„Inakzeptabel – gefährlich – keine Option“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/ Die Grünen) hat am 05.09.2022 das Ergebnis des Stresstests bekannt gegeben. Demnach sollen die AKW Isar 2 und Neckarwestheim 2 als Reserve für die Monate bis April vorgehalten werden und in Wochen drohender Blackouts hochgefahren werden. Umweltverbände und Anti-Atom-Initiativen kritisieren in einer gemeinsamen Stellungnahme den Stresstest der Bundesregierung.
Dazu Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland: “Mit seiner Entscheidung zu einer Reservebereitschaft für zwei Atomkraftwerke kündigt ausgerechnet der grüne Bundeswirtschaftsminister einen hart errungenen gesellschaftlichen Konsens auf. Eine Bereithaltung der Atomkraftwerke über den 31. Dezember hinaus ist inakzeptabel und verhindert die notwendige Energiewende – gerade im Süden Deutschlands. Ein erhebliches Sicherheitsrisiko mit den letzten und alten Atomkraftwerken einzugehen, ist von Habeck trotz Energieversorgungskrise unverantwortlich.
Es liegt nun am Bundestag und den darin vertretenen Fraktionen, die Änderung des Atomgesetzes zu stoppen. Wenn es die Bundesregierung mit der Energiewende ernst meint, muss sie dafür sorgen, dass Bayern und Baden-Württemberg noch in diesem Jahr den Ausbau der Windkraft in Lichtgeschwindigkeit vorantreiben. Um das Stromnetz zu entlasten, müssen Unternehmen und öffentliche Einrichtungen gesetzlich verpflichtet werden, ihren Stromverbrauch um mindestens 15 Prozent zu senken. Ein Beitrag zum Klimaschutz wären drastische Energiesparmaßnahmen ohnehin.”
Deutsche Umwelthilfe warnt vor „Türöffner für noch gefährlichere Laufzeitverlängerung“ und fordert Bundestag zur Ablehnung auf
Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Die Entscheidung der Bundesregierung, den gesellschaftlich hart errungenen Konsens zum Ausstieg aus der Atomenergie zum Jahresende aufzukündigen, ist fatal. Und sie öffnet die Tür für eine noch gefährlichere Laufzeitverlängerung der veralteten und gefährlichen deutschen Atomreaktoren, die niemals kommen darf. Eine Weiternutzung der in die Jahre gekommenen Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 trägt wenig zu einer sicheren Energieversorgung bei und beschwört schwer beherrschbare rechtliche und Sicherheitsrisiken herauf. Wir fordern den Deutschen Bundestag und vor allem die Grünen Fraktion dazu auf, die für eine ‚Einsatzreserve‘ notwendigen Änderungen des Energiesicherungsgesetzes und des Atomgesetzes abzulehnen.
Stattdessen ist es an der Bundesregierung, durch konsequente Energiesparprogramme für Wirtschaft und Privathaushalte die Strom- und Wärmeversorgung für diesen Winter sicherzustellen und für bezahlbare Preise zu sorgen. Dazu gehören ein Energieeffizienzgesetz mit verpflichtenden Einsparzielen für die Industrie, ein gesetzlich vorgeschriebenes Lastenmanagement und die Unterstützung bedürftiger privater Haushalte durch geeignete Maßnahmen der Preisdeckelung für ihren Mindestbedarf. Die süddeutschen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg, deren jahrelange Versäumnisse beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der Übertragungsnetze jetzt sichtbar werden, müssen durch Bundesrecht dazu gebracht werden, ausreichend Flächen zum Ausbau der Windkraft zur Verfügung zu stellen und den Netzausbau zu beschleunigen. Wirtschaftsminister Habeck muss beim bayerischen Ministerpräsidenten Söder außerdem darauf hinwirken, die unsinnige 10H-Abstandsregelung für Windenergie umgehend aufzuheben.“
Umweltinstitut: Nutzen des Weiterbetriebs der AKW steht in keinem Verhältnis zum Risiko
Umweltverbände und Anti-Atom-Initiativen kritisieren in einer gemeinsamen Stellungnahme den Stresstest der Bundesregierung. Umweltinstitut München: “Der Weiterbetrieb von Atomkraftwerken nach dem 31.12.2022 ist keine Option – auch in der aktuellen Energiekrise nicht. Die im Stresstest skizzierten potenztiellen Schwachstellen des Energiesystems können und müssen auf andere Art behoben werden.” So brauche es eine großangelegte Energiespar-Kampagne, individuelle Energieberatung kleinerer und mittlerer Unternehmen und verpflichtende Sparmaßnahmen für Großbetriebe. Unterzeichnet haben die Stellungnahme neben dem Umweltinstitut unter anderem die Deutsche Umwelthilfe, .ausgestrahlt, Campact und die ärztliche Friedensbewegung IPPNW.
Das Umweltinstitut kritisiert, dass der mögliche Weiterbetrieb der Atomwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 mit unkalkulierbaren Risiken verbunden ist. Die überalterten Reaktoren waren über Jahrzehnte Neutronenbeschuss, großer Hitze und hohem Druck ausgesetzt. Nach über 30 Jahren Betrieb ist mit Materialermüdung, Verschleiß, Korrosion und Spannungsrissen zu rechnen. Die letzte Sicherheitsüberprüfung der Reaktoren gab es im Jahr 2009 und sie wurde nach einem veralteten Stand von Wissenschaft und Technik durchgeführt. Bei einem weiteren Betrieb steigt das Risiko durch unentdeckte Schäden von Tag zu Tag. Keines der Atomkraftwerke hält zudem einem gezielten Anschlag oder dem Absturz eines großen Verkehrsflugzeugs stand.
Karin Wurzbacher, Atomexpertin des Umweltinstituts: „Aus Sicherheitsgründen müssen die verbliebenen AKW eigentlich sofort vom Netz, spätestens aber Ende dieses Jahres. Selbst der Stresstest der Bundesregierung kommt zu dem Ergebnis, dass die Einsparung beim Erdgas durch einen weiteren Betrieb der AKW marginal wäre. Dies bringt in einer handfesten Energiekrise so gut wie nichts und steht in keinem Verhältnis zu dem damit verbundenen Risiko.
Die AKW als Reserve bereitzuhalten, öffnet weiteren Debatten über eine Laufzeitverlängerung Tür und Tor und gefährdet die zügige Energiewende“, befürchtet Hauke Doerk, Referent für Radioaktivität im Umweltinstitut. Er kritisiert, dass vor allem CDU/CSU und FDP, die in der Vergangenheit die Energiewende massiv behindert und damit die Abhängigkeit vom Gas erhöht hätten, sich jetzt für eine Verlängerung der Atomkraft einsetzen. “CDU-Chef Merz, der bayerische Ministerpräsident Söder und Finanzminister Lindner lenken mit der Atomdebatte vom eigenen energiepolitischen Versagen ab”, so Doerk.
BUND-Atomexpertin Angela Wolf: AKW sind verzichtbar
„Der geringe Nutzen, der aus einem Weiterbetrieb oder einem Notfallbetrieb dieser Kraftwerke resultieren würde, steht in keinem Verhältnis zu den Kosten. Ein großes Problem ist beispielsweise, dass alle noch laufenden Atomkraftwerke keine gültigen Sicherheitsnachweise haben. Also Kraftwerke müssen alle zehn Jahre nach EU-Recht auf Herz und Nieren untersucht werden und das sind sehr aufwendige und langwierige Untersuchungen. Und die wurden ausgesetzt mit Blick auf den Atomausstieg, den nahenden. Und das ist ein Problem, weil wir gar nicht genau wissen, wie es um die Sicherheit der Kraftwerke bestellt ist. Und das sehen wir jetzt gerade in Frankreich, wo die Hälfte der Reaktorflotte maßgeblich deshalb stillsteht, weil festgestellt wurde, dass Korrosionen aufgetreten sind, die letztlich zum Supergau führen könnten. Und in Deutschland fahren wir die Kraftwerke quasi im Blindflug und wissen nicht, wie es um das Innere bestellt ist. Und das jetzt weiter fortzusetzen, das ist absolut verantwortungslos. Egal ob das eine Reserve ist oder ob das jetzt der Streckbetrieb ist, das spielt keine Rolle. Die dürfen keinen Tag länger am Netz bleiben, weil es jetzt schon viel zu riskant ist.“
->Quellen:
- presseportal.greenpeace.de/217877-kommentar-zum-stresstest-ergebnis
- duh.de/entscheidung-fuer-einsatzreserve-gefaehrlicher-atomkraftwerke-deutsche-umwelthilfe-warnt-vor-tueroef
- Gemeinsames, von 12 Organisationen unterzeichnetes Verbändestatement
- bund.netbund-atomexpertin-zum-stresstest-atomkraftwerke-sind-verzichtbar