…trotz Energiekrise
Überlagert die aktuelle Energiekrise die Notwendigkeit ambitionierter Klimapolitik? Die Deutschen wollen weiter an der Energiewende festhalten – trotz gestiegener Belastungen. Mehr noch: Die Transformation zur Klimaneutralität ist ihnen gerade vor dem Hintergrund hoher Energiepreise wichtiger denn je und muss weiter an Tempo aufnehmen. Das zeigt die jährliche repräsentative Befragung von deutschlandweit mehr als 6.500 Personen zu Themen der Energie- und Verkehrswende, durchgeführt im Rahmen des vom BMBF geförderten Kopernikus-Projekts Ariadne. In diesem Jahr wurden im „Sozialen Nachhaltigkeitsbarometer 2022“ auch die Meinungen der Bürgerinnen und Bürger zur Energiepreiskrise im Kontext der Klimawende eingefangen.
Die durch den Angriff von Russland auf die Ukraine ausgelöste Energiekrise stellt nicht nur die Menschen in Deutschland vor besondere finanzielle Herausforderungen – auch der Klimaschutz scheint in den Diskussionen um mögliche Laufzeitverlängerungen von Kohle- und Atomkraftwerken mitunter in den Hintergrund zu treten. Dabei zeigen jetzt veröffentlichte Zahlen des Sozialen Nachhaltigkeitsbarometers, das von einem Team des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Zusammenarbeit mit forsa durchgeführt wurde, dass die Zustimmung zu Energie- und Verkehrswende trotz steigender Preise und Unsicherheiten in der deutschen Bevölkerung weiter zunimmt: 70 Prozent der befragten Menschen sprechen sich für den Ausbau Erneuerbarer Energien, beschleunigt durch einfachere Verfahren, und damit einer Sicherung der Energieversorgung in Deutschland aus. „Grundsätzlich wünschen sich zwei Drittel der befragten Menschen mehr und gezieltere Maßnahmen für den Klimaschutz,“ hält Ingo Wolf vom IASS fest. „Gleichzeitig kommen immer mehr Menschen aufgrund der steigenden Energiepreise an ihre finanziellen Grenzen. Die Ergebnisse des Sozialen Nachhaltigkeitsbarometers zeigen auf, welchen Herausforderungen die Menschen in Deutschland vor dem Hintergrund der aktuellen Energiekrise gegenüberstehen und welche konkreten Maßnahmen sie von der Politik erwarten.“
Die Ungeduld wächst: Schnellere und bessere Verkehrswende gewünscht
Der Vergleich mit den Ergebnissen aus der Befragung im vergangenen Jahr zeigt auch, dass zum Beispiel das Interesse an der Verkehrswende von 73 Prozent auf 79 Prozent leicht gestiegen ist und mehr Menschen diese durch eigenes Handeln mitgestalten wollen. Gleichzeitig wächst bei den Menschen das Gefühl der Belastung durch höhere Mobilitätskosten und die Ungeduld an der Politik: Mehr als 60 Prozent der Befragten sind mit den Fortschritten in der Verkehrswende unzufrieden (2021: 55 Prozent). Die Zahl der Menschen, welche die geplanten Maßnahmen für die Verkehrswende für nicht zielführend halten, hat sich von 23 Prozent in 2021 auf 40 Prozent in diesem Jahr fast verdoppelt.
Belastungen der gestiegenen Energiekosten gerechter verteilen
Noch deutlicher wird den Befragten die aktuelle Krise durch die gestiegenen Energiekosten: Fühlten sich 2021 noch 28 Prozent der Menschen von den Heizkosten belastet, sind es in diesem Jahr bereits 43 Prozent. Der Anteil der Menschen, die auf eine günstigere Energieversorgung durch Erneuerbare hoffen, steigt auf 35 Prozent (2021: 26 Prozent). Zur finanziellen Entlastung von privaten Haushalten bei steigenden CO?-Preisen befürwortet die Hälfte der Befragten eine Rückerstattung gezielt an einkommensschwächere Haushalte. Eine pauschale Rückzahlung an alle Bürgerinnen und Bürger in gleicher Höhe unterstützen etwas mehr als einem Drittel. Gleichzeitig hat eine deutliche Mehrheit (62 Prozent) wenig bis kein Vertrauen in die Politik, dass die Einnahmen aus dem CO?-Preis an die Bevölkerung weitergegeben werden.
„Die Politik sollte trotz gerade überlappender Krisen jetzt nicht nachlassen, die geplanten Maßnahmen für den Klimaschutz umzusetzen,“ mahnt Ortwin Renn vom IASS. „Die Ergebnisse des Barometers können als Unterstützung und Aufforderung von der Bevölkerung an die politischen Vertreterinnen und Vertretern verstanden werden, die Krisen nicht gegenseitig auszuspielen, sondern im Sinne des Gemeinwohls Energiesouveränität und Klimaschutz gemeinsam zu sehen und entsprechende Maßnahmen umzusetzen.“
Wie die Forschenden die Ergebnisse einordnen:
Ko-Autor Jean-Henri Huttarsch vom IASS: „Die Ergebnisse des Barometers stimmen mich hoffnungsvoller als manch ein Eindruck, den man teilweise in sonstigen Berichterstattungen gewinnt. Für den Erfolg von Energie- und Verkehrswende sind dringend weitere Maßnahmen notwendig und die Bürgerinnen und Bürger sind bereit für diese, solange deren Kosten und Nutzen in der Gesellschaft gerecht verteilt werden – verständlicherweise.“
Ko-Autorin Benita Ebersbach vom IASS: „Die Ergebnisse zeigen, dass die Bereitschaft der Menschen die großen Transformationsprozesse unserer Zeit zu unterstützen, größtenteils vorhanden ist. Es muss nun geschafft werden, diese Bereitschaft in tatsächliches, konsequentes Handeln umzuwandeln. Dabei kann das Soziale Nachhaltigkeitsbarometer Ansatzpunkte liefern, welche Maßnahmen eher akzeptiert und welche Überzeugungen in der Bevölkerung geteilt werden.“
->Quellen: