Schnell unabhängig von Fossilen werden
Die aktuelle Lage (Krieg und Klimawandel) erhöhe die Dringlichkeit, unabhängig von fossilen Brennstoffen zu werden, und führe zu einer Intensivierung und Beschleunigung der internationalen Kooperationen bei Wasserstoff im Hinblick auf den globalen Markthochlauf und künftige Lieferketten für Wasserstoff, schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort (20/3155) auf eine Kleine Anfrage der Union (20/2916) zum Thema „Infrastruktur stärken, Netze ausbauen und Innovation fördern – Voraussetzungen für den Markthochlauf der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland“.(hib/MIS)
Die Regierung teilt weiter mit, die im Koalitionsvertrag angekündigte Fortschreibung der nationalen Wasserstoffstrategie solle in diesem Jahr abgeschlossen werden. Die Arbeiten dazu hätten bereits begonnen. In einem Staatssekretärsausschuss der beteiligten Ressorts seien im Juli erste Eckpunkte formuliert und verabschiedet worden. Die Fortschreibung werde Ende des Jahres im Kabinett beschlossen. Eine grundsätzliche Einbindung der Bundesländer erfolge über den Bund-Länder-Arbeitskreis Wasserstoff.
Auf die Frage, mit welchen Erzeugungsmengen von klimaneutralem Wasserstoff in Deutschland die Regierung rechne, heißt es in der Antwort: „Ziel ist es, Erzeugungskapazitäten von mindestens zehn Gigawatt grünen Wasserstoffs in Deutschland bis zum Jahr 2030 und damit einen Beitrag zur Erreichung der nationalen und europäischen Klimaziele zu leisten. Nach derzeitigem technologischem Stand wird dieser Wasserstoff per Elektrolyse erzeugt werden. Bei der Produktion und auf der Anwenderseite gibt es im Einklang mit der aktuellen Fassung der Nationalen Wasserstoffstrategie Förderinstrumente, die zur Erreichung der Klimaschutzziele ausschließlich grünen Wasserstoff adressieren. Bei der Transportinfrastruktur wird nicht zwischen der Erzeugungsart des Wasserstoffs differenziert.“
In welchen Ländern die deutsche Entwicklungszusammenarbeit Wasserstoffvorhaben fördere oder plant es in den kommenden Jahren, geh aus eine Tabelle hervor (in der allerdings Australien und Argentinien fehlen). Maßnahmen in weiteren Ländern mit guten Voraussetzungen für die Produktion von grünem und nachhaltigem Wasserstoff und seinen Derivaten würden aktuell geprüft.
Die Unionsfragesteller wollten wissen, welche „absurden Hürden“ aus Sicht der Bundesregierung „sinnvolle Entwicklungen“ beim Wasserstoff in Deutschland verhindern, und was die Bundesregierung unternehme, um diese Hindernisse für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft zu beseitigen.
Antwirt der Regierung: „Der Wasserstoffhochlauf ist mit großen Hürden verbunden. Diese Hürden sind vor allem darauf zurückzuführen, dass die Wertschöpfungskette für grünen und nachhaltigen Wasserstoff in allen ‚Gliedern‘ der Kette vollständig neu aufzubauen ist. Dies betrifft die Anlagenherstellung, die Erzeugung des Wasserstoffs (sowie den Ausbau der für die Elektrolyse benötigten Mengen erneuerbaren Stroms im In- und Ausland), die Infrastruktur zum Transport und Speicherung des Wasserstoffes sowie die Technologien auf der Anwendungsseite, die zur Umstellung der bisherigen Produktionsprozesse auf den Einsatz von Wasserstoff notwendig werden.
Hinzu kommt, dass dieser Aufbau der Wertschöpfungsketten vielfach nicht isoliert voneinander erfolgen kann. Vielmehr bedarf es eines hohen Maßes an enger Koordination einerseits zwischen den Wasserstoffnachfragern und -erzeugern sowie andererseits auch jeweils mit der Transportinfrastruktur.
Ebenso bedarf es einer Koordinierung auf der europäischen und internationalen Ebene, um die Importe von Wasserstoff und seiner Derivate sowie die Import- und Transportinfrastruktur voranzubringen und darüber hinaus einen Rechtsrahmen für den Hochlauf von Wasserstoff und seinen Derivaten als Kraftstoff im Luft- und Seeverkehr zu schaffen.
Die Bundesregierung hat diese und weitere Herausforderungen für die erste Phase des Markthochlaufs bereits in der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) vom Juni 2020 beschrieben. Die NWS enthält zudem einen Aktionsplan zum Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft, der auch Maßnahmen zum Abbau von Hemmnissen umfasst. Welche Fortschritte hier bereits erzielt werden konnten, wird im Fortschrittsbericht zur NWS vom Juni 2022 beschrieben.“
Nachden Auswirkungen der durch die aktuelle geo- und sicherheitspolitische Lage eingetretenen signifikanten Änderungen der gaswirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland auf die derzeit im Rahmen des Netzentwicklungsplans Gas 2022 bis 2032 laufende Modellierung des Wasserstoffnetzes gefragt, schrieb die Bundesregierung: „Das im Zwischenstand zum NEP Gas 2022 bis 2032 ermittelte Wasserstoffnetz der FNB Gas beruht auf den abgefragten Bedarfen mit Absichtserklärung, den Ergebnissen des Netzentwicklungsplans Gas 2020 bis 2030, den Leitungsmeldungen der Fernleitungsnetzbetreiber und anderer potenzieller Wasserstoffnetzbetreibern sowie auf vorhandenen parallelen Leitungssystemen im Fernleitungsnetz. Auf dieser Basis erfolgte die Prüfung, welche Trassen geeignet sind, um ein Wasserstoffnetz aufzubauen. Anhand der Trassen können Annahmen über Neubau und Umstellungen von Leitungen getroffen werden. Zielnetze für 2027 und 2032 sind ausgewiesen. Die Planung und Realisierung des Wasserstoffnetzes erfolgt seitens der zukünftigen Wasserstoffnetzbetreiber in enger Abstimmung mit den potenziellen Transportkunden.
So können mitunter auch vorzeitig erforderliche Transportbedarfe identifiziert und in den Planungen implementiert werden. Die Ergebnisse der Abfrage der Fernleitungsnetzbetreiber nach Erzeugung und Bedarfen für Wasserstoff, die mit Absichtserklärungen untermauert wurden, zeigen einen deutlich gestiegenen Transportbedarf von Wasserstoff in Deutschland. Weiterhin ist damit zu rechnen, dass ein Teil der russischen Gasmengen durch den Einsatz von Wasserstoff substituiert wird.
Die Fernleitungsnetzbetreiber prüfen in Abstimmung mit der Bundesnetzagentur derzeit diverse Optionen, die Gasversorgung Deutschlands mit weniger russischem Gas bzw. gänzlich ohne Gas aus Russland sicherzustellen. Bei diesen Optionen steht eine an die neuen Rahmenbedingungen angepasste, veränderte Nutzung des vorhandenen Gasnetzes im Vordergrund. Dabei wird auch die veränderte Flusssituation (Reverse Flow) und die Auswirkung auf das Erdgasnetz geprüft, um mittelfristig die Substitution und damit die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Erst wenn es dazu fundierte Erkenntnisse gibt, können Aussagen getroffen werden, inwieweit bestehende Erdgasleitungen für den Transport von Wasserstoff umgestellt werden können. Perspektivisch könnten die vermeintlich anstehenden Maßnahmen im Erdgasnetz sogar den zukünftigen Bedarf an Wasserstofftransport unterstützen, da bei zukünftigem Rückgang von Erdgasbedarfen Leitungen für den Transport von Wasserstoff umgestellt werden können. Auch die anvisierte verbesserte Importsituation für Erdgas könnte zukünftig für Wasserstoff genutzt werden (vorgesehene Nutzung der neuen Flüssigerdgas-(LNG-)Terminals perspektivisch für erneuerbare Gase.
Welche konkreten Maßnahmen und bis wann die Bundesregierung plane, um die für die Schaffung der Wasserstoffinfrastruktur erforderlichen Bau- und Planungskapazitäten rechtzeitig und bedarfsgerecht zu sichern bzw. zu schaffen, beantwortete die Regierung wie folgt. „Die Schaffung der Wasserstoffinfrastruktur in Deutschland ist privatwirtschaftlich organisiert; die Bundesregierung setzt die Rahmenbedingungen und fördert bestimmte Projekte, zum Beispiel die sogenannten IPCEI-Wasserstoff-Projekte (Important Project of Common European Interest). Dabei handelt es sich um transnationale Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse, die mittels staatlicher Förderung einen wichtigen Beitrag zu Wachstum, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie und Wirtschaft leisten. Die Umsetzung der Vorhaben erfolgt durch die geförderten Unternehmen. Bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen wird den Unternehmen dabei auf Antrag auch ein vorzeitiger Maßnahmenbeginn bewilligt, der es diesen erlaubt, frühzeitig mit den erforderlichen Planungsarbeiten zu beginnen. Hinsichtlich der Netze und Speicher wird der Großteil der Wasserstoffinfrastruktur durch Umwidmung von bestehenden Erdgasleitungen und -speichern sowie zeitlich gestreckt erfolgen. Insofern geht die Bundesregierung hier von ausreichenden Bau- und Planungskapazitäten aus. Angebot und Nachfrage nach Bau- und Planungskapazitäten für Elektrolyseure entwickeln sich aktuell sehr dynamisch; diese Entwicklung und die Auslastung der Kapazitäten wird die Bundesregierung genau beobachten.“
Der Bundesregierung komme eine besondere Rolle zu, was den Aufbau der künftigen Netze, Speicher und Importterminals für Wasserstoff betrifft. Daher sehe § 112b des Energiewirtschaftsgesetzes vor, dass das BMWK bis zum 31.12.2022 ein Konzept zum weiteren Aufbau des deutschen Wasserstoffnetzes veröffentliche. Das Konzept soll im Lichte sich entwickelnder unionsrechtlicher Grundlagen vor dem Hintergrund des Ziels einer Anpassung des regulatorischen Rahmens zur gemeinsamen Regulierung und Finanzierung der Gas- und der Wasserstoffnetze Überlegungen zu einer Transformation von Gasnetzen zu Wasserstoffnetzen einschließlich einer schrittweise integrierten Systemplanung beinhalten. „Hierbei wird das BMWK insbesondere den Bericht zum aktuellen Ausbaustand des Wasserstoffnetzes und zur Entwicklung einer zukünftigen Netzplanung Wasserstoff mit dem Zieljahr 2035 berücksichtigen, den die Fernleitungsnetzbetreiber der Bundesnetzagentur erstmals und spätestens zum 01.09.2022 vorzulegen haben. Bei der Errichtung der stationären, landseitigen LNG-Terminals gibt die Bundesregierung vor, dass diese Terminals später, statt mit Erdgas, mit klimaneutralen Energieträgern wie etwa Derivaten von grünem Wasserstoff (z. B. Ammoniak oder Methanol), weitergenutzt werden zu können. Deshalb ist der Betrieb der nach dem LNG Beschleunigungsgesetz genehmigten Terminals mit fossilem Gas zwingend bis zum 31.12.2043 zu befristen. Ein Weiterbetrieb nach dem 31. Dezember 2043 ist nur mit klimaneutralem Wasserstoff und Derivaten hiervon zulässig.“
Gespräche zum Auf- und Ausbau von Wasserstoffnetzen laufen mit europäischen Ländern über die Europäische Kommission, in diversen multilateralen Foren (wie z. B. im Pentalateralen Energieforum mit Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Österreich und der Schweiz) sowie in bilateralen Wasserstoff-Kooperationen der Bundesregierung mit Norwegen, den Niederlanden und Dänemark. Da die Netze in Deutschland anders als in vielen Partnerländern privatisiert sind, sind auch deutsche Netzbetreiber involviert. Bei den Kooperationen mit Nicht-EU-Ländern sind die Diskussionen am Konkretesten mit Algerien und waren dies vor dem Krieg mit der Ukraine. Auch mit Marokko, Tunesien und Saudi-Arabien laufen perspektivische Gespräche über Wasserstoff-Pipelines (im Falle von Saudi-Arabien über Ägypten in die EU, Zeithorizont 2035 bis 2045).
Auch aus Sicht der Bundesregierung wird Wasserstoff in den Bereichen zum Einsatz kommen, in denen fossiles Erdgas nicht durch Energieeffizienz und Strom aus Erneuerbaren Energien ersetzt werden kann. Dies trifft insbesondere in der Industrie zu. Hierfür wird ein Teil der Gasnetze für das künftige Wasserstoffnetz weiterhin gebraucht werden und deswegen sollte zeitnah die Umrüstung geplant werden. Ein Teil der Gasnetze wird aber aufgrund steigender Kosten und einem sinkenden Abnahmevolumen voraussichtlich nicht wirtschaftlich als Wasserstoffnetz betreibbar sein. Dies gilt insbesondere für Gasverteilnetze, die heute primär zur Wärmeversorgung in weniger stark besiedelten Wohngebieten zum Einsatz kommen.
Mit dem aktuellen Energieforschungsprogramm der Bundesregierung „Innovationen für die Energiewende“ und den zugehörigen Förderbekanntmachungen werden die Leitlinien der Energieforschungsförderung festgelegt. Auf dieser Grundlage fördert die Bundesregierung Kooperationsprojekte im Rahmen der anwendungsorientierten Grundlagenforschung und der angewandten Energieforschung, um die Entwicklung in strategisch wichtigen Bereichen zu verstärken. Bei der Auswahl von Kooperationsprojekten werden Konsortien unter Beteiligung kleiner oder mittlerer Unternehmen bevorzugt berücksichtigt. Weiterhin finden auch Wasserstofftechnologien eine besondere Berücksichtigung. Insofern besteht bereits ein förderpolitischer Rahmen, um Kooperationsprojekte mit Bezug zu Wasserstofftechnologien und unter Beteiligung von kleinen und mittleren Unternehmen auch künftig in der Förderpraxis zu berücksichtigen. Ergänzend und vertiefend können Vorhaben mit bestimmten Schwerpunkten innerhalb der bestehenden Programmatik durch einzelne Förderaufrufe verstärkt zur Durchführung ermutigt werden. Beispielsweise wurden mit den Förderaufrufen „Ideenwettbewerb Wasserstoffrepublik Deutschland“ und „Technologieoffensive Wasserstoff“ Verbundprojekte zu Forschungsthemen im Bereich der Erzeugung, des Transports, der Speicherung, der Nutzung und Weiterverwendung des Energieträgers Wasserstoff angereizt. Ziel des Nationalen Innovationsprogramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologien 2016 bis 2026 (NIP) ist die wettbewerbsfähige Etablierung von Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie im Verkehrssektor. Gefördert werden Vorhaben im Bereich der Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie, insbesondere im Straßen-, Schienen-, Wasser- und Luftverkehr sowie in Sonderanwendungen. Die Förderung von Forschung und Entwicklung konzentriert sich dabei auf Maßnahmen der Demonstration, Innovation und Marktvorbereitung. Im Rahmen des NIP ist daher auch die Förderung von Kooperationsprojekten zwischen Mittelstand und angewandter Forschung möglich. Projektskizzen können kontinuierlich eingereicht werden; in regelmäßigen Skizzenauswahlrunden werden die Projekte priorisiert.
Mit den Programmen „Zukunftsinvestitionen der Fahrzeughersteller und -zulieferer“ und dem „Zukunftsfonds Automobilindustrie“ gibt es bereits Programme, die insbesondere die Förderung kleiner und mittelständischer Automobilzulieferer in der Transformation im Blick haben. Dabei wird auch ein Schwerpunkt auf den Wissenstransfer gelegt. Die Förderung kann dabei auch Zukunftsinvestitionen in Wasserstofftechnologien umfassen. Die Programme werden voraussichtlich in 2024/2025 evaluiert und auf Basis der Evaluation Schlüsse für zukünftige Förderbedarfe gezogen. Zudem führt die Bundesregierung kontinuierliche Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der Automobilindustrie. Der Transformationsprozess der Fahrzeughersteller sowie deren Zuliefererindustrie über alle Verkehrsträger hinweg soll durch das geplante Innovations- und Technologiezentrum Wasserstoff (ITZ) weiter vorangetrieben werden. Durch die Bereitstellung von Infrastruktur, Prüf- und pränormativen Angeboten, Aus- und Weiterbildungen sowie Vernetzungsaktivitäten soll ein wesentlicher Beitrag zum Hochlauf von Brennstoffzellenanwendungen und zum Transformationsprozess der Industriezweige im Mobilitätsbereich (von der Straßenanwendung bis zur Luftfahrt) geleistet werden. Ziel ist dabei die Unterstützung von v. a. kleinen und mittelständischen Unternehmen bei der Positionierung als Leitanbieter für Wasserstofftechnologien im internationalen Wettbewerb. Für die Umsetzung wurden die vier Standorte Chemnitz, Pfeffenhausen, Duisburg sowie ein norddeutsches Cluster mit Bremen/Bremerhaven, Stade und Hamburg ausgewählt. Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie wurde bis Mai 2022 für das bundesweite ITZ ein komplementäres Gesamtkonzept entwickelt, mit dem nun die Umsetzungsphase beginnen kann.
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