Bakterien können Plastikmüll aus Seen entfernen

Natürliche Reinigung: Untersuchung norwegischer Seen

Wissenschaftler der Universität Cambridge haben laut einer Medienmitteilung vom 26.07.2022 29 europäische Seen untersucht und festgestellt, dass einige natürlich vorkommende Seebakterien auf Plastiktüten schneller und effizienter wachsen als auf natürlichem Material wie Blättern und Zweigen. Die Bakterien bauen die Kohlenstoffverbindungen im Plastik ab und nutzen sie als Nahrung für ihr Wachstum. Den Wissenschaftlern zufolge könnte die Anreicherung von Gewässern mit bestimmten Bakterienarten ein natürlicher Weg sein, die Umwelt von Plastikverschmutzung zu befreien.

See im Brandenburgischen – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Die Wirkung ist ausgeprägt: Die Wachstumsrate der Bakterien hat sich mehr als verdoppelt, wenn die Plastikverschmutzung den Gesamtkohlenstoffgehalt im Seewasser um nur 4 % erhöht hat. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Plastikverschmutzung in den Seen die Bakterien für ein schnelles Wachstum „anregt“ – die Bakterien bauen nicht nur das Plastik ab, sondern sind dann auch besser in der Lage, andere natürliche Kohlenstoffverbindungen im See abzubauen. Es wurde festgestellt, dass die Seebakterien aus Kunststoff gewonnene Kohlenstoffverbindungen gegenüber natürlichen bevorzugen. Die Forscher vermuten, dass dies darauf zurückzuführen ist, dass die Kohlenstoffverbindungen aus Kunststoffen von den Bakterien leichter abgebaut und als Nahrung verwendet werden können.

„Es ist fast so, als ob die Plastikverschmutzung den Appetit der Bakterien anregt. Die Bakterien nutzen zuerst das Plastik als Nahrung, weil es leicht abbaubar ist, und sind dann eher in der Lage, die schwierigere Nahrung – die natürliche organische Substanz im See – abzubauen“, so  Hauptautor Andrew Tanentzap vom Institut für Pflanzenwissenschaften der Universität Cambridge. „Das deutet darauf hin, dass die Plastikverschmutzung das gesamte Nahrungsnetz in Seen stimuliert, denn mehr Bakterien bedeuten mehr Nahrung für größere Organismen wie Enten und Fische.“

Die Wirkung hing von der Vielfalt der im Wasser des Sees vorhandenen Bakterienarten ab – Seen mit mehr verschiedenen Arten konnten die Plastikverschmutzung besser abbauen. Eine von den Autoren im vergangenen Jahr in PLOS BIOLOGY veröffentlichte Untersuchung hatte zum Ergebnis, dass europäische Seen potenzielle Hotspots der Mikroplastikverschmutzung sind. Wenn Kunststoffe abgebaut werden, setzen sie einfache Kohlenstoffverbindungen frei. Die Forscher fanden heraus, dass diese sich chemisch von den Kohlenstoffverbindungen unterscheiden, die beim Abbau von organischem Material wie Blättern und Zweigen freigesetzt werden.

Es zeigte sich, dass die Kohlenstoffverbindungen aus Kunststoffen von Zusatzstoffen stammen, die nur in Kunststoffprodukten enthalten sind, darunter Klebstoffe und Weichmacher. Die neue Untersuchung ergab auch, dass Bakterien in Seen, die weniger einzigartige natürliche Kohlenstoffverbindungen enthielten, mehr Plastikverschmutzung entfernten. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Bakterien im Seewasser weniger andere Nahrungsquellen hatten.

Die Ergebnisse werden dazu beitragen, Prioritäten für die Seen zu setzen, in denen eine Verschmutzungskontrolle am dringendsten ist. Wenn ein See stark mit Kunststoffen verschmutzt ist, aber eine geringe bakterielle Vielfalt und viele verschiedene natürliche organische Verbindungen aufweist, dann ist sein Ökosystem anfälliger für Schäden.

„Leider werden Kunststoffe unsere Umwelt für Jahrzehnte verschmutzen. Positiv ist, dass unsere Untersuchung dazu beiträgt, Mikroben zu identifizieren, die dabei helfen könnten, Plastikmüll abzubauen und die Umweltverschmutzung besser in den Griff zu bekommen“, sagte Professor David Aldridge vom Fachbereich Zoologie der Universität Cambridge, der an der Studie beteiligt war.

29 Seen in ganz Skandinavien untersucht

Für die Untersuchung wurden 29 Seen in ganz Skandinavien zwischen August und September 2019 beprobt. Um eine Reihe von Bedingungen zu bewerten, unterschieden sich diese Seen in Bezug auf Breitengrad, Tiefe, Fläche, durchschnittliche Oberflächentemperatur und Vielfalt der gelösten kohlenstoffbasierten Moleküle. Die Wissenschaftler zerschnitten Plastiktüten von vier großen britischen Einkaufsketten und schüttelten diese in Wasser, bis ihre Kohlenstoffverbindungen freigesetzt wurden.

An jedem See wurden Glasflaschen mit Seewasser gefüllt. Der Hälfte davon wurde eine kleine Menge des „Plastikwassers“ zugesetzt, um die Menge an Kohlenstoff darzustellen, die aus den Kunststoffen in die Umwelt entweicht, und den anderen Flaschen wurde die gleiche Menge destilliertes Wasser zugesetzt. Nach 72 Stunden im Dunkeln wurde die bakterielle Aktivität in jeder der Flaschen gemessen.

In der Untersuchung wurde das Bakterienwachstum anhand der Massenzunahme und die Effizienz des Bakterienwachstums anhand der Menge des während des Wachstums freigesetzten Kohlendioxids gemessen. In dem Wasser mit Kohlenstoffverbindungen aus Kunststoff hatten die Bakterien ihre Masse sehr effizient verdoppelt. Etwa 50 % dieses Kohlenstoffs wurde von den Bakterien innerhalb von 72 Stunden aufgenommen.

„Unsere Untersuchung zeigt, dass Plastiktüten, die in Seen und Flüsse gelangen, dramatische und unerwartete Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem haben können. Wir hoffen, dass unsere Ergebnisse die Menschen dazu ermutigen werden, noch vorsichtiger mit der Entsorgung von Plastikmüll umzugehen“, sagte Eleanor Sheridan vom Fachbereich Pflanzenwissenschaften der Universität Cambridge, Erstautorin der Untersuchung, die im Rahmen einer Diplomarbeit durchgeführt wurde.

Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass der bakterielle Kunststoff-Appetit nicht als Entschuldigung für die anhaltende Plastikverschmutzung missverstanden werden darf. Einige der in Kunststoffen enthaltenen Verbindungen können giftige Auswirkungen auf die Umwelt haben, insbesondere in hohen Konzentrationen.

Die Ergebnisse wurden am 26.07.2022 open access in Nature Communications veröffentlicht.

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