Aber: Umweltstandards zu stark eingeschränkt
Die von der Ampelkoalition vor dem Hintergrund der angespannten Lage am Gasmarkt geplante Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ist in einer öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschusses für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz am 26.09.2022 grundsätzlich auf Zustimmung gestoßen. Die Mehrheit der Experten begrüßte den von den Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vorgelegten Gesetzentwurf (20/3498) laut dem parlamentseigenen Pressedienst heute im bundestag als gut geeignet, um Genehmigungsverfahren zu verkürzen und Betreibern von Kraftwerken und Industrieanlagen den dringend erforderlichen Brennstoffwechsel zu ermöglichen, so ihre Einschätzung. Einige Experten sahen allerdings weitergehenden Handlungsbedarf.
Andere Sachverständige äußerten auch Bedenken zu den geplanten Ausnahmen vom Immissionsschutz. Die Regelungen gingen teilweise sehr weit, schränkten Umweltstandards zu stark ein und damit auch europäisches Recht, so ihre Kritik.
Aus dem Entwurf: „In der angespannten Versorgungslage ist die zügige Durchführung von Verfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) erforderlich. Um kurze Verfahrensdauern zu erreichen, sind zeitlich befristete Verfahrenserleichterungen erforderlich.
Der Entwurf sieht Sonderregelungen zur Beteiligung der Öffentlichkeit im Rahmen bestimmter Genehmigungsverfahren nach dem BImSchG sowie weitere Verfahrenserleichterungen vor, wenn das entsprechende Verfahren in einem spezifischen, näher beschriebenen Zusammenhang mit der Gasmangellage durchzuführen ist.“
Vertreter von Unternehmen und Anlagenbetreibern wie Florian Bieberbach, Vorsitzender der Geschäftsführung der Stadtwerke München, begrüßten das Gesetzgebungsvorhaben. Die geplanten Regelungen seien ein „effektiver Beitrag“ zur Bewältigung der Gasversorgungskrise, so der Sachverständige. Mit Blick auf die technische Umsetzung machte er im Detail jedoch Lücken aus: So sollten auch bivalente Anlagen, also Anlagen, die mit zwei Brennstoffen betrieben werden können, von den Ausnahmeregelungen erfasst werden. Zudem plädierte Bieberbach dafür, auf die Pflicht zur Nachrüstung von Anlagen zur Abgasreinigung zu verzichten. Diese zu erfüllen sei bis zum Winter kaum möglich, und angesichts des Ausnahmecharakters der Regelung auch unverhältnismäßig.
Hauke Dierks vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag unterstützte die vorgesehenen Ausnahmen und Verfahrenserleichterungen für Unternehmen ebenfalls. Allerdings ließ er durchblicken, dass man sich für kleinere Betriebe „mehr gewünscht“ hätte. Viele dieser Betriebe seien bereits dabei, einen Brennstoffwechsel vorzubereiten, scheiterten jedoch an rechtlichen Vorgaben. Eine Hürde sei etwa die Genehmigungspflicht für die Installation größerer Flüssiggastanks, so der Sachverständige. Dierks drängte zudem darauf, Behörden die Möglichkeit zu geben, Abweichungen von Emissions-Grenzwerten befristet zu dulden – sofern von Anlagen keine Gefahr für Gesundheit und Umwelt ausgehe.
Wolfgang Hausdörfer, Werkleiter beim Ziegelhersteller Creaton, zweifelte daran, dass sich die geplanten Änderungen erleichternd auswirken könnten. Die Energieträgerumstellung sei schlichtweg nicht so schnell zu bewerkstelligen, dass sie sich noch in diesem Winter auswirke.
Markus Frank vom Verband der Chemischen Industrie bedauerte, dass keine Ausnahmen von „europäischen Anforderungen“ geplant seien. Dafür müssten nun aber die geplanten Änderungen im Bundes-Immissionsschutzgesetz schnell umgesetzt und durch weitere im Bereich der Betriebssicherheit und für Anlagen zum Umgang mit wassergefährdeten Stoffen ergänzt werden, mahnte er. Es brauche dringend rechtssichere Genehmigungsverfahren.
Kritik: Missbrauch möglich
Deutliche Kritik an dem Gesetzentwurf übten Experten wie der Umwelttechniker Peter Gebhardt und die Juristin Franziska Heß: Beide erkannten zwar die Notwendigkeit zu Ausnahmeregelungen an, monierten aber, dass die konkret vorgesehenen Änderungen über das Ziel hinausschössen. Der Entwurf gehe über „dasjenige, was zur Bewältigung der Gasmangellage erforderlich ist, deutlich hinaus“, so formulierte es etwa Franzika Heß von der Kanzlei Baumann Rechtsanwälte. Die Fälle, in denen Ausnahmen von Umweltstandards gelten sollten, seien nicht genügend klar eingegrenzt und ermöglichten Missbrauch. Einzelne Regelungen verletzten auch europäisches Recht, konkret die Industrieemissionsrichtlinie, kritisierte sie. Heß plädierte insgesamt dafür, Ausnahmen auf systemrelevante Anlagen zu beschränken.
Peter Gebhardt, Ingenieurbüro für Umweltschutztechnik, zweifelte zudem an, ob alle Änderungen tatsächlich erforderlich seien. Ausnahmen von Emissionsgrenzwerten für Stickstoffoxide seien zum Beispiel nicht nötig, da von einem Ammoniak- oder Harnstoffmangel nicht auszugehen sei. Die Voraussetzungen, Sonderregelungen zu beantragen, seien letztlich so breit gefasst, dass Unternehmen „jegliche Erschwernis“ im Zusammenhang mit einer Gasmangellage als Grund heranziehen könnten, um Vorhaben „ohne Genehmigung und mit extrem eingeschränkter Öffentlichkeitsbeteiligung zu realisieren“, gab der Sachverständige zu bedenken.
Die Sorge teilte Annette Giersch vom Bundesverband der Deutschen Industrie nicht: Der Schutz von Mensch und Umwelt werde weiterhin gewährleistet, versicherte sie und betonte: „Es geht hier um die Beschleunigung der Prozesse.“ Aktuell dauerten Genehmigungsverfahren ein Jahr. So viel Zeit hätten Betriebe und Unternehmen nicht. Die Energiekrise bedrohe sie existenziell. (hib/SAS)
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