„Was wir durch die Untersuchung von 15 Ländern über den Kohleausstieg gelernt haben“
„Trotz der weithin anerkannten Notwendigkeit, schnell von fossilen Brennstoffen, insbesondere Kohle, wegzukommen, investieren viele Länder weiterhin in diese hochgradig umweltschädliche Energiequelle. Um zu verstehen, warum der Ausstieg aus der Kohle so schwierig ist, haben wir in Zusammenarbeit mit einem internationalen Team von rund 35 Forschern die politökonomischen Faktoren untersucht, die für die weitere Nutzung der Kohle verantwortlich sind.“ Zuerst erschienen in Carbon Brief vom 01.08.2022 unter (BY-NC-ND 4.0).
- Von: Michael Jakob, Senior Fellow am Ecologic Institut und Senior Researcher am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change.
- Jan C. Steckel, Leiter der Arbeitsgruppe für Klima und Entwicklung am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change und Professor für Klima- und Entwicklungsökonomie an der Technischen Hochschule Brandenburg.
- Und 35 weitere Forscher
In 15 Länderfallstudien haben wir untersucht, was den Ausstieg aus der Kohle vorantreibt – und was ihn behindert. Zu den Triebkräften gehören die Lobbyarbeit mächtiger Interessengruppen, die öffentliche Nachfrage nach einer als billig empfundenen Energiequelle oder der Wunsch, Arbeitsplätze zu schaffen und den Strukturwandel zu beschleunigen. Unsere Ergebnisse, die in einem Sammelband in der Reihe Routledge Environment for Development open access (CC BY-NC-ND) veröffentlicht wurden, befassen sich mit Ländern wie dem Vereinigten Königreich, Bulgarien und den USA sowie Vietnam, Kenia, China, der Türkei, Südafrika und Australien.
Trotz der sehr länderspezifischen Gegebenheiten haben wir festgestellt, dass die Länder in vier große Gruppen eingeteilt werden können:
- Länder, die bereits einen Kohleausstieg angekündigt haben,
- Länder, in denen die Kohlenutzung schrittweise eingestellt wird,
- etablierte Nutzer des Brennstoffs und
- große Kohleexporteure.
Unsere Untersuchungen zeigen, dass jede dieser Gruppen mit besonderen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Kohleausstieg konfrontiert ist – und daher unterschiedliche politische Maßnahmen benötigt, um den Übergang politisch durchsetzbar zu machen.
Fallstudien zur Kohle
Kohle ist der umweltschädlichste fossile Brennstoff und die größte Einzelquelle für weltweite Kohlendioxid (CO2)-Emissionen. Ihre Nutzung machte 2021 40 % der weltweiten Emissionen aus fossilen Brennstoffen und Zement aus. Im jüngsten sechsten Bewertungsbericht des Weltklimarates (IPCC) heißt es, dass die Begrenzung der Erwärmung auf weniger als 2 °C eine rasche Abkehr von der Kohle erfordert, einschließlich der Streichung neuer Kohlekraftwerke und der beschleunigten Stilllegung bestehender Kohlekraftwerke“. Darüber hinaus haben sich alle Länder im „Glasgower Klimapakt“ vom November 2021 darauf geeinigt, die Nutzung von Kohle ohne Kohlenstoffabscheidung und -speicherung schrittweise einzustellen.
Doch trotz erheblicher Kürzungen in der Kohlepipeline befinden sich in 38 Ländern weltweit immer noch 457 Gigawatt (GW) an neuen Kohlekraftwerkskapazitäten in der Entwicklung. Zum Verständnis dieser geplanten Investitionen, die vor allem in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen getätigt werden, haben wir uns auf die Suche nach den Ursachen gemacht. Außerdem wollten wir die politische Ökonomie der bereits umgesetzten Kohleausstiegspolitik und die Dynamik in den wichtigsten Kohleexporteuren untersuchen.
1. Kohleausstieg: Großbritannien, USA, Deutschland, Bulgarien, Chile
Die erste Gruppe, die wir untersuchten, besteht aus Ländern, die eine Form von Kohleausstiegszielen beschlossen haben, nämlich das Vereinigte Königreich, die USA, Deutschland, Bulgarien und Chile. Wir haben festgestellt, dass es sich bei den Ländern, die sich Ziele für den Ausstieg aus der Kohle gesetzt haben, meist um Länder mit hohem Einkommen und hohen technologischen, administrativen und finanziellen Kapazitäten handelt.
In diesen Ländern herrschen liberalisierte Energiemärkte vor, so dass sinkende Kosten für erneuerbare Energien die Kohle tendenziell aus dem Energiesystem verdrängen, auch ohne spezielle Förderprogramme. Ein Beispiel dafür sind die USA, wo die Kohle aufgrund wettbewerbsfähigerer Alternativen auf dem Rückzug ist, obwohl die Trump-Regierung die Kohlekraft aktiv unterstützt. In Ländern mit einem ausgeprägten Bewusstsein für den Klimawandel, wie z. B. in der EU, werden Kohlenstoffpreise und Förderprogramme den Übergang zu sauberer Energie wahrscheinlich beschleunigen, wie unsere Untersuchungen zeigen.
In diesen Ländern besteht die größte Herausforderung für das Erreichen der Kohleausstiegsziele wahrscheinlich in der Verabschiedung von Maßnahmen, die eine gerechte Energiewende gewährleisten. Dazu könnten beispielsweise Maßnahmen zur Förderung des Strukturwandels in den Kohleregionen gehören, die gleichzeitig den wirtschaftlichen Wohlstand sichern, etwa durch den strategischen Aufbau alternativer Industrien und Umschulungsmaßnahmen für Arbeitnehmer in der Kohleindustrie.
2. Kohleausstieg: Philippinen, Vietnam, Kenia
Das zweite Cluster besteht aus Ländern, die ihre Energiesysteme ausbauen, um die rasch steigende Nachfrage zu decken, nämlich die Philippinen, Vietnam und Kenia. Bei diesen Ländern handelt es sich häufig um Länder mit niedrigem Einkommen, für die Erschwinglichkeit und Verlässlichkeit zu den wichtigsten Anliegen gehören. Sie haben noch keine etablierten Interessen an Kohle, und die niedrigen Kosten der erneuerbaren Energien begünstigen den Aufbau eines kohlenstoffarmen Energiesystems. In diesen Ländern haben Projekte für erneuerbare Energien, die im Vergleich zu Kohlekraftwerken erhebliche Vorabinvestitionen erfordern, jedoch oft mit hohen Kapitalkosten zu kämpfen. Diese Kosten sind häufig auf politische Risiken zurückzuführen. So haben wir beispielsweise in Vietnam und auf den Philippinen festgestellt, dass Kohlekraftwerke im Vergleich zu erneuerbaren Energien eine günstigere regulatorische Behandlung erfahren.
Maßnahmen zur Verringerung der politischen Risiken für Investoren durch die Sicherstellung der langfristigen Glaubwürdigkeit angekündigter politischer Maßnahmen sowie der Einsatz von „Derisking-Instrumenten“ zur Verringerung von Kreditrisiken könnten die Wettbewerbsbedingungen ausgleichen und erneuerbare Energien attraktiver machen. Darüber hinaus würde die technische und administrative Unterstützung bei der Vorbereitung der Stromnetze auf den variablen Charakter der erneuerbaren Energien dazu beitragen, den Einsatz kohlenstoffarmer Energiequellen zu beschleunigen.
3. Etablierte Kohleverbraucher: China, Indien, Türkei
Die dritte Gruppe von Untersuchungen umfasst China, Indien und die Türkei, allesamt etablierte Nutzer von Kohleenergie mit bedeutenden Kohlebergbau- und Kohlekraftindustrien. Diese Gruppe umfasst Länder mit mittlerem Einkommen, deren Wirtschaftswachstum zu einem großen Teil durch billige Kohleenergie angeheizt wurde. In diesen Ländern hat sich gezeigt, dass Kohle eine wichtige Quelle für Beschäftigung, regionale Entwicklung und öffentliche Einnahmen ist und mit starken Eigeninteressen verbunden ist.
In Indien zum Beispiel sind die Einnahmen aus dem Kohletransport eine wichtige Einnahmequelle für die indische Eisenbahn und werden zur Quersubventionierung der Fahrpreise verwendet. Die Aussicht auf gestrandete Kredite für Kohlekraftwerke lässt auch das Schreckgespenst aufkommen, dass eine Verringerung der politischen Unterstützung für den Sektor die Stabilität des Finanzsystems im Allgemeinen gefährden und sich auf die gesamte Wirtschaft auswirken könnte.
In diesen Ländern werden die Energiemärkte von staatlichen Unternehmen beherrscht, die unserer Erfahrung nach anfällig für politische Einmischung sind. Für diese Akteure spielen die niedrigeren Preise für erneuerbare Energien nur eine untergeordnete Rolle, da die Entscheidungsfindung eindeutig von politischer Günstlingswirtschaft geprägt ist.
Es ist daher zu erwarten, dass die Liberalisierung ihrer Energiemärkte den Übergang von der Kohle zu wettbewerbsfähigeren erneuerbaren Energien beschleunigen wird. Wir haben festgestellt, dass dieser Prozess durch institutionelle Reformen unterstützt werden könnte, um den Einfluss von Besitzstandswahrern einzuschränken – zum Beispiel in Kombination mit einer breiteren Agenda zur Bekämpfung der Korruption.
Darüber hinaus deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass Maßnahmen zur Entschädigung der politischen Verlierer und zur Sicherung des Lebensunterhalts der in der Kohleindustrie beschäftigten Arbeitnehmer erforderlich sein werden, um den Kohleausstieg in diesen Ländern politisch durchsetzbar zu machen – im Gegensatz zu den Kohleausstiegsplänen, denen sie bisher zugestimmt haben.
4. Kohleexporteure: Kolumbien, Australien, Südafrika, Indonesien
Die letzte Ländergruppe ist die heterogenste, da sie Länder mit unterschiedlichem Einkommensniveau umfasst. Sie umfasst auch Länder, in denen die Kohleverstromung gut etabliert ist – Australien und Südafrika – sowie Länder, in denen Kohle fast ausschließlich exportiert wird (Kolumbien). Dennoch haben wir in all diesen Ländern festgestellt, dass die Kohle eine wichtige Quelle für Beschäftigung, regionale Entwicklung und öffentliche Einnahmen darstellt.
Infolgedessen gibt es starke Interessen, die Förderung und den Export von Kohle aufrechtzuerhalten. Unsere Untersuchungen zeigen beispielsweise, dass die Kohleabgaben einen erheblichen Teil der öffentlichen Haushalte der Regionalregierungen in Indonesien ausmachen und auch eine wichtige Rolle bei der Förderung des Friedensprozesses in Kolumbien spielen. Dies macht den Ausstieg aus der Kohle zu einer politischen Herausforderung.
Eine Möglichkeit für diese Länder, die Energiewende voranzutreiben, könnte darin bestehen, alternative Einnahmequellen zu erschließen, die den finanziellen Anforderungen der wichtigsten Interessengruppen gerecht werden. So haben wir beispielsweise in Australien festgestellt, dass die Aussicht, ein Exporteur von grünem Wasserstoff zu werden, ein Gegengewicht zum politischen Einfluss der Kohlelobby bilden könnte. Außerdem wurde vorgeschlagen, dass Südafrika eine Schlüsselposition auf dem Weltmarkt für grüne Grundstoffe, die mit Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen hergestellt werden, wie z. B. Stahl, einnehmen könnte.
Auf jeden Fall haben wir in allen exportorientierten Kohle-Ländern festgestellt, dass die Abkehr von der Kohle ein wichtiges Element einer breit angelegten Reformagenda sein könnte, um sich von extraktiven Wirtschaftsmodellen zu lösen.
Schlussfolgerungen
Weltweit gewinnen die Bemühungen um eine Abkehr von der Kohle aufgrund des gestiegenen Bewusstseins für den Klimawandel und der niedrigeren – und sinkenden – Kosten für erneuerbare Energiequellen an Dynamik. Dennoch gibt es nach wie vor erhebliche Hindernisse. Um den Ausstieg aus der Kohle politisch durchsetzbar zu machen, müssen die politischen Maßnahmen unseren Untersuchungen zufolge auf den jeweiligen Länderkontext abgestimmt sein.
Innerstaatliche Maßnahmen können auch durch internationale Maßnahmen vorangetrieben werden. Länder, die aus der Kohle aussteigen, könnten internationale Vereinbarungen nutzen, um die Glaubwürdigkeit ihrer Ausstiegsziele zu erhöhen, z. B. im Rahmen eines „Klima-Clubs“ ehrgeiziger Vorreiter, durch eine gemeinsame Erklärung unter dem Dach der G20 oder durch Aufnahme in ihre Klimazusagen im Rahmen des Pariser Abkommens. Diese Länder können gleichzeitig Länder mit niedrigerem Einkommen und geringeren technischen und administrativen Fähigkeiten mit technischer und finanzieller Hilfe unterstützen.
Die Ergebnisse unserer Untersuchung von 15 nationalen Fallstudien können politischen Entscheidungsträgern bei der Gestaltung nationaler – und internationaler – Maßnahmen zum Ausstieg aus der Kohle helfen.
->Quellen:
- ecologic.eu/18799
- carbonbrief.org/guest-post-what-we-learned-about-coal-phaseout-by-studying-15-countries – (BY-NC-ND 4.0)
- Originalveröffentlichung: Jakob, M and Steckel JC (eds) (2022): The political economy of coal: Obstacles to clean energy transitions, Routledge Environment for Development, doi:10.4324/9781003044543 – CC BY-NC-ND