tendenzen“. Das BMBF „beschädige“ die Reputation von Wissenschaftlern und ihre nationalen und internationalen Forschungsbeziehungen. Das Ministerium annullierte kurzfristig ergangene Bewilligungsbescheide, teils mit hohen Summen. Die Folge: Gesamte Förderlinien drohten unvermittelt eingestellt zu werden oder seien bereits kurzfristig gestoppt worden, bei internationalen Kooperationen sei der deutsche Beitrag gefährdet.

Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) steht mit hoher Wahrscheinlichkeit vor umfangreichen Budget-Kürzungen. Das Angebot an Stipendien und in der Mobilitätsförderung in Projekten deutscher Hochschulen muss daher kurzfristig und umfassend reduziert werden; allein rund 6.000 Stipendien könnten wegfallen. Die institutionelle Förderung des DAAD durch das Auswärtige Amt – bei Hochschulen würde man von Grundfinanzierung sprechen – sinkt von 204 Millionen Euro im Jahr 2021 (einschließlich Investitionen) auf rund 195 Millionen Euro in diesem Jahr. Im Jahr 2023 soll gemäß Kabinettsbeschluss eine weitere Kürzung auf 191 Millionen Euro erfolgen. Der DAAD verliert damit in zwei Jahren rund 13 Millionen Euro Grundfinanzierung. Zusätzlich stehen weitere kurzfristige Mittelsperren, sogenannte „globale Minderausgaben“, in der Diskussion, die bereits im laufenden Haushaltsjahr 2022 zu Einbußen führen würden. (daad.de/daad-vor-grossen-einschnitten_juli22)

Ein Beispiel: das Programm „Biotip“, das Kipppunkte, Dynamik und Wechselwirkungen sozialer und ökologischer Systeme (etwa im Amazonas-Regenwald) erforscht, und an dem seit 2019 rund 130 Wissenschaftler international vernetzt arbeiten. In einem Offenen Brief der „Biotip“-Forschenden an Stark-Watzinger, der dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es: Schon Mitte 2021 habe das BMBF alle Projekte aufgefordert, Skizzen für eine planmäßige zweijährige Verlängerung einzureichen. Die Anträge seien bereits im Februar eingereicht worden. Umso überraschender die Mitteilung am 9. Juni, dass die gesamte Verlängerungsphase gekippt wird. Begründet werde dies vom BMBF mit „aktuell geringeren zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln und neuen Schwerpunktsetzungen hin zu Forschungsaktivitäten, die einen schnellen Impact erzeugen“. Laut Tagesspiegel ist das bei den beteroffenen Unis fast ungläubig aufgenommen worden:  „So etwas habe ich als Wissenschaftlerin noch nicht erlebt ,“ sagt Marianne Braig, Politikwissenschaftsprofessorin am Lateinamerika-Institut (LAI) der Freien Universität, kurz nach ihrem Ausscheiden als Vizepräsidentin für Forschung, auf der FU-Webseite. Braig gehört zum Projekt „BioTip“. Zwei Jahre vor dem offiziellen Ende und mitten im laufenden Verfahren hat das BMBF die Förderung von „BioTip abrupt beendet. Und damit vor der produktiven Schlussphase, in der nicht nur die über vier Jahre erhobenen Daten ausgewertet werden, sondern auch die Ergebnisse mit den Bewohnerinnen und Bewohnern der betroffenen Länder geteilt werden sollten – eine Verpflichtung wissenschaftlich-ethischen Arbeitens. „Ich bin als Forscherin irritiert“, sagt Braig. Ihre Kollegin Regine Schönenberg, promovierte Politikwissenschaftlerin und Leiterin des am LAI angesiedelten BioTip-Teilprojekts „PRODIGY – Boden-Biodiversität als Kipppunkt im Amazonasgebiet“ hat einen offenen Brief an das BMBF verfasst.

„Manche stehen vor dem Nichts“

„Während in Deutschland Extremwettersituationen wie Hitzewellen und Dürren mit immer größerer Regelmäßigkeit auftreten, werden zeitgleich wegweisende sozialökologische Forschungsprojekte gekappt“, so FU-Präsident Günther M. Ziegler. Aber nicht nur die Geisteswissenschaften seien betroffen, heißt es aus der Technischen Universität, wo ebenfalls vermehrt Aufforderungen zu Mittelkürzungen eintreffen: „Wir beobachten diesen Trend mit Sorge und hoffen, dass im Sinne einer stabilen und nachhaltigen Forschungslandschaft Mittelkürzungen vermieden werden können“, heißt es aus der TU. Den Hochschulen sei die angespannte Haushaltslage bekannt, „aber wichtige Forschung zu kürzen, weil man sich von ihr keinen schnellen Impact verspricht, das ist besorgniserregendes Kurzfristdenken“. Nach dieser Logik gäbe es in Deutschland weder Entwicklungen zu Quantencomputer noch Künstlicher Intelligenz, von Covid-Impfstoffen ganz zu schweigen. „Wenn wir auf kurzfristige Wirkungsoptimierung setzen, werden wir nicht weit kommen.“

Wie viele Programme genau betroffen sind, ist unklar – teilweise organisieren sich Forschende auf Twitter und in Zoom-Calls, um einen Überblick zu erhalten. In einem solchen Zoom-Call trafen sich eben 60 Wissenschaftler, die bundesweit von nicht ausgestellten Förderbescheiden betroffen sind. Von teilweise dramatischen Folgen für die Betroffenen ist die Rede. Ausgeschriebene Stellen könnten nicht angetreten werden. Manche ständen vor dem Nichts, sagt Jule Specht, Psychologie-Professorin an der HU, von der ein Forschungsprojekt in der Förderline „Gesellschaftliche Auswirkungen der Corona-Krise“ betroffen ist.

Ministerium widerspricht und beschwichtigt

Eine BMBF-Sprecherin sagte dem Tagesspiegel, das Ministerium könne „gut nachvollziehen“, wenn Forscher bei geringerer oder ausbleibender Förderung von Anschlussprojekten enttäuscht seien. Leider sei dies den „Rahmenbedingungen“ geschuldet. Dazu gehörten unter anderem die „besonderen Bedingungen“ des Haushaltsjahres, wie die Folgen des russisches Angriffskrieges gegen die Ukraine und die Schuldenbremse, die ab 2023 wieder gelte. Laut BMBF seien es jetzt jedoch nur Einzelfälle, dass Anschlussprojekte nicht oder nicht im bisherigen Umfang gefördert würden. Aktuell laufende Forschungsvorhaben müssten aus Kostengründen nicht abgebrochen werden. Die Sprecherin habe auch darauf verwiesen, dass eine Projektförderung immer zeitlich begrenzt sei. „Das Auslaufen der Projektförderung ist somit der Regelfall.“ Kaum Trost der hessischen FDP-Vorsitzenden Stark-Watzinger für die Betroffenen.

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